Das Fantentum und die Sköier

Oft unterbricht seit Menschengedenken die Einsamkeit und Stille der norwegischen Wälder wüster Lärm und wildes Geschrei. Über die Berge und Täler getragen dringt das Getöse in die benachbarten Wohnsitze, erschreckt die Weiber und Kinder bis zu lautloser Untätigkeit und jagt die Männer, mit Stangen und Stricken versehen, von ihren Arbeitsplätzen hin zu dem Orte, der sich ihnen leicht als Ursprung desselben verrät. Sie finden einen in heißester Wut entbrannten Kampf, an dem sie sich, ohne nur versuchte Ergründung der Ursache und ohne eine bestimmte Parteiung zu beweisen, mit kaum geringerer Rohheit, als die der beiderseitigen Gegner, beteiligen, um dieselben zu trennen und oft selbst unter argen Misshandlungen zu fangen. Sind doch die Kämpfenden nur die verachteten „Fanten"!

Wer aber sind diese in einzelnen Scharen von Frauen und Kindern begleiteten wüsten Gesellen? in deren Seelen der Hass und Neid gegen das sesshafte Volk wohnt und in Rückwirkung dessen Feindschaft und Verachtung weckt, ja, in deren Gemütern selbst der Unfrieden hell aufflammt, wenn sie sich und ihresgleichen unerwartet auf ihren verborgenen Pfaden treffen, so dass sie, auf einander losschlagend, durch ihr Geschrei und Geheul den gemeinsamen Feind herbeirufen? Es ist ein eigentümliches Geschlecht, ein Volk düsteren Ansehens. Wohl hat es einst bessere Tage gesehen, in denen es heiter und froh war und mit leichtem Sinne den schwierigen Pfad des Lebens beschritt; jetzt aber ist es alt und müde und über seine Erinnerungen legte sich ein so dichter Schleier, dass es selbst nicht mehr im Stande ist eine genügende, zusammenhängende Erklärung seines Ursprungs, seines Strebens und des Zweckes seiner Wanderungen zu geben. Laster und Verbrechen entstellen sein Antlitz, und wenn auch nicht alle Züge der Anmut von demselben verwischt sind, entbehrt es jedoch jener Schönheit, die gleichzeitig anzieht, überwältigt und Achtung gebietet, weil sie von Geistesreinheit und edlem Mute Zeugnis ablegt. Es hat sieh überlebt, zersetzt durch Aufnahme fremder und noch dazu meist unreiner Elemente und es scheint ihm sein heimatloses umherirrendes Dasein nur gefristet, um ein warnendes Bild des tiefsten Elends aufzustellen, in welches der Mensch versinken kann.


Über den Ursprung und die Herkunft des, nomadisierend unter der übrigen Bevölkerung Norwegens herumziehenden Geschlechtes sind Gelehrte und Volk seit Jahrhunderten uneins, eins aber in der Überzeugung, dass es Fremdlinge unter der heimischen Menge jederzeit gewesen, die den Stamm dieses Geschlechtes bildeten. Man hatte schon früh eine eigentümliche, von der allgemein herrschenden sichtlich abweichende Ordnung, sowie gegenseitigen Zusammenhang unter den einzelnen Schaaren der Nomadisierenden erkannt und dadurch eine eigene Nationalität vermutet, der man als Volksnamen den Ausdruck „Fant" beilegte. Von dem altnordischen Worte „fantr" abstammend, unterlag das Wort in Norwegen vielfach geänderten Deutungen. Ursprünglich Waffenträger der Ritter bezeichnend, ging es im Mittelalter auf alle Diener und Boten in Begleitung vornehmer reisender Herren, namentlich der Geistlichen, über und erhielt sich noch in diesem Sinne als bäuerliche Bezeichnung für diejenigen Bürobeamten, die den Sorenskriver, den geschworenen Richter der 64 Untergerichte Norwegens, auf den Thingreisen begleiten. So schlich sich denn nach und auch die Bedeutung eines Reisenden, Fremden, in das Wort ein und verknüpfte damit die Vorstellung von etwas Ungewöhnlichem, Unergründlichem, Unzuverlässigem; auch in der Volkssprache verdrängten die Veränderungen der Zeit die Hauptbedeutung des Wortes und ließen es nur für die Nebenbedeutungen gelten, vervielfältigten es aber in dieser Richtung, so dass es eins der beliebtesten Schimpfworte des Pöbels in ganz Norwegen wurde. Macht sich Jemand durch irgendetwas lächerlich oder missliebig, so erhält er den Namen von dieser Eigenschaft mit dem angehängten: „Fant". Der Aberglaube fasst alle übernatürlichen Begebenheiten und Mysterien der Zauberkunst unter der Bezeichnung „Fanterie" zusammen. Unzuverlässigkeit und Unredlichkeit, aber auch unverschuldete Armut, Treulosigkeit und Versprechensbruch, Flucht aus gesetzlichem Dienstverhältnis und noch viel mehr desgleichen wird mit „Fant sein" oder auch „fantegehen" bezeichnet. Der Gebrauch dieses Wortes ist manchesmal das Signal zu blutigen Schlägereien, wird aber andererseits wiederum so häufig angewendet, dass es unter Umständen seine Kraft verloren hat und, ohne Anstoß zu erregen, als scherzende Ansprache unter den besten Freunden gebraucht werden kann.

Die Anwendung als Volksname deutete wohl ursprünglich auf die nicht verborgen gebliebene Eigenschaft dieser Scharen, stets auf Reisen und überall fremd zu sein. Als aber das Bestehen und Aufrechterhalten einer gewissen Ordnung bei denselben erkannt wurde und sich die herumstreifenden Müßiggänger nicht als völlig loser Haufen herausstellten, sondern als vollständige Familien zeigten, die sich nur außerhalb des übrigen Volkes von Generation zu Generation fortpflanzten, da wurde der Ausdruck „Fant" die Bezeichnung einer besonderen Kaste. So einmal angewendet, wurde er von den damit bezeichneten Menschen selbst für ihre Beziehungen zu dem übrigen norwegischen Volke gebraucht und bezeichnete Fant nun einen von der herumstreichenden Mutter, etwa unter einem Busche oder unter einem Holzschuppen geborenen Sprössling, der als Säugling auf dem Rücken der Mutter und dann später, ihr folgend, auf der Landstraße aufwuchs, um frühzeitig in einer dieser Horden die, gleich ihm an der Hand der wandernden Eltern herangezogene Genossin zu finden. Mit derselben und der gemeinsamen Nachkommenschaft — einer Schaar schon ergrauter Kinder und rascher, kräftiger Enkel und auch deren wohlgediehenen Kleinen — sammelt er sich oft um einen, ihnen allen widerspruchslos gebietenden Altvater oder eine Altmutter. Treibt Leichtsinn, wie es oft geschieht, tief gesunkene Mitglieder der ursprünglich besseren Gesellschaft in die Reihen der Fanten, so erhalten dieselben wohl auch deren Namen, doch jederzeit mit irgend einem bezeichnenden Zusätze, welcher daran erinnern soll, dass sie, nach dem allgemeinen Ausdrucke: „vom Volke hergekommen sind”, das heißt, von ansässigen norwegischen Leuten abstammen; sie sind also gewissermaßen nur naturalisierte, keine ächten Fanten. Zwei besondere Züge verbinden sich auch noch mit dem Ausdrucke Fant als Volks oder Kastenbezeichnung, die charakteristisch genug für seine richtige Anwendung sprechen. Einerseits die, durch Erfahrung bis in die neueste Zeit fast überall bestätigte Annahme, dass der Fant ohne Taufe, fern von der im Lande herrschenden Religionsgesellschaft bleibt, andrerseits sich aber in eine Horde, Bande oder Schaar eingeordnet hat, die mit ihresgleichen wieder eine eigene Gesellschaft bildet und auch eine eigene, jedem Nichtfanten fremde und unverständliche Sprache zu reden weiß. Alle üblen Eigenschaften, welche dieser herumstreichenden Kaste anklebten — durch welche sie einen höchst unvorteilhaften Einfluss auf die Stimmung der gastfreien großen Menge gegen fremdländische Reisende ausübten und, an Stelle früherer Leichtgläubigkeit und Gutmütigkeit, bei denselben oft Furcht und Verdacht anregten — verschmolzen nun wieder zu dem Begriffe von etwas Verdächtigem und Unheimlichem, der sich unlösbar mit der Bezeichnung Fant für diejenigen verband, die sich durch ihre Geburt als solche erwiesen. So wurde — nachdem die Fanten erst einmal ihren Weg in die wildromantischen Täler gefunden und zum Schrecken und Verderben der, in den menschenarmen Gegenden zerstreut und einsam wohnenden Bauerfamilien, dieselben wiederholt durchzogen — schon der bloße Name ganz allgemein als Schreck und Drohwort für ungezogene, schreiende kleine Kinder gebraucht. In dem Ammenrufe: „Wenn Du nicht still wirst, kommt der Fant und holt Dich!" erhält das Wort also fast dieselbe Bedeutung mit dem ihm so nahe klangverwandten „Bösen" dem „Fand" (Teufel) selbst.

Aus diesen Gründen ist es daher nicht überraschend, dass die Landstreicherkasten, in Übersehung der ursprünglich besseren Bedeutung, die Benennung „Fant" sehr übel nehmen und dass die große Menge im direkten Verkehr mit ihnen sich anderer Bezeichnungen, meistens den ihnen eigentümlichen Hantierungen entlehnt, bedient. In einzelnen Gegenden der Stifte Bergen und Trondhjem existieren aber auch nebenher Bezeichnungen gleich dunklen Ursprungs, wie z. B. Splinter, Fusser, Farker, die ganzgenau dem Ausdrucke Fant in allen seinen Beziehungen und Anwendungen auf die Kaste entsprechen. Sie selbst aber wenden häufig auf sich im Verkehr mit den ihnen nicht Angehörigen Namen an, die sich auf ihre seltsame, ruhelose Lebensweise beziehen und nennen sich: „Streicher"; „Läufer"; „Fahrende"; „Schweifende" und vorzugsweise: „Stableute" *) und „Zögernde" **).

*) Stavkarle. Von Stav (Wanderstab) und karl. (Mann).
**) Trae-dragere. Von traet (müde, langsam) und drage (ziehen, wandern).

Dass die Fantenhorden übrigens eine nicht unbedeutende Rolle im Volksleben schon vor der Erwähnung des norwegischen Bischofs Pontoppidan gespielt, beweist eine weitverbreitete Sage, nach der die Bauern in alten Tagen Haus und Scheuer Tag und Nacht offen stehen lassen konnten, aber von der Zeit ab, wo die Fanten ins Land kamen, Schloss und Riegel vor ihre Türen legen mussten. Außerdem erhält sich im Gedächtnis des Volkes manche Erinnerung an berüchtigte Fanten und ihre Taten; wie man auch die einzelnen Banden nach ihren Stammbäumen sechs und mehrere Glieder weit hinaufzählen kann. Woher aber kamen diese fremdartigen Wanderer, die sich so hohe Aufmerksamkeit zuzogen, dass sie in die Tradition und Sage übergingen, und die nicht in den einzelnen, sondern in allen Distrikten fremd erschienen? Sitten, Lebensweise und ihre dem Uneingeweihten völlig unverständliche Sprache stempelten sie unzweifelhaft als Ausländer; ein spezielleres Vaterland gaben ihnen aber in den verschiedenen Distrikten, die verschiedenen Beziehungen zu fremden Nationalitäten. So stempelte in Thelemarken die Erinnerung an deutsche Bergleute, die, durch Christian III. in das Land gezogen, von der Arbeit in den Bergwerken in die Wälder entwichen waren und sich auf Räuberei geworfen hatten, sie zu sogenannten „Wilddeutschen"; wie denn auch noch heut ein Kauderwelschen, in einer dem Nichteingeweihten unverständlichen Weise, mit fast allgemeinem Volksredebrauch „tydske" oder „deutschen" genannt wird. Allgemeiner ist aber die Annahme eines „finnischen" Ursprungs der Fanten, denn seit Arilds Zeiten haben die Finnen in der Phantasie der Norweger den Reiz eines geheimnisvollen Zaubervolkes besessen, und die Ausübung magischer Künste und die mancherlei mystischen Mittel für Wohl und Wehe des Viehs (die anzuwenden und zu verwerten die Fantenweiber vorzugsweise lieben) machten es natürlich, dass mit dem Erbe der abergläubigen Vorurteile grauer Ferne auch der Wahn eines gemeinsamen Ursprunges mit den wirklichen Finnen auf diejenigen Fanten übertragen wurde, die jetzt die dämonischen Künste jener ausüben.

Die. hier entwickelte Volksansicht war bis vor wenigen Jahrzehnten das Allgemeine und Einzige, was man über diesen Auswurf der norwegischen Bevölkerung wusste und lies man sich dabei begnügen; hatte es doch weiter kein Interesse, dem Ausschuss der, dem Lande eigentümlichen, niedrigsten Volksklassen bis zu seinem Ursprünge nachzuspüren. Erregte die häufige, jedoch stets zufällige Begegnung einer wandernden Fantenhorde oder Familie durch den Anblick der fremdartigen Gestalten mit den schwarzen Augen und dunklem Teint, den wirklich orientalischen Gesichtern, die nicht ganz vereinzelt unter denselben zu finden sind, auch momentane Verwunderung, so erweckte dieselbe doch eben nur in dem Gebildeten die Erinnerung an die dunklen Sagen von Zigeunern, die in alten Tagen aus dem fernen Osten auf abenteuerlichen Zügen sich in die höher zivilisierte Welt gewagt haben sollen, man bekam aber darum noch nicht Lust sich mit diesem „Pack" einzulassen. Erst 1845, fast ein Jahrhundert nach der einzigen literarischen Erwähnung derselben durch Bischof Pontoppidan, erlies das Regierungsdepartement, beinahe zufällig auf das Unwesen der Fanten aufmerksam geworden, die Vorschrift: bei der bevorstehenden Volkszählung durch Anlage besonderer Rubriken Aufklärungen über die Zahl, die Namen, die Lebensweise und Verhältnisse der Horden sowohl, wie der einzelnen Mitglieder derselben, zu beschaffen. Hierdurch wurde allgemeine Aufmerksamkeit auf dieses Nationalübel, das für viele , nicht aus den Städten herausgekommene Norweger etwas völlig Neues war, gerichtet, und die Tagespresse wiederhallte eine Zeit lang von Verwünschungen über die so tief eingewurzelte Ruchlosigkeit inmitten der sittlichen, christlichen Bevölkerung eines zivilisierten Landes. Bei den gewonnenen dürftigen Resultaten dieser Zählung wurde aber gerade dasjenige, was zur Erklärung und milderen Beurteilung des plötzlich zu Tage getretenen Ungeheuren dienen kann , nämlich , dass die Fanten lange Zeiten hindurch von Geschlecht zu Geschlecht zusammen und im geheimnisvollen Kastenwesen gelebt haben und so sich selbst von dem wohltätigen Einfluss der zivilisierten Welt absonderten, beinahe völlig übersehen. Der Zug, der hier gerade vom größten Interesse ist, dass die Fanten unter sich eine fremde Sprache reden ist nur beiläufig und in einem einzigen Falle bemerkt, so dass sich der Wahn immer mehr befestigte: die Fanten seien ein, in früheren Zeiten zusammengelaufenes loses Volk, ausgestoßen oder freiwillig ausgeschieden aus der Gemeinschaft der zivilisierten Gesellschaft, gleichsam ein Ausschuss der, dem Lande eigentümlich angehörenden niederen Volksklassen, — vermischt mit flüchtig aus Schweden die Grenze überschreitenden Verbrechern und Landstreichern, mit verlaufenen „Wilddeutschen" und verarmten und entarteten Finnen — deren geheimnisvolle Sprache, wenn sie wirklich vorhanden, höchstens eine Diebssprache sein könne, von ihnen selbst erfunden zum Schutz und Trutz gegen das Gesetz und dessen Wächter.

Noch selbst in dem allgemeinen Glauben befangen, fand im Jahre 1847 der damalige Kandidat der Theologie, Eilert Sundt, bei einer Tour durch das westliche Norwegen, Gelegenheit Vieles über die ihn interessierenden Fanten zu hören und suchte er sie, durch sein reges Interesse für das eigentümliche Volk bewogen, noch im selben Herbste in ihren sonst gemiedenen Schlupfwinkeln auf und trat tatsächlich mit ihnen — wenn auch nicht in ihrem freien und natürlichen Zustande, sondern in Arbeits- und Besserungshäusern — in einen näheren Verkehr. Auf seinen Bericht hin erhielt er, seinem Ansuchen gemäß, aus der Staatskasse die Mittel zu einer zweiten Untersuchungsreise, um weitere Aufklärungen über die, durch ihn in ein ganz neues Licht gesetzten Verhältnisse und Sitten des Fantenvolkes herbeizuschaffen. Diese Reise ergab ein höchst merkwürdiges und fast unglaubliches Resultat. Er trat dieselbe im Sommer 1848 an, zog von Christiania aus durch Romerike, und wurde hier, da die Fanten den Sommer über nach Norden zu ziehen pflegen, gegen Kongsberg gewiesen. Einzelnen Winken und Ratschlägen folgend, ging er von hier zu den Finnen in den Solöer Finnwald, fand aber auch dort keine Fanten; man wies ihn überall weiter nach Norden, nach Osterdalen und seinen Seitentälern und von dort wieder weiter weg. Aller Orten kannte man wohl die Fanten, aber Niemand wollte wissen, wohin sie gehörten und in welchem Distrikt sie zu finden. Auf solche Weise kam er dann über Throndhjem durch die Innenharden an den Namdalsfjord , von wo er, umkehrend, wieder über Throndhjem durch die Küstenstriche nach Moide, durch Romsdalen und Gudbrandsdalen an den Mjösen, dann über Vardal und Sand an den Randsfjoid und durch Ringerike nach Christiania zurückkehrte. Nirgends hatte er Fanten in ihren Schlupfwinkeln oder Nestern gefunden , wohl aber durch fleißiges Gespräch mit Volk und Beamten, genauere Kenntnis über das Wesen derselben erlangt. Die Skydsjungen und die Häuslerfrauen sprachen, je nach ihren Charakteranlagen, lang und breit mit ihm darüber oder gaben im schlimmsten Falle doch kurze Andeutungen über die wunderbaren Gaben , die jenes Volk besitze und die es vorzugsweise dazu befähigten, Vieh und Leute zu kurieren; auf den reicheren Bauerhöfen kannte man sie als Bettler von grenzenloser Unverschämtheit; die Finnen schilderten ihr umherstreifendes Fischerleben längs der Gebirgswasser; die Strandbewohner ihre Seeräuberzüge zwischen den Inseln; die Fährleute berichteten von jährlichen oder periodisch wiederkehrenden Zügen hin und her; die Bezirkswächter klagten über sie als halsstarrige, schwer zu bändigende Leute; die Totengräber aber und andere Kirchenbeamte äußerten ihre Bedenken über ihr Verhalten in religiöser Beziehung und hoben vorzugsweise das, allerdings auch als besonders befremdend in die Augen springende Faktum hervor, dass sie sich nicht entsinnen könnten , dass jemals ein Fant ihnen zum Begraben in christlich geweihter Erde übergeben worden sei. In den Brandweinschenken, namentlich in der Throndhjemer Gegend, und in den einsamen Waldschenken, wo sie sich als Gäste und gute Kunden zeigten, entschuldigte man ihre Fehler und lobte man auch wohl einmal ihre Tugenden, wohingegen die Sennhirtinnen große Angst vor ihrem Übermute und ihren Gewalttätigkeiten äußerten.

Wohl mussten solche sich widersprechende Urteile Eilert Sundt verwirren, um so mehr, als es ihm immer noch nicht gelungen war in ihrer Freiheit persönliche Berührung mit ihnen zu finden; aber er hatte doch das bestimmte Resultat von etwas Eigentümlichem im Dasein dieser verwilderten Menschenschaaren, die ein, mit gerechtem Unwillen fast vom ganzen norwegischen Volke betrachtetes Übel der gesellschaftlichen Verhältnisse seit Jahrhunderten bilden, gewonnen, gegen welches ebensowohl die vielfach angewendete, gerechte und kräftige Strenge sich, wo sie nicht das Schlimme noch verschlimmerte, unnütz erwies, wie andererseits moralische Mittel und die ausdauerndsten, liebevollsten und wahrhaft menschenfreundlichen Bestrebungen sich später als fruchtlos verschwendet zeigten. Dies schreckte aber den geistlichen Forscher nicht ab, entflammte vielmehr seinen Eifer zu einer Art Leidenschaft, klar zu werden über diese Fantenkaste, die, für ihr eigengeartetes Dasein kämpfend, ihm nicht als gewöhnlicher Auswuchs des Volkslebens erschien, sondern von der er vielmehr überzeugt war, dass sie ihre Wurzeln tief in die Vergangenheit schlug. Seinen ernstlichen Bestrebungen gelang es denn endlich auch, in vielfache persönliche Berührung mit denjenigen zu treten, deren körperliche und geistige Not, zu ihrem eignen und seines Vaterlandes Bevölkerung Wohle, er abhelfen wollte und gewann er hierdurch so interessante Daten , dass er durch Erzählungen und Schilderungen ihres fremdartigen Lebens die Gebildeten Norwegens veranlasste, gleichfalls einen forschenden und wohlwollenden Blick in diese niedrige Welt zu werfen. Ihm wurde, selbstverständlicher und gerechter Weise, die Leitung aller von ihm vorgeschlagenen Schritte zur Abhülfe gegen das Nationalübel, gegen welches er vom Storthing bewilligte Staatsmittel verwenden durfte, übertragen, und er sieht jetzt — nach zwei Dezennien auf rauem, dornenvollem Pfade, ohne je Mühe, Beschwerden und harte Arbeit geschont zu haben — sich und seine Helfer dem schönen Ziele entgegengehen, die Fanten aus ihrem Elende zu retten. Seine gewonnenen Resultate legte er in einem größeren, auf Staatsunkosten veröffentlichtem Werke und in Jahresberichten nieder, in denen er die umfassendsten Aufklärungen über die Menge der Fanten, ihre Verteilung im Lande, ihre religiösen Verhältnisse, ihre Bedürfnisse, ihre Beziehungen zum Volke und zur Obrigkeit , die mannigfaltigen Vorschläge und Versuche zu ihrer Behandlung und leider traurige Beweise über die geringen Erfolge der angewendeten Mittel, die Lage und das Elend dieser niedrigsten Volksklasse zu verbessern, gab und gibt. Aus diesen, der höchsten Bedeutung nicht entbehrenden Arbeiten, welchen Eilert Sundt auch noch zwei Wörterverzeichnungen der nordischen Fantensprache und des westgotischen (norwegisch-schwedischen) Gauner-Dialekts beifügte, ist auch im Einzelnen und Ganzen nachstehende Arbeit entlehnt, in der beabsichtigt ist, ein treues Bild dieser geheimnisvollen Welt außerhalb des gesellschaftlichen Bestandes der norwegischen Zivilisation zu geben.

Nachdem es Eilert Sundt gelungen war durch persönliche Berührung — mit jenen einzelnen Fanten, die er in dem Zucht- und Korrektions-Hause zu Christiania, nicht als büßende Verbrecher, sondern als reife Männer und Greise lediglich zum Empfange des ersten Religionsunterrichtes, der Taufe und Einsegnung, in Haft gefunden hatte — Eins und das Andere zu hören, was zur Erklärung des wunderbaren Rätsels, welches ihr Leben darbietet, dienen konnte, drang er unermüdlich schrittweise im Verkehr mit den unheimlichen Fremdlingen vor und lies sich nicht durch den Zustand der Erniedrigung, in dem er sie fand, davon zurückschrecken, ihnen sein Interesse und seine Liebe zu widmen. Da die Fanten aber, trotz aller Verwilderung und des gedankenlosen Versunkenseins im niedrigen Betriebe der Bettelei und Betrügerei, doch immer Menschen geblieben, erweckte ein solches Interesse für sie das Gegeninteresse, und nachdem die Furcht — dass es sich nur darum handle, die, im Laufe der Zeit und des Zusammenhaltens, in ihrem gesetzlosen Treiben von ihnen bei ihren Diebesstreichen und Gaunereien ausgegrübelten Kniffe und Manieren, die sich im Wege der Überlieferung erhalten haben, zu erspähen und zu erschleichen — überwunden war, lohnten sie die rastlose Mühe des Erforschers dadurch, dass sie sich mit ihm einließen und ihm nach und nach Mitteilungen aber die Gegenwart und Vergangenheit ihres Geschlechts machten, was anfangs — bei dem charakteristischen Hange zum Geheimnisvollen , der ihnen anklebt, und bei der steten Angst vor Verrat — nicht ohne Gefahr und Scheu vor den eigenen Genossen geschehen konnte. Neben ihrem Misstrauen gegen alle diejenigen, die sich ihnen aus besserer gesellschaftlicher Position nahen, ist in ihnen ein gewisses prahlerisches und großsprecherisches Wesen hervorstechend , welches sie sich auch auf das Entschiedenste gegen die Bezeichnung Fanten, Fusser etc. sträuben läset, wohingegen sie „Reisende" heißen wollen, was , nach dem in der Volkssprache diesem Worte untergelegtem Sinne, mit „vornehme Leute" gleichbedeutend ist; wie sie auch jederzeit vorgeben in nichtigen Geschäften, die sie stets bereit sind schnell anzugeben, weitläufige Reisen zu unternehmen. Auch die der Wahrheit entsprechenden Bezeichnungen Pferdeschneider , Kesselflicker etc. nehmen sie übel auf und nennen sich lieber im Allgemeinen „Professionisten”, in jenen speziellen Hantierungen aber am Liebsten „Tierärzte, Kupferschläger" etc. Kommt man endlich in solche Gunst bei ihnen, dass sie das Vertrauen zurückgeben und alles geheimnisvolle Wesen fahren lassen, so erfährt man, dass sie sich nur Fremden gegenüber „Reisende" nennen, aber unter sich den gegenseitigen Erkennungsnamen „Vandringer" gebrauchen. Sie wollen in dieses Wort, dessen Form eine selbstgebildete, nicht nordische ist (sie müsste „Vandringsmänd”, Wanderer, heißen), das Bewusstsein hineinlegen, dass auch sie nur äußerlich und scheinbar dem nordischen Volke angehören, innerlich aber eine andere Stammesgenossenschaft aufrecht erhalten. So sagen sie auch unter sich von einem Dritten: er ist oder ist nicht von „unserem Volke." Der wesentlichste Zug, auf den sie dieses Bewusstsein gründen, ist der Besitz einer eigenen, geheimen Sprache, in der sie miteinander zu reden verstehen. Und tatsächlich ist dies keine erfundene, selbstgebildete Diebssprache, — wie man sie bei diesen rohen, unwissenden Kindern der Landstraße, die in ihrem täglichen Verkehre nach außen hin wohl größtenteils die gröbsten norwegischen Pöbeldialekte zu vernehmen gewohnt sind, zu erwarten berechtigt scheint — sondern eine Sprache, in der sich Elemente des Deutschen und Französischen, Italienischen und Romanischen, Lateinischen und Griechischen, Lappischen, Finnischen, des Russischen und andrer slawischen Sprachen, des Persischen und in größter Menge des Indischen und zwar der alten, ehrwürdigen Mutterzunge desselben, des bewunderten Sanscrit vorfinden. — Der ungeschmälert erhaltene Besitz dieser Sprache wirft aber ein, wenn auch spärliches Licht auf den Ursprung dieses Volkes, und mögen umfassende und gediegene linguistische Studien im Verfolge des, in diesem bunten Sprachgewirre liegenden Fadens wohl hinreichende Andeutungen über die Herkunft und Schicksale desselben geben. Aber auch ohne jedes Studium erhält gerade der Besitz dieser Sprache die alten Sagen über diese Herkunft unter ihnen selbst aufrecht und macht das Bewusstsein eines Unterschiedes zwischen zwei grundverschiedenen Stämmen von Fanten mit verschiedenen Sprachen zum Allgemeingut. Allerdings verschwindet dieser Unterschied täglich mehr und mehr und die Stämme schmelzen vielleicht dereinst zu einer Gemeinschaft zusammen, doch herrscht bisher, wie eben erwähnt wurde, noch das vollste Bewusstsein von der ursprünglichen Verschiedenheit und artet sogar meist zu Hass und Feindschaft aus. Es gibt nämlich einzelne abgeschlossene Fantenfamilien und Horden, die, ihrer eigenen Aussage gemäß, in Folge einer fremden Herkunft sich durch besondere, oft schöne Gesichtszüge, munteres, rasches und man könnte sagen selbst feines Wesen auszeichnen und eine vorzugsweise dunkle Färbung, gelbbraune Haut und schwarze Haare und Augen haben, kurzum eine in den norwegischen Distrikten höchst auffallende Physiognomie zeigen. Sie wollen sich gern vor den Übrigen ihrer Kaste geltend machen und nennen sich „Großwandringer”, deren ehrendes Kennzeichen es sein soll, dass sie, wenn schon sie sich nicht schämen im Pferdehandel und bei der Ausübung ihrer Arzneikunst und Wahrsagergabe eine einträgliche Betrügerei in Anwendung zu bringen, doch die Gelegenheit, sich durch kleine Diebereien zu bereichern mit Verachtung von der Hand weisen, sie ziehen, gesunde und arbeitskräftige Leute, Männer und Weiber, nicht wie die Anderen bettelnd mit Stab und Sack, sondern mit Pferden und Wagen, mit der Peitsche in der Hand und den Hund zur Seite, so recht nach „großer Herren" Art, wie sie es selbst nennen, scheltend und fluchend von einem Ende des Landes zum anderen und über die Grenze herüber und hinüber. Höhnend sehen sie hinab auf die Fanten des zweiten Stammes, die heller gehäuteten, weniger fremdartigen „Kleinwanderinger die nicht ganz so keck auftretenden, aber dennoch widerwärtigeren Umhertreiber, die mit verschiedenen kleinen Beschäftigungen, wie Kammmacherei, Topfflechten, Besenbinden nur in einzelnen, abgegrenzteren Distrikten des Landes von Ort zu Ort ziehen. Begegnen sie diesen im Walde oder auf der Landstraße, — gewöhnlich mit ihrer ganzen Habe im Sacke auf dem Rücken, arm und elend von Hof zu Hof schleichend — so rufen sie ihnen verächtlich den Spitznamen „Mehltraber“ zu, den sie, die Großwandringer, dem Autor selbst von „Mel" (Mehl) und von „trave" (traben, trotten) abgeleitet erklärten und dahin auslegten, dass diese Elenden an keinem Orte vorüber traben könnten, ohne dass an ihnen Etwas, wie das Mehl an des Müllers Jacke, hängen bliebe. Obschon diese Mehltraber oder Kleinwanderer sich nicht nur den Behörden, sondern auch den übrigen Leuten der unteren Volksschichten gegenüber ziemlich zahm bewegen, so treibt sie wohl mehr der Neid, als der Abscheu zu der entschiedensten Gegenwehr, und in Vergeltung des angeführten Schimpfwortes schleudern sie den flinken Großwandringern den von diesen gehassten Spitznamen: „wilde Bächespringer" zurück, welcher Austausch dann häufig und meist das Signal zu jenen lärmenden, oft blutig endenden Kämpfen wird, welche die stillen Täler der Fjelden erschüttern und ihre friedlichen Bewohner erbeben machen. Die Deutung des sonderbaren Schimpfwortes und das Beleidigende darin geben die Großwandringer dahin: dass sich eine Anspielung darin verberge auf ihre Wildheit, Heimtücke und ihr menschenscheues Wesen, welch letzteres sie zwänge in den entlegenen Gebirgen und Wäldern, weitab von menschlichem Verkehr, zu bleiben und sich von dem, im Allgemeinen verachteten, Fischfange in Flüssen und Bächen zu nähren. Ein anderer Vorwurf, durch den die Kleinwandringer die Großwandringer namentlich zu vollster Wut zu entflammen wissen, ist der: dass sie eine „bösartige Quacksalberschar" von „Zauberern" und „Hexen" seien, die mit ihren Wurzeln, Kräutern und giftigen Pulvern sowohl das Vieh, wie die Menschen verdürben.

Als Grund dieses sonderbaren Stammhasses geben die Großwanderer — welche Wortform, der Bequemlichkeit halber, wir ferner anwenden wollen — das Bewusstsein einer nicht norwegischen Abstammung an und verfehlen nie sogleich hinzuzufügen, dass sie keineswegs zu einem Geschlechte mit den von ihnen ebenfalls tief verachteten „Lallaró'ern" gehören, mit welchem Ausdrucke sie in ihrer eigenen Sprache die Finnen und Lappen bezeichnen. Auch russischen Stammes wollen sie nicht sein und deuten die Aufnahme russischer Worte in ihre Sprache als ein Verderben derselben, dem sie auf der langen Durchwanderung dieses weiten Reiches nicht zu entgehen vermochte. Ihr rechter Käme in ihrer eigenen Sprache, dem „Rommani”, lautet stolz und wohlklingend in ihrem Munde „Rommanisäl." — Sie erzählen: „Die Rommanisäl kämen von weit her. Ihre „heiligen Väter" hätten vor Jahrhunderten die Rommani-Sprache nach Norwegen gebracht. Vorher hätten dieselben in der Stadt Assas im Lande Assaria, im Osten Russlands (Asien?) gewohnt; von hier seien sie vor langer, langer Zeit durch die Türken vertrieben und seien dann über alle Lande der Erde zerstreut und nur ein kleiner Teil derselben sei durch Russland und Groß-Finnland hinüber nach Schweden und Norwegen gegangen. Aber in allen Landen mussten die Rommanier fremd bleiben und warteten noch auf den Tag, an welchem sich Dundra, ihr Gott, wie schon früher einmal, ihnen in Menschengestalt offenbaren, ihnen zum Siege verhelfen und sie in ihr eigenes Land zurückführen würde; denn es seien nur wenige kleinmütige Zweifler, die da wähnten, dass Dundra selbst im Kampfe gegen die Türken gefallen wäre, und sie darum so lange schon ihrem unglücklichen Geschicke überlassen musste." — Von den Kleinwanderern — die ihre Sprache „rodi“ nennen, sich es im Übrigen aber offenbar weniger bewusst sind, dass sie zu einem eigenen Geschlechte oder einer zusammenhängenden Rasse gehören, auch zu ihrer eigenen Bezeichnung keinen gemeinsamen Volksnamen zu besitzen scheinen — behaupten die Rommanier dem sesshaften Manne gegenüber, es seien nur einige elende „Tasar", d. h. in ihrer Sprache: „einige verlaufene Deutsche", die vor mehreren Jahrhunderten, aber erst nachdem die Rommanier schon die Wälder des Landes in Besitz genommen, sich eingedrängt hätten und dass sie stets verächtliche Leute gewesen, mit denen kein echter Großwanderer oder „horta rommanisäl" etwas zu schaffen haben dürfe. —

Hiernach hätten sich dann wilde Asiaten und fremde entartete Europäer in den Waldtälern Norwegens getroffen, wofür allerdings einerseits das so sonderbar von dem daneben bestehenden so ruhigen norwegischen Volksleben abstechende Wesen der Fantenschaaren, als andrerseits die völlige Gleichheit desselben mit dem ihrer in anderen Ländern umherstreifenden Brüder, spricht. Nur durch eine wirkliche Einwanderung, nicht aber durch zufällige Berührung norwegischer, eingeborener Fanten mit fremden Herumtreibern und ausländischen Räuberhorden, etwa auf weitausgedehnten Wanderungen , konnte diese Gleichheit in Manieren, Kunstgriffen, Sitten und Ausdrücken hervorgerufen werden. Ohne eine solche Einwanderung oder ohne das gleichzeitige Auftreten größerer Massen fremder Elemente würden die verschiedenen norwegischen Tagediebe, Tagediebsfamilien und Genossenschaften — von denen der Fantenpfad jedenfalls schon betreten war, indem jede bestehende Gesellschaft stets einen Ausschuss hat, und die, Gleich und Gleich sich gern gesellend, gewiss sich bald mit den Ausländern vereinigten — nicht die Art und das Wesen dieser angenommen haben, welche unleugbar herrschend geblieben sind und der ganzen Masse den größten Teil des Geschickes und Gepräges, den sie bis heut offenbart, gegeben und aufgedrückt haben. In der Tat steht auch noch jetzt, leicht erkennbar, zwischen den beiden eigentlichen Fantenhorden — in eigentümlichen Verhältnissen zu der einen, wie der andern, und gewissermaßen vermittelnd — eine dritte in Norwegen heimische Klasse von Bettlern und Landstreichern, unter denen auch vielfach finnisches Blut zu finden ist. Sie bildet ebenfalls eine Art Mittelglied zwischen der Fantenkaste und der großen Masse des norwegischen Volkes, namentlich dem Bauernstande, der die verdächtigen Fremdlinge gern meidet.

Außer den bereits erwähnten Fantenbezeichnungen kennt die Masse des norwegischen Volkes noch zwei, nämlich „Täter" und „Sköier". Die erste, Tater, seltener „Sigener", ist durch die Gesetzgebung eingeführt, in der sie in älterer Zeit dazu diente ein Landstreichervolk zu bezeichnen, welches, nach der gegen dasselbe angewendeten Strenge zu urteilen, mit besonders großer Ungunst betrachtet worden zu sein scheint und Uber dessen Herkunft und Wesen den Gesetzgebern wenig bekannt gewesen sein muss. Dass das fremde Wort wirklich in die Volkssprache übergegangen ist, erhellt daraus, dass es in einigen Gegenden, wie z. B. im Stifte Bergen eine andere Form angenommen hat, so dass man für ein Taterweib „Tatre" und für einen Tater „Tatermand" sagt. Es wird auch überall nur angewendet für die schwärzlichen, fremdartigen Fanten, die meist mit dem Beiworte „ächte Fanten" bezeichnet und als zum Fantenadel und der Verwandtschaft des Fantenkönigs gehörend, hervorgehoben werden. Dieselbe Bedeutung hat das Wort auch in Jütland und auf den dänischen Inseln behalten und bezeichnet dort lediglich die Großwanderer, die sich daselbst ebenfalls Rommanisäl nennen.

Der andere Name „Sköier" wird in der niederen Alltagssprache auch im Allgemeinen von einer Person gebraucht, die ein lärmendes, regelloses Leben führt, vorzugsweise wendet man ihn aber auf die in Banden ziehenden und ihre Diebssprache redenden Kleinwanderer an. Das Wort ist ursprünglich nicht norwegisch, wie dies schon der unnordische Klang desselben mit dem harten k vor einem ö verrät, sondern von Schweden her eingeführt, wo „skojare" die gewöhnliche Bezeichnung für gesellig einherziehende Landstreicher ist. Mit solchen über die Grenze gekommen und nach und nach auf die norwegischen Landstraßen verpflanzt, blieb es nicht an den schwedischen Landstreicherfamilien haften, sondern wurde auch ihren Genossen und ihres Gleichen als Stammesbenennung im Gegensätze zu den Großwanderern beigelegt. Wenn schon diese Genossenschaften in ihrer Lebensart und Weise nicht ganz so scharf abgegrenzt von dem übrigen zivilisierten Leben des Landes erscheinen, wie die der Tater, auf welche weder Strenge noch Milde großen Einfluss zu äußern scheint , und wenn sie sich im Allgemeinen auch mehr den gleichen Rangklassen der europäischen staatlichen Gesellschaften nähern, sind sie doch gewissermaßen im Laufe der Zeit zu einer besonderen kleinen Nation zusammengeschmolzen, die sich einerseits im eigenen Schoße forterzeugt, aber andrerseits auch durch Anschlüsse aus der Hefe aller möglichen Nationalitäten weiterbildet. Als eine solche betrachtet, bieten die Sköierhorden immerhin des Interesses genug dar, um hier, wo es sich um die Verschiedenheiten der Lebensäußerungen dieser bedauernswerten Existenzen handelt, besonders geschildert zu werden.

Da die scharf ausgeprägten Eigentümlichkeiten, welche die Tater vor dem Volke Norwegens auszeichnen, den Fantenhorden, welche nicht zu ihnen gehören, fehlen, ist es nicht leicht zu bestimmen, wer zu dem Sköierstamme zu rechnen ist. Besitzen sie selbst auch Traditionen über ihre dunkle Geschichte und führen sie auch mit einem gewissen Stolze innerhalb ihrer Banden Stammbäume von Ahn zu Urahn hinauf, so ist es dem Nichtfanten dennoch schwer, sich darin zurecht zu finden und es bleibt nur die Kenntnis und der Gebrauch des „Rodi“, jener Gaunersprache — die vom übrigen niederen Volke Norwegens „labbelänsk (vielleicht aus lapplänsk, lappländisch verdreht und so auf Finnmarken als vermeintlichen Ursprungsort der Sprache hindeutend) genannt wird — ein guter Fingerzeig, um die Berechtigung nachzuweisen, zu diesem Stamme gezählt werden zu dürfen. Andererseits kann auch dem Forscher das Studium dieser Rodi-Sprache der Faden werden, der durch das Labyrinth vereinzelter Nachrichten in der Gesetzgebung, den Gerichtsakten und der Verbrecherstatistik Norwegens führt, um die Herkunft des nie sehr großes Aufsehen erregt habenden Stammes herauszufinden. Hier genügt es zu sagen, dass dieses Rodi der Sköier — auch von ihnen selbst prahlend und hochtrabend „praeve liquant, die schöne Sprache" genannt — auf das engste verwandt ist mit dem Idiom der (Jütland in gleicher Weise wie die Shöierhorden Norwegen durchstreifenden) Landstreicherbanden der „Kjeltringer”, mit dem Rothwelsch der deutschen Gauner (welches der jüdische Teil derselben „chochemer loschen" die Sprache der Weisen nennt), mit dem englischen „thieves's latin”, dem holländischen „Kraamerslatyn", dem böhmischen., Hantyrka’ dem spanischen „Germania,'' dem italienischen „Gergo“ und dem französischen „Argot”, dahingegen auf das vollständigste abweichend von dem rommani, welches die Tater sprechen. Über jeden Zweifel erhaben ist es, dass alle jene Gaunersprachen aus ein und derselben Wurzel entsprossen sind, wenn schon es noch schwer zu sagen, welcher Nationalität die künstliche Bildung derselben zuzuschreiben ist, durch die ihr die Ehre gebührt, den Satz Talleyrands, — dass der Mensch die Gabe der Sprache nur empfangen habe, um seine Gedanken verbergen zu können — lange bevor derselbe diese Maxime der Falschheit ausgesprochen, ins praktische Leben eingeführt und zur vollen Wahrheit erhoben zu haben. Jedenfalls ist das Erbe welches die Vorväter der „Mehltraber" aus ihrer Verwandtschaft mit den schlauen französisch oder deutsch-jüdischen Gaunern, den rachsüchtigen Banditen Italiens, den blutdürstigen Räubern Spaniens und Mexikos — die alle in derselben Diebsschule gewesen sein oder alle zu derselben geheimen Gesellschaft gehört haben müssen — ihrer Nachkommenschaft hinterließen, im Laufe der Zeiten gewaltig vermehrt und verändert worden, so dass es sich von den Geschwisterjargonen bis zur gegenseitigen Unverständlichkeit entfernte. Ob Notwendigkeit, ihr geheimes Treiben besser zu decken, Zwang und dergleichen dies verursachte oder ob die sprachbildenden Eigenschaften des Menschen in dem Skandinavier besonders ausgebildet, mag dahingestellt bleiben; interessant ist.es jedenfalls, dass nicht nur die Handel treibenden und herumziehenden Dalekarlier zu ihrem eigenen Gebrauche sich durch regelmäßige Wortverdrehungen eine eigene geheime Sprache erfunden haben und sie fortwährend benutzen, sondern dass auch eine solche im russischen Finnland üblich, während die westgotischen Handelsleute, die als Krämer den ganzen Norden durchstreifen, in der sogenannten „knallare sprak" oder dem „monsing" eine Sammlung meist ganz neu und willkürlich gemünzter Wörter zu ihrer Geheimsprache ausgebildet haben. In Norwegen selbst haben aber gerade die ernsten und besonnenen Anwohner des Meeres — unter denen sich der Aberglaube, wenn auch mehr und mehr verschwindend, mit großer Zähigkeit festgesetzt hatte, dass die Geister des Meeres es nicht leiden könnten in einer vernünftigen Menschensprache reden zu hören, und die darum nicht in ihrer natürlichen Weise zu sprechen wagten, wenn sie in ihren Booten über den Fischgründen saßen — sich eine eigene Bildersprache erfunden, so keck und künstlich, dass sie die Geister der Tiefe gewiss nicht verstehen und daher die mitgeteilten Pläne nicht durchkreuzen können.

In steter Fortbildung dieser ursprünglich als Gemeingut überkommenen Sprache haben die norwegischen Sköier ebenso viel Kunst, als Fleiß und Glück bewiesen, sie ist vollständig angebaut und bis auf Begriffsbeziehungen der neuesten Zeit vervollkommnet. Unbedingt sind vielerlei Wörter in ihr vorhanden, die weder die Sköier mit Hilfe der Überlieferung, noch der Philologie an der Hand der Wissenschaft im Stande sind, auf irgend eine der bekannten natürlichen Sprachen zurückzuführen; der Hauptvorrat ihrer Wörter ist aber aus wirklichen Sprachen entlehnt, jedoch in mannigfachster Weise gewendet, um durch ihren Gebrauch die Rede für nicht Eingeweihte unverständlich zu machen. So sind alte, dem gemeinen Gebrauche entfallene, vergessene Wörter der eignen, Provinzialismen der fremden Sprachen beibehalten und so bunt durcheinandergemischt, dass das Rodi der Sköier schließlich dadurch ebenso bunt aussieht, als die mit vielfarbigen Lappen mannigfach zusammengeflickte Jacke des ärgsten Fanten. Die künstlich gebildeten unkenntlichen Ausdrücke wurden durch regelmäßige Verdrehungen von Wörtern der allgemeinen Landessprache, Versetzungen einzelner Buchstaben oder ganzer Silben geschaffen, eine Manier, die besonders begünstigt wurde, wenn die dadurch entstehenden Wörter durch ihre Ähnlichkeit mit einem anderen, von vielleicht entgegengesetzter Bedeutung, Anlass zu erheiternden Wortspielen und Verwechslungen geben konnten. Die reichste sprachliche Quelle blieb ihnen aber immer die einfache Versetzung der Bedeutung des einzelnen Wortes, das sie bildlich gebrauchten. Nie hat wohl eine ausschweifende Dichterphantasie zu keckeren Metaphern gegriffen, als sie von dem Galgenhumor oder der Verzweiflung der friedlosen Sköier geschaffen wurden. Die Erfindung, stete Fortbildung und der immerwährende Gebrauch der geheimen Sprache ist aber nicht nur das Kennzeichen des Sköierstammes, sondern recht eigentlich das Element, welches denselben am Leben erhält und das lose Volk zu einer Art eigener Nation, mit Übereinstimmung mancher einzelner Sitten und der gesamten Lebensweise, zusammenschmolz, denn wie die Wörter ihres Idioms einst zu natürlichen Volkssprachen, gehörten diese Menschen auch dereinst zu den wirklichen europäischen Nationen. Wohl nur vereinzelt, zu verschiedenen Stunden und an verschiedenen Orten, haben sie ihre frühere Lebensweise verlassen, sich von der zivilisierten, durch Gesetze geordneten und geregelten Gesellschaft losgesagt, und würden sie, einzeln umherwandernd, als ganz gewöhnliche Landstreicher und Verbrecher sehr bald spurlos verschwunden sein. Sich zusammenscharrend bildete das wohl anfänglich mühevoll und schwierig gefundene Mittel gegenseitigen Verständnisses ein erstes Band um sie, das sie bald zu einer abgesonderten Klasse der Gesellschaft verschmolz; einer Art Kaste mit besonderen Interessen und Gewohnheiten, die sich schließlich zu einer ihnen eigentümlichen Lebensart, so wie einer eigenen geheimen Gesellschaftsordnung befestigte und entwickelte und die, von innerer Notwendigkeit getrieben, ihnen ein neues Gesetz auferlegte, das kaum demjenigen, welches sie verleugneten, verletzten und dem sie sich entzogen, an Strenge etwas nachgab, und durch welche sie endlich dahin kamen, von ihren früheren Landsleuten und den sie umgebenden, außerhalb der Kaste stehenden, Genossen ebensoweit abzuweichen, wie im Laufe der Jahrhunderte sich ein Volk von dem anderen entfernt.

In Hinsicht auf den Ursprung der norwegischen Sköier ist dem Volksglauben, der in den ersten Mehltrabern Wilddeutsche zu sehen glaubt, wohl darin Recht zu geben, dass unbedingt eine Einwanderung, Beeinflussung, bessere Organisation und höhere Ausbildung in den nötigen Künsten und Kniffen der Sköiergesellschaft aus Deutschland über Jütland, die dänischen Inseln und Schonen stattgefunden hat. Die Bettler und Landstreicher, die in den nordischen Landen auf einfachere Weise, mehr an die Sitten der alten Zeiten erinnernd, umherzogen, nahmen gern und willig den gebotenen Unterricht der fremden Gaudiebe auf, und es bedurfte nur weniger Apostel und kurzer Zeit, um eine solche geheime Gesellschaft zu gründen und ihr viele Proselyten zu gewinnen. Das dänische Gesetz nimmt zuerst 1685 Bezug auf Landstreicher, die es in so klarer Weise schildert, dass das gegebene Bild in allen seinen einzelnen Zügen noch heut die Sköier treu spiegelt, nennt sie aber bei dem, wie erwähnt, noch jetzt in Jütland üblichen Namen Kjeltringer. In dem Gesetze selbst — das zum Schutze derselben gegen vorurteilsvolle Verachtung ihrer und ihrer nützlichen, bis zu diesem Tage von Kjeltringern und in Norwegen von Sköiern ausgeübten Verrichtungen erlassen ist — wird ein scharfer Unterschied zwischen zwei Klassen von Landstreichern ausgedrückt und dadurch der Beweis der schon zu jener Zeit aufgefallenen Sonderung in die beiden Fantenstämme geliefert. Dies erhält sich auch in der späteren dänisch-norwegischen Gesetzgebung, wennschon dieselbe des Namens Sköier nicht besonders erwähnt, während der Name Tater ihr häufig ist. Dass aber die Gesetzesbestimmungen nicht allein gegen letztere, sondern auch gegen ein von ihnen verschiedenes Landstreichervolk gerichtet, erhellt auf das Deutlichste. So ist in den Anordnungen periodischer Fantenjagden — welchen Ausdruck die große Menge des norwegischen Volkes noch heut gebraucht — seit der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts von Müßiggängern, Bettlern und frechen Landstreichern mit Büchsen und Gewehren, namentlich aber auch von den „herumstreifenden Männern und den leichtfertigen Weibern, die mit ihnen umherziehen und auf fremden Stellen Kinder gebären'' die Rede. Diese Kinder aber — welche die Mütter damals, ebenso wie jetzt, in einem dazu eingerichteten Traggeräte auf ihrem Rücken auf den Landstraßen einherschleppten — waren die Stammväter und Stammmütter der alten und weitverzweigten Sköierfamilien, die sich noch den heutigen Tag umhertreiben, denn die in Romerike schwärmende Steffenshorde und die Vardalshorde in der Stavangergegend können ihre Ahnentafel Glied für Glied durch einen Zeitraum von fast zwei Jahrhunderten aufzählen.

Es muss wohl bunt in den Wäldern und entlegenen Gegenden Norwegens, in denen die Fanten ihre Zufluchtsorte hatten, ausgesehen haben, und sie fanden dort so sicheren Schutz, dass weder die vielen Strafbestimmungen, — die sich bis dahin steigerten, dass sie sogar denen mit harter Sühne drohten, welche ihnen über die Fjorde und Ströme zu kommen halfen — noch die sich stets wiederholenden Treibjagden und Razzias gegen sie dem Übel ernstlich Abbruch taten, geschweige denn, wie es beabsichtigt, es mit der Wurzel ausrotteten. Im besten Falle wurden die verschiedenen Horden in einzelne Winkel des Landes verscheucht und scheinen sich namentlich im Westen zusammengedrängt zu haben, wo ihr gegenseitiger Zusammenhalt natürlich befestigt, ihre Schlauheit geschärft, ihr Hass gegen andere Menschen erhöht, ihre Kraft und Ausdauer geübt, ihre Tugenden und Fehler entwickelt, kurzum das Fantentum zum Sköiertum immer mehr ausgebildet wurde. Zu dieser Überzeugung kam schließlich auch die Regierung und beschloss nunmehr eine Art Frieden mit ihnen zu schließen und ihr ewiges Reiseleben zu dulden, sofern es sich an gewisse Bedingungen knüpfen ließe. Die bis um die Mitte des vorigen Jahrhunderts gütigen Gesetze — nach denen jeder ohne feste Wohnung und Pässe herumziehende Mensch aufgegriffen und ins Zuchthaus gesperrt werden sollte; die aber wegen baldiger Überfüllung dieser doch nur zum allerkleinsten Teile ausgeführt werden konnten — wurden aufgehoben, da sie überdies viel Unbill und Willkür gestatteten und böswillige dänische Beamten auf den Fantenjagden alle missliebigen Personen ohne Ausnahme in Bausch und Bogen und ohne Überführung irgend eines strafwürdigen Verbrechens ins Zuchthaus steckten. Man ging jetzt sogar soweit, zu erklären, dass „Kesselflicker, Hechelmacher, Zopfflechter, Pferdeschneider — also gerade diejenigen Verrichtungen, welche in Norwegen die Sköier, in Jütland die Kjeltringer vorzugsweise auszuüben liebten — und andere dergleichen Gewerbes, welche als solche betrachtet werden können, die durch das Land streichen" — unter gewissen Bedingungen Erlaubnis erhalten sollten, ihre Lebensweise und Erwerbszweige ungehindert fortzusetzen. Nach dem beschränkenden Prinzipe jener Zeit und dem zunftmäßigen Betriebe jedes Handwerks, auf dem platten Lande sowohl als in den Städten, war solche Erlaubnis um so mehr als eine Art begünstigendes Privilegium zu betrachten, als die beschränkenden Bedingungen — sich innerhalb vorgezeichneter Distriktgrenzen zu halten und sich durch einen Reisepass die bewilligte Erlaubnis bescheinigen zu lassen — von den Fanten — die so lange ihre Erfindungsgabe geübt hatten, unter allerlei Vorwänden und Ausflüchten sich dem gefahrdrohenden peinlichen Verfahren des Hasses und der Grausamkeit roher Zeiten zu entziehen — verachtend und spielend umgangen wurden. War es aber die Obrigkeit müde geworden, sich fortwährend mit der unerquicklichen und erfolglosen Arbeit des Fantenfangs zu beschäftigen und schritt fortan nur gegen sie, wie gegen die anderen Landeskinder, dort ein, wo die Ungehörigkeiten sich zu Gewalttaten und Verbrechen gesteigert hatten, so führte gerade die den Sköierhorden faktisch gegönnte Ruhe und der ihnen gewährte Frieden die Regierung ihrem gewünschten Ziele um ein Beträchtliches näher, wenn auch von Ausrottung des Übels, wie schon erwähnt, bis heut noch keine Rede sein kann. Mit dem Aufhören des von Außen gekommenen Reizes zum Widerstand gegen die Gesetze des Landes und dessen bestehende gesellschaftliche Ordnung, lockerte sich der gegenseitige Zusammenhang der Sköierhorden und das Kastenwesen fing damit an in Verfall zu geraten. Nichtsdestoweniger vermochte das volle Jahrhundert, welches zwischen dem Beginne jener milderen Praxis und den Schritten unserer Zeit — die nicht nur duldend sondern helfend und aufrichtend den Fanten gegenübertreten und gerade dadurch das Fantentum zu vernichten streben — liegt, noch immer nicht die große Kluft auszufüllen, die zwischen diesen Familien und Horden und den niederen Klassen des sesshaften Volkes, in dessen Mitte sie einherziehen, besteht. Selbstverständlich begegnet der auf Verachtung basierte Hass der einen Seite dem, im Misstrauen wurzelnden Hasse auf der anderen. Ein interessanter Beleg ist ein offizieller Bericht, Ende des 4. Jahrzehnts unseres Jahrhunderts von einem Geistlichen der Regierung eingesendet.

Eine Abtheilung der bereits früher genannten Vardalshorde, die schon in mehreren Generationen eine Art Heimat in den Tälern und Fjorden des Amtes Stavanger besitzt, und zwar eine vollständige Familie mit kleinen und großen Kindern, blieb mit einigen am heftigen Nervenfieber erkrankten Mitgliedern auf einem Bauernhofe liegen, dessen Besitzer ihnen das erbetene Nachtquartier bewilligt hatte. Die Fanten lagen in einem engen und elenden Räume zusammengesteckt und nur notdürftig mit Speise versorgt und mangelhaft mit Kleidung versehen. Ein Zufall brachte das Ereignis zur Kenntnis des Predigers, der, nachdem er sich von dem elenden Zustande der Unglücklichen überzeugt hatte, es veranstaltete, dass der Bezirksarzt herbeigeholt wurde. Dieser konnte bei der Sachlage im Augenblicke nicht viel für die Kranken tun, tröstete sie aber seiner Meinung nach, mit dem Versprechen, dass sie am nächsten Tage nach einer besseren Steile geschafft werden und ordentliche Verpflegung erhalten sollten. Welche Wirkung hatte seine gute Absicht aber auf die Fanten geäußert? Nachdem der Arzt abgereist und der Abend Stille und Ruhe über das Gehöft gebreitet, flüchteten sie sämtlich , trotz ihrer Nacktheit und ihrem Elende hinaus in die finstere kalte Nacht eines rauen nordischen Herbstes und tauchten erst nach mehreren Tagen, weit entfernt, auf einem fremden Hofe im benachbarten Distrikte auf, wohin sie die ansteckende Seuche verschleppt hatten und selbst noch viel elender als zuvor befunden wurden. So wenig waren sie im Stande gewesen — und sie bewiesen dies auch noch in der allerletzten Zeit in zahlreichen betrübenden Beispielen — zu erfassen, dass man es gut mit ihnen meinte, als man einen Beamten zu ihnen sendete, um sie aus einer kalten, engen Höhle in einen besseren, lichteren Raum „transportieren" zu lassen. Eine gähnende Tiefe scheidet so das teilnehmende Mitleid von der schreiendsten Not.

Weniger zähe, als dieses Misstrauen nach Außen, scheinen die übrigen Züge des Kastenlebens zu haften, wenigstens berichten die alten Leute des Sköierstammes klagend, dass die einzelnen Familien und Horden nicht mehr durch ein so scharfes Gepräge ausgezeichnet wären, als in früheren Jahrzehnten und sich so ihre einst festen genossenschaftlichen Bande lockerten. Auch selbst ihre alte Sprache, das Rodi, würde mit in den Verfall des Sköiervolkes, das in Norwegen noch vor nicht gar zu langer Zeit eine bessere Blütezeit gehabt habe, hineingezogen, da selbst diejenigen Fanten, die ihren Zusammenhang mit den Tatern in Bezug auf Blutsvermischung in eigentümlichem Stolze weit abweisen, es nicht verschmähten sich auf das Erlernen und alltägliche Benutzen des weit reicheren Rommani, der Sprache der feindlichen Rasse, zu verlegen. Hierdurch fürchteten sie früher oder später zusammenzuschmelzen — was auch, wie weiter unten gezeigt werden wird, schon tatsächlich begonnen hat — und mit der Aufgabe aller früheren Kastengebräuche und Fantenordnungen werde eine schreckliche Unsittlichkeit und Ruchlosigkeit eingetauscht, die selbst innerhalb der einzelnen Horde weder Alter noch Stellung anerkenne und durch Gehorsam gebührend ehre.

Dass sich aber selbst in diesem verwilderten Zustande der geschilderten Sköierhorde feste Bräuche und bestimmte Ordnungen erhalten haben, beweist eine gewisse Anerkennung der Heiligkeit der Ehe. Eine kirchliche Einweihung ihres Bündnisses sehen sie, in Erwägung der vorliegenden Verhältnisse, natürlicherweise mit der größten Gleichgültigkeit an, aber dennoch haben sie gewisse Zeremonien unter sich aufrecht erhalten um den Ehepackt zu besiegeln. Wie in Jütland es als Bewerbung gilt, wenn der Kjeltring einem Mädchen aus seiner Kaste einen Stab entgegen wirft, so ist es, nach der Erzählung des niederen Volkes in Norwegen, auch bei den Sköiern der Fall; wenn das Mädchen den Stab aufnimmt, gibt sie dadurch zu erkennen, dass sie den Mann erhören will und verpflichtet sie diese einfache Zeremonie sogleich zur Treue; die Ehe ist vollgültig geschlossen und muss das neue Paar gemeinschaftlich dreimal um einen Wachholderbusch herumlaufen. Eine zwar einfache Zeremonie, wenn sie aber von den Vätern ererbt ist und mit einer gewissen Ehrfurcht betrachtet und aufrecht erhalten wird, doch immer eine und viel besser als keine. Und tatsächlich ist es, so wunderbar es erscheint und klingt, dass trotz der unsäglichen Mühen und Beschwerden, die es den einzelnen Mitgliedern der Horde kosten muss auf ihren heimatlosen Fahrten zusammenzuhalten, nicht nur die Bande der Familie, sondern oft auch eine wahrhaft rührende Treue aufrecht und heilig gehalten werden. So wurde bei der Volkszählung im Jahre 1845 eine im Westlande unablässig umherstreifende Fantenhorde entdeckt, von der es sich bestimmt ergab, dass sie zu der Kaste der Sköier und nicht zu den Tatern gehörte, und die aus einem sie beherrschenden greisen Ältervater mit seiner zahlreichen Nachkommenschaft bis zu Enkeln seiner Kindeskinder bestand. Und dieser Ältervater hatte die Stammmutter — die in ihren alten Jahren von einer unheilbaren Krankheit befallen war, welche in ekelhafter Verwesung des Körpers von unten herauf bestand, aber erst den Tod brachte, als sie bis zum Magen gedrungen war — auf seinem Rücken aus einem Distrikt zum andern getragen und ihren endlich eingetretenen Tod so tief und schwer betrauert, dass ihn Niemand zu trösten vermochte. Ein ganz ähnlicher Fall ereignete sich später noch einmal in Norwegen und Eilert Sundt, gleich vielen Anderen, begegnete, in letzter Zeit im Süden des Reiches auf den Straßen einem Landstreicherpaare, in welchem dem Weibe durch Abfrieren der beiden Beine die Möglichkeit selbständigen Fortkommens genommen ist, weshalb auch hier der Mann sie tragen muss. Sie aber ist ein so böses Ungeheuer, dass sie während sie auf seinem Rücken reitet, ihn mit den Stummeln der Beine pufft, ihn krallt und in den Haaren zerrt, schimpft und ins Gesicht schlägt, weil er ihr nicht genug Brandwein gibt, so dass er sie zuweilen an den Rand des Weges niederlegen und erst mit Schlägen zur Ruhe bringen muss; schließlich nimmt er sie aber doch wieder auf und trägt sein Hauskreuz mit sich herum. Wie abstechend ist diese schon lange Jahre anhaltende Geduld und Treue, einem solchen Teufel in Menschengestalt gegenüber, von der notorisch häufig in großen Städten vorkommenden Bettlerpraxis, elende und ekelhafte Krüppel, wie eine Handelsware, zeitweise auf Spekulation zu sich zu nehmen, um durch Schaustellung des Mitleid erweckenden Unglücks möglichst viel Almosen zusammenzuschlagen.

Es ist selbstverständlich, dass die Sköiergemeinschaft, die in einem so hohen Grade von den moralischen Grundsätzen, welche in der gesetzlichen Gesellschaft gelten, abweicht, auch nicht den im Lande herrschenden religiösen Begriffen huldigt. In der deutschen Gaunersprache findet man die Kirche und ihre Heiligtümer in der gottlosesten Weise mit den unziemlichsten und unanständigsten Namen belegt, welches in den Sköierwörterverzeichnissen Norwegens nicht der Fall ist; nichts destoweniger würde es in psychologischer Hinsicht ein zu merkwürdiges Phänomen sein, wenn diese Kaste in ihrer eigentümlichen Entwicklung so weit gediehen wäre, neben einer eigenen Sprache, eigenen Gebräuchen und eigenen Gesetzen auch eigene religiöse Vorstellungen entwickelt zu haben. Überraschenderweise aber bringt Eilert Sundt — nur vielleicht mit zu kühnen, auf seiner parteiischen Vorliebe für das seinem Herzen nahe stehende Volk basierten Schlüssen — eine ihm von einem alten, leichtsinnigen oder vielmehr wahrhaft ruchlosen Fantenweibe der Sköierrasse mitgeteilte Mythe bei, die so eigentümlich schöne Züge enthält, dass das rohe Geschöpf auf keinen Fall in Verdacht kommen kann, sie selbst erdichtet und ihm aufgebunden zu haben. „Die Sonne" — erzählte das Weib — „ist dasselbe wie „Krist-jumlia"; in der Sonne kann jeder Mensch das Antlitz Krist-jumlia's sehen, der aller Menschen Herr ist. Als ich noch klein und jung war, ermahnte mich meine Mutter immer auf einen Berg zu gehen und die Sonne anzustarren, um zu erkennen, ob unser Herr mir noch milde und gütig gesinnt sei; denn wenn ich erst älter geworden sein würde, und viele Sünde auf mich geladen hätte, dann würde er seine scharfen Strahlen in meine Augen senden, und davon würde mir das Wasser in die Augen treten, so dass ich sein Antlitz nicht mehr sehen könnte. Und so ging es auch, wie es die Großmutter gesagt hatte, nachdem ich 12 oder 13 Jahre alt geworden, habe ich es gar nicht mehr versuchen dürfen keck in die Sonne zu sehen.“ — Gibt es eine schönere und erhabenere Poesie, als in dieser Mythe? Das körperliche Thronen Gottes in der lichtstrahlenden, wärmespendenden Sonne, ist es nicht das einfachste Bild für den in ihr liegenden Grundgedanken der Existenz Gottes in einem Lichte zu dem kein Sünder gelangen kann? Wie dieser Edelstein in den Besitz des armen Fantenvolkes gelangte, vermochte aller Forschereifer Eilert Sundts noch nicht zu ergründen, und deutet auch der Name Gottes „Krist-jumlia" auf die Finnen hin, ist bei diesen doch keine Spur von dieser Mythe wiederzufinden. Andere gemeinsame Berührungspunkte der Fanten mit den Wald-finnen und den Bettel-lappen, diesen höchst interessanten Bruch teilen der niedrigsten norwegischen Volksklassen, von denen der Ausschuss selbstständig auf dem Fantenpfade und unvermischt mit beiden Rassen neben den Sköiern und Talern einherzieht, gibt es hinreichend, und wir behalten es uns vor, in einem späteren Abschnitte nach der Behandlung der Tater und des übrigen heimatlosen Elends auch ein Bild von dem nicht weniger interessanten Volksreste quänischen Ursprungs zu geben, der mindestens in sesshafter Weise sein kümmerliches Dasein verjüngt.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Vagabundentum und Wanderleben in Norwegen