Die Waldfinnen und Bettellappen

Außer den beiden, in den früheren Abschnitten behandelten Landstreicherkasten teilt noch ein dritter Bruchteil der Bevölkerung des Landes den ziemlich allgemeinen Haas, die sich überhebende Verachtung und die Verfolgung des normänischen Blutes, soweit nicht wirkliche Gesittung und Bildung oder abergläubische Furcht den feindlichen Anregungen dieser Leidenschaften Schranken setzen. Es sind dies die Reste jenes interessanten, uralten Volkes, das, als einer der vier Hauptzweige des altaischen Völker und Sprachstammes, kulturtragend sich vom Altai über den Ural bis zum weißen Meere hinauf, in vielfachem Verkehr und Berührung mit den historischen Völkern der alten Erde, verfolgen lässt. Um die Zeit der Geburt Christi, dem Andränge gotischer Christen nach Nordwest ausweichend, vertauschte es seine ursprünglichen Sitze am kaspischen Meere mit der Gegend im West des Urals und an der Wolga, um zur Zeit des allgemeinen Völkergewühles im vierten Jahrhundert noch weiter und zwar bis in die nordwestlichste Ecke Europas verdrängt zu werden. Ein friedliches Geschlecht herumschweifender Nomaden konnte es hier in einem Polarlande, wennschon dem mildesten derselben, unter dem eisernen Zepter einer in Eis und Schnee erstarrenden Natur nicht leicht mit dem Ackerbau vertraut und in feste Wohnsitze gesammelt werden, so dass nicht einmal seine einzelnen Stämme durch gegenseitigen, unmittelbaren Verkehr eng und fest verbunden wurden. Daher wurden diese bald eine Beute verschiedener Völker, welche sie anfänglich besiegten und knechteten. Norweger, Schweden und Russen , ihnen folgend und von Süd und Ost her in ihre Sitze einbrechend, wussten bald die Rollen so zu vertauschen, dass von einem Tributrechte des finnischen Volkes nicht mehr die Rede war, vielmehr, wechselnd, dieses Jenen dienstbar wurde. Ein unter ihnen selbst aufrecht erhaltener Stammesunterschied, wennschon er nicht zu augenfällig hervortritt, ist doch der scharfen Beobachtung des norwegischen Volkes nicht entgangen, aber dennoch nicht hinreichend genug beachtet, um nicht zwei verschiedene Zweige desselben Volksastes, erstens die als Nomaden vor den Norwegern im Lande heimischen Lappen oder Same (auch Samelads, wie sie sich selbst nennen, da Lappe ihnen als Schimpfwort gilt) zweitens die Kväner oder eigentlichen Finnen mit dem gemeinsamen Namen „Finnen" zu bezeichnen und gleichem ungerechtem Urteile zu unterwerfen. Letztere sind übrigens nicht als Ureinwohner anzusehen, sondern entschieden eingewanderte Kolonisten aus dem ehemaligen schwedischen, jetzt russischen Großfürstentum Finnland. Der Hass, der alles „Finnische" trifft, ist wohl kaum glaublicher Weise darauf zurückzuführen, dass in dem „Labbelensk" (dem elenden Sköier-Kauderwelsch) sich verschiedene Wörter vorfinden, die ganz unzweifelhaft, wenn auch allerdings in einer verdorbenen Form, aus der um ihres Wohllauts und ihrer reichen Poesie willen so hochgeschätzten finnischen Sprache entlehnt sind. Wie diese Wörter Eingang in den Jargon der vagabundierenden Verbrecherwelt gefunden, muss unentschieden bleiben. Es ist ebenso leicht möglich, dass diese umherschwärmenden Haufen ihre Wanderungen bis jenseits des Botnischen Busens ausgedehnt haben, wie es ebenso leicht möglich ist, dass von dort herübergekommene Vagabunden zu allen Zeiten sich mit ihnen in den schwedischen und norwegischen Walddistrikten vereinigten. Eilert Sundt erwähnt selbst einiger Individuen unter den Fanten, die ihm den Beweis lieferten, dass sie geläufig finnisch zu reden verstanden, auch behaupteten in „Großfinnland“ geboren zu sein. Aber die norwegischen Landstreicher können auch auf einem viel näheren Punkte auf eine Abteilung der quänisch redenden Finnen gestoßen sein und mögen wohl Einzelne dieser Letzteren durch die Macht unglücklicher Verhältnisse nur zu geneigt gewesen sein, mit den Fanten zu fraternisieren und sich mit ihnen in engste Verbindung zu setzen.

Mitten inne zwischen den norwegischen und schwedischen Distrikten haben nämlich seit einigen Jahrhunderten eine Anzahl kvänischer Familien ihre Wohnsitze genommen und sich ganz des Nomadisierens entschlagen. Auf einer weitläufigen, mit dunkelgrünem Nadelwalde bestandenen Bergreihe zwischen dem südlichen Teile des Amtes Hedemarken in Norwegen und Wärmeland in Schweden ist auf beiden Seiten der Reichsgrenze noch heut ein solcher merkwürdiger Überrest alter Kolonisation. Auf norwegischer Seite nennen die Nachbaren diese Ansiedelung den „Finnenwald”, auf schwedischer nach dem Charakter der Wohnsitze das „Finnenfeld." In den Chroniken finden sich nur spärliche und unvollkommene Nachrichten über diese Kolonie, so dass Zeit und Ursache ihrer Gründung nicht mit Sicherheit zu bestimmen ist. Wo aber alte Schriftsteller derselben erwähnen, wird stets der Unterschied von den, im nördlichen Gebirge herumziehenden Finnen und Lappen hervorgehoben, wie sie auch schon damals die Bezeichnung „Wald- oder Ackerfinnen" erhielten. Aber auch schon in jener Zeit tragen alle Berichte über sie eine deutlich zu erkennende Abneigung und Ungunst zur Schau, ohne die harten Urteile irgendwie zu motivieren und zu belegen. So heißt es in einer Relation über den Zustand des norwegischen Reiches vom Jahre 1699 über dieselben: Sie sind das allerschädlichste Unkraut für das Land, das mau irgend wo erwähnen kann — — , denn in Zeiten des Unfriedens sind sie nicht allein die allergrößten Spione, sondern es muss auch, da sie alle Schleichwege und Stege in den Wäldern kennen, sich jeder einzelne Mensch vor ihren Überfüllen und Räubereien oder Diebstählen fürchten u. s. w. — Ganz dieselben Untugenden legt ihnen auch Pontoppidan bei; er vergleicht sie mit den Morlaken, dem halbwilden räuberischen Volke in den Gebirgen Dalmatiens, und fügt hinzu, dass sie im Ganzen so erniedrigt seien, dass die Norweger sie auf eine ebenso verächtliche Art behandeln, wie man an anderen Orten nur die lumpigsten Juden behandeln kann. Kraft schildert in seinem im Jahre 1820 herausgegebenen Werke: „Beschreibung von Norwegen" zum erstenmale ausführlicher dieses versprengte Finnenvolk und erwähnt Anzeichen eines, in letzterer Zeit beginnenden sittlichen Aufschwunges, hebt aber dennoch hervor, dass der freundschaftliche Verkehr mit dem norwegischen Volke noch immer ein sehr geringer sei und sich meist darauf beschränke, dass sie zwei bis dreimal in die norwegischen Distrikt herabkämen, um ihre Handelsgeschäfte zu betreiben und sich darauf einen Rausch zu trinken. Er schreibt ihnen übrigens eine große Armut zu, durch welche sie gezwungen seien, sich durch zum Teil mit Baumrinde versetztes Brot zu ernähren.


Eilert Sundt bereiste — in seinem unermüdlichen Eifer, die Lebensbedingungen und Zustände des gesamten niederen norwegischen Volkes kennenzulernen und um das Eingreifen, wo solches Nottue, und die Hilfe der Regierung auf den richtigen Fleck lenken zu können — im Jahre 1848 den Finnenwald in beiden skandinavischen Reichshälften. Zu seiner Überraschung fand er ein, seinen Erwartungen vollkommen entgegengesetztes Resultat. Der schwedische oder Solöer Finnenwald liegt in einer schönen Alpengegend und ist im Winter, wenn die Sätern, d. h. die Sennhütten, verlassen sind, durch einen, ein Paar Meilen breiten, menschenleeren Waldstrich von dem norwegischen Distrikte am Glommen geschieden. Keine Wege führen durch die düstere Einöde, nur ab und zu Spuren von den scharfen Schuhen der Waldfinnen auf den, durch sie vom lockeren Moose entblößten Steinblöcken, und hier und dort Baumstämme als Brücken über reißend dahinströmende Waldbäche oder allzuweiche, unsichere Moräste, legen schwaches Zeugnis ab von einer gewissen Zivilisation im Reiche der Finnen. Unmittelbar hinter diesem Striche finden sich die ersten Ansiedelungen am Skadsen See, und wurde hier der fremde Forscher auf seine einfache und klare Äußerung, dass ihn kein anderer Zweck hergeführt habe, als der, die Finnen zu besuchen und zu sehen, wie ihre Lage beschaffen wäre, statt von einem befürchteten und kaum zu verargenden Misstrauen, von der treuherzigsten Gastfreundschaft und behaglichsten Höflichkeit empfangen, und fand später, von seinem ersten Wirte weiter empfohlen, dieselbe gastfreie Aufnahme, wo er auch mit den ansässigen Finnen in Berührung trat. Sogleich der erste Eindruck beweist, dass diese Bewohner des Finnenwaldes Fremde geblieben inmitten des norwegischen Volkes. Sie reden unter sich finnisch, können aber alle norwegisch reden, wennschon ältere Leute, namentlich die Frauen und andrerseits wieder die Kinder, wenig auf Gespräche in dieser Sprache eingeübt sind. An ihrer weichen, dialektfreien Aussprache hört man sehr bald, dass das Norwegisch eine erlernte Sprache ist; aber auch ihre Umgangssprache ist ein dialektfreies, ganz reines und unverdorbenes Finnisch.

Auch die häuslichen Einrichtungen zeigen sogleich die Herrschaft fremder Sitte. Die Wohnungen sind überall, selbst inmitten des dunkelsten Tannenwaldes, von Äckern und Wiesenstücken umgeben, womit sie der Fleiß der Finnen geschmückt, indem letztere die zur Niederlassung ausgesuchten Moore zuerst mit großen Anstrengungen von Steinen reinigten, mit entwässernden Gräben durchzogen und so in Äcker und Gartenland verwandelten. Fast überall, namentlich aber in den älteren Häusern, besteht die Wohnung aus einem ziemlich großen Räume, in dessen einer Ecke ein sehr großer gemauerter Ofen, etwa wie ein Backofen, mit Bänken an den Seiten, die ein besonders warmes Lager darbieten, angebracht ist. Diese Öfen sind auch im Sommer stark geheizt, — eine Notwendigkeit, wie die Finnen sagen, weil sie nach ihrem häufigen Arbeiten in den Sümpfen oft mit ganz durchnässten Kleidern nach Hause zurückkehren. Der Rauch wird nicht durch einen Schornstein abgeführt, sondern breitet sich in dem oberen Theile des Zimmers aus und sucht schließlich durch dasjenige der vier Löcher, die an den vier Wänden angebracht sind, zu entweichen, welches er gerade, der Windrichtung entsprechend, geöffnet findet. Die Finnen selbst befinden sich wohl in diesem Rauche und der Wärme, die jedoch dem Ungewohnten sehr bald lästig werden. Neben dieser, den eigentlichen Aufenthalt bildenden Rauchhütte, die aber schon hier und dort der norwegischen Stubenwohnung weichen musste, zeigt sich überall, wo ein Finne heimisch geworden, eine Badestube, um welche herum es des Abends, der Hauptreinigungszeit, äußerst lebhaft herzugehen pflegt. Alt und jung, Mann und Weib jubeln in dem rauch angefüllten Räume im gemeinsamen Genüsse des erfrischenden Dampfbades, indem sie sich schallend die schwitzenden Glieder mit Birkenreisern peitschen und schließlich dampfend herausstürzen, um sich in dem, stets nahe liegenden, vorüberfließenden Bache mit eiskaltem Wasser zu übergießen. Die höchst ungenierte Mischung aller Alter und beider Geschlechter hat keinen entsittlichenden Einfluss auf die Kolonie geäußert, vielmehr hat das Bad, dessen fleißige Benutzung nach der ausdrücklichen Erklärung der Finnen zur Aufrechterhaltung der Kräfte in ihrer Sumpf- und Wald-Existenz eine Notwendigkeit ist, eine allgemeine Liebe zur Reinlichkeit und Sauberkeit erzeugt, die sich an der Person und in dem Hause eines jeden Finnen in hohem Grade vorfindet.

Obschon jetzt in der Tracht und dem äußeren Gebahren dem Norweger mehr und mehr ähnlich werdend, halten die Kolonisten doch, und nicht allein in ihren Erinnerungen und im geistigen Leben, mit Zähigkeit am Mutterlande, dem eigentlichen Großfürstentum, fest. Bücher, nicht nur Bibeln, sondern oft auch ästhetische Schriften, und namentlich Sammlungen aus ihrer schönen Volkspoesie, finden sich in den meisten Häusern, letztere selbst im Gedächtnis von Alt und Jung, vor. In den Wanderschulstunden frischen die Lehre, wie am häuslichen Herde die Greise, die Mythen und dunklen Sagen von Väinämoinen und Jlmarinen und den vielen anderen mythischen Persönlichkeiten der finnischen Stämme auf, die in solcher Weise, überall in frühester Kindheit vernommen, zum Allgemeingut werden. Neben ihren nunmehr gebräuchlichen Familiennamen, oder richtiger Vatersnamen, tragen sie noch ihre unter sich gebräuchlichen uralten , aus dem Großfürstentum mit herübergebrachten Geschlechtsnamen, wie auch die Torpen oder Häuslerplätze und die Bauernhöfe neben den norwegischen, auch ihre finnischen Bezeichnungen haben. In Körperbildung sind sie von den nördlichen Abstammungsgenossen, den Lappen, ganz verschieden, groß und gut gewachsen, und es gehört eine lange und häufige Übung dazu, um sie, wie der norwegische Bauer es vermöge der größeren Vertrautheit mit ihren Eigentümlichkeiten tut, nach den Physiognomien von den Normännern zu unterscheiden. Zu solchen Eigentümlichkeiten gehört die Zähigkeit, mit welcher sie an einzelnen kleinen Kleidungsstücken festhalten. So zum Beispiele lassen sie nirgends von ihren allerdings sauberen und hübschen „Finnenschuhen die zierlich aus Streifen von Birkenrinde geflochten sind, und ebensowenig von der „Finnkunte", einem aus derselben Art Flechtwerk gebildeten Tornister oder Ränzel, die beide finnische Erfindungen und im Großfürstentum Finnland auch noch allgemein gebräuchlich sind. Sie, und in noch allgemeinerer Verbreitung der „Finnmut“ — das heißt ein, vorzugsweise von Rentierfell, sonst aber auch von anderen jagdbaren Raubtieren gefertigter Pelz, dessen Haare nach außen getragen werden — fanden auch schon Anwendung und Nachahmung bei den Norwegern.

Es führen diese Bewohner des Finnwaldes im Allgemeinen ein höchst beschwerliches und mühseliges Leben, um so mehr, als sie der Mehrzahl nach nur Häusler sind. Sie treiben etwas Ackerbau, aber die Kornernte schlägt sehr oft fehl und nur Wenige unter ihnen besitzen ein Paar Stück Vieh, um die, sich ihnen bietende gute Gebirgsweide auszunützen. Der Arbeitsverdienst beim Schlagen und Zubereiten des Bau- und Nutzholzes ist der Nahrungszweig der Meisten, wirft aber nur mäßige Erträge ab. In vielen Haushaltungen ist ein, jedenfalls ursprünglich von der Not aufgezwungenes Brotsurrogat — dessen Bestandteile nur in der Menge der fremdartigen Zusätze (geraspelte Birkenrinde und getrocknete und geriebene Moos- und Flechten-Arten) zu der Grundmasse des Mehlteiges wechseln — als Maßstab des momentanen Wohlstandes vorzufinden. Teils wohl begründet durch die Mühseligkeit ihres Daseins, an deren teils aber wohl auch als ein Erbteil ihres Stammes — denn auch im Mutterlande ist dieses der Fall — liegt ein schwermütiger, tiefsinniger Zug über ihr ganzes Wesen ausgebreitet, und sie klagen selbst über die „sydeman tauti" (Herzkrankheit), die ihnen aus der Heimat in ihr einsames Waldleben folgte. Nichtsdestoweniger muss man sie ein leutseliges, gebildetes und liebenswürdiges Bauernvolk nennen.

Wie Überraschend es für Eilert Sundt gewesen sein muss, einen so angenehmen, lichten und freundlichen Eindruck im Finnenwalde davon zu tragen, ist leicht denkbar,
wenn man erwägt, dass er erwartete, auch hier einen Zweig des unheimlichen Fantenvolkes mit seinen düsteren und grauenhaften Sitten oder vielmehr Unsitten zu finden. Das Resultat seiner Forschungen lenkte sein Erstaunen nach einer anderen Richtung, nämlich dahin: wie es möglich gewesen, dass Jahrhunderte die Vorurteile des norwegischen Volkes gegen die fremden Einwohner nicht zerstörten, sondern vielmehr so befestigten, dass dieselben in den allgemein verbreiteten Ruf kamen, mit dem verhassten Landstreichervolke Gemeinschaft zu halten und gleichen Strang zu ziehen, während gerade die Finnen, ihrer früheren und vielfach unangenehmen Berührungen mit dem Fantengeschlechte halber, ein eigenes Bewachungssystem ihrer Kolonie eingerichtet hatten, um dasjenige Gesindel abzuhalten, was sowohl von der schwedischen, als auch von der norwegischen Seite herüberzukommen pflegte, um sie zu belästigen und ihre Armut zu brandschatzen. Eine geschichtliche Darstellung der Kolonie, wie sie, wenn auch nicht urkundlich niedergelegt, doch als Tradition in ihnen lebt, von den Ältesten in ihren Versammlungen erzählt , von den Schullehrern der Wanderschulen aufrecht erhalten und unter den Kindern verbreitet wird, gibt den Schlüssel zu dem Rätsel ihres schlechten Rufes unter den Nachbaren und dem dadurch herbeigeführten Zustand der Isoliertheit und unvermischten Existenz.

Etwa um das Jahr 1600 kamen die ersten finnischen Ansiedlerfamilien in diese Gegend, nachdem sie kurz zuvor, es ist ungewiss geblieben aus welcher Ursache, ihr Vaterland hatten verlassen müssen. In Schweden, wohin sie zuerst gezogen, hatte der König ihnen den weitläufigen und damals noch gänzlich unbewohnten Waldstrich im oberen Wärmeland, dicht an der norwegischen Grenze, zur neuen Heimat angewiesen. Hier richteten sie sich in der gewohnten Weise ein; sie fällten große Waldstrecken, verbrannten die niedergeschlagenen Bäume und Gesträuche zur Urbarmachung des damit bestandenen Bodens und säten Roggen in die Asche, der trefflich darin gedieh; dieses Verfahren war auch Veranlassung zur Viehzucht für sie, denn wenn eine solche Braate, wie der norwegische Ausdruck für den dort gewonnenen Acker lautet, die düngende Kraft der Asche verloren hatte und durch mehrere Jahre hintereinander darauf gewonnene Roggenernten ausgesogen und abgemagert war, musste sie brach liegen und wieder dem Graswuchs überlassen werden, auf dessen Nährkraft hin der Besitzer dann leicht seinen Viehstand vergrößern konnte. So wuchs die Kolonie, die den Ansiedlern sehr gutes Auskommen bot, selbstverständlich sehr schnell und drängte bald nach größerem Raum. Jenseits der Grenze, die, wenn auch imposante Steinhaufen auf den einzeln hervorragenden Bergeskuppen sie bezeichnen, doch eine imaginäre, durch Naturscheiden keineswegs überall sichtlich gemachte ist, zeigte sich ihnen ein eben solches grünes, waldbestandenes Gebirgsland, dessen große menschenleere Strecken wohl höchstens hier und dort einmal von einem Elen oder Bärenjäger aus den norwegischen Distrikten auf seinen Streifzügen durchforscht und zu kürzestem Aufenthalt gewählt wurden. Als Spuren einer Ausnützung der Gegend durch die normannischen Bewohner älterer Zeit finden sich allerdings noch heute, dicht neben den vielfachen Sümpfen, mächtige Aschenhaufen und Schlackenhügel als sprechende Reste des ehemaligen Brennens und Schmelzens des reichen Wiesenerzes. Die tätigen, unternehmenden Finnen breiteten sich daher, in gutem Glauben und wohl auch lange genug unbemerkt von den norwegischen Talbewohnern jener Zeiten, in dem ausgedehnten und ungenutzten Urwalde mit ihrem Braatebrennen aus, und verpflanzten, ungehemmt wie ungescheut, ihr finnisches Leben, Sprache, Sitte und Art auch auf norwegischen Grund und Boden, so dass der Bauholzhandel, als er anfing im Großen getrieben zu werden und sich auch die entlegenen Waldschätze zu Nutze machen wollte, ihr Vorhandensein und ihre Einwurzelung in festen Besitz als vollendete Tatsache vorfand.

Entgegen den Tatern, haben die Finnen der jetzigen Generation noch, neben dem vollen Bewusstsein ihres fremden Ursprunges, Kenntnis von ihrer Einwanderung und wahren und verbreiten die Geschichte dieser Ansiedelung in der Form einfacher Volks- und Sagendichtung. Sie schildern, um ein schönes, echt poetisches Bild einer solchen allgemein unter ihnen bekannten Tradition zu wiederholen, sich selbst als ein junges, lebensfrohes Volk, das voll Muts und kühnen Hoffens in ein gleichsam noch unberührtes Land einzieht, welches still wie eine Jungfrau daliegt und träumt von dem Volke, das um seine Gunst werben, von dem Geschlechte, das sich an seinem Busen nähren wird.

Am Rögden-See, der auch noch heut die ungefähre Mitte des zusammenhängenden Finnensitzes in beiden Reichen bildet, soll, dieser Sage nach, die erste kinderreiche finnische Familie in Norwegen ihren Wohnsitz aufgeschlagen und, Landsleute nach sich ziehend, sich bald nach Norden, Westen und Süden ausgebreitet haben. Die schnelle Vermehrung ist begreiflich, da keinerlei Hindernisse der Eheschließung und Ansässigmachung in den Weg gelegt werden konnten. Sehnte sich ein Finnenbursche nach eigenem Herde, so suchte er die, seinem Herz und Sinnen zustehende Dirne und schritt zur Heirat. Zu diesem Zwecke band er sich einen Strauß aus Birkenzweigen von fünf verschiedenen Bäumen und suchte es zu veranlassen, dass das Mädchen seiner Wahl, in Unwissenheit seiner zarten List und wie durch Zufall dahin gekommen, sich gerade dieses Straußes bei dem, in der Regel gemeinsamen, Sonnabendbade zum Peitschen ihres Körpers bediente. Es lag natürlich Zauberkraft in dem Strauße, denn er wurde durch bestimmte, noch in Aller Gedächtnis lebendige Zaubergesänge zu seinem wichtigen Zwecke geweiht und war die Dirne nach seiner Benutzung nicht im Stande, ihr Jawort zu versagen. Er nahm dann seine Axt, fällte ein Waldstück, zimmerte sich aus einigen der Stämme eine Rauchhütte und eine Badestube, verbrannte die anderen und säte Roggen in die Asche. Wenn dann im Herbste aus dem Kornsegen des geernteten Roggens Bier gebraut war, — die Malzbereitung aus Roggen ist ein alter Brauch der Finnen — führte er seine Braut heim. Sobald sich die zuerst ausgebrannten Waldstellen erschöpft zeigten, zog man von dem ursprünglichen Niederlassungsflecke weiter fort, ließ die Hütte stehen, wo sie stand und suchte sich nun Abhänge, die zu dem Zwecke des Braatebrennens bequem lagen. In der Regel taten sich auch wohl einige Nachbarn zusammen, beluden einen Ochsen mit einigen Säcken Mehl und dem Finnenpflug, — ein noch heut von dem norwegischen Ackergerät verschiedenes Werkzeug, das vorzugsweise gut eingerichtet ist, um die neugewonnenen Äcker von Steinen zu reinigen und die stehen gebliebenen Stubben auszuroden — legten die sonst noch notwendigsten Dinge hinzu und trieben in das Waldgebirge hinein, bis sie eine ihrem Zwecke entsprechende Stelle fanden. Hier schlachteten sie das Thier und lebten, während des Hüttenbaues und der Verrichtung der zu erst nötigen Arbeiten, von dem Fleische desselben und von den mitgebrachten Vorräten. Wenn dann der Sommer zu Ende ging, holten sie wiederum zwei Ochsen heran oder ließen sie sich zuführen, von denen der eine zur Nahrung in der Erntezeit geschlachtet, der andere aber, mit dem Kornertrage beladen, zur alten Wohnung heimgeschickt wurde, jedoch nicht eher, als bis sie für das nächste Frühjahr sich ein neues Braateland eingerichtet hatten. Ihm folgten sie selbst dann auch bald, um im Winter näher an einander zu sein.

Ein solcher kommunistisch idyllischer Zustand konnte natürlicherweise nicht lange dauern, wo sich bereits ein sesshaftes Volk mit Eigentumsrechten vorfand. Ein Zusammenstoß fand statt und die norwegischen Sätermädchen (Senninnen) kamen mit großem Schreck von der Senne, auf der sie mit dem Vieh gewesen, nach den Bauerhöfen zurück und brachten die ersten Nachrichten von den fremdartigen Leuten, auf die sie tief im Innern der Gebirgswälder gestoßen, selbstverständlich konnten die Bauern hierauf bei dem eigenmächtigen Gebahren dieser neuen Nachbaren, nicht gleichgültig bleiben. Man betrachtete sie anfangs ganz als Fanten und wendete sich natürlicherweise, über sie und die erlittene Unbill klagend, an die Obrigkeit. So kam bereits im Jahre 1684 eine Verordnung heraus, dass diese „Waldfinnen", welche durch „Weidefang und Fischerei" großen Schaden anrichteten, sich entweder weg verfügen oder aber auf gesetzlichem Wege ein Recht verschaffen sollten, im Walde zu wohnen und sich anzubauen. Dass die Finnen es nicht für nötig gefunden haben, diesem neu geschaffenen Gesetze nachzukommen, beweisen die häufigen Wiederholungen und Einschärfungen desselben. Auch kamen häufige Streitigkeiten und selbst förmliche Kampfesszenen zwischen ihnen und den norwegischen Bauern und Lehnsmännern, als Ortsobrigkeiten, vor. Ein, Hass und Feindschaft säender und erhaltender Umstand, von dem mannigfache norwegische Akten berichten und an welchen in der Tat noch die finnischen Sagen dunkele Erinnerungen bewahren, war die zweideutige Stellung, den diese andersgeartete Bevölkerung zwischen den beiden, sich oft blutig bekämpfenden Nachbarreichen einzunehmen pflegte. Sie benutzten in Kriegszeiten, stets ihren persönlichen Vorteil in Acht nehmend und wahrend, gern die Gelegenheiten, um kleine Streifzüge, Feld- oder Raubzüge, wie man sie nennen will, bald auf der schwedischen, bald auf der norwegischen Seite, auszuführen, und zwar zu keinem anderen Zwecke, als den, ihren größten Vorteil zu erreichen. So erhielt sich nicht nur, sondern schärfte sich noch im Laufe der Zeit, selbst als bereits die Tatsache des Festsetzens der Eindringlinge schon eine längst überkommene und gewohnte war, das gespannte Verhältnis zwischen den Finnen und ihren Nachbaren, und der allgemeine, noch am heutigen Tage im niederen norwegischen Volke nicht ausgestorbene Glaube an eine Zaubermacht jener, vermehrte noch den Unwillen gegen sie in demselben Verhältnisse, wie sich ihm die Furcht beimischte.

Die Regierung vermochte schließlich, in Anerkennung des faktischen Verhältnisses, die schon in verschiedenen Generationen in ihren, von ihnen selbst in gutem Glauben als rechtmäßiges Eigentum angesehenen Wohnsitzen geborenen Finnen, trotz ihrer fremden Nationalität, selbstverständlich nicht langer als Fanten anzusehen, und bequemte sich mehr und mehr dazu, ihnen nicht mit Gewalt und Härte zu Leibe zu gehen. Die, auch unter ihnen mehr und mehr Platz greifende höhere Gesittung und das Interesse für das neue Vaterland führten allmählich ein besseres Vernehmen mit der nächsten, zumeist berührten Nachbarschaft herbei. Eine finnische Sage erzählt hierüber: dass einige norwegische Bauern in ihrer Erbitterung gegen eine Finnenfamilie, die sich ohne Erlaubnis in dem Walde niedergelassen hatte, sich in ziemlicher Mannesstärke versammelten, und dieselbe plötzlich mit dem Vorsatze überfiel, das Zaubervolk zu verjagen. Der Anblick einer Bibel und einer Violine in der, zufällig von den Menschen verlassenen Hütte habe sie so verblüfft, dass sie die feindlichen Absichten aufgaben und zu einem friedlichen Vergleiche mit den Finnen schritten. Tatsache ist es, dass sich nach und nach der größte Teil der Eindringlinge mit den ursprünglichen Herren des Landes verglich und sich auch gesetzlichen Anspruch erwarb, den Wald zu bewohnen, den sie schon in Besitz genommen hatten. Diese Wälder waren zu jener Zeit wohl übrigens zum größten Teile Allgemeingut, das heißt Eigentum des Königs, der den Staat repräsentierte, oder des Distriktes, dem sie auf der Landkarte und in administrativer Beziehung zugeteilt waren; jedenfalls kannte man damals ihren, erst mit der Zeit stets steigenden Wert noch nicht, so dass auch auf dem Vergleichswege für die Finnen nur sehr geringe Mittel dazu gehörten, ihn sich zu pachten oder zu großen Teilen zu kaufen. So wurde denn das Braatebrennen mit Ruhe und erneutem Fleiße fortgesetzt und der, aus dem Verkaufe des herrlichen Braateroggens gewonnene Geldsegen, der durch die angeborene finnische Sparsamkeit zusammengehalten wurde, machte die ursprünglich besitzlosen Eindringlinge zu reichen Leuten, so dass ein ziemlicher, und nicht der schlechteste Teil der Kolonisten sich immer weiter, namentlich nach Norden bis zum Osen-See im Amte Hedemarken, ausgebreitet hatte und am Schlusse des vorigen Jahrhunderts dort als Selbsteigentümer sich in gesetzlicher Ordnung und hohem Wohlstande befand. Freilich schwand mit der dadurch gewonnenen Achtung und Gleichstellung mit den norwegischen Bauern auch die von der isolierten Kolonie erhaltene Nationalität bis zu dem Grade, dass sie völlig mit jenen zusammenschmolz und jetzt in dem ganzen Distrikte keine Spur mehr von fremder Art und Gesittung vorhanden ist.

In dem eigentlichen Finnwalde erhielt sich die Nationalität, aber es machte sich ein gewaltiger Rückgang im materiellen Wohlbefinden fühlbar. Bereits im vorigen Jahrhundert entstand eine lebhaftere Nachfrage nach Zimmerholz. Die Kolonisten, die gerade in dem besten Laubholzwalde wohnten, wurden von den großen Holzhändlern in Christiania, welche auf ihre Stammeseigenheit, die Vorliebe zum blanken Gelde, fußten, leicht verführt ihr Eigentum für nur ihnen genügend erscheinende Preise zu verkaufen oder gegen einen gewissen Ersatz auf ihr ferneres Pachtrecht zu verzichten, unter der, in die verlockende Maske eines Zugeständnisses gekleideten Bedingung, dass sie nach wie vor dort wohnen sollten. Die leicht vorauszusehende Folge blieb nicht lange aus, und schon am Schlusse des vorigen Jahrhunderts waren nahezu alle Waldfinnen aus kleinen Besitzern in Häusler der großen Grundeigentümer, welche zum größten Teile durch die großen Handelshäuser in Christiania repräsentiert wurden, verwandelt. Das Braatebrennen hörte dadurch selbstverständlich auf, und mit der jetzigen besseren Forstwirtschaft fand sich die Notwendigkeit für die Herabgekommenen ein, als Arbeitsleute unter fremden Herren eine kümmerliche Nahrung zu suchen. Diese Zustände gaben vorzugsweise Anlass zur Entstehung wehmütiger Sagen, wie überhaupt Alles, was der Kolonie als Gemeinschaft geschah und geschieht, alsbald in Volksgesängen, deren Autoren unbekannt zu bleiben pflegen, wiederhallte. Besonders lebhaft ertönen darin die Klagen über den, natürlich in jetzt längst vergangene Jahrzehnte fallenden, widerrechtlichen Vorgang, dass der Verwalter des großen Anker'schen Fideikommissbesitzes eine große Zahl Waldfinnen hinab nach Nittedalen in Nedre-Romerige führen ließ, um dort in den Gruben zu arbeiten und Sümpfe auszufüllen. Die Schilderungen ihres bitteren Heimwehs sind so lebendig, wie die ihrer Not im Hungerjahre 1812, welches bei ihrer Armut natürlich Mutlosigkeit und Erschlaffung im Gefolge hatte, die sich, in Wechselwirkung mit der Geringschätzung und dem Hohne ihrer Nachbaren, wie des ganzen niederen norwegischen Volkes, steigerten und bis heutigen Tages nicht verwunden sind.

Die norwegische Sprache, wie erwähnt jetzt Allgemeingut der Waldfinnen, bleibt doch immer eine absichtlich und mühevoll erlernte und ihr Gebrauch unter denselben datiert höchstens ein Menschenalter zurück; durch ihre Kenntnis ist selbstverständlich die Lage derselben eine andere und bessere geworden und es gilt jetzt für sie weder als Unglück, noch als Schande ein Finne zu sein, da die Allgemeinheit doch gelernt hat, nicht von Hause aus die Finnen und Fanten für eines Schlages zu halten. Durch den größeren gegenseitigen Verkehr, der durch das Eindringen der norwegischen Holz-Großhändler in die Wälder und die Übernahme fremder Arbeit herbeigeführt wurde, lernte man sich eben gegenseitig besser kennen, und die Finnen ihrerseits gaben die im Geheimen als Repressalie gern geübten Feindseligkeiten und Bosheiten auf, während andererseits das, um ihre Sitze rund herumwohnende norwegische Volk auch anfing, von seinen stolzen Stammesvorurteilen abzulassen. In der allerjüngsten Zeit aber ist ein eigener Umstand zum besonderen Vorteil der Kolonie ausgeschlagen. In Bezug auf den Grundbesitz im Finnenwalde ist eine Dezentralisation durch die veränderten Verhältnisse der Handels- und Finanzbeziehungen Norwegens eingetreten. Er ist nicht mehr in der Hand einiger wenigen großen Kaufleute in Christiania angesammelt, sondern geteilt und verkauft, wodurch mehrere Finnen wieder Selbstbesitzer in ihrem Walde wurden und auch die ökonomische Lage derer, welche Häusler bleiben mussten, sich dadurch besserte, dass einmal die neuen, tätigeren Herren durch die, bei ihnen so starken Bande der Nationalität mit ihnen verbunden wurden und außerdem der Aufschwung, welchen der geregelte Holzhandel nahm, ihnen eine dauernde Beschäftigung und gesicherten Arbeitsverdienst schuf. Durch einen Kandidaten der Theologie, Axel Gottlund aus Abo im Großfürstentum Finnland, der im Jahre 1821 auf längere Zeit den Finnwald besuchte, die Stammesgenossen beider Reiche um sich scharrte und aufregte, — durch Predigten in ihrer Sprache; durch mehr agitatorische, als seelsorgerische Besuche von Torp zu Torp (wie hier die Häuslerstellen heißen); durch Auffrischung der alten, hinsterbenden Sagen aus dem fernen Suomi und durch andere zu solchen Zwecken übliche Mittel — wurden mit einemmale in dieser kleinen Stammesgenossenschaft eine Menge Wünsche rege, von denen sie bisher Nichts empfanden. Die norwegischen Bauern behaupten sogar, dass sie bereits mannigfache Pläne geschmiedet hätten, und lächeln gern mit einem gewissen Hohn über Gottlund, den sie den „Finnenkönig" nennen. Jedenfalls steht es fest, dass sie um diesen Zeitpunkt eigene Kirchen verlangten — die Bauplätze, auf denen diese stehen sollten, waren schon ausersehen — und eigene Prediger, einen eigenen Vogt (Verwaltungsbeamter) und eigene Sorenskriver (Geschwornenrichter, d. h. Richter eines Unterdistrikts) haben wollten, die nur in ihrer Sprache mit ihnen verkehren sollten. Selbstverständlich ging die Regierung auf diesen Wunsch nicht ein, und die Absendung einer Deputation von drei finnischen Besitzern aus dem norwegischen und dreien aus dem schwedischen Finnwalde an König Karl Johann XIV. nach Stockholm, um demselben darzustellen, wie im Wandel und Wechsel der Zeit die Finnen stets dabei beharrt hätten, sich als ein Volk zu betrachten und nun wohl berechtigt seien, ein von Christiania und Stockholm unabhängiges Reich zu bilden, fand zwar eine milde und gütige Aufnahme, aber doch entschieden abschlägigen Bescheid. Ob sie ihre hochfahrenden Pläne darauf einfach aufgaben, ist nicht zu sagen, jedenfalls aber hält ihre Bildung dem nationalen Bewusstsein bis dahin das Gleichgewicht, dass sie die Scheidewand zwischen sich und dem norwegischen, sie umgebenden Landvolke mehr und mehr abbrechen, so dass jetzt ein finnischer Bursch es dreist wagen könnte, um ein norwegisches Landmädchen zu werben, und sie sich bequemen würde, ihr Jawort zu geben, und umgekehrt. Auch ergibt eine jede Volkszählung, dass alljährlich die beiden Bevölkerungen mehr zusammen verschmelzen, so dass kaum noch die Zahl Zweitausend von denjenigen Waldfinnen erreicht wird, die sich durch steten Gebrauch ihrer Muttersprache in Absonderung erhalten.

Diese bewohnen einen längs der schwedischen Grenze hinlaufenden Landstrich von einem Paar Meilen Breite zwischen dem Varild-See und dem Vermund-See im Amte Hedemarken, anlehnend an eine größere Zahl Familien im schwedischen Reiche. Einzelne versprengte Familien sind weiter im Norden ansässig.

Diese versprengten Familien und kleineren, von der großen Masse abgesonderten Häuflein mussten begreiflicherweise, sobald sie in missliche Verhältnisse gerieten, auch moralisch sinken und wurden so leicht, sowohl für ihre Stammesgenossen, wie für die Norweger, zu einem Ausschuss, zu heimatlosen, herumschweifenden, verlorenen Geschöpfen. Sie erregten natürlicherweise ein großes Aufsehen und mögen wohl Veranlassung gegeben haben zu den ungünstigen Urteilen älterer Zeit, unter denen dann die ganze Nationalität zu leiden hatte. Einzelne sind wahrscheinlich auch wirklich Fanten geworden.

In den Akten der Verwaltungsbehörden und Gerichte finden sich der Beweise hinreichende, die einst viel weiter gehende Ausbreitung der Finnenkolonien zu behaupten. Ihr erster Sitz war, wie erwähnt, ostwärts des Glommens am Rögden-See in der Voigtei Hedemarken, von wo sie, anfangs immer im Ost des Stromes bleibend, sich nach Nord ausbreiteten und unweit der Klaraelf festsetzten, während sie gegen Süden über die ganze Bergreihe hin ihre Sitze wählten und weder die Voigtei Ober- noch Nedre-Romerige verschonten , wie die Klagen der alten Schriftsteller über den Unfug der dortigen Waldfinnen beweisen. Dann überschritten sie auch den Glommen, zogen über den Vormen und setzten sich am Mjösensee fest. Von hier schwärmten sie wieder über die zusammenhängenden Bergreihen nach Süden über den Tyrifjord bis zu dem imposanten Modumsberge, so dass selbst ringsum in der nächsten Nähe der Hauptstadt die Axt der Finnen in den dichten Wäldern erklang. Ja noch weiter nach Westen findet man Ortsnamen, die, wie „Finnenplatz“, „Finnenhof“, „Finnmarken“ u. s. w. dafür sprechen, dass diese Namen Erinnerungen an kleine Ableger der Finnenkolonie sind. Zuerst wurden zwischen den Jahren 1650 — 1660 die Klagen über das unerlaubte Braatebrennen, das die Wälder verwüste, laut, im Jahre 1685 warf sie eine energische Instruktion für die Amtmänner in eine Kategorie mit den zu verfolgenden Fanten und Juden und im darauf folgenden Jahre wurden alle Finnen vor den Thing geladen, um sich über die erworbenen Besitzrechte auszuweisen, sich zählen und in die Bevölkerung einregistrieren zu lassen.

Jetzt findet man an allen diesen isolierten Punkten keine Spur mehr von einer fremden Nationalität. Sind noch Nachfolger der eingedrängten Ansiedler vorhanden, dann sind sie so gänzlich zu Norwegern geworden, dass wohl nur eine genauere Forschung, aber nicht die Kunst der Physionomik sie herausfinden würde. Aber gerade in diesen Gegenden kann man vorzugsweise, namentlich aus den vielen Sagen und Erzählungen, besonders der der Landleute von Ringerike, erkennen, welches Aufsehen diese Fremden erregt und welche wichtige Rolle sie gespielt haben müssen; auch beweist dies die Bedeutung, die noch heutigen Tages der Name „Finne“ für den Aberglauben im niederen Volke besitzt. Wenn ein furchtsames Sennmädchen oder ein ängstlicher Holzschläger — an die vielen Arten Naturgeisterglaubend, mit denen der poetische Sinn der begabteren Norweger die sie umgebende, großartigst gestaltete Welt bevölkerte und jede einzelne Wahrnehmung und Erscheinung in derselben meisten teils, trefflich malend, personifizierte — tiefinnen im Walde zufällig einmal eine Finnenfrau in ihrer fremdartigen Sprache singen hörten, vielleicht eines der so schönen, zarten, melancholisch klingenden Lieder, die durch ihre in Moll tönende Melodie auch unverstanden zu ergreifen vermögen — dann galt dies wohl ihrem Sinne als ein Hexengesang und das erste Unglück, welches das Haus oder Vieh betraf, wurde ganz sicherlich als eine Wirkung desselben betrachtet. — Wie in Mitteldeutschland, namentlich im sächsischen Erzgebirge und Franken, noch heutigen Tages die Kinder mit dem Kommen des Schweden geschreckt werden, der sich den Ureltern im Dreißigjährigen Kriege furchtbar und denkwürdig gemacht, so droht man in Norwegen auch noch zur Stunde den Kindern damit: „der Finne würde kommen und sie in den Sack stecken.“ Im Solöer Finnwalde, also dem eigentlichen Herzen der Kolonie, leben andererseits auch noch die von den Großeltern überkommenen Traditionen von der List und Schlauheit, mit der die Einwanderer die Norweger schreckten und fürchten machten, und dient ihnen, denen der Aberglaube viel ferner liegt, dies jetzt auch noch vielfach als Quelle der Heiterkeit, so übersehen sie dabei, dass das ehemalige kecke Spiel sich durch die erzeugte Erbitterung arg an ihnen gerächt hat. In Ringerike hatten beispielsweise noch zu einer Zeit, in der die Sonne der Aufklärung in Bezug auf diesen, unbegreiflich lange von der Gesetzgebung geduldeten Schandfleck auch schon über Norwegen leuchtete, die Bauern ihren Amtmann vergeblich darum gebeten, ihnen ein, mit Verdacht und ihrem Hasse beladenes, altes Finnenweib zu überliefern, um es feierlich als Hexe zu verbrennen. Als natürlicherweise ihrem wahnwitzigen Verlangen nicht gewährleistet wurde, schritten die Verblendeten zur unerlaubten Selbsthülfe. Sie errichteten sich eine Art Backofen, zwangen die vermeinte Hexe hineinzukriechen und vermauerten dann die Eingangsöffnung; hier saß sie, wie die noch allgemein in der Gegend lebendige Tradition berichtet, neun Tage, ehe am Aequinoctium der Tod ihrem zähen Leben ein Ende machte. In dieser ganzen Zeit hatte man sie nicht ein einziges Mal den Namen Gottes anrufen, sondern beständig die klagenden Worte wiederholen hören:

„Weihnachtsmalz und Ostersalz
Ist gut für All's,
Hätte ich nur das, dann sollte ich hier nicht lange schwitzen."

Ein fernerer Grund zum gegenseitigen Haas und der, in der öffentlichen Meinung eingewurzelten Vermischung aller Finnen mit den Tatern und Sköiern, statt bei den einzelnen verkommenen und zum Fantentum herabgesunkenen Gliedern des Stammes stehen zu bleiben, lag in den im früheren Abschnitt über die Sköier erwähnten Treibjagden, welche die Bauern unter Fahrung ihrer Lehnsmänner in jedem Distrikte, auf Befehl des Statthalters Gabel, gegen „Räuber und verdächtiges Gesindel" abhalten mussten. Diese wirklichen Fanten, Tater und Sköier suchten, wenn sie vor den Lehnsmännern und Distriktwächtern flohen, oft in den Wäldern ihre Zuflucht und fanden dann — da ja die Gastfreundschaft der schönste Zug derjenigen Volksstämme ist, welche nur die einfacheren Sitten der niederen Kulturstufen kennen — in den verachteten Finnenhäusern, vor denen sich die ordentlichen Leute scheuten, offene Aufnahme und sicheren Schutz. So ist ein solches Finnenhaus in der ganzen Fantenwelt beider Reiche und vielleicht ganz Skandinaviens bekannt und berühmt geworden. Es liegt über der Linna, einem Gebirgsflüsschen, welches die norwegische und schwedische Reichsgrenze bildet, und ist so gebaut, dass es ein Zimmer in jedem der beiden Staaten hat. Wenn nun der Römling oder Fant in der einen Stube saß und von der Gerechtigkeit des einen der jetzigen Bruderreiche — deren Bevölkerungen sich ja früher hassten, oft bekriegten und auch jetzt, wo sie Personalunion locker verbindet und trotz skandinavischer Unionsbestrebungen, noch nicht recht lieben gelernt haben — verfolgt und hart bedrängt wurde, so brauchte er nur nach dem Zimmer auf dem jenseitigen Flussufer hinüberzugehen. Wurde dann auf dieser Seite nach erfolgter Reklamation, was doch in der Regel mehrere Tage in Anspruch nahm, auf ihn gefahndet, so schlug er den entgegengesetzten Weg ein und brauchte erst dem, nur selten eintretenden, gemeinsamen Handeln neue List zur gewagten Flucht entgegenzusetzen. Durch diese häufigen Verbindungen sind jedenfalls die schon früher erwähnten Wortformen und Redensarten finnischer Zunge in die arme Sprache der Sköier eingedrungen, so wie auch viele nützliche Kenntnisse und blendende und täuschende Kniffe der zauberkundigen Freunde auf die Sköier übergegangen. Auch verführten wohl die misslichen Verhältnisse der harten Zeit oder die Liebe und Abenteuerlust ab und zu einen Finnenburschen oder eine finnische Dirne dazu, der nationalen Tugenden ihres Volkes zu vergessen und die räuchrige Stube ihres Vaterhauses zu verlassen, um die mühevolle Arbeit in der waldigen Heimat mit dem scheinbar leichten Wanderleben der lustigen Fanten zu vertauschen.

So wechselvoll und mühselig das geschilderte Dasein dieses finnischen Stammes in Norwegen war und in seiner jetzigen Gestalt zum Teil auch noch ist, so glücklich ist es doch jederzeit gewesen gegenüber dem eines anderen Zweiges seiner Rasse genossen. Waren die Wohnsitze der Waldfinnen auch stets in den Außenmarken gelegen, hoch über den Sitzen der Norweger und abgeschnitten vom Verkehre, mussten sie sich auch erst schwierig Duldung erkämpfen und Hass und Feindschaft besiegen, so gelang es ihnen mit der Zeit doch, das, in den erwählten Gegenden noch nicht mit voller Strenge geltend gemachte Eigentumsrecht zu ihren Gunsten zu wenden und ihre Berge waren doch immer noch die üppig grüne Heimat der Tanne und Birke, auf denen der Braateroggen trefflich gedieh und wo in früherer Zeit, weit häufiger als jetzt, das Elch umherstreifte und anderes Waldgetier willig seinen Pelz darbot. Weiter nach Norden hinauf, von dem, neun Meilen langen und zwei Meilen breiten Fämund See — in der Voigtei Oesterdalen des Aggerhuus-Stiftes, auf den Grenzgebirgen zwischen Norwegen und Schweden — ab bis tief hinein in das Stift Nordland und die Voigtei Finnmarken, zieht auch finnisches Volk umher. Bei aller Verschiedenheit dieses nomadisierenden Stammes von den Waldfinnen und ihren Ahnen im Mutterlande, besitzen beide doch wiederum so viel Gemeinsames, dass zu Jenen, den Lappenfinnen, den Urbewohnern dieser Gegend, sich auch ein Teil Dieser, hier Quäner oder auch Quänen-Finnen genannt, als Kolonisten einfand. Es ist diese Gegend ein Polarland, in dessen größtem Teile die Natur mit einem strengen, oft schrecklichen Zepter, unter den sich die Menschen beugen müssen, herrscht. Es sind meist Gebirgsebenen; aber dieses Flachland trägt durchaus arktischen Charakter zur Schau und auf seinem moosigen, meist sumpfigen Boden zeigen noch keine Grenzsteine den Unterschied zwischen dem Mein und Dein an; die Rentiere können, unbeschränkt von Weiderecht und Besitzprivilegien, die, nur ihnen mundende reiche Flechtennahrung suchen. Gerade in dem nördlichsten Teile — wo die Alten-elf, als Paradies der Polarzone, inmitten der sie umgebenden Öde und Wüste, gleichsam als eine Oase, das Bild eines zwar hochgelegenen, aber sanften Alpenthales hervorzaubert — haben sich in dem Kirchsprengel Alten Quänerfinnen so zahlreich niedergelassen, dass sie zwei Drittel der mehr als 2000 Seelen betragenden Einwohner und zwar gerade die tätigsten unter diesen repräsentieren. Hier sieht man die kriechende, strauchartige Birke wieder von der Fichte, im vollen Wachstum, verdrängt, selbst Gerste und Kartoffel angebaut und oft zur Reife gebracht, so wie kleine Kühe mit 8orgfalt von den Quänerfrauen gehegt und gepflegt. Außerhalb dieses Sprengeis ziehen durch das ganze Amt — bis hinab durch das Amt Throndhjem, halb hier im Lande bleibend, halb heimatlos — von Gebirge zu Gebirge die Lappenfinnen mit ihren Herden oder, mit ihren Fischereigeräten, von See und Strom zu See und 8trom, von Fjord zu Fjord, sich nach ihren Nahrungszweigen in Renthier- und Fischer-Lappen teilend. Quänen und Lappen treten auch hier nicht in engere Beziehungen, als diese zwischen beiden und den Norwegern bestehen. Ihre Sprachen zeigen wohl, dass sie mit einander verwandt sind, aber doch nur etwa so, wie das Elen durch seine Klauen und sein Geweih an das Rentier erinnert, und geht die Verwandtschaft nicht so weit, dass sie ohne Vermittlung gegenseitig ihre Redeweise verständen; sie sind in Gestalt und Sinnesart verschieden, wie auch, um bei dem eben erwählten Bilde stehen zu bleiben , das hochwüchsige Elen, das seine Waffen sowohl gegen die Bären, als gegen den Wolf kehrt, verschieden ist von dem schüchternen und schmächtigen Rentier. Während die ackerbauenden Finnen, namentlich im eigentlichen Großfürstentum, deutlich fremde Kultur angenommen und eigentümlich entwickelt haben, stehen die lappischen Nomadenstamme, wohl seit einem Jahrtausend und länger, auf derselben niedrigen Bildungsstufe. In geistiger Beziehung aber haben die, in die neuesten Zeiten fallenden, eifrigsten Bemühungen der christlichen Missionare sie nicht weiter gebracht, als bis zu dem Standpunkte, dass sie sich duldend taufen ließen und jetzt einigermaßen die höheren Begriffe des lutherischen Christentums zu erfassen und festzuhalten suchen; doch sollen noch manche Familien unbekehrt, der schamanischen Religion ihrer Väter treu, im Inneren des Landes umherziehen und bald hier und bald dort ihre Hütten oder Gammen aufschlagen. Dass Andere sich nur dem Scheine nach zum Christentum bekennen, um des Schutzes der Behörden gewisser zu sein, ist eine Sache für sich. Wie übrigens in geistiger Hinsicht der Lappe gegen den Quäner zurücksteht, so auch in körperlicher; erscheinen diese als ein kräftiges Volk, sind jene sehr klein, schwach von Wuchs und kindlich, ja zuweilen kindisch von Gemüt.

Das Verhältnis der Norweger zu den Lappen ist noch heut ein finsterer, unheimlicher Punkt in der Geschichte derselben; dass sie, als kräftigerer, mächtigerer Volksstamm, bei ihrem Eindringen in diese Teile der europäischen Länder die vorgefundene schwache Urbevölkerung zurückdrängten und bis auf den kleinen Rest, der sich in die ärmeren Gegenden des höchsten Nordens rettete, ausrotteten, ist ein Bild, das sich, als der Ausdruck eines Naturgesetzes, in den verschiedenen Weltgegenden oder Weltteilen entweder wiederholt oder neu erscheint. Ebenso erklärlich ist es, dass von diesem kleinem Reste, der durch die Jahrtausende hin mit wunderbarer Zähigkeit sein elendes Leben im steten Rückgänge fristete, einzelne Individuen und Familien durch ein allzuschweres Missgeschick dahin getrieben wurden, die Stille und Unschuld ihres nationalen Lebens zu verlassen, sich mit den, sich ja gerne aus allerhand Gesindel und Ausschluss rekrutierenden Sköiern in guter Kameradschaft zu verbinden und hierdurch den leichten Schritt vom Nomadentum zum Fantentum zu unternehmen. So erklärt es sich, dass ganz allgemein die niedrigsten Klassen des norwegischen Volkes, die gerade am häufigsten in die Lage kommen, Umgang mit den Lappen zu pflegen, denselben einen hohen Grad von Tücke und Hinterlist und daneben ein wunderbares Gemisch von Schamlosigkeit und kindischem Hochmute zur Last legen. In demselben Grade, wie diese Beschuldigung wahr sein mag, zeugt sie von der großen Gewalttätigkeit und Geringachtung, welche die Lappen in früheren Zeiten und noch jetzt von den Norwegern erdulden und fühlen mussten und gegen welche sie sich zuletzt , wie alle unterdrückten und schwachen Volksstämme, mit jenen unliebenswürdigen Eigenschaften wappneten und zu verteidigen suchten.

Schon von jener Zeit ab, in welcher sich die normannischen Eindringlinge, unter der Bezeichnung „Bumanner", in diesen Distrikten niederließen und die Urbewohner zur Seite drängten, hat wohl Feindschaft zwischen beiden Völkern herrschen müssen, welche im Laufe der Zeit von momentaner und motivierter Feindseligkeit zu unbegründetem und unbegrenztem Hasse und Verachtung anwuchs. Die alten nordischen Sagen erzählen ruhmredig viele Beispiele von der Art und Weise der Rücksichtslosigkeit, mit welcher die normannischen Vikinger und die Bauern die Lappen behandelten, und wie deren Gegenwehr darin bestand, dass die Zauberer derselben — die „Noaider", wie sie noch jetzt genannt werden, da ihre Rolle eben noch nicht ausgespielt ist — mit ihren Runenstäben, ihren Zauber- und Fluchdosen, mit ihrem Gefolge von Hexen und alten Weibern, ihrer sichtlich werdenden Gabe der Verwandlung und mit einer unsichtbaren Schaar von Schutzgeistern, hier und dort im Gebirge auf eine jäh abfallende Felsenkante heraustraten, um mit dem, ihnen ebenfalls noch jetzt eigentümlichen „juoigen" (Stöße in eine Art Horn und wilder, schauerlich klingender, lappischer Gesang) und mit ekstatischen, verzückten Gebärden, die scheußlichsten Rachewünsche und die schwärzesten Verfluchungen, welche sie ihr finsterer, heidnischer Glaube gelehrt hatte, über die Norweger und die, von diesen eingenommenen Distrikte hinauszusenden. Es gehörte eine nur gering ausgestattete Einbildungskraft dazu, alle eintretenden Widerwärtigkeiten und unerwarteten Unglücksfalle auf Rechnung dieser Art Verteidigung zu setzen und so den Haas mit dem Aberglauben und Vorurteil, den wucherndsten und zähesten Unkräutern im Volksbewusstsein, bis fast zur Unausrottbarkeit, verwachsen zu lassen. Es ist keinesweges nur das niedere norwegische Volk, in dem sich das, alles wahre Gefühl abstumpfende Vorurteil und die Geringschätzung des Lappenvolkes erhalten hat, vielmehr beherrschte die Macht der ererbten Vorstellungen alle, und selbst die in anderen Beziehungen vollkommen aufgeklärten Klassen zu allen vergangenen Zeiten. In jenen Tagen, als auch noch der skandinavische Norden in seinem Glauben zu Rom stand, war Throndhjem der Sitz der Macht und des Glanzes eines hochberühmten Erzbistumes, aber ganz nahe dabei, in den Gebirgen von Röraas, Selbo und Merager, rund herum um die reichen Klöster und Priestersitze , lebten immer noch die Lappen in ihrem düsteren Heidentum. Wenig oder Nichts geschah in jener und der darauf folgenden Zeit, um Licht unter ihnen zu verbreiten und ihr trauriges Leben durch die Einführung höherer Gesittung umzugestalten. Erst im Jahre 1716 erstand ihnen in Thomas von Westen ein Apostel, dessen Missionseifer unter denjenigen Lappen , die, in den nächsten Gegenden um Throndhjem herum, den mannigfachen Berührungen mit den Norwegern sich nicht hatten entziehen können, dem Christentum Siege gegen den angestammten Glauben verschaffte, doch nicht ohne die Landesgesetze zur Hülfe zu nehmen, welche schwere Strafen auf ein offenes oder geheimes Zurücktreten ins Heidentum setzten. Dieser Teil der Lappen wurde aber, unter allen Umständen, der bei Weitem unglücklichste. Vollkommen ausgeprägte Sitte war es, — und wer weist bis zur Überzeugung nach, dass es nicht noch so ist? — dass, wenn sich ein Lappe auf einen norwegischen Christennamen hatte taufen lassen, er sich beeilte, seinen eigenen erzürnten Gott durch das Abwaschen der christlichen Taufe in vorgeschriebener, bestimmter Zeremonie zu versöhnen; ebenso wurden die Kinder, sobald als möglich, wieder durch einen lappischen Namen geweiht zu Ehren „Sarrakas, Radien-Kjedde's" und anderer heidnischer Gottheiten; und wenn der Lappe zum Altar gegangen war, so genoss er unmittelbar hinterher eine ähnliche Opfermahlzeit zum Preise seines altverehrten Götzen und glaubte auf diese Weise bewirkt zu haben, ohne „Rist-lbmel" (Jesus Christus), den Gott der Christen, zu beleidigen, sich die Gunst Sarrakas und Sairos und seiner übrigen Abgötter zu erhalten.

Die, ihrem Stamme anhaftende Schlauheit und die, allen nomadisierenden Völkern eigene Beobachtungsgabe hatten die Lappen jene abergläubige Furcht der großen Masse des norwegischen Volkes vor ihrem mystischen Thun, so wie das blinde Vertrauen derselben auf ihre Zauberkünste leicht bemerken und erkennen lassen und sie zögerten begreiflicherweise nicht, sich diesen Aberglauben so viel als möglich zu Nutzen zu machen, um durch ihre vielfachen kleinen Kniffe und Listen einen Teil des Reichtums der sesshaften Talbewohner auf sich hinüberzulenken und ihrer Armut und ihrem Elende dadurch abzuhelfen. So gestaltete sich ihr Leben allmählich zu einer Art kleinen Krieges gegen das ansässige Volk und jedes Eigentum; an welchem Kriege vielleicht nur die sehr geringe Anzahl der wohlhabenden Herdenbesitzer sich gar nicht, jedenfalls aber die bei weitem größere Hälfte der Lappen die ohne eigene Rentiere lebenden, die dienenden, die als jagendes und fischendes Proletariat umherstreifenden — sich beteiligte. Und wie schwankend und unsicher ist bei solchem Leben Besitz und Reichtum? Wenn klimatische Einflüsse oder der Wolf oder Bär die Rentierherde einer Lappenfamilie vernichtet, so dass letztere, ohne diesen Vermittler jeder Notdurft, ihre Existenz nicht länger auf dem öden Gebirge zu fristen vermag, sondern in die niedriger gelegenen, norwegischen Distrikte hinabsteigen muss, so sucht sie, leicht erklärlicherweise, nicht die Nahrungswege, die Jene betreiben, welche ihre altgewohnte Heimat dort haben, — denn dazu fehlen dem lappischen Menschenschlage schon die physischen Kräfte, auch wird er überdies durch die Geringschätzung und den Unwillen, auf welchen er stößt, wohin er sich immer wenden mag, davon zurückgehalten — sondern es gräbt sich eine solche unglückliche Familie am Rande des Waldes eine Erdhöhle, deren Unsauberkeit und Elend nicht leicht der unglaublich erscheinenden Genügsamkeit der Bewohner zu groß wird. Von hier aus werden dann kleine Streifzüge in die unteren ständig bewohnten Distrikte unternommen, der Mann vielleicht mit
einem oder dem anderen Geräte versehen, um hörneren oder hölzerne Löffel und dergleichen kleine Gegenstände zum Verkauf zu verfertigen, das Weib mit bedeutungsvollen Zauberformularen, mit der Kunst des Wahrsagens und der Wissenschaft des Quacksalberns, die Kinder aber mit der ausgezeichnetsten Begabung zur Bettelei ausgestaltet; Alle aber von einem gewissen mystischen Wesen umflossen, was eben, wie erwähnt wurde, dem Lappen- und Finnennamen überall folgt und ihnen allerorts Eingang verschafft. In solcher Weise fristet eine Familie leicht ihr Leben und ist, nach bald befriedigtem Bedürfnis, schon zufrieden, dass sie es nach ihrem Geschmacke fortsetzen und sich durch Generationen fortpflanzen und verjüngen kann. Daher zeigen sich denn auch stets neue „Bettel-Lappen" im Amte Throndhjem, teilweise auf dem Lande umherstrolchend und anderenteils im Sommer in ihren elenden Booten längs der Meeresküste den Strand von Fjord zu Fjord heimsuchend. Im Allgemeinen zeigt sich übrigens jetzt gegen die große Menge, welche sich noch in der nicht weit zurückliegenden Vergangenheit bemerkbar machte, eine große Abnahme. Auch der Umstand, dass die Anzahl der Familien des besseren Teiles der lappischen Rasse, welcher in seinen altgewohnten Wohnsitzen im Gebirge verblieb (wenn man die in periodischer Wiederkehr besuchten Waldweiden so bezeichnen darf), bei weitem nicht mehr die Höhe erreicht, welche Thomas von Westen, als in den südlichen Gegenden des Distriktes Throndhjem und Osterdalen vorzufinden, angibt, beweist deutlich die geringe und allmählich ersterbende Lebenskraft in diesem Volke.

Im Laufe der Zeit vermochten natürlich diese umherstreifenden Familien von verarmten Lappen sich vor einer stets wachsenden Versunkenheit und erschlaffenden Gleichgültigkeit gegen alles irgendwie Edlere nicht zu bewahren und wurden dadurch allmählich zu einer Art Fantenvolk gestempelt, selbst dort, wo sie sich isoliert hielten und nicht gemeinschaftliche Sache mit den, bis hier herauf strolchenden Sköiern machten. Aber höchst auffallend ist es, wie selbst in diesem niederen Kreise der Bettel Lappen sich noch die zähe Kraft der Nationalität geltend zu machen vermochte. Es ist noch eine deutlich hervortretende Finnengeartung in diesem, einen so traurigen Anblick darbietenden, hinsterbenden Volksreste zu erkennen, wenn schon er sich, durch viele Generationen hindurch, stets nur in den tiefsten Schichten und der Hefe des Volkes bewegt und aufgehalten hat. Man sollte glauben, dass diese Unglücklichen bei ihrem Elende ganz in dem Tatervolke und dem Sköierpack hätten aufgehen oder wenigstens mit ihnen hätten zusammenschmelzen müssen, wenn sie wiederholt ihr unstäter Wandel mit ihnen auf dem Bettelpfade zusammenführte — und doch ist dies keinesweges geschehen. Die große Masse des norwegischen Volkes — namentlich des Bauernstandes, der eine wunderbare Fertigkeit darin besitzt, solche für die Mehrzahl unerkennbare Verschiedenheiten herauszufühlen und zu beobachten — trennt auch, noch heut, die Bettel-Lappen von den übrigen Fanten und stellt sie in seiner Beurteilung um eine Stufe höher, indem sie, in ihrer kräftigen und malenden Ausdrucksweise, von diesen sagt, dass sie „wahre Scheusale“ seien, während jene doch, um wieder ihren eigenen Ausdruck zu gebrauchen : „noch wie Leute leben." — Ebenso ist es eine Tatsache, dass, wie die Tater, die raschen, aufbrausenden Asiaten den kleingewachsenen Lappen, den unansehnlichen „Lallarò“ (d. h. den Stammelnden, Einer der eine ihnen unverständliche Sprache redet), wie sie ihn bezeichnen, höchlichst verachten, ihrerseits aber auch die bedauernswerten Bettel-Lappen sich für zu gut gehalten haben, um sich in Gemeinschaft mit den Landstreichern, die nicht von ihrem Blute waren, einzulassen.

Für die andererseits vorgekommenen Fälle, dass hier und da ein einzelner Lappe sich an die Sköier angeschlossen und ihre Kaste vermehrt habe, spricht es deutlich, dass ebenso wie man nämlich bei den Fantenhorden im südlichen Norwegen in ihrem Labbelensk einzelne Wörter wiederfindet, die notwendigerweise von den Waldfinnen jener Distrikte erlernt sein müssen, man auch dergleichen lappische erkennt. Unbedingt haben die Horden und Haufen derselben Kaste, welche im Wester- und Norderfjeld'schen herumstreiften, Gelegenheit gefunden, ihre Fantensprache mit verschiedenen Ausdrücken zu schmücken und zu bereichern, welche dartun, dass eine Art geheimer Umgang zwischen ihnen und den Bettel-Lappen stattgefunden haben muss. So ist, um nur ein Beispiel anzuführen, aus dem Hauptworte „juoigen", das den mystischen Hornruf oder den Zaubergesang der Lappen bedeutet, das Zeitwort „jöiga“ gebildet, welches unter den Sköiern des ganzen Skandinaviens gebräuchlich ist und für „singen" angewendet wird. Fast noch deutlicher beweisend ist aber der Umstand, dass die Sköier im Aggerhuusstifte, und namentlich in Romerige sich den Gottesnamen „Krist-Jumlia" aus dem „Jumala“ der Waldfinnen gebildet haben, während in der Sköiersprache des Stiftes Throndhjem Gott „Gjeddo“ genannt wird; ein Name, der wahrscheinlich nichts Anderes ist, als eine hinsterbende Erinnerung an den „Kjedde“ oder „Radien Kjedde“ einen heidnischen Obergott, von dem Thomas von Westen berichtet, dass er ihn beim Antritt seiner Missionstätigkeit vorfand, und dessen Wesen und Namen noch bis zur Stunde nicht ganz in seinem Volke untergegangen zu sein scheint wenigstens von den Rentierlappen im Gebirge keinesweges vergessen ist.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Vagabundentum und Wanderleben in Norwegen