Das verschmolzene Vagabundenvolk

In dem Vorhergehenden wurden vorzugsweise Züge mitgeteilt, die der Vergangenheit und der Geschichte der Fanten angehören, wenn schon dieselben bis in unsere Tage hineinreichen; es bleibt nun nur noch wenig hinzuzufügen, um zu zeigen, dass sowohl das schnellere oder langsamere Aufgeben der abgeschlossenen Kasteneigentümlichkeiten, als auch das Zusammenschmelzen der beiden Ragen, unter sich oder mit dem, neben ihnen die Landstraßen belebenden Ausschuss des zivilisierten Volkes, die Ursachen des noch größeren Elendes sind, welches für das gesamte Fantenvolk den Unterschied zwischen dem Sonst und dem Jetzt bildet. Mit der Aufgabe des Stammhasses, den die veränderten Verhältnisse des Landes, die mildere Gesetzgebung und die gemeinsame Haft herbeiführte, ging jene Art Ehrgefühl, welches selbst in diesem, im Verhältnis zu den andern im norwegischen Lande lebenden Menschen, gänzlich ehrlosem Kreise herrschte, verloren; keine der beiden Parteien blieb sich des vermeintlichen Vorzugs vor der anderen und der vermeintlichen Ursache, sie verachten zu dürfen, unerschütterlich bewusst; sie schlossen, durch die unfreiwillige Kameradschaft gezwungen, Frieden und duldeten sich anfangs stillschweigend, bis sie endlich sogar begannen, gemeinsame Sache zu machen. Eigentümlich ist es auch hierin wieder hervorgetreten , dass sich beide Stämme gewissermaßen als Nationalitäten betrachteten und, gleich paktierenden Staaten, Land, Leute und Vieh unter sich teilten und zwar derartig, dass die Tater im Binnenlande hausen, die 8köier sich aber längs der Küsten hin und her verbreiten sollten. In den friedlichen und ruhigen Tagen, welche darauf aus dieser Einigung entsprangen, verfielen die guten alten Bräuche und die hergebrachte Ordnung, indem die Sköier als Pferdebursche zu den Tatern in die Lehre gingen und diese sich mit den Sköierdirnen verbanden. Wird aber nun der Mann einer solchen gemischten Verbindung, durch Gefangenschaft etwa, auf längere Zeit seinem Weibe entzogen, so dass die Liebste allein und frei auf dem Pflaster umherstreichen muss, dann überwinden die Beschwerlichkeiten ihres verlassenen Zustandes leicht ihre Standhaftigkeit und sie wirft sich in die Arme eines oder des anderen Fanten , den sie auf der Landstraße findet. Diese Verbindung dauert nun, bis der neue Mann entweder auf dieselbe Art weggenommen wird oder bis der ältere Herr wieder auf freien Fuß kommt und sein früheres Recht durch einen Sieg in blutiger Schlägerei zurückerobert. 80 trifft man denn jetzt manche Taterweiber, denen ein Kind mit schwarzem Haar und Auge, als Pfand der Treue, dann eines mit blonden Locken und blauäugig, und wieder eins mit dunklem Teint und schwarzem Haare folgt.

In solcher Gemeinschaft sich schamlos dem sittenlosesten Leben — oft bis zur Vielweiberei (wenn man die gleichzeitigen Konkubinatsverhältnisse damit bezeichnen darf) und selbst der Blutschande — überlassend, zieht das Gesindel als allgemeines Ärgernis umher, Vorzugsweise das einfältigere und geringere Landvolk heimsuchend, das, durch die eigne Armut niedergedrückt, nicht denjenigen Mannesmut und diejenige genügende Stärke besitzt, die der reiche Bauer durch das Bewusstsein seiner im Eigentume wurzelnden Kraft und Macht fühlt und die ihn einfach die ruchlosen, wilden Gäste fortjagen lassen. Mit dem Schwinden der Einfalt und des Aberglaubens der früheren Tage versagen auch die Kniffe, und Künste des wandelnden Geschlechtes mehr und mehr, sie können nicht ferner so unbemerkt und geräuschlos umherschleichen und mit süßen Worten und guten Versprechungen, durch Zauberkünste und Prophetengaben sich ihre Bedürfnisse bis zum Überfluss verschaffen; sie müssen sich deshalb kecker herauswagen und sich Alles mit Drohungen und Gewalt erzwingen, wodurch sie jetzt oft zu Räubern und Mördern gestempelt werden.


Abgesehen von größeren Reisen, hinüber nach Schweden, dem schwedischen Lapplande und selbst Russland, herrscht eine gewisse Regelmäßigkeit in den Fantenzügen, worüber namentlich die Fährleute der nordischen Fjorde vollwichtiges Zeugnis ablegen können; weshalb die Landleute die Reisen dieses Volkes gewöhnlich mit den Zügen der Zugvögel vergleichen, die nach gewissen Naturgesetzen kommen und verschwinden. So ziehen bestimmte Horden, als „Ostwanderer“ bekannt, im Stifte Akershus von Kongsvinger nach Skien, und bis nach Bergen hinab streifen wieder andere, die „Westwanderer", umher. Am strengsten haben jedoch die Fanten im Throndhjemschen ihre alte Ökonomie aufrecht erhalten können. Am Schlüsse der Winterjahreszeit kommen hier die „Großwanderer" zu Wagen aus den Tälern herauf nach den Haupthöfen und Landorten am Meeresstrande; hier stellen sie ihre Pferde bei Freunden ein, nehmen sich Boote und ziehen so in den Fjorden, von Romsdalen ab, hin und her, zuweilen bis ganz nach Finnmarken hinauf; im Herbste kommen sie gutbeladen zurück, haben Wolle, um ganze Wagen damit zu belasten, Eiderdaunen zu vielen Pfunden nebst anderen guten Dingen , und fahren dann wieder mit ihren eignen Pferden und Schlitten großsprecherisch hinein in die Täler zu beiden Seiten des Dovre und Kjölen. Ab und zu bringt auch wohl eine oder die andere Horde den ganzen Sommer im Binnenlande zu, dann aber in der Regel im Hochgebirge, in der Nähe fischreicher Gewässer und fetter Säterwiesen. Sie sollen sich dabei als merkwürdig glückliche Fischer zeigen und es verstehen, sich von den Sätermädchen ihren reichlichen Tribut zollen zu lassen. Kaum ein kleines Tal oder einen schmalen Fjordarm gibt es in dieser Gegend, der so verborgen läge, das er nicht mehr oder weniger regelmäßig einen Besuch von diesen ungern gesehenen Gästen bekäme. Am Bedenklichsten aber ist es, dass sie geflissentlich ihre Fahrten so einrichten: immer in die Hütten zukommen, wenn die Männer auf dem Fischfange draußen auf der See liegen und nur Frauen und Kinder am Herde zu treffen sind. Dann hausen sie oft wie der Feind im Lande und wissen dabei die Besonderheit der norwegischen Rechtsverhältnisse, die sie genau kennen, für sich auszunutzen. So hüten sie sich geflissentlich vor jeder körperlichen Verletzung eines nicht zu ihnen gehörenden Menschen, da dies ein Justizverbrechen, welches eine öffentliche Anklage herbeiführen kann, ist, während die Störung des Hausfriedens, Betteln mit Androhung von Gewalt und selbst Anwendung dieser mit Zerstörung des fremden Eigentums, eine Privatangelegenheit zwischen dem Eigentümer und dem Veranlasser des Schadens bleibt, in welcher jener, wenn er das Recht des Hinauswerfens nicht übte, versuchen mag, wie er diesen zu einer Geldentschädigung heranziehen kann.

Nicht selten ereignet es sich jetzt, dass eine kleine Horde oder einzelne Mitglieder einer solchen, gedrückt von dem Übermaße ihres Elendes, — man findet nämlich eine unverhältnismäßig große Zahl Blinder, Taubstummer, Krüppel, Epileptischer und geistig Gestörter unter den Fanten — sich eine Art festen Aufenthaltes gründet, d. h. nur in einem kleinen abgegrenzten Kreise umherstrolcht. Dann lässt gar leicht die gesittete niedere Bevölkerung im Anblick des schreienden Unglücks ihren gerechten Unwillen fahren, gibt die Verachtung auf und gönnt milde werktätigem Mitleide an seiner Stelle Raum. So lebt in Oesterdalen der Rest einer kleinen Horde, bestehend aus: kranker alter Mutter, einer hinsiechenden Tochter und einem erwachsenen, dermaßen elend verkrüppelten Sohne, dass die Schwester ihn tragen muss. Sowohl diese Familie, als auch in einem anderen Kirchspiele ein greiser Fant — den das Alter erst in einen kleinen Bezirk gebannt, dann aber so gebrochen hatte, dass er sein Gewohnheitsrecht, sich von Haus zu Haus zur Durchfütterung zu begeben, nicht mehr selbstständig üben konnte — wurden von der Gutmütigkeit der Distriktbewohner auf einem, meist eigens dazu angespannten Gefährte tageweise von Hof zu Hof geführt. Letzterer konnte daher leicht die ihm gestellte Frage: „Wo gehörst Du eigentlich hin?" mit höhnischem Grinsen beantworten: „Ach was, wo das Essen auf dem Tische steht". — Im Solöer Walde wird eine alte Fantin, der ihre kleine Horde weggestorben, in Ausübung eines Verjährungsrechtes und da im Finnenwalde keine Gelegenheit ist gefahren zu werden, ihrer Schwäche halber auf beschwerlichen Gebirgspfaden bei Wetter und Wind von mitgesendeten jungen Leuten von Tag zu Tag begleitet, um zu verhindern, dass sie in Abgründe oder Schluchten stürze, und um ihr bei ihrer Gebrechlichkeit über die Felsblöcke und durch die Sümpfe und Moräste wegzuhelfen.

Eine derartige Gewöhnung und fast an das Lächerliche streifende Toleranz gegen das, die Allgemeinheit doch so ungemein belästigende Fantentum macht es denn auch erklärlich, wie dies Nationalübel — das seine Wurzel keineswegs in unabwendlichen Naturursachen hat, sondern der Unvollkommenheit der ganzen Gesellschaftseinrichtungen entsprang — sich fortdauernd in gleicher Stärke entwickelt. Bei der Volkszählung von 1845, in welchem Jahre, wie erwähnt, zuerst die Aufmerksamkeit der Zähler auf das Fantentum gerichtet wurde, ergab sich die Zahl von 1.145 Personen, die nach den, damals allerdings noch nicht geregelten Grundsätzen dazu gezahlt wurden und deren Zahl unbedingt eher zu klein als zu groß bemessen wurde. Ähnlich stellte sich das Resultat der späteren Zahlungen heraus und 1865 ergab sich die Zahl von 1.480 Tatern und Sköiern und sonstigen landstreichenden Personen. Fast die Hälfte derselben, nämlich 698, hatte nie eine bleibende Heimat gehabt, war auf dem Fantenpfade geboren und folgte ihm unablässig, während der übrige Teil doch Haus und Heimat kannte und entweder nur einen größeren oder kleineren Teil des Jahres herumstreifte oder, ganz das wandernde Leben aufgebend, durch Alter oder Krankheit in den Armenversorgungsanstalten Aufnahme gefunden hatte, oder endlich sich als Material der Besserungsversuche besonderer Aufmerksamkeit und Pflege erfreute. Von diesen Versuchen, die Fanten von ihrer Wanderlust zu heilen und zu geregeltem Leben zu führen, — die mit Mitteln, welche der Storthing bewilligte, auf die liebevollste Weise dadurch gemacht wurden: dass man entweder Kinder den Eltern nahm und, in fremder Umgebung, Anstalten oder ehrlichen Landleuten, Beamten und Geistlichen zur Erziehung gab; oder den Eltern selbst Mittel zu diesem Zwecke zuwendete; oder aber sich der erwachsenen ledigen Burschen und Mädchen annahm und sie in gute Stellen brachte; oder endlich sich der Fürsorge für ganze Familien und Ehepaare unterzog und sie ungetrennt ließ, die Altersschwachen und Unheilbaren selbstverständlich besonders berücksichtigend — pflegt im Durchschnitt nur der achte Teil so auszuschlagen, dass man den Trost hat, in diesen Fällen sei dauernd geholfen; während auf der anderen Seite reichlich der vierte Teil der in Obhut Genommenen sich freiwillig der fremden Hilfe und Sorge entzieht und zu dem Elend des Fantenlebens zurückkehrt; der Rest aber, zu schwach zur Tugend, wie zum Laster, sich nur in soweit ändert und bessert, um mit Sicherheit im Genüsse der ferneren Unterstützung und Versorgung zu bleiben.

Außer durch die Fortpflanzung von Geschlecht zu Geschlecht, wirkt aber auch das Fantentum mit bedenklicher Macht wie eine ansteckende Seuche nach Außen. Mehr als einmal haben namentlich. Sköierdirnen Einzelne geradezu verlockt, sich in ihre Gemeinschaft zu begeben; Andere haben wieder von selbst in der Genossenschaft dieser Landstreicher den Trost und die Hilfe gesucht, die sie sich in der besseren Gesellschaft verscherzt hatten. Es liegt ganz unleugbar ein gewisser Zauber über dem geheimnisvollen, herumstreifenden Leben und hat dieser Viele verführt, gleich dem Irrlichte, welches mit seinem falschen Scheine den Wanderer in den bodenlosen Sumpf lockt. Die Fanten selbst erzählen häufig, dass sich Predigertöchter dermaßen in schöne Sköierbursche verliebten, dass sie mit ihnen vom Herd der Eltern flohen und sich willig der Horde einverleibten. Die Quenshorde, eine der bedeutendsten der Gegend von Romerike, verdankt einem schönen kräftigen Bauerssohne — der sich als Soldat in eine Tochter der „Steffenshorde", einer der ältesten des Landes, derart verliebte, dass er seine Dienstpflicht und sein Eigentumsrecht vergaß und ihr durch Wälder und Einöden der verschiedensten Distrikte nachzog — ihren Ursprung; auch die Valdershorde hat eine Stammmutter „Ola vom Dorfe“, die nur ein romantisches Verhältnis aus guter Lage in das Fantentum zog, in welchem sie, bald naturalisiert, eine Menge echter Fanten gebar. Aber nicht die Liebe allein ist der hierzu treibende Beweggrund. So steht das Faktum beglaubigt fest, dass noch kürzlich in Birkrin, Annex des Kirchspieles Helleland im Stifte Christianssand, eine höchst besonnene und ehrbare Bauersfrau willenlos von den geheimen Mächten des Fantentums bestrickt wurde. Sie hatte eine, sie bettelnd belästigende Horde mit gerechtem Unwillen und bösen Worten fortgewiesen; einer der Unverschämtesten hatte im Weggehen, nach dem Aussprechen mystischer Worte, höhnend geäußert, dass es nicht lange dauern solle, so würde sich ihr eben kundgegebener Zorn gegen das Fantenleben in heiße Liebe zu demselben verwandeln. Furcht und Aberglauben ließen die arme Frau sich stets derselben Worte erinnern und über deren Sinn nachgrübeln, bis ihr Geist so unruhig wurde, dass sie endlich ihren Mann, Kind und Herd verließ und tatsächlich die Horde aufsuchte, von der sie zu fühlen behauptete, dass dieselbe jetzt ihre Seele in der Gewalt hätte. Erst später und mit vieler Mühe und Sorge wurde sie dahin gebracht, ihren alten Platz wieder einzunehmen.

Ein weiteres Feld, auf dem sich der Nachwuchs der Fanten findet, ist die mit Trägheit und Lieblosigkeit gepaarte Armut der Landstädte und Dörfer, die ihre Kinder wild und untätig aufwachsen lässt, um durch Betteln, das Öffnen von Straßen- und Waldgattern u. s. w. sich den Lebensunterhalt zu verdienen. Nicht selten findet man Landstreicher, die als Kinder, selbstständig und losgelöst von Heimat und Familie, einer Horde nachliefen und sich ihr gesellten.

Neben diesen ächten und naturalisierten Fanten der bereits geschilderten Klassen gibt es aber nun auch noch eine bunte Mannigfaltigkeit sich im Lande bewegender Gruppen von Herumtreibern, die, wenn auch scheinbar einem Erwerbe nachgehend, mehr oder weniger Tagediebe sind, da ihre ganze Lebensweise sie leicht von den Sitten eines ansässigen und arbeitsamen Daseins zu den Verwilderungen einer Wanderexistenz fortführt. So werden mit kastenartiger Abgeschlossenheit die niedrigen Erwerbszweige der Korbflechterei, Besenbinderei, der Tassenschneiderei (d. h. des Drechselns ganz einfacher, hölzerner Schalen), und des Lumpensammelns, von ganzen Familien und von Generation zu Generation, wandernd betrieben. Eine der größten Sonderbarkeiten norwegischer Sitte ist hierbei, dass, während alle diese Gewerbe durch die Beschaffenheit ihrer Handhabung zu der Verbrüderung mit den Fanten führen, eine so nützliche und notwendige Hantierung, wie die der Reinigung der Schornsteine, als unrein und unehrlich angesehen wurde und wird. Die Verachtung, mit der die armen Essenkehrer betrachtet wurden, die höhnenden Urteile und der Widerwillen , denen sie sich stets ausgesetzt sahen, gingen natürlich schließlich in ihr eigenes Bewusstsein über, und schlossen die Familien, in denen das Gewerbe sich vererbte, noch schroffer als andere Gewerbekasten ab. Da selbst der liederlichste Fant noch mit stolzer Selbstbefriedigung und achselzuckendem Hohne mit dem Finger auf sie deutet und sagt: „Es sind nur Schornsteinfeger aus Hedemarken”, — wo der höhere Wohlstand des Volkes durch Aufführung großer, mehrstöckiger Gebäude sie nötiger und daher häufiger macht, als anderswo — so ziehen sie sich ganz auf sich selber zurück und fallen — von ihren Frauen und Kindern auf ihren Arbeitszügen begleitet und überall ein Gegenstand der Furcht der kleinen Kinder und der Verachtung der Erwachsenen — selbstverständlich leicht der Bitterkeit und dem Hasse anheim, die dann zu Trunksucht, Ausschweifungen und Exzessen führen.

In großer Zahl treten auch die „fechtenden Handwerksburschen" auf, die das Landvolk mit dem deutschen Worte „Gesellen" bezeichnet und von den Fanten in ihrer Anschauung scharf absondert, wennschon sie eigentlich nichts Anderes sind, da sie nicht Arbeit suchen, sondern die Bettelwanderungen als Nahrungsweg ergriffen haben. Es sind viele Ausländer, selbstverständlich in erster Reihe Schweden, nächstdem aber auch Deutsche, darunter, und repräsentieren sie jedes denkbare Gewerk. In ihrer äußeren Unterscheidung sondern sie sich leicht erkennbar vom Fantentum ab, da der lange Rock, der Ränzel und Wanderstab das notwendige Requisit der übernommenen Rolle sind. Neben ihnen her wandern auf den großen Straßen des Landes — ebenfalls in gleichmäßiger Tracht, welche sich kennzeichnet durch runde Jacke oder Pijäck, Segeltuchhose, Seemannshut und einem, statt des Ränzels aus einem bunten Taschentuche gebildeten Beutel, stets an einem Stocke über der Schulter getragen — abgelohnte Matrosen, vorzugsweise schwedischer Nation, und endlich entlassene Soldaten der kleinen norwegischen stehenden Truppe, die sich auch von den Handwerkern durch den mangelnden Ränzel und den ihn ersetzenden Taschentuchbeutel unterscheiden lassen. Wieder eine andere, dem Fantentum verwandte Branche von Reisenden bilden die, mit der Bezeichnung „kunstmäßige Komödianten“ von dem Landvolke geehrten Gaukler, die durch das ganze Land ziehen und für ein oder wenige Schillinge Herkules-Künste und Jongleur stücke aufführen, Vorstellungen in der großen und schwarzen Magie geben, Kosmoramen zeigen und, alle Thaler heimsuchend, die Jugend belustigen, auch oft genug das reifere Alter durch ihr Gaukelspiel in Verwirrung setzen. Ihnen sind in neuester Zeit eine größere Anzahl deutscher Leiermänner und selbstjunge und alte Italiener, meist Lombarden und Genueser, mit Zithern und Meerkatzen und anderen kleinen Tieren zuzufügen. Mehr als diese alle, fordert aber das Mitleid heraus und erregt die teilnehmende Wehmut des gutherzigen niederen Volkes die große Menge von Blinden und Taubstummen, welche arbeitsunfähig, weil unversorgt und unausgebildet, neben den eigentlichen Fanten einherschreiten und, mit mehr Recht als diese, zur Linderung ihres harten Geschickes einen nicht unbeträchtlichen Bruchteil des öffentlichen und privaten Vermögens in Anspruch nehmen. Herzzerreißend ist ebenfalls noch der Anblick einer übergroßen Zahl Geistesgestörter im ganzen Norwegen; überall finden sich Schwachsinnige und alle Stufen des Wahnwitzes bis zur Raserei — traurige Zeugen der kargen Natur und des barschen Klimas, welche so oft sowohl die körperliche, als auch die geistige Kraft des Menschen brechen — in dem nordischen Gebirgslande. Viele von den nur halbnärrischen Menschen haben jedoch noch hinreichenden Verstand sich närrischer anzustellen, als sie es wirklich sind, und benutzen ihr entsetzliches Unglück dazu sich, ihres Unterhaltes und materieller Genüsse halber, zu Sündenböcken und Zielscheiben des rohen Witzes und der Belustigungen Anderer, des ansässigen Landvolkes sowohl, als auch oft der echten Fanten, in deren Begleitung sie ziehen, zu machen. Sie wissen es sehr wohl, dass man über sie lacht, ihnen zu essen und zu trinken, auch wohl gelegentliches Obdach gibt und sie ruhig weiterziehen lässt, und machen sie so einzelne Bezirke und Stifte, ja selbst das ganze weite Reich zu ihrer Versorgungsanstalt.

Noch eine eigentümliche, höchst sonderbare Erscheinung, von der es jedoch nicht zu sagen, ob sie direkt dem Fantentume entsprossen ist oder ob sie neben demselben entstand und nur durch eine gewisse Verwandtschaft Eingang in dasselbe fand, ist die Bildung einer eigenen Sekte von Schwärmern, ebensowohl Männer, als Frauen, die, neben ganz gewöhnlichen Fantenstreichen ein besonderes Unwesen treibend, meist wie ächte Fanten sich ganz heimatlos im Lande umhertreiben. Sie umgeben sich mit einer schwärmerischen Heiligkeit und erschrecken und berücken das frommgesinnte, niedere Landvolk mit einem seltsamen Galimathia8 von verdrehten Quäkerlehren und selbsterfundenen Geschichten und Offenbarungen. Fragt man sie nach ihrem Namen, ihrer Herkunft, ihrem Zweck oder dergleichen, so antworten sie stets: dass sie von Gott seien, Gottes Kinder hießen, bei Gott zu Hause seien, zu Gottgingen und dergleichen mehr. Von Gott behaupten sie den Auftrag zu haben, im Lande rastlos umherzuziehen, die Rückkehr zum Guten zu predigen und das Gericht zu verkünden. Alles was zum Beamtentum der Kirche und Schule gehört, erklären sie für Kinder des Satans, das äußere Kirchenwesen, die Sakramente und das geschriebene Wort verspotten sie als Werke des Teufels. Was sie aber vorzugsweise dem Typus der echten Fanten nähert, ist das Verwerfen jeder körperlichen Arbeit, die sie als Tat des Fleisches von sich weisen müssten, da dieselbe der Sünde direkt dienstbar mache. Zum Beweise dieser Sätze führen sie eine reichliche Menge von, allerdings oft arg verdrehten und entstellten Bibelsprüchen an, die sie jedoch nicht aus der Schrift, sondern durch unmittelbare Eingebung Gottes erhalten haben wollen. Oft predigen sie mit schlagender Kraft und eindringlicher Weise in höchst eigentümlicher Art, nämlich: ihre Augenlider fest zusammenpressend, heiße Zährenströme vergießend, nicht selten unter konvulsivischen Zuckungen, und ihre Worte mit unaufhaltsam fließender Zunge und einem seltsamen, ganz ungewöhnlichen, nur ihnen eigenen Klange hervorstoßend. Wo man ihrer auch im Lande antrifft, sind sie überaus gleichmäßig in ihrem ganzen Wesen und Benehmen, was deutlich einen gemeinschaftlichen Ausgangspunkt und gewissen gegenseitigen Zusammenhang beweist. Ob wirklich Schwärmer und einer Überzeugung angehörend, ob als bewusste Betrüger einem selbstsüchtigen Zwecke folgend, jedenfalls verbreiten diese Kinder Gottes, auf ihren beständigen Predigttouren durch das ganze norwegische Land hin und her, mit ihrer wunderbaren Mischung von Halbwahrheiten und verderblichen, unsinnigen Lehren in weite Kreise ein Gift, welches, wirkend, dem Fantentume zu Gute kommt. Ihr Treiben setzt um so mehr die Obrigkeit in Verwirrung und Verlegenheit, als sie mit Standhaftigkeit und ekstatischer Entsagung allen Einwendungen, Drohungen, Verlockungen und selbst harten Strafen und äußeren Schmerzen einen so unüberwindlichen Widerstand entgegensetzen, dass man fast an eine feste Überzeugung und frohe Entzückung über ein Märtyrertum, oder auch an eine stärkende Beherrschung durch fixe Ideen glauben möchte.

Dies wäre so ziemlich erschöpfend das bunte Bild wiedergegeben, welches Eilert Sundt in dem Gewühle der Märkte, auf den großen Landstraßen, den versteckten Waldwegen, in den friedlichen, fruchtbaren Tälern und den wilden Felswüsten Norwegens fand und mit Eifer durchforschte, um dem darin entdeckten Elende Abhilfe zu schaffen. Gewiss war es überraschend, den braunen Kindern des fernen Südens dort zu begegnen, nicht minder überraschend aber, auf so eigentümlich verwilderte Kinder des Landes zu stoßen, wie es ihm mehrfach geschah. Welches Erstaunen erregt nicht verdienterweise die Tatsache, dass vor wenigen Jahren eine kleine Sköierhorde, die wegen Umhertreibens und Müßigganges eine längere Haft bei Wasser und Brot zu erdulden gehabt, im Spätherbste das Gefängnis zu Lesja verließ, um über die Bergpfade nach Sundalen im Stifte Throndhjem zu wandern; auf welchem Wege, der eigentlich nur in der höchsten Sommerzeit zu begehen, im Unwetter eines der Weiber vor Ermattung umsank und starb , und zwar mit einem Zwangspasse, um im Stifte Throndhjem, ihrer Heimat, die Taufe und den ersten christlichen Unterricht zu empfangen, in der Tasche. Kaum weniger wunderbar, als dieser Tod einer wahren, eingeborenen Heidin inmitten des christlichen Landes, war die Auffindung eines Mannes mit zottigen Haaren, starkem rotem Barte, einem unmenschlich großen Munde und kräftigem, knochigem Körperbau, der seit vielen Jahren in einer vollkommen menschenleeren Gebirgswüste eine Höhle am Fämundsee bewohnte und, ein wahrer Troglodyt, vom Fischfange und gelegentlicher Bettelei lebte.

Um sich einen Begriff von der Größe der Belästigung zu machen, welche nicht die Not, die mit Berechtigung sich der Mildtätigkeit zu Füssen legt, sondern der Müßiggang, die Torheit und das Laster, der Neid, die Missgunst und die Unverschämtheit dem Fleiße und der Ordnung dadurch auferlegen, dass sie sich bittend und fordernd in den gesitteten Kreis eindrängen, ließ Eilert Sundt in verschiedenen Pfarrhöfen bei Vinger und Christiania, und in Birid — einem der hervorragendsten altnorwegischen Herrensitze am Mjösen See, wenige hundert Schritte von der großen Straße, welche die Fanten gern von Nord nach Süden und von Süden nach Norden durchziehen — nach einem gegebenen Schema Listen über die einsprechenden Herumtreiberklassen, Männer und Weiber, Junge und Alte, wie sie in dieser Darstellung geschildert, ausfüllen. Es ergab sich hierbei, dass von außerdistriktlichen Bettlern, mit überraschender Übereinstimmung in den verschiedenen Bezirken, durchschnittlich sich täglich Einer einfand. Meist waren dies einzelne Personen des losen Fantentums, wenn wir uns dieses Ausdruckes bedienen dürfen, indem die eigentlichen Sköier und namentlich die Tater, die noch in Horden ziehen, sich am Liebsten in den ärmeren und volksleeren Distrikten halten und so der Aufnahme in diese Listen entgingen.

Also täglich mindestens einmal muss der Kettenhund aus seiner Hütte fahren, um diese, ihm mit großem Rechte verdächtigen, oft zerlumpt und elend aussehenden Fremden anzubellen; tagtäglich muss die Hausfrau Speise für sie bereiten und, des Anscheins halber, auf ihre in Heuchelei herausgestammelten Dankesworte hören, um, wenn sie endlich gehen, scharf nachzusehen, ob sie nicht noch Etwas gestohlen haben, ehe sie sich auf den Weg machten.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Vagabundentum und Wanderleben in Norwegen