Die Tater

In dem vorigen, über das norwegische Fantentum im Allgemeinen handelnden Abschnitte ist es nachgewiesen, dass die eine der Landstreicherkasten und zwar diejenige, die sich selbst für die vornehmere hält und auch von dem mit ihr verkehrenden niederen norwegischen Volke für die bessere, gewissermaßen als Fantenadel anerkannt wird, sich unzweifelhaft schon an der Hautfarbe als fremdes Element auf dem europäisch nordischen Boden erkennen lässt. Es sind eben die Reste jener Asiaten, die im Anfange des sechszehnten Jahrhunderts flüchtigen Fußes über die Grenze des Nachbarlandes Schweden in Norwegen eindrangen. Vom siebzehnten Jahrhunderte ab kann die Gesetzgebung und können die Chronikenschreiber nicht schwarz genug ihr schandbares Leben schildern und nicht scharf genug die grausamsten Maßregeln gegen sie predigen, um sie zu vertilgen oder, ihnen ihre Eigentümlichkeit raubend, sie mit dem übrigen Volke zu verschmelzen. Und was war das Resultat bei dem nun schon seit mehr als zwei Jahrhundert von Galgen zu Galgen gehetzten Völkchen? Es haben sich inmitten der immer farbloserwerdenden Allgemeinheit des Volkslebens bei den — allerdings immer weniger zählenden Familien der in Norwegen gewissermaßen als Heimatsangehörig zu betrachtenden — Orientalen Reste ihrer eigentümlichen Nationalität nur mit um so größerer Zähigkeit erhalten. Hinter der Schutzwehr ihrer eigenen, allen außerhalb der Kaste Stehenden unverständlichen, Sprache erhielt sich das Wanderleben der Tater mit seinem glühenden Hasse und seiner wilden, verzweifelten Lustigkeit. Erst nachdem Eilert 8undt mit unermüdlichem Eifer und unabweisbaren Liebesbeweisen bei einzelnen gefangenen Tatern dahin gelangt war, die um ihre verbitterten Herzen ruhende Eisesdecke so weit zu schmelzen, dass er ihr Vertrauen erwarb und, sich an einzelnen, durch Zufall zu seiner Kenntnis gelangten Rommanie-Wörtern anklammernd, sie dahin brachte ihm offene Mitteilungen über sich selbst und die Erinnerungen ihrer Väter zu machen, glückte es, einen Einblick in das Wesen ihrer Kaste zu tun. Es war dies wahrlich kein leichter Schritt, denn es waren die Fanten dieser Kaste in Jütland und anderen Ländern, die es ermöglicht hatten Wörtersammlungen der Geheimsprache zu veranstalten, von ihren Genossen für den Abfall von ihrer Bande als Verräter stets elend erschlagen worden, und dass in Norwegen dieselben Gesetze das Erlernen ihrer Ausdrucksweise erschwerten, bewiesen die gefährlichsten Bedrohungen, die den Gewährsmännern Eilert Sundt's ihres vermeintlichen Verrates halber unter den entsetzlichsten Verfluchungen und Rache Gelübden anderer Tater zugingen. Nach jahrelangem Studium hatte sich endlich der Unermüdliche mit der Kenntnis der eigentümlichen, so seltenen Sprache den Schlüssel zu der gleichsam vermauerten Pforte erworben, durch die es allein möglich war hinter das Geheimwesen zu gelangen, welches die Tater von den übrigen Einwohnern Norwegens schied. Vor etlichen zwanzig zusammengebrachten Tatern, alt und jung, die als Neugetaufte und Eingesegnete zur ersten Kommunion gehen sollten, griff Eilert Sund zu dem Wagnis, das Gleichnis vom verlorenen Sohne und das Pfingstevangelium zum ersten und vielleicht einzigen male in der Rommani-Sprache vorzutragen. Dies überraschende Ereignis erschütterte und bezwang selbst diese Starrköpfe, die bisher so schwierig zu behandeln gewesen, da sie sich nicht nur im Einzelnen der Lüge bedienten, sondern sich vielmehr sämtlich in der unablässigen Lüge gegen alle nicht zu ihnen gehörenden Leute verbunden hatten. Geschickt benutzte Sund den gewonnenen Vorteil im weiteren Verkehr mit ihnen und berührte in nur kurzen, aber entschiedenen Bemerkungen die Laster und Unsitten, von denen behauptet wurde, dass sie vorzugsweise unter den Fanten im Schwange gingen, und richtete sein Hauptaugenmerk darauf, ihnen zu beweisen, dass ihre früher so gut bewahrten und gerade deshalb so lieben Geheimnisse jetzt des verhüllenden Schleiers und Lügengewebes entkleidet seien. Dieses kecke und drastische Mittel diente denn in der Tat dazu aus dem Munde Dieses und Jenes Mittheilungen und Bekenntnisse hervorzulocken , die nicht nur die Sprachkenntnis zu bereichern, sondern einen tieferen Blick in das mysteriöse Wesen des interessanten Volkes zu werfen, ermöglichten. Auch hier geht eine Veränderung im Leben desselben vor und hängt eng zusammen mit einer Entartung der Sprache, die erst den allerletzten Generationen zuzuschreiben ist. Die alten Tater klagen, dass in Skandinavien — die Grenze zwischen Norwegen und Schweden erkennen sie nicht an — nur noch Wenige zu finden wären, die das Rommani der Väter vollständig und rein zu reden wüssten. Mit dem Nachlassen der Verfolgung durch die Obrigkeit und des verachtenden Hasses der Bevölkerung des Landes ist die Scheidewand gefallen, welche die Tater von allen Übrigen trennte ; die hochfahrende, trotzige Kaste gestattete fremden Einflüssen leichteren Zugang und der ursprüngliche Charakter der Sprache wurde verwischt. In Gesängen aber und alten Weisen hielten sie dieselbe in der ganzen Reinheit aufrecht; man kann sie solche in einem wahrhaft antiken Style vortragen hören, wennschon sie oft nur die Worte im Gedächtnis behalten haben und sich des Sinnes nicht mehr ganz erinnern. Die zähe Standhaftigkeit, mit der sie die Sprache geheim zu halten suchten, ist unschwer zu erklären, da es von größter Wichtigkeit war, sich leicht miteinander verständlich zu machen, ohne dass der Uneingeweihte es ahnte, dass oft in seiner Gegenwart von denen, welchen er gastfreundlicherweise in einer stürmischen Winternacht Schutz und Wärme zugestanden hatte, keck und laut die Mittel besprochen wurden, wie das Haus am Besten zu berauben sein würde. Auch anderen listigen Gebrauch wüsten sie von der Lügensprache im Vertrauen auf ihren Alleinbesitz zu machen. So berief sich ein altes Taterweib, wegen Diebstahls in Haft genommen, auf das Entlastungszeugnis ihres fünfjährigen Kindes, das sie nicht von sich gelassen habe, ermahnte dasselbe, nicht auf das zeitige Elend ihrer Mutter zu sehen, sondern im Hinblick auf Gottes Willen die Wahrheit zu sagen, und schloss mit frömmelndem Blicke nach oben mit den Worten: „penna naben”, und das Kind folgte ganz richtig dem hierin gegebenen Wink und sagte: Nein die Mutter habe das in Rede stehende Objekt nicht gestohlen. Eine alttägliche Verwendung ihrer Sprache ist, außer zu der Erhöhung der Wichtigkeit ihrer mysteriösen Zauberbräuche, — und nichts befängt mehr die Sinne einer einfältigen Bauernfamilie, als das Umsichwerfen mit unverständlichen Redensarten aus einer so ganz fremd klingen den Sprache — der hinterlistige und heimtückische Brauch: in die ausgesuchten Lobsagungen, mit denen die fließende Zunge der Tater dankend Segen und Lohn auf das fromme Dach, unter dem ihm so viele Güte bewiesen, herabruft, mit derselben anscheinend demütigen Ergebenheit und im unveränderten Tonfalle grässliche Verwünschungen einfließen zu lassen, durch welche jene Segnungen vollständig aufgehoben werden und dem finsteren Drange ihres Nationalwunsches, dem außerhalb ihrer Kaste stehenden Volke Übles zuzufügen, Befriedigung und Genüge wird. Wie diese Sprache und die daran haftenden Traditionen, durch Aufrechterhaltung des Bewusstseins fremd in den skandinavischen Gefilden zu sein, als Erbe der Väter stets das Dachfolgende Geschlecht mit dem vorhergegangenen verband, sammelt sie auch noch des heutigen Tages alle Individuen des Stammes zu einem Ganzen. „Aschb dero romannisael?" ist die Frage, die der gebräunte schwarzhaarige Fant auf der Landstraße oder in dem Gewühle des Marktes den ihm fremden, doch verwandt erscheinenden Fanten zuflüstert, und lautet die Antwort bejahend „Ehe”, so sind sie alsbald Freunde und Genossen, die, in ihrer Denk- und Handlungsweise gemeinschaftlichen Grundsätzen folgend, mindestens ohne Weiteres gemeinsame Sache gegen alle „bengeeke buroar" (die verdammten Fremden) machen. Da ist es denn leicht erklärlich, welchen durchgreifenden und bewältigenden Eindruck es auf die Tater machte, als sie sich in der unter ihnen herrschenden und über die ganze Welt verbreiteten Freimaurerei dadurch bedroht sahen, dass ihre Sprache nicht nur vom Nichttater verstanden, sondern dass dieser sich derselben soweit bemächtigt hatte, dass er in ihr zu reden und sogar zu predigen vermochte. Der innige Zusammenhang, welcher zwischen der weithin zerstreuten Kaste herrscht, trug schnell das bis dahin Unerhörte in alle Ecken dieser obskuren Welt und Eilert Sundts Name und Ruf wurde in ihr auf eine nicht unvorteilhafte und seinen Zwecken dienliche Art so schnell bekannt, dass schon im Jahre 1851 der Häuptling einer großen Taterhorde, auf die er hoch oben im Stifte Trondhjem auf der Landstraße stieß, ihm mitteilte, dass er von einem Manne mit dem Namen Eilert Sundt habe reden hören, der zu dem Tatervolke gehören solle, aber in Christiania zu Höhe und Würde gekommen sei. Wenn nun auch diese Wendung der Sache ein Beweis ist, dass es noch nicht geglückt ist, das Misstrauen der unwilligen Kaste gegen das sie umgebende Volk zu zerstören, so hat doch das vertrauliche Verhältnis, in welches der aufmerksam beobachtende Forscher zu nicht wenigen dieser sonst so übeldenkenden und menschenscheuen Kinder der Wälder und Landstraßen geraten ist, es ermöglicht, ein Bild von ihrem religiösen und Familienleben, ihren Nahrungswegen und ihren Verhältnissen zur Außenwelt herzustellen, welches wir in Kürze in der nachfolgenden Darstellung dem geneigten Leser vorführen wollen.

Wie überall, wo Zigeuner als Fremdlinge unter einer ansässigen Bevölkerung beobachtet wurden, fiel auch in Norwegen das seltsame religiöse Verhältnis der Tater auf. Mit derselben Gleichgültigkeit, mit welcher Zigeunermütter, sobald sie unter dem Islam angehörigen Völkern wandern, ihre Knaben beschneiden oder sie unter der orthodoxen oder römischen Kirche denjenigen Heiligen, die an den betreffenden Orten in größter Verehrung stehen, weihen lassen, suchen die norwegischen Tater, wenn sie mit den Behörden in Berührung kommen, die Taufe nach, bewahren die darüber ausgestellten Atteste mit der größten Sorgfalt, machen auch ab und zu, in Hoffnung auf Gevattersgaben und Patengeschenke, den Versuch, in verschiedenen Kirchen die heilige Handlung als Geschäft zu wiederholen, bekennen sich aber offenbar nur um des äußeren Scheins willen zur Gottes Verehrung derer, die um sie herum sind. Es hat dieses eigentümlich indifferente Verhalten den ziemlich allgemein verbreiteten Glauben eines völligen Religionsmangels bei den Zigeunern erzeugt, der dann zu den verschiedensten Volkssagen Anlass gab. So erzählen die Wlachen Rumäniens höhnend: Die Zigeuner hätten sich einst eine Kirche aus Speck, ihrer Lieblingsspeise, gebaut, in der Nacht hätten sie aber die Hunde aufgefressen. In Syrien aber, wo auf Grund einer Stelle des alten Testamentes ein feststehender Glaube herrscht, dass es im Ganzen 72 Volks- und Sprach-Stämme auf der Erde gäbe, hat sich in Bezug auf die Zigeuner die Sage gebildet und gilt dort als entschiedene Wahrheit, dass es auch in der Welt 72 und eine halbe Religion gäbe, und diese halbe wäre die der Zigeuner. Der norwegische Bauer geht in seinem Abscheu gegen das verhasste Eindringlingsvolk noch weiter und wähnt, es verehre dasselbe ein böses, statt wie andere Menschen ein gutes Wesen; in Gudbrandsdalen erwuchs aus dieser Meinung die Sage, dass ein Taterweib, welches neun Kinderherzen gesammelt und dem Bösen geopfert habe, unternehmen könne, was sie wolle und hier im Leben in allen Dingen Glück haben würde, wofür ihre Seele indessen nach dem Tode dem Bösen, ihrem Herren, gehören solle.


Man denke sich das Erstaunen Eilert Sunds, als er, trotz dieses allgemein angenommenen Wahnes einer Religionslosigkeit, unter den norwegischen Tatern ein vollständig ausgebildetes Heidentum aufrechterhalten fand. Ein späterhin Frederik Larsen genannter Tater — ein „horta romanisael”, im Gefängnis zu Akershuusmit Jenem bekannt geworden und erst dort getauft — wurde sein Gewährsmann ebenso hierfür, als er ihm auch die Rommanisprache lehrte und die Lebensweise und Sitten seines Volkes schilderte. Er war besonders dazu berufen, da er, mit allen Licht- und Schattenseiten des ächten Tatergeschlechts ausgestattet, von frühster Kindheit an dem greisen Großvater, einem Führer nach den Sitten der alten Zeit, auf dem Fantenpfade gefolgt war, bis er nach dem Tode des Alten — der über hundert Jahre alt und seiner Tage müde, den Tod vor den Augen des um ihn versammelten Geschlechts hoch oben im Nordlande in einem finstern Gebirgswasser gesucht und gefunden hatte — unter mannigfachen Schicksalswechseln als Haupt einer selbstständigen Horde umhergezogen und durch Wälder und Felder gestreift war. Spätere Prüfungen, Beobachtungen und Untersuchungen gaben den Mittheilungen Larsens einen noch höheren Werth und bewahrheiteten sie in fast allen ihren Einzelheiten. Er erzählte folgendes:

„In der Zeit, als die Tater noch in ihrem Vaterlande in der Stadt Assas in Assaria heimatlich waren, sandte „baro devel”, der große Gott, seinen Sohn „Dundra" in der Gestalt eines Menschen zu ihnen, um ihnen das Gesetz zu offenbaren und in einem Buche niederzuschreiben, — das geheime Gesetz, dem die Tater noch in der ganzen Welt folgen. Darauf stieg Dundra von der Erde auf, setzte sich in sein Reich , den Mond und heißt seit jener Zeit „Alako." Die Alten des Volkes erzählen, dass er gleich nach der Erfüllung seines Zweckes, der Verkündigung des Gesetzes, sich von der Erde fortbegeben habe; Andere aber meinen, dass er sich erst vor den Türken habe flüchten müssen, welche die Tater aus ihrem eignen Lande vertrieben hätten, und dass er auch in diesem Kampfe selbst verwundet sei. In der Zeit des Elends sei er aber der treuste Beschützer der Tater in ihren täglichen Kämpfen mit Türken und Christen gewesen, wird ihnen dereinst zum vollkommenen Siege verhelfen und sie in ihr eigenes Land zurückführen; nach ihrem Tode holt er ihre Seelen hinauf in sein Reich. Die Feinde der Tater sind auch seine Feinde, weil sie den bösen Geistern dienen, nämlich „Beng" dem Teufel und „Gern”, Christus, die eifrig danach streben ihn selbst aus seinem Mond-Reiche zu verjagen. Oft sind sie nahe daran ihn zu überwinden, das ist dann, wenn man den Mond abnehmen und verschwinden sieht; aber bald zieht der starke Gott sein Schwerdt und seinen Spieß und kämpft mit aller Macht und schlägt seine Feinde zurück; dann sieht man auch des Neumondes Spitzen hervorbrechen und den Mond wachsen, bis Alakos volles Angesicht auf seine Kinder herabblickt , welche alsdann zwischen den Bäumen des Waldes auf ihre Knie fallen und den mächtigen Siegesgott preisen. Der Häuptling der Tater bewahrt sorgfältig ein aus Stein geschnittenes Bild von Alako, „barescke Alako;" es ist so groß wie eine Hand und stellt den Gott als einen aufrechtstehenden Mann dar, mit einer Feder in der ausgestreckten rechten Hand und einem Schwerte in der linken. Es gibt einen solchen Häuptling für die norwegischen, einen für die schwedischen und einen für die russischen Tater, und diese drei versammeln alle ihre Völker zu einer Begegnung um die Mittsommerszeit, entweder auf dem „Jemlon", einem Berge in dem Dovre-Fjelde, oder hoch oben im schwedischen Lapplande, oder endlich in dem „russischen Karet”, welches eine Stelle auf der Grenze von Großfinnland sein soll. Hier werden Alakos Bilder unter folgendem Gesänge aufgestellt:

„Ostimari stinta
O emi, o vino,
O manga, o tjeia
O rankano deia.
Marra folka aschar but,
o trinta mi deia.
maa dom tromma ava
o rankano deia.
Bescha dero ivordinan
ja pallar min scharo
aavan min schero
ninna tingra mero
o rankano deia."

Derjenige Häuptling oder Oberpriester, welcher nach regelmäßigem Wechsel unter den dreien den Vorsitz hat, hält darauf eine kurze Rede und schließt sie mit den hochheiligen Worten „Ala manu sana!" Dann treten alle neuvermählten Paare hin zu dem Alakobilde und erhalten gegen eine Abgabe von dem Häuptlinge die Einweihung der Ehe im Namen des Gottes; die neugeborenen Kinder werden vor ihn gebracht und benannt, und wenn sie etwa schon auf christliche Weise getauft sind, werden sie in Alakos Namen umgetauft. Die übrige Zeit des Beisammenseins wird mit einem Feste ausgefüllt, bei welchem die Tater sich gegenseitig mit dem mitgebrachten Specke und Brandweine traktieren und sich untereinander durch ihre Erzählungen, wie sie mit mehr oder weniger Glück die Christen geplündert haben und dadurch „Alako dienten", unterhalten.

Wie alles Übrige, was zu den Tatern gehört, ist auch diese Mondverehrung im Verfalle, und was die ältesten jetzt lebenden Tater noch von Alako wissen, sind nur noch dunkle Erinnerungen an längst vergangene Abenteuer früherer besserer Tage. Von seinem eigenen Verhalten zu dieser Gottesverehrung erzählte Larsen, dass er von dem, von ihm recht gut vorgetragenen Gesänge nur einzelne Worte übersetzen könne und dass er, nachdem er in Christianssand getauft worden sei, auf dem von ihm wiederbetretenen Fantenpfade den Bruder seines Vaters, einen Tater von altem Schlage getroffen, der ihm dann ernstlich seinen Abfall von der Lehre der Väter vorgehalten und zum Beweise der schützenden Maoht Alakos angeführt habe, dass im Jahre 1833, als die Cholera so viele Leute getötet habe, in Norwegen auch nicht ein einziger Tater daran gestorben sei, ein Argument, welches den Glauben des Abgefallenen nach seinem eigenen Ausdrucke dahin brachte: „wie auf einer Messerschneide zwischen Gern und Alako hin und her zu schwanken." — Bei allen Untersuchungen und den Vernehmungen einzelner Tater haben diese zwar nie beweisende Bestätigungen des ihnen vorgehaltenen, religiösen Berichtes geliefert, aber auch nie hat sich das geringste Anzeichen ergeben, welches direkt gegen denselben spräche. Eine Aussage eines glaubwürdigen, offenherzigen Taters lautete sogar dahin, dass er mit seinem Vater weitläufige Reisen gemacht, und einmal in besonders großer Horde nach dem schwedischen Lappland gezogen sei, wo ein alter schwarzäugiger Fant, der als fremder Genosse mit ihnen gezogen sei, seine Aufmerksamkeit durch die vielen Verbeugungen und wunderbaren Bewegungen erregt habe, mit denen er einmal den Mond begrüßte, als er aber den Wipfeln des Waldes aufstieg. Verschiedene Fanten von einer Halbblutsrasse , der jetzt die große Mehrzahl angehört , kennen und hegen die Sage von dem kämpfenden Monde und dem Siege desselben, behaupten aber, dass es nur Adam und Eva seien, deren Bilder man im Monde sähe. Es hat den Anschein, als ob sie von den höher Eingeweihten der Kaste nur vorläufig mit dieser Erklärung abgespeist seien.

In ihrem Auftreten gegen die christliche Religion zeigen sich die Tater selbstverständlich nach den herrschenden Umständen sehr verschieden, leicht und häufig führen sie bei ihren Betteleien und Gesprächen eine Flut frommer christlicher Worte im Munde, werfen aber auch andere male keck die angenommene Maske fort. So geschah es kürzlich in dem nördlichen Distrikte von Guldalen, den ein frommes christlich gesinntes Volk bewohnt. Ein Bauer forderte an einem Sonntage eine kleine, bei ihm einsprechende Taterhorde auf, seiner Hausandacht beizuwohnen; die Fremden hatten aber nur verwünschende, zornige Worte zur Antwort gegeben und waren fortgeeilt. Dem Taufakte weichen sie für ihre Kinder jetzt nicht mehr aus, sie wissen aus der Zeit der Verfolgung zu gut, welch einen hohen Wert für sie ein „rasoholil" (Taufattest) hat und wie es die wichtigste Bedingung für ihren freien Aufenthalt im Lande ist. Die Konfirmation oder gar die christliche Einsegnung ihrer Ehen suchen sie aber nie aus freiem Antriebe nach, sondern empfangen dieselbe in den Zuchthäusern oder unter Aufsicht der Armenversorgungen in den Kirchspielen durch Zwangsmaßregeln. In einer solchen Weise empfangene Sakramente vermögen erklärlicherweise auch die Sinnesart nicht zu ändern und machen nur, da schlaue Verstellung den Mienen und der Haltung der Tater ein Anzeichen der empfangenen Gnade aufdrückt, das geheimnisbergende Wesen derselben unheimlicher und abschreckender. Andererseits fehlt es aber nicht an Beispielen, dass die Mächte des Lebens und Todes auch zuweilen den flüchtigen Sinn des Taters ergreifen können, dann aber ereignet es sich meist, dass ihre Angst von grauenhafter Art wird. So teilte dem Eilert Sundt einst ein Greis dieser Rasse, der zum Empfange der Taufe und Konfirmation über Jahr und Tag im Zuchthause zu Christiania gefangen gehalten wurde, Visionen mit, die, wenn sie sich auch nur als Träume herausstellten, noch bei der Rückerinnerung und Erzählung dem Alten die Gesichtsmuskeln krampfhaft zusammenzogen, reichliche Tränenströme unter den gegeneinander gepressten Augenlidern hervorlockten und seine Stimme exstatisch bebend und fast dämonisch klingend machten.

So gering auch der Halt nur sein kann, den die geschilderten religiösen Verhältnisse einem beständig umherschweifenden Volke geben, so hatte sich doch durch ihn ein höchst eigentümliches Familien- oder Gesellschaftsleben entwickelt, und dass auch dieses jetzt, im Vergleich zu den guten alten Tagen, in Verfall gerät, ist der Hauptpunkt in den Klagen der besseren Tater. Es klingt sonderbar, in einer Schilderung der Sitten einer so niedrig stehenden Welt von gesellschaftlicher Ordnung und dahin einschlagenden Gesetzen zu reden. Die uns als erste Bedingung eines Familienlebens erscheinende feste Heimat und gesicherte Existenz fehlt unter den Bedürfnissen der Taterhorde, wie allbekannt ist, gänzlich, ein häusliches Leben konnte sich also nicht entwickeln. Des Taters Leben beginnt nicht, wie das der meisten Menschenkinder, mit ruhigem Schlummer in der schaukelnden Wiege, und endet, wie es unzweifelhaft ist, höchstens als Ausnahme, aber nicht in der Regel mit der Ruhe in einem ordentlich aufgeworfenen Grabe. Und dennoch entwickelten sich, — auch ohne den Schutz des traulichen eignen Herdes, dem wichtigsten Vereinigungspunkte im Dasein gesitteter Völker, — moralische Bande, die sich kräftig genug erwiesen, die Familien des entarteten Geschlechtes zusammenzuhalten. So ist die eheliche Treue bis in die neueste Zeit ein unleugbares Kleinod dieses Wandervolkes gewesen, welches ihnen um so mehr Anerkennung zu zollen gebietet, als ihre Lebensweise es ihnen sicherlich schwieriger, wie jeder sesshaften Bevölkerung, macht, die patriarchalischen Sitten des Familienlebens aufrecht zu erhalten. Die Deutung, welche Borrow, der Autor des umfassendsten Werkes über Zigeuner, dem Namen Rommanisäl als „Familienvolk" oder „Ehevolk" gibt, gewinnt dadurch an Wahrscheinlichkeit, denn die Tater selbst behaupten, vom Ursprung an ein Volk einzeln umherstreifender Familien gewesen zu sein, das erst jene Bezeichnung vom Ehebündnis auf die Nationalität übertragen habe. Nach Larsen , jenem Hauptgewährsmanne Ellert Sundt's, waren die alten Gesetze der norwegischen Tater — die zu seinem eignen Bedauern in der jetzigen Zeit des Verfalls und des Eingreifens der Landesautorität leider nicht länger aufrecht erhalten werden — der Art, dass ein Taterweib, verheiratet oder nicht verheiratet, welches die gähnende Kluft zwischen ihrer Kaste und dem „weißen Blute" nicht offen erhielt und einem Nicht-Tater, er sei nun „buró" (Bauer) oder „rankanó" (Beamter, vornehmer Mann) ihre Liebe schenkte, „ildsmad" (Feuerspeise) genannt und ohne Barmherzigkeit auf den Scheiterhaufen gelegt werden sollte; milder war das Gesetz gegen den männlichen Tater, der sich auf eine oder die andere Art in diesem Stücke versündigte, er sollte nur „kavlemand" (Knebelmann) genannt werden, d. h.: mit auf den Rücken geknebelten Händen und in den Mund gestecktem Pflocke nackt in einen Kreis von Männern gestellt werden, um dort sein von allen Tatern gefälltes Urteil zu vernehmen, worauf der Kreis sich öffnen sollte, damit die anwesenden Weiber mit Peitschen und ähnlichen Waffen den 8ünder forttrieben, — ein Zeichen, dass er nun für immer aus dem Familienvolke ausgestoßen und ein „fallen-i-brott", wie es mit einem schwedischen Fantenausdruck bezeichnet wird, sein solle. Die Veranlassung zu den, zuerst bei der Volkszählung im Jahre 1845 in Norwegen angestellten Nachforschungen über die Fanten gab eine, dem betreffenden Departement übersendete Mittheilung eines Predigers in der Nähe von Kragerö, dass in seiner Gegend vor Kurzem in einer Versammlung von einigen vierzig Fanten ein derartiges Urteil vollstreckt worden sei. Mit gerechtem Stolze verweilten viele Personen aus dem Geschlechte der Fremdlinge bei den Vorstellungen des ächten Taterlebens der Vorzeit und den romantischen Sagen über mehr als eine schöne „rommanitjei", die mit Statthaftigkeit nicht allein den Verführungsversuchen andrer Fantenburschen, sondern selbst ehrlichen und ebensowohl vorteilhaften , als ehrenhaften Eheangeboten widerstanden haben. Und tatsächlich hätten sich die dunkle Haut, die schwarzen Augen, Augenbrauen und Haare, auf die sie mit so großem Selbstbewusstsein als einen Vorzug hinblicken, inmitten des lichthaarigen, blauäugigen skandinavischen Stammes wohl nicht erhalten können , wenn die Stammmütter des Geschlechtes sich nicht dieses Gebotes der unverbrüchlichen Treue gegen das Rommani-Volk erinnert, und es gut aufrecht erhalten hätten.

Eigentümlich gestaltet sich bei einem Wanderleben, wie die Tater es führen, das Verhältnis der Eltern zu den Kindern, namentlich in der jetzigen Zeit, wo die bessere Justizpflege und milder gewordenen Strafgesetze eine gewissenhaftere Anwendung derselben gestatten. In Hinsicht auf das Band, welches das gemeinsame Blut um die zeitweise weit zerstreuten Glieder derselben Horde schlang und sie immer wieder um das Familienhaupt sammelte, kann man nur sagen, dass leider seit dem letzten Menschenalter, in welchem sich das vollständige Taterleben nicht mehr aufrecht erhalten lies, auch dieses bis nahe zum gänzlichen Zerreißen gelockert ist. Häufig wurden und werden jetzt noch solche wandernde Familien mit Groß und Klein, mit Männern und Weibern mitten in ihrem rastlosen Umherstreifen festgehalten und in Arrest- und Gefängnislokalen mit allerhand norwegischen Landstreichern und Verbrechern zusammengesperrt, je nach den vorliegenden Motiven ihrer Einbehaltung. Von den Eltern werden die Kinder getrennt, von dem Gatten die Gattin gerissen, jene werden vielleicht behufs ihres Unterrichtes im christlichen Glauben in Korrektionsanstalten, der Mann wegen eines Verbrechens in ein Zuchthaus, die Frau aber um eines Vergehens halber in ein Arbeitshaus oder anderes Gefängnis gesteckt. Das gewaltsame Voneinanderreißen wird verschlimmert durch ein erzwungenes längeres Beisammensein mit Leidensgenossen des anderen Stammes. So muss allmählich die Scheidewand zerbröckeln, der frühere Haas zwischen den dunkelfarbigen Tatern und den hellhäutigen Sköiern verschwinden und eine Kameradschaft entstehen, verkittet durch den bindenden Schlamm des Lasters und Elendes. Da wird es denn dem Tatervater wohl schwierig werden, den Kindern andere Züge von Zärtlichkeit zu beweisen, als sie zu eben so schlauen Rosstäuschern und Gaunern zu erziehen, wie er selbst einer ist, und ihnen alles Das zu lehren, was nach seinen Begriffen für das Wohl der Kinder dienlich ist, das heißt ihnen Vorschriften zu geben, wie sie sich am besten den Verfolgungen der Gerichte, den Urteilssprüchen des Gesetzes, dem Unglück der Bestrafungen und der Gefangenschaft entziehen können. Rührender, selbst den Zoll bewundernder Anerkennung verlangend, zeigt sich die sorgfältige und ausdauernde Liebe und die leidenschaftliche Zärtlichkeit der Tatermutter für ihre Kinder, die sie von dem ersten Atemzuge ihres jammervollen Daseins gegen Kälte, Wind, Not, Elend und Gefahren mit dem ganzen Aufwände der eigenen Kraft zu schützen hat. Man betrachte, wie sich in der Jetztzeit das Leben einer solchen Mutter und eines solchen Kindes gestaltet. Ein schönes „rommani tjei a (Rommani Mädchen), und zwar noch ein sehr junges, — denn auch in Norwegen ist eine auffällig frühzeitige Körperentwicklung eine Eigentümlichkeit des Tatervolkes und die Erhaltung dieser Eigenschaft, selbst im nebligen Norden, ist ein redendes Zeugnis ihrer fremden, orientalischen Herkunft — ein solches schönes, junges, lebhaft um sich blickendes Tatermädchen soll eines nicht viel älteren, ebenso schönen, schwarzäugigen Fantenburschen „romni" (Tater-Frau) werden. Die erwähnte einfache Zeremonie des Werbens und der Hochzeit, bis auf die gelegentliche Weihe vor dem Bilde Alakos, ist vorüber, der Bräutigam beweist seinem Schwiegervater nur noch durch Darbringung einer Flasche „katjali" (Brandwein) seine Dankbarkeit, worauf die ganze Horde unter Lärmen und Geschrei dem „kjellipà" zuschaut, — einem Tatertanze, dessen überaus gewaltsame und eigentümliche, aber auch schlüpfrige Gebärden, Stellungen und Sprünge sich nicht gut mit Anstand schildern lassen — den zu den grillen und schneidenden Tönen einer Geige das junge Paar in glühendster Leidenschaft aufführt. Die Schwierigkeit einer Wirtschaftseinrichtung, die sich so oft der Liebe des sesshaften niederen Volkes entgegenstemmt, ist hier nicht vorhanden; mit leeren Händen oder höchstens einem armseligen Geräte zur Ausübung der, das zwecklose Wandern verhüllenden Profession zieht das junge Paar von dannen; beide mit gehöriger List und Verschlagenheit begabt und mit hinreichendem Mute zu allerlei Unternehmungen versehen, um bald die Hoffnung zur Wahrheit werden zu sehen, auf irgend eine Art sich in den Besitz eines Pferdes und alles Übrigen, was zur Ökonomie eines Großwanderers gehört, zu setzen. Es ist Sommer mit warmen Tagen und anmutigen, von nordischem Dämmerlicht mystisch erhellten Nächten, und während rund umher die norwegischen Bauern und Knechte sich im Schweiße ihres Angesichts oft bis zur Ermattung quälen und mühen, lebt das junge Volk sein gedankenloses , sorgenfreies Dasein im lustigsten Genüsse seiner Freiheit und des Augenblicks. Da aber bricht das Verhängnis über sie herein: in Folge der Bestrebungen, sich ein Pferd zu verschaffen, wird der Mann verhaftet und auf einige Jahre zum Zuchthause verurteilt, sie aber muss weiter wandern, mit seinem Kinde unter ihrem Herzen. Es wird Winter und die Wanderung wird beschwerlicher, sie aber zieht von Distrikt zu Distrikt und sucht keine bleibende Stätte. Die von der Mutter ererbte Kunst, in irgend einer Weise der Bäuerin Mitleid zu erregen, verschafft ihr des Tages die Mahlzeit, des Nachts Schutz und Obdach. Da naht sich ihre schwere Stunde und mit Muth und Kraft weiß sie die Schmerzen der ersten Geburtswehen zu unterdrücken, während sie mit ungewöhnlichem Eifer und mit List sich Nachtherberge in einem Bauernhofe erbettelt. Am Morgen werden dann in dem Winkel, in welchen sie sich scheinbar bescheiden verkroch, als man ihr dort zu ruhen verstattet, zwei Wesen entdeckt. Eilert Sundt schildert eine solche Entdeckungsscene, die übrigens keineswegs zu den Seltenheiten gehört, in der sich ein wunderbares Wechselspiel zwischen dem lärmenden Ärger des Bauers einerseits — der gewisserma8sen gerechtfertigt ist, da, im Falle es ein männliches Kind ist, das auf seinem Hofe geboren, zu erwarten steht, dass der Kriegskommissär nach zwanzig Jahren von ihm über dasselbe Rechenschaft verlangen wird — und andrerseits dem erheuchelten großen Schreck der Mutter, welche ihr frohes. Gefühl über den Anblick des Kindes in ihren Armen nur schwach verbirgt, abspielt. Ihr gegenwärtiger Zustand gibt ihr die Sicherheit, dass ihre Person unter allen Umständen von dem norwegischen Landvolke als unverletzlich geachtet wird, und um das Einzige, für was sie sorgt, einige Lappen, um das junge Wesen einzuhüllen, braucht sie wohl kaum die Frau des Hauses lange zu bitten. Ob das Kind christlich getauft werden soll oder nicht, lässt sie getrost von dem Gefühl und dem guten Willen ihrer Umgebung abhängen und fleht sie nur noch um ein Band oder ein Paar Schnüre, daraus ein Tragegerät zu flechten, wie sie es bei anderen wandernden Frauen gesehen hat, um ihr Kind darin zu tragen. Dann zieht sie, mit dem Kinde auf dem Rücken, wieder von dannen und geht von Haus zu Haus; die Mutterliebe macht ihre bettelnde Beredsamkeit, unterstützt durch das Schreien des unschuldigen Wesens, unwiderstehlich, durch sein Lächeln belohnt bleibt sie taub gegen alle Hindeutungen auf ihre Lästigkeit und, völlig gleichgültig gegen höhnisches Achselzucken und vorwurfsvolle Blicke, weiß sie sich das Leben zu fristen, bis sie, ihr Kleines an der Hand, auf der Landstraße dem Stelldichein zueilt, das ihr der, dem Zuchthaus entronnene oder aus demselben entlassene Mann ihrer Ehe auf den geheimen Wegen ihrer nie unterbrochenen Verbindung angab. Bald hat sie ein zweites Kind auf dem Rücken, und wenn, nach wenigen Jahren nur, die Hand des Gesetzes oder das Verhängnis eine neue Trennung herbeiführt, hat sie ein ganzes Häufchen zu ernähren. Dann kann man sie den rastlosesten Eifer und die unermüdlichste Tätigkeit entwickeln sehen; sie wandert von einem Ende des Landes zu dem andern, bettelt und prophezeit, stiehlt und lügt und trügt und hext, nicht achtend des Regens und Schnees, des Sturms und Unwetters , der Härte und Verachtung Trotz bietend , nur um der leidenschaftlichen Liebe zu den Kindern ihrer Schmerzen zu genügen, ihnen Schutz und die Notdurft des Lebens zu verschaffen und sie in enger Gemeinschaft mit sich zu behalten. Wohl schlägt und rauft ihre rohe Hand die Kinder öfter, als dass sie dieselben liebkost, man versuche es aber, sie ihr wegzunehmen und bei liebevollen Leuten oder in irgend einer Art Rettungsanstalt unterzubringen, und man wird erstaunen, wie sie erst wütend werden und dann später mit allen ihren Listen und Ränken um das Haus schwärmen wird, um den Kindern verstohlenerweise zu nahen und mystische Worte, die bitteren Hass gegen alle ihre fremden Wohltäter atmen, in die Ohren zu raunen, so dass sich dieselben endlich für glücklich ansehen, wenn sie eine günstige Gelegenheit finden mit der Mutter hinaus in die wilden wüsten Waldgegenden zu fliehen. Wenn aber die Knaben und Mädchen der Tatermutter groß geworden und im Triebe zur Selbstständigkeit sie verlassen , um Jeder allein mit dem Weibe seiner Sehnsucht auf der Landstraße einherzuziehen und das Ziel ihres Lebens zu erreichen, so überlässt sie, alt und gebrechlich, sich dennoch nicht, wie sie es vielleicht könnte, in dem einen oder dem andern Orte ihres Geburtsdistrikts der wohltätigen Ruhe eines Armenvereinsmitgliedes, sondern zeigt sich nur noch rastloser und emsiger als je zuvor. Weiter bettelnd, hexend und prophezeihend zieht sie umher, frägt und späht nach ihren Kindern und Kindeskindern auf den weiten Wegen, und wenn sie zuletzt aus Mattigkeit niederfällt und auf einem Schneehaufen erstarrt, oder in einem Sumpfe versinkt, oder auf öder Höhe verschmachtet, dann ist vielleicht nicht Einer der Ihrigen zugegen, um sie in ihrer Sterbestunde mit einem liebenden Blicke zu trösten.

Über die Art und Weise, wie die Taterkinder den Eltern solche mit ihnen gehabte Mühe lohnen, ist in der großen Masse des norwegischen Volkes die Vorstellung einer grauenhaften Barbarei verbreitet, doch scheint gerade dieser Volksglaube auf missverständliche Deutung einzelner, den ehrlichen Sinn des Bauern befremdender Szenen zu beruhen. So erzählte ein Landbesitzer als Erinnerung aus seiner Kindheit, dass eine Taterhorde für die Nacht Obdach auf dem Hofe seines Vaters erhalten hatte; ein zu der Schaar gehörendes, uraltes Weib vernahm man den ganzen Abend hindurch ächzen und weinen, und auf die Frage nach der Ursache antworteten Einige der Übrigen: „Ah sie ist unsere Älter-Mutter, und sie weiß, dass sie jetzt ihren letzten Tag erlebt hat!“ Dies erklärten die Bauern dahin, dass die Tater beabsichtigten, die Alte am nächsten Tage bei ihrem Durchzuge durch den Wald zu töten, um sich so ihrer Last zu entschlagen. Allerdings haben, wie es auch bereits erwähnt wurde, offizielle Nachforschungen ergeben, dass die weit zurückreichenden Erinnerungen aus langjährigen Dienstzeiten der Prediger kein Beispiel beizubringen wussten, dass Einer derselben je eine Hand voll Erde auf einen Tater geworfen habe, und nur ein einziger Totengräber entsann sich, dass er, aber auch nur ein einziges Mal, einem Fanten, von dem es übrigens ungewiss, ob Tater oder Sköier, ein Grab gegraben habe. In Holstein gibt es einen Acker, der seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts der Tateracker heißt und von dem die Sage behauptet, dass dort eine Taterältermutter begraben sei, die von ihrem Stamme erschlagen worden. Von Assens in Fünen berichteten Augenzeugen, dass sie zufällig zu einem Taterbegräbnisse gekommen seien, bei welchem aus dem eng das Grab umschließenden, fremde Einblicke verhindernden Kreise, die verdächtigen Worte tönten: „Den Leib in die Erde, die Welt ist zu schlimm für Dich!" Die Tater selbst leugnen die Barbarei, den Ältern das Leben zu verkürzen, auf das Entschiedenste, gestehen aber zu, dass, wie es auch bereits von einem alten abgelebten Greise mitgeteilt ist, diese nach der „Väter-Weise“ mitunter selbst ihren Tagen und den Beschwerden des Daseins ein freiwilliges Ende machten. Außerdem sind, noch in den jetzigen Zeiten, im ganzen Lande rührende Beispiele zu sehen: von Sorgfalt, mit welcher den Alten geholfen wird; wie letztere auf den beständigen Reisen von den Jüngeren gehegt und gepflegt werden, und wie merkwürdigerweise neunzigjährige Älter Väter und Älter-Mütter noch die vollste Herrschermacht in den Horden ausüben, die den Namen nach ihnen führen; sie geben die Reisen und Unternehmungen derselben an, stecken ihnen ihr Ziel, und liefern mannigfache Beweise, dass sie auch in Wahrheit den Befehl führen. Dass Mitglieder der Horde, die durch unglückliche Zufälle (in Schlägereien oder im Unwetter im Gebirge auf kahlen Felsen) umkommen oder an Altersschwäche in einer Säterhütte dahinsterben, von ihnen lieber in der Wüste verscharrt werden, als dass sie die Leiche zum christlichen Begräbnis in geweihter Erde hinabführen, räumen die Tater ein. Es erklärt sich dies nur zu leicht, da solcher Vorfall wohl stets durch Einmischung des Predigers oder Bezirks-Voigts Untersuchungen, deren Ausfall zu fürchten sie immer Ursache haben mögen, herbeiführen würde.

Das überall, wo Zigeuner verkehrten, bemerkbar gewordene und auch selbst geringer Aufmerksamkeit nicht entgangene Faktum der wunderbaren Anhänglichkeit an das umherschweifende Leben ist auch in Norwegen mannigfach hervorgetreten, selbst bei noch kleinen Kindern dieser Rasse, die von Predigern, Beamten, Bauern und sogar von armen Hüttenbewohnern der entlegenen, düsteren Täler des Gebirges vorsorglich in Pflege und Obhut genommen wurden. Fast nie ist es geglückt, solch ein Taterkind — selbst wenn es im zartesten Alter seiner Rasse entfremdet und, wie ein wilder Schuss zwischen den edleren Gewächsen des Gartens, mit derselben Liebe wie die eigenen Kinder gepflegt wurde — zu zähmen und ihm den Sinn für Häuslichkeit und Beständigkeit einzuflößen. Es haben sich darüber zwei Sprichwörter im Munde des norwegischen Volkes ausgebildet, von denen das eine sagt: „dass aus einer Katze kein Hund zu machen sei”, das andere aber ausdrücken will, dass die Taterkinder wie die Jungen der wilden Gänse wären, welche den ganzen Sommer hindurch vollkommen zahm auf dem Hofe des Bauern unter den andern Gänsen umhergehen, aber, wenn der Herbst kommt und ein Volk wilder Gänse vorüberfliegt, dann auch mit diesen fortstreichen.

Die, auch in anderen Ländern noch im Volksglauben wurzelnden Geschichten von Kindesraub durch Zigeuner, die dort wohl durchweg einer fernerliegenden Vergangenheit angehören, dürften gerade in Norwegen die Furcht vor ihrer Wahrheit nicht ungerechtfertigt erscheinen lassen. Wäre es unerklärlich, wenn die Tatermutter, der die Obrigkeit oder Armenkommission mit Gewalt ihr eigenes Kind wegnehmen ließ, um es zu besseren Lebenszwecken erziehen zu lassen, dadurch eine fürchterliche Vergeltung zu üben suchte? Nicht vereinzelt steht ein Bericht der jüngsten Zeit da , wonach ein Prediger aus Throndjhem mitteilt, dass er zu einer in seiner Nähe wohnenden Häuslerfamilie gerufen ward, weil dieselbe von einer zahlreichen Fantenhorde belästigt wurde, die sich schon seit mehreren Tagen in den Häusern der armen Leute aufhielt und sich aus ihrem Speisevorrat versorgte, ohne nur einmal Miene zu machen, bald weiter ziehen zu wollen. Der Prediger wurde in dieser Horde auf einen ganz kleinen Knaben aufmerksam, der durch seine hellblonden Haare und blauen Augen sogleich verriet, dass er nicht zu der sonst ganz dunkelhäutigen Familie gehöre, und auf die Frage nach der Herkunft des Kindes erklärte ein abscheulich hässliches, sehr altes Weib, das mit gewohnter Keckheit das Wort für die übrigen führte, dass sie, um einer armen Häuslerfamilie im hohen Norden einen Dienst zu leisten, das Kind mit sich genommen habe, damit es von ihren Söhnen eine nützliche Profession erlernen möge. Und wie hier die Alte es wagte, mit der wenig glaubhaften Geschichte vor den Prediger zu treten, so lieben es die Taterweiber im höheren Aller sich durch allerlei Kunstgriffe in den Augen der großen Menge mit der Würde einer Pflegemutter zu umgeben. Für den Glauben, dass solche Untat eine nicht selten vorkommende, sprechen die alten bekannten. Ereignisse, die sich bis in die allerletzten Jahre (nach einigen von verschiedenen Zeitungen zur allgemeinen Kenntnis gebrachten Beispielen von dem plötzlichen Verschwinden kleiner Kinder) wiederholten. Ein weit verbreiteter Aberglaube gab dem Umstände, dass auch die aufmerksamste und schnellste Nachforschung der, sich bei derartigen Vorfällen mit der wahrsten Teilnahme zur Hilfe versammelnden großen Anzahl Leute keine Spur der Vermissten zu entdecken vermag, die Deutung, dass es das Schicksal der Verschwundenen gewesen sei, „von den Unterirdischen, den Huldren, in die Berge geholt zu sein"; weshalb auch an vielen Orten bis vor Kurzem nach ihnen mit den Kirchenglocken, welche oft mühevoll viele Meilen weit an die betreffende Stätte geschafft wurden, geläutet wurde, weil der Klang des geweihten Metalles den Zauber brechen und die Huldren zwingen sollte, die geraubten Sterblichen zurückzugeben. Überall aber, wo die Aufklärung diesen Aberglauben zerstörte, herrscht jetzt die, sich wohl der Wahrheit mehr nähernde Meinung, dass das Fantenvolk und vorzugsweise Taterweiber, im Vorbeistreichen die Kinder geraubt hätten, um durch sie, in ekle Lumpen gehüllt, auf in weitere Fernen gerichteten Bettelzügen eher das Mitleid zu erregen.

Kaum weniger wunderbar wie der Zusammenhalt einer solchen wandernden Familie unter den mannigfachen Beschwerlichkeiten ihres Reiselebens, ist die Tatsache, dass die verhältnismäßig wenigen Taterfamilien, die sich vor einigen Jahrhunderten in das weite norwegische Land verirrt haben, stets einander wiederfinden, so dass sie, von der übrigen Bevölkerung des Landes auf das Allerschärfste abgesondert, eine Art gemeinschaftlicher Bevölkerung bilden konnten. Bezweifelt man auch die vielfach behaupteten regelmäßigen Zusammenkünfte, so beweist doch die Aufrechterhaltung ihrer Sprache und Bewahrung ihrer Traditionen einen steten Zusammenhang und Verkehr unter den einzelnen Horden. Nach den Angaben Larsens, die gerade hierin überall bestätigt gefunden wurden, ist durch eine der einfachsten, aber dabei sinnreichsten Erfindungen, welche von diesem Wandervolk zu einem völligen System ausgearbeitet wurde, dies ermöglicht, und darin der Schlüssel zu einer der vielen sonderbaren Erscheinungen des Taterlebens gefunden. Das plötzliche Auftreten zahlreicher Schaaren von Zigeunern in allen Ländern und ihr ebenso plötzliches Verschwinden, ohne dass man weiß, woher sie gekommen und wohin sie gezogen, ist durch das Signal-System begreiflich gemacht. Wenn die Rommanisäl durch einen Distrikt wandern und an einen Kreuzweg kommen, pflegen sie gern drei kleine Tannenzweiglein auf die rechte Seite des Weges, den die Horde einschlägt, zu legen und, damit die Zweige nicht etwa vom Winde fortgeblasen werden, wälzen sie einen kleinen Stein auf jeden derselben. Derjenige, der nicht weiß, was dieses Zeichen bedeutet, legt auch keinen weiteren Werth darauf, die andere desselben Weges ziehende Horde ersieht aber daraus, wo sie Bekannte findet. Namentlich ist dies aber für solche Rommanier gut, die aus Gefängnissen entflohen und der Hilfe benötigt sind. Dies Zeichen heißt in der Tatersprache „Patron“. Im Winter bedienen sie sich eines anderen Zeichens , das „gaano" heißt; es ist eine Figur, die sie mit der Peitsche in den Schnee schlagen und die einem oben zusammengebundenem Sacke gleicht. Beide Merkmale kommen ihnen auch sehr zu gut, wenn zwei oder mehrere Horden darüber einig geworden sind, zusammen zu reisen, was sie jedoch, um der Aufmerksamkeit der Behörden besser zu entgehen, in Zwischenräumen einer oder mehrerer Tageswanderungen ausführen müssen. Tritt ein oder das andere Hindernis der verabredeten Reise in den Weg, so senden sich die verschiedenen Parteien auch gegenseitige Botschaften und die Überbringer derselben richten ihren Weg dann lediglich nach diesen ausgelegten Merkmalen.

In dem beständigen Gebrauche dieses Signalsystems liegt auch ein Beweis des Bewusstseins einer gegenseitigen Brüderschaft unter den Tatern. Der aus dem Gefängnis ausgebrochene Flüchtling, der irgend eine Horde „seines Volkes“ findet, ist, wie erwähnt, aller Hilfe und Unterstützungen gewiss, welche ihm dieselbe gegen die Nachstellungen der Gesetzeswächter oder der Privatfeindschaft bieten kann. Gerade die Idee einer solchen heilig gehaltenen Brüderschaft verursacht aber auch häufig entsetzliche Schlägereien unter den Tatern selbst. Von Fremden, die außerhalb ihrer Rage stehen, nehmen sie leicht Zeichen des Unwillens und der Verachtung hin, es sind ihnen dieselben gleichgültig, da sie mit ihnen fast nichts mehr zu schaffen haben; aber die unbedeutendste Kränkung von einem „Bruder“, an den sie größere Forderungen stellen, ist eine Ehrensache, welche Genugtuung verlangt. Deshalb geht auch der „horta rommanisäl" in dem sonst so friedlichen Norwegen stets bewaffnet umher und fast ein jeder unter ihnen hat in zahlreichen Narben an seinem Körper die Beweise zu liefern, dass auch er an Kämpfen auf Leben und Tod beteiligt gewesen ist. Diejenigen, welche durch ihre Charaktereigenschaften vermuten dürfen, häufigeren Angriffen ausgesetzt zu sein, pflegen sich nicht selten durch eine Art aus Stahldraht geflochtenen Panzer, den sie unter dem Hemde tragen, gegen Stich und Schnitt mit dem „tjuri", einem in dem Griffe feststehenden Messer, zu schützen. Die Hauptwaffe des Taters ist aber der „tjukni" (Fechtstab), unter dessen gewichtigen Schlägen er seinen Widersacher bald betäubt zu Boden sinken sieht. In der norwegischen Sprache nennen sie ihn gewöhnlich harmlos „Peitsche" und maskieren ihn dann auch mit einer Schnur, so dass sie ihn auch wirklich als solche gebrauchen können; seine eigentliche, mehr kriegerische Bestimmung verbirgt dem Uneingeweihten oft ein Überzug von Leinwand oder Fell. Er hat die Länge eines Spazierstockes, wird am Liebsten aus Bambusrohr verfertigt und am oberen und untern Ende mit Metallbeschlag versehen. Ein in seiner Mitte angebrachter Handgriff ermöglicht seine leichtere Handhabung als Waffe und ein mit Blei gefüllter Messingknopf an jedem Ende legt eine zermalmende Gewalt in die mit ihm geführten Schläge. Selbst wenn die Tater zum Scherz oder zur Übung diese Waffe schwingen, ruft das kriegerische Spiel ihre Leidenschaften wach und es legt sich dann in der Regel ein unheimlicher Ausdruck ungebändigter Wildheit auf ihre Züge und ihr ganzes Wesen. Der Stock wird wie ein Rad geschwungen und während des fingierten Kampfes, bei dem sie parieren und dann wieder Ausfälle machen, so schnell aus der rechten Hand in die linke hinüber und zurückgeworfen, dass der Wechsel kaum zu bemerken ist; ein Kunstgriff, der nicht allein erlaubt das Gefecht fortzusetzen, wenn der eine Arm verwundet ist, sondern auch gestattet, unvermutete Angriffe von derjenigen Seite zu machen, von welcher sie am Wenigsten erwartet wurden. Einen guten Teil der Jugend und des Mannesalters hindurch übt sich der Rommanier manche Stunde im Gebrauche dieser Waffe. Kommt es zum Ernstkampfe mit den Fechtstäben, wird es in der Regel eine wilde und wüste Scene. Die sich mit angespannten Muskeln und noch mehr angespannten Blicken gegenüberstehenden Männer hetzen ihre sie stets begleitenden Hunde gegeneinander, damit dieselben den Kampf auf eigene Hand führen und namentlich dadurch verhindert sind zu versuchen, ihrem Herrn zu Hülfe zu kommen. Oft unternimmt aber, um einer Niederlage ihres Geliebten vorzubeugen, eines der Weiber der beiden Kämpfenden das Wagnis ihm beizuspringen, was sie fast jedesmal mit der Frau des anderen aneinanderkommen lässt, wobei sie sich in die Haare fallen und Zähne und Nägel als Waffe gebrauchen, während ihnen ihre Kleinen vielleicht auf dem Rücken sitzen und heulen und schreien. So gab es vor wenigen Jahren in Ullensacker ein öffentliches Ärgernis, als bei einer Schlägerei zwischen zwei an Männern reichen Fantenhorden sich zwei Weiber mit so erbitterter Heftigkeit beteiligten, dass sie auf einander losfuhren, sich rangen, zerrten und schleppten, bis sie sich schließlich beide gegenüberstanden, ohne auch nur noch einen einzigen Faden auf ihren braunen, hier und da blutenden Körpern zu haben.

Außer diesen wilden und rohen gelegentlichen Schlägereien kommen unter den Tatern eine Art gewissermaßen gesetzlicher Zweikämpfe vor, die in manchen Zügen an die, in der besseren norwegischen, ansässigen Bevölkerung schwer und noch nicht ganz ausgerotteten Sitte des „Knivgang's" erinnern, jenes Zweikampfes, welchen zwei mit einem Riemen in der Taille aneinandergekoppelte Männer mit ihren kurzen Taschenmessern führen und welcher den schwedischen Bildhauer Mollen zu der bekannten, so naturwahr und schön ausgeführten Gruppe begeisterte. Ob die Tater sich hier der allnordischen Kampfesweise bemächtigt oder ob sie eine ihr verwandte aus Asien mitgebracht, ist unentschieden. Der Bericht eines zufälligen Augenzeugen schildert sie folgendermaßen:

„In der Hütte eines Häuslers standen in der engen Stube, durch deren nächtliches Dunkel ein Kienspan seinen unsicheren Schein warf, mitten auf der Diele zwei wild um sich blickende Tater und die übrige Horde in geschlossenem Kreise um sie herum, während die Häuslerleute sich in der Seitenkammer erschreckt zusammengescharrt hatten und schüchtern durch die offene Thür sahen, wobei die Kinder weinten und schrien. Ein Paar von den Taterweibern stimmten ein Geheul oder eine Art Kampfgesang an, in dem sich der Wiederholungsreim: „de án tjurodine" [gib ihm einen Messerstich] scharf betont heraushören ließ, und erst darauf näherten sich die Kämpfenden mit Vorsicht und Mut einander und schwangen ihre, mit wollenen Tüchern umwundenen Fäuste um sich herum. Ihre Augen glühten lebhaft und, ihren Bewegungen folgend, konnte man ein im Zickzack durch das halbdunkle Zimmer leuchtendes Blitzen gewahren. Es rührte von zwei Messerklingen her, die, nur einen Zoll lang, schmal und dünn, aber zweischneidig und blank geschliffen, an einem mit Leder umwundenen beweglichen Schaft, der gut in der Hand liegt, sitzen und aus dem um die Hand gewundenen Tuche hervorragen. Die Stöße dieser, bis zum Schneiden von Pechdraht geschärften Messer werden nicht gehört und die Schnitte derselben augenblicklich kaum von den erhitzten Kämpfern gemerkt; sie sind lautlos und ebenso herrschte von dem wirklichen Beginne des Kampfes ab eine lautlose ängstliche Stille in dem, die Kämpfenden umgebenden Kreise. Es gilt, scharf zu beobachten, denn in diesem Falle müssen gewisse Kampfgesetze ehrlich aufrecht erhalten werden. Als der, dessen Blut am stärksten strömte und dem es schwarz vor den Augen zu werden schien, seine rechte Hand auf den Rücken legte und damit das feststehende Zeichen gab, war der Kampf beendet und sollte, wie es das Kampfgesetz ausdrücklich vorschreibt, auch aller Hass erloschen sein."

In dieser althergebrachten grausamen Weise wurde vor wenigen Jahren ein auf dem Marktplatze in Levanger entstandener Streit unter Tatern entschieden, bei dem der Kampf gewaltsamer endete, als es wohl eigentlich geschehen sollte. Der Eine der Kämpfenden stürzte wie rasend, mit einem Messerstiche in dem Hirnschädel, aus dem Kreis heraus, lief etwa eine Viertelmeile weit und fiel dann tot nieder. Als der Leichnam in dem nächsten Amtskrankenhause obduziert wurde, fand der Arzt, außer der frischen tödlichen Wunde, als Merkmal einer früheren gleichartigen Schlägerei, unter der längst verhärteten Haut des starken, dicht mit Haaren bewachsenen Schädels eine kleine abgebrochene Messerschneide. Entblößt man die Arme und Brust eines Taters, findet man sicherlich die ihnen als Auszeichnung geltenden Erinnerungsmale solcher Kämpfe in schweren, tiefen, der Kreuz und Quere nach laufenden Narben, die oft später als sichere und besondere Kennzeichen in den Signalements ihrer Reisepässe figurieren oder in ihnen nachgesendeten Steckbriefen zum Verrat auffordern. — Jenes Gebot des Tatergesetzes, dass mit dem beendeten Kampfe der Hass erloschen sein solle, scheint durch den Umstand bewahrheitet zu werden, dass, wenn die Polizei über eine solche kämpfende Partei kommt und sie alle verhaftet, es kaum jemals stattfindet, dass der verstümmeltste Tater der Obrigkeit hilft, denjenigen herauszufinden, der ihm die Wunden beigebracht hat. Es bilden die Tater eine Welt für sich, die norwegischen Gesetze und die norwegischen Richterstühle sollen nun einmal nach ihrem Willen Nichts mit ihnen zu schaffen haben.

Wenn auch nicht denselben leidenschaftlichen Eifer, wie in ihrem gegenseitigen Handeln, beweist die Taterrasse im Verhalten zu den Leuten außerhalb ihrer Kaste und in dem Bestreben, sich ihren täglichen Lebensunterhalt zu verschaffen, eine merkwürdige Schlauheit und von dem übrigen Fantentum abweichende Eigentümlichkeiten. Unter den Nahrungswegen, die sie bei ihrem Herumstreichen einschlagen, ist der gewöhnlichste die Befassung mit Schmiedearbeit; sie führen sogar mitunter einen Blasebalg mit sich herum, um dort, wo immer ein Bauer ein Paar Hufeisen gefertigt haben will, eine Werkstätte zu improvisieren. Die Beschäftigung mit Pferden bleibt in ihren Augen immer die ehrenwerteste und es ist nur dieser Leidenschaft entsprechend, dass sie sich die größte Mühe geben in ihren Reisepässen den Titel „Tierarzt“ beigelegt zu erhalten. Der norwegische Bauer fängt erst allmählich an — nach, durch Unwissenheit oder gewissenlose Behandlung seitens der Ratgeber entstandenem Verlust mancher Pferde und Haustiere belehrt — den Vagabunden, auf deren Ankunft er oft sehnlich wartete, sein Vertrauen zu entziehen. Natürlich sind sie auch stets nebenher Pferdehändler, und wenn es auch allerdings den Anschein hat, dass aller Orten und in allen Ständen dieses Geschäft einen Hang zur Überlistung zum Begleiter hat, der den Ausdruck „Rosstauscher" in „Rosstäuscher" im Volksmunde wandelte, so brachte es doch der Tater in Entwicklung der Pfiffe und Kniffe desselben am Weitesten. Ein fast allgemein verbreitetes norwegisches Sprichwort zielt auf die, unter den Tatern nicht ungewöhnliche Kunst, den Zähnen alter Pferde die eine größere Jugend kennzeichnenden Jahresringe einzuschneiden und mit Russ zu schwärzen, wodurch sie leicht einen „Tummel" (13jähriges Pferd ) in einen „Gick" (6jähriges Pferd) verwandeln.

Die Tätigkeit eines Taterweibes ist aber noch weit reicher an Erfindungskünsten und Abwechslung. Sie ist in der Regel mit ungleich größerer Begabung ausgestattet als der Mann, muss aber auch in echt orientalischer Weise, selbst im kalten Norwegen ohne Rast und Ruhe arbeiten und den größten Teil der Mühen für die Erhaltung der Familie tragen. Während der Mann sich von der Behörde den Reisepass, welcher der ganzen Horde die ungehinderte Passage auf den Landstraßen sichert, zu verschaffen und bei sich zu führen hat, führt das Weib gern Dokumente sonderbaren Aussehens mit großen Signaturen und wunderbaren Schriftzeichen mit sich, welche beweisen sollen , dass sie bei den „weisen Finnen" ihre Lehre in der Arzneikunde bestanden habe; eine Täuschung, die, bei einem alten festgewurzelten Aberglauben der norwegischen Bauern, ihnen Zugang zum Vertrauen derselben, oder was mehr ist, den zu ihren Speisekammern und Kleiderkisten verschafft. Das Trugsystem, welches sie anwenden, ist übrigens keineswegs eine finnische Erfindung, vielmehr eine ihrer Rasse eigentümliche Kunst, die sie bei ihrer Ankunft mit in das Land brachten und von Generation zu Generation mit den Erweiterungen, die Fleiß und Eifer herausstudiert hatten, vererbten.

„Wer bei den weisen Finnen gelernt hat , kann Alles, und so schaut das weise Taterweib tief in die Vergangenheit und weit in die Zukunft, gebietet über die verborgenen Kräfte der Welt und herrscht über Glück und Unglück." Dies ist die Anschauung, in welcher die schlaue Kaste das niedere Volk über sich erhalten will und die in dem, vom Aberglauben befangenen, nicht zu weiten Horizonte der Bäuerinnen nur noch allzu fest wurzelt. In dieser Richtung entwickelt denn auch das Taterweib ihre Gaben vorzugsweise und, wie der Mann seine Liebe auf die Pferde des Landes geworfen hat, macht sie die Kühe zum Gegenstande ihrer besonderen Sorge. Es ist dies schon an und für sich ein Beweis scharfer Beobachtungsgabe; denn die norwegische Bäuerin hat nächst dem Gedanken an das Wohl ihrer Kinder,— welche Sorge sie mit dem Vater und Schulmeister teilt — nur den anderen, — dessen Verantwortung, Ehre und Schande ihr allein obliegt — an das Gedeihen ihrer Kühe. Der erste Lehrsatz der geheimen Wissenschaft, der „summipà" der Taterfrau ist nun der: dass jeder Unglücksfall, jede Krankheit des Viehs eine übernatürliche Ursache habe, den Einwirkungen der bösen Mächte, des Neides, der Missgunst oder des bösen Blickes ihr Entstehen danke, und nur durch geheimnisvolles Wort und Zauber einer weisen Frau abgewendet und geheilt werden könne. Darum hat auch jedes vorsichtige Taterweib stets eine „drabbescke-motki" (Gift-Büchse) bei sich, d. h. eine Schachtel mit etwas Teufelsdreck, Bibergeil, Salpeter und Schwefel, eine getrocknete Kalmuswurzel u. d. m. Hiermit und mit ähnlichen Naturalien werden geringere Übel geheilt; in schwierigen Fällen aber wird nur die ,,ragusta" angewendet, d. h. die Hersagung von geheimen Zaubersprüchen, deren Kraft jedoch gewöhnlich durch gewisse sichtbare Mittel unterstützt wird. Diese sichtlichen Mittel, welche die Zauberkundige im Kampfe mit den, sich dagegen wehrenden Geistern nach bestimmten, allein entscheidenden Formeln anwendet, sind der „Bu-Stein“ und das Rückgrad der „weißen Schlange." Jener ist ein mystisches Ding, von dem jedes Kind in Norwegen reden hörte und dessen Geheimnisse auch alte, kluge Frauen des Bauerstandes zu kennen und sie verwenden zu wissen vorgeben; was ihnen jedoch die Taterfrauen hohnlächelnd absprechen. Er soll schwarz von Farbe sein, an Größe eine Nuss um Etwas überragen und aus dem äußersten Finnmarken geholt werden. Im Rückgrad der weißen Schlange ist alle erdenkliche Zaubermacht verborgen, dasselbe ist aber auch nur von einem schon durch Zaubermacht geschützten und gestärkten Taterweibe zu erlangen. Diese weiße Schlange wird nämlich nur dann sichtbar, wenn alle Schlangen auf viele Meilen im Umkreise sich an einem Punkte zu einer Art Schlangen-Thing versammeln. Dann muss die Täterin auf bloßen Füssen durch das zischende Gewimmel schreiten, die weiße, gifterfüllte Zauberschlange ergreifen und ihr furchtlos den Hals umdrehen; ihr Fett und vorzugsweise das Knochengerüst sind die ungemein kräftigen Werkzeuge, um die überirdischen Wirkungen hervorzurufen, indem der Zaubergeist, der in dem Tiere wohnte, der Obermacht des Menschen, der das Gerippe desselben rechtmäßig besitzt, unbedingte Folge leisten muss. Genaue Untersuchungen der „drabbescke-motki" ergaben mit Bestimmtheit, und zwar als Bestätigung einer von Frederik Larsen gegebenen Aufklärung, dass dies Rückgrad der weißen Schlange die Zahnreihe des Rochen ist, der an den Küsten, an welchen er zufällig mit in die Netze gerät, mit Ekel betrachtet und ganz unbenutzt verworfen wird und daher in den vom Meere abgelegenen Distrikten, wo ihn die Schlauheit der Weiber seine Rolle spielen lässt, völlig unbekannt ist. Als Bu-Stein figuriert ab und zu eine Art Konglomerat von Haar, Sand und Gries, das sich zuweilen im Magen oder den Eingeweiden des Viehs, vorzugsweise der Ziegen, findet; meist aber eine kugelförmige Blase oder Knospe gewisser Tangarten, die, ein amerikanisches Gewächs, durch die Wasser des Golfstroms an die norwegische Küste getrieben und, in der Sonne getrocknet, schwarz und steinhart wird. — Gewiss ist es ein Beweis überlegener Schlauheit der Taterweiber, als Basis ihrer Trugkünste die festgewurzelten abergläubischen Meinungen zu nehmen, die sie bereits im norwegischen Volke vorfanden, denn der großen Masse desselben galt eben der „Bustein" seit den Zeiten Arild's als Universalmittel gegen alle Viehkrankheiten und die uralte Vorstellung über den Midgardswurm, die bei der nördlichen Küstenbevölkerung sich noch bis heut als Furcht vor dem „Krake“ erhielt, dürfte wohl auch noch in der Sage von der freilich zusammengeschrumpften kleinen, aber übermäßig giftigen Schlange zu erkennen sein.

Die mannigfachen Tatsachen, dass kranke Kühe unter der Behandlung der Taterweiber wunderbar schnell geheilt wurden oder entgegengesetzten Falles, dass alle Kreaturen in einem Viehhause, über welches eine solche Hexe ihre Verwünschungen aussprach, plötzlich erkrankten, klärten verschiedene Geständnisse und Untersuchungen einzelner Fälle leicht durch die Kenntnis und Verwendung verschiedener Pflanzengifte auf und ergaben sogar bei einem, unter ihrer Rasse hervorragenden Weibe den Besitz einer ausgestopften, mit mechanischen Vorrichtungen versehenen „Zauberkatze”, behufs einer regelrecht festgestellten Praxis bei deren Anwendung. Das Hauptgift, dessen sie sich bedienen und dessen schädlichen Wirkungen, sobald dasselbe erkannt ist, von dem Eingeweihten leicht gehoben werden können, da es nicht unbedingt tödlich wirkt, ist eine Wasserrübe. Sie soll, der unter den Tatern herrschenden Sage nach, von den Schotten unter dem Obrist Sinclair mit in das Land gebracht sein und wächst tatsächlich fast nur in Sel (einem Annexkirchspiel von Vaage in Gudbrandsdal , woselbst die Schotten vorzugsweise gehaust), wo sie Eilert Sundt beidem Gastgeberhofe Lauerdal selbst vorfand. Diese Pflanzen sind auch unter den Namen Sels-Näpper (Sels-Rüben) bekannt und werden von dem Vieh, ihres süßlichen Geschmackes halber, mit Begierde gefressen, weshalb die Bauern sorgfältig die wenigen Sümpfe, in denen sie wachsen, einzuzäunen pflegen. Hierher machen die vorsichtigen Taterfrauen aber alljährlich eine Wallfahrt, um die ihnen so nützliche Hübe zu holen, mit welcher sich dann, kurz vor ihrem offenen Auftreten in einem Bauerhause, ein Mitglied der Horde des Nachts heimlich in den Viehstall zu schleichen weiß, um der besten Kuh ein Stück von der, die Milch zurückhaltenden Pflanze in das Maul zu stecken, um welches er ihr gern noch Seifenschaum als vermeintlichen Gischt schmiert. Dem Scharfblicke der, des Tages darauf bettelnd oder unter irgend einem Vorwande in das Haus tretenden weisen Frau entgeht das in Folge irgend eines Neides dem Vieh drohende Unglück nicht; sie wittert dasselbe in der Luft ihr starrer, durchdringender, die Bäuerin ängstigender Blick sieht es über dem Haupte derselben schweben, leicht gesteht diese nun den Unfall im Stalle und lässt sich gern die angebotene Hülfe gefallen, welche sich die Täterin selbstverständlich auf die reichlichste Weise lohnen lässt, wozu ohnehin schon die Dankbarkeit das ehrliche, getäuschte Bauervolk spornt.

Auch auf andere, weniger Vorbereitungen erfordernde W r eise gelingt der Trug. Namentlich die Furcht vor Neid und Miesgunst benutzend, werden durch diese die ebenso leicht als abergläubigen Bäuerinnen, am liebsten in Abwesenheit der Männer, beredet und beschwindelt reiche Geschenke zu geben oder wertvollen Besitz, um denselben zu schützen und ihn sich zu erhalten, den Tatern zur Ausführung eines Zaubers u. s. w. anzuvertrauen, selbstverständlich auf ein Nimmerwiedersehen. Diese Art Gaunerstreiche, bei denen ohne feststehende Norm die Gelegenheit beim Schöpfe ergriffen werden muss, heißen in Norwegen „baro kokkipà“ (Groß-Lüge) oder auch „ruperske summipà" (Silberzauber), da sie sich vorzugsweise auf Erlangung des oft reichen Silberschatzes richten, der als „heimanfardssölv" die Brautgabe der norwegischen Bauertöchter bildet. Hilft etwa die listige Rede allein nicht dazu die einfältige Hausmutter zu überzeugen, dass nachbarlicher Neid ihr Glück bedroht und Unheil bereits im Stalle laure, wird zu schlagenderen Beweisen gegriffen und ein „kil summipä" (Butterzauber ) muss helfen. Bei einem erbetenen Zwiegespräche im Seitengemache verlangt das Taterweib ein Stück frischester Butter zu sehen, und mit einem Messer, das sie im Geheimen mit pulverisiertem Röthel bestrichen, macht sie einen tiefen 8chnitt in dasselbe. Die roten Streifen, die in der Butter augenblicklich zu sehen sind, werden dann zu einem sichtlichen Zeichen des unsichtbaren Bösen, das lange hier unter dem Vieh geherrscht hat; dieselben beweisen ja, dass „Blut in der Milch ist", ein Unglück, für welches des Taterweibes Erfahrung zum Heile des Hauses ein gutmachendes und nicht zu hoch zu lohnendes Mittel weiß.

Bei einer solchen Achtung gebietenden Stellung, wie die Rolle der Helferin und Trösterin in der Not, Dank dem Aberglauben der Bäuerinnen, den Taterweibern sichert, treten dieselben denn auch dort, wo die augenblicklich geleistete Hilfe ihnen ein Recht auf Erkenntlichkeit sichert, als die unverschämtesten Bettlerinnen auf, die eher eine gebietende, als eine flehende Sprache führen. Derjenige, dem die Einfalt übernatürliche Gaben zutraut, um damit Böses abzuwenden, muss natürlich auch als ein Wesen gefürchtet werden, welches gleichfalls es in seiner Macht hat, ebenso große Übel herbeizuführen, und in dieser Furcht, die die Taterrasse sich wohl zu Nutze zu machen weiß, geben die Leute aus dem Volke der Unverschämtheit derselben nur zu schnell nach und liefern auf den ersten Wink , was ihnen keck abverlangt wird. Selbst wenn, der verzögerten Gewährung gar zu gieriger Forderungen zur Folge, es zu Gewaltgebrauch kommt und die Tater der sich verteidigenden Übermacht unterliegen, weiß häufig die Schlauheit der Weiber, mit Benutzung der bäuerlichen Furcht vor schlimmer übernatürlicher Rache, es zu einem dahingehenden Akkord zu bringen, dass im äußersten Falle gegen eine kleine Entschädigung das gefährliche Volk ohne Einmischung der Behörden in einen anderen Distrikt ziehen darf. Aus diesen Gründen drängen sich denn auch diese Bettlerinnen am liebsten bei armen Leuten ein, die allerdings wohl am Wenigsten zu geben haben, dafür aber auch die wenigste Kraft in sich fühlen, sich der Frechheit derselben zu widersetzen. Aber auch bei besser gestellten Leuten bei denen mehr Selbstbewusstsein herrschen sollte, wagen sie ihre Künste und Eilert Sundt führt Beispiele an, wo es ihrer beharrlichen Zudringlichkeit und betäubenden Redseligkeit mit Hilfe nicht uninteressanter Taschenspielerkunststückchen, so unglaublich es erscheint, selbst Beamten gegenüber gelang, ihr Spiel durch ein einfaches Gaunerstück zu gewinnen.

Aber diese Zauberkünste sind doch nur die eine Hälfte der Wirksamkeit der Taterweiber. Ebenso auffallend ist die List, mit der sie sich Vertrauen zu verschaffen wissen, wenn sie sich anbieten mit ihrer Prophetengabe „paavipà“ zu dienen, und hier sind es nicht allein die Frauen der niederen Schichten des Volkes, die sich in Beziehungen zu der sonst so gemiedenen Rasse setzen. Freilich geben sie vor nicht allein den Mädchen voraussagen zu können, welchen Geliebten ihnen das Schicksal zugedacht hat, sondern auch mit einem „muskro summipà" (Mund-Zauber) in den Gang der Dinge eingreifen und dadurch die Bestimmungen des Schicksals verändern und in Übereinstimmung mit den Wünschen der Betreffenden bringen zu können.

Ein charakteristischer Zug aus dem Leben dieser fremden Horden, der von je her dem Norweger aufgefallen und noch heut seine Verwunderung erregt, ist der geringe Widerwillen vor einer Beschäftigung mit totem Vieh. Einem toten Tiere die Haut abzuziehen, gilt törichter und unbegreiflicherweise noch heutigen Tages in manchen dortigen Distrikten für eine unehrliche und schändende Arbeit. Daher erregte es vor wenigen Jahren, wie der Betreffende es Eilert Sundt selbst verbürgte, in Romsdalen bei einem Bauer ein großes Staunen, dass einige zufällig als Reisende auf dem Hofe ankommende Tater sich freiwillig erboten, den Dienstleuten das unwillkommene Geschäft abzunehmen. Es handelte sich hier allerdings nicht um ein gefallenes Stück Vieh, vielmehr um ein gutes, junges Pferd, welches der Bauer, da es sich bei einem unglücklichen Sprunge einen Beinbruch zugezogen hatte, töten lassen musste. Ein Teil der für die Arbeit ausbedungenen Belohnung der Tater bestand aus einer Flasche Brandwein; nachdem die Arbeit geschehen, schnitten dieselben aus dem geschlachteten Pferde das beste Stück heraus, errichteten sich auf dem Felde einen Scheiterhaufen, brieten das Fleisch an seinem Feuer, aßen und tranken und versetzten sich bei dieser, den versammelten Bauern verabscheuungswürdigen Mahlzeit in die äußerste Lustigkeit. Der halbbetrunkene Führer trat endlich vor, dankte dem Bauer für die bewiesene Güte und schloss seinen langen geschwätzigen Vortrag mit dem Absingen einiger Phrasen in einer fremden Sprache. Auf die Frage, was er damit meine, erklärte er in seiner Lustigkeit unumwunden, dass er wünschte, der Bauer möge das nächste Mal, wenn er wieder auf seinen Hof käme, einen ebenso fetten und guten Hengst zu schlachten haben. Wie hier der Widerwille und Abscheu ungerechtfertigt ist und nur auf Vorurteil basiert, so scheinen, nach Aussagen Larsens und anderen bestätigenden Tatergeständnissen, die Behauptungen, dass die Tater das Aas der verreckten Tiere nicht nur äßen, sondern sogar liebten, auf ein Missverständnis zurückzuführen, welches sich die eigennützige Schlauheit derselben gefallen ließ und zu seinem Nutzen verwendete. Häufig wandten sie nämlich auf ihren Reisen den „drabbeske summipà" (Giftzauber) an, welcher Pfiff darin bestand, dass sich ein Taterweib vorsichtig in der Nacht auf einen Hof stahl und einem Schweine etwas Gift (drabb). beibrachte, von dem es augenblicklich sterben musste, ohne dass dadurch das Fleisch ungenießbar wurde, weil es nach Larsens eigenem Ausdrucke „nur in das Gehirn und nicht in Herz und Blut drang". Am anderen Morgen kam die Horde, wie zufällig, auf denselben Hof und erfuhr natürlich bald, welches Unglück sich in der Nacht zugetragen habe, klagte dann über ihre große Not und bat ganz dringend darum, dass man erlauben möchte, den grimmen Hunger an dem weggeworfenen Körper zu sättigen. Eine solche Bitte wurde natürlich nie abgeschlagen und häufig gesellte sich zu dem Erstaunen über ein Elend, das zu so einem äußersten Schritt, wie den Genuss von Aas, führe, noch das Mitleid, so dass das schlaue Volk ohne weiteren Aufwand von anderen Ränken noch Brot und anderes Zubehör zu ihrem erschwindelten Braten erhielt.

Dass die Tater überhaupt einen großen Wert auf die Beschaffung guter Speisen legen, beweist der Umstand, dass sie auf die verschiedensten Weisen, mit listigen, ehrlichen oder unehrlichen Mitteln gerade danach streben, solche zu erlangen. Ja sie scheuen hierbei sogar nicht offene Gewalt und Raub, zu dem sie doch sonst selten greifen. Gern stehlen sie, wenn sie sich einmal etwas Besonderes zu Gute tun wollen, ein fettes Schaaf vom Felde weg, welches sie dann auf ordentliche und kunstgerechte Weise schlachten, wobei sie das Blut abfließen lassen, die Eingeweide herausnehmen und es dann ganz und gar in heiße Asche, auf der wieder ein Feuer angezündet wird, vergraben. Die Haut mit der Wolle darauf verkohlt dann und bildet eine feste Rinde, unter welcher das Fleisch in seinem eigenen Fette gebraten wird. Ein Gespräch mit einem Tater über dieses Gericht — welches, nach Wegnahme der Rinde, die ganze nächstliegende Gegend mit dem appetitlichsten Dampf erfüllen und magnetisch alle Genossen und Rasseglieder herbeiführen soll — verfehlt nie, denselben zu einer erhöhten Lebendigkeit anzuregen und ihm sein beschwerliches Wanderleben in schönerem Lichte und Glanze erscheinen zu lassen. Eine Stammmutter, die alle Untugenden ihres Geschlechtes in sich vereinte, entschuldigte, nachdem sie auf einem Bauernhofe alle ihre Bettelkünste vergeblich versucht, den Raub eines Schafes, dem verständigen und braven Hofbesitzer gegenüber, mit einer Art Geständnis unter erheuchelter Reue, konnte sich aber dabei nicht enthalten, mit ihrer wahren Herzensmeinung und dem leitenden Grundsatze aller Rommani-Mütter zu schließen: „Devel har tji dela mander pu at kjera pre; saa maa mander kjera med möien for at le kaben til tjavoane meros". (Gott hat mir keine Erde gegeben, um darauf zu arbeiten, so muss ich mit dem Munde arbeiten, um Speise für meine Kinder zu bekommen.)
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Vagabundentum und Wanderleben in Norwegen