Abschnitt 2

V. Däms


Kapitel 26


De Sak, de kunn mi gefallen, de oll Herr was idel fründlich, un wenn hei ok so utsach, as hadden sick bi em vele Eigenheiten inquartiert, so hadd hei nu nahgradens ok all en Recht dortau, denn hei was gegen de Achtig ranne un all lang' Kummandant in Däms, un dat makt den Kopp eigenwillig.

Ick gung nu räwer nah min fri Quartier, dat lagg up de Wach; äwer as ick de Trepp mir nichts, dir nichts ruppe stigen wull, stellte sick en ollen langen utgedeinten Herr in 'ne olle lang' utgedeinte Leutnantsuneform vör mi hen un frog mi: »Um Vergebung zu fragen, sind Sie nämlich der Herr Reuter?« – Ja, säd ick, so wir min Nam'. – »Denn muß ich Ihnen sagen, daß Sie einen großen Verstoß nämlich gegen die hiesige Wachordnung begangen haben; Sie hätten sich nämlich erst hier melden müssen, bevor Sie zum Herrn Kommandanten gingen – nämlich zum Herrn Oberstleutnant.« – Je, säd ick, dat ded mi led; äwer ick müßt hengahn, wo de Schandor hengüng, un wenn einer en Verseihn makt hadd, denn hadd de dat dahn. – »Oh, es macht auch gar nichts aus«, säd de oll Herr; »treten Sie gefälligst näher – nämlich hierher«, un nödigt mi in de Ofiziererwachstuw' rinne.

Na, von wegen de Höflichkeit müßt ick jo denn nu folgen un frog nu, mit wen ick de Ihr hadd. – »Ich bin nämlich der Premierleutnant K.«, säd hei, »Sr. Königlichen Hoheit, der hochselige Großherzog, Friedrich Franz nämlich, haben die hohe Gnade gehabt, mich bei meinem funfzigjährigen Dienstjubiläum zum Premierleutnant zu ernennen.« – Na, de Minsch will doch ok höflich sin, ick säd also: »Wohl nicht wegen der langjährigen Dienste, sondern wegen der Verdienste.« – »Ach nein!« säd de olle gaude Mann, »Verdienste habe ich gar nicht.« – »Nun dann wegen Ihrer Dienste in den Feldzügen.« – »Feldzüge«, säd hei ganz ruhig, »habe ich gar nicht mitgemacht. Bloß 1812 habe ich mal 'ne Partie Ochsen nach Polen geleiten müssen; denn Sie müssen wissen, ich stand bei den Reutern zu Pferde in Ludwigslust, wir hatten Blau mit Gelb und waren nämlich unserer funfzig, hatten aber nämlich nur fünfundzwanzig Pferde, die mußten wir immer umschichtig gebrauchen, und weil sie nämlich nicht reichten, riefen die bösen Buben immer hinter uns her: ›Ledderbom! Ledderbom!‹ womit sie nämlich sagen wollten, die Hälfte von uns müßte auf dem Leiterbaum reiten.«

De Sak würd mi pläsierlich; ick vertellte mi wider wat mit den ollen Herrn. »Ja«, säd hei, »meine Stellung bei den Reutern zu Pferde in Ludwigslust war einträglicher als meine jetzige; ich war nämlich Feldwebel und hatte außer meinem Traktement noch all die Bittschriften an Sr. Königlichen Hoheit, und da hatte ich einmal das Glück, einer alten Frau eine sonderbare Pension zu verschaffen. – Sr. Königlichen Hoheit hatten nämlich die Gewohnheit, die alten ausrangierten Jagdhunde nämlich gegen einen Taler monatlich in Kost zu geben, und die alte Frau hatte die Anwartschaft auf die nächsterledigte Pension; nun hatte ich aber in Erfahrung gebracht, daß einer der großherzoglichen Jagdhunde aus dieser Welt geschieden war, und kam für die alte Frau, nämlich um die Hundepension ein, und – richtig! – sie erhielt sie.« – Na, säd ick, denn hadd hei sick doch dor sihr verdient üm de Welt makt. – »Ja«, säd hei, »das wohl, aber es waren auch mancherlei Verdrießlichkeiten dabei. Zum Exempel nämlich war mal der hochselige Erbgroßherzog Friedrich gestorben, und ich hatte die Leichenwache; es war aber nämlich Befehl, keine Kinder und keine Dienstmädchen zuzulassen. Nu denken Sie sich, nu kommt der Obermedizinalrat Sachse mit seiner kleinen Tochter anzugehen. – Ist sie ein Kind, oder ist sie's nicht? – Ich kann nun doch nicht fragen, nämlich wie alt sie ist; das würde nämlich ungebildet herausgekommen sein. – Aber ich faßte mich und fragte nämlich: Um Vergebung, mein Fräulein, haben Sie schon das heilige Abendmahl genossen oder nicht? Und wenn ein Mädchen kam, was mir nämlich als Dienstmädchen vorkam, fragte ich: Um Vergebung zu fragen, sind sie 'ne Jungfer, oder sind Sie 'ne Mamsell? – Damit bin ich durchgekommen.« – Dat wir schön, säd ick, äwer nu, hir in Däms, hadd hei denn ok woll ruhige Dag'. – »Arger«, säd hei, »un böse Buben gibt's allenthalben und hier erst recht. Sehn Sie«, säd hei un wis'te up sin oll ihrlich Mundstück, »ich bin ein alter Mann, und die Vorderzähne sind mir ausgefallen, und ich kann das ›R‹ nicht mehr deutlich aussprechen. Wenn ich nun des Abends die R-hunde gehe und die Schildwacht ruft: ›Wer da?‹ dann antwort' ich ›R-hunde‹, und dann rufen diese bösen Menschen immer: ›Hunde vorbei!‹«

Ach, de olle gaude Mann! Hei hadd einige säbentig Johr lewt un was noch as en Kind, hei vertellte in de irste halwe Stun'n einen wildfremden Minschen sine ganze Lewensgeschicht. – »Ne«, säd ick, as ick de Trepp tau Höchten steg in min niges Quartier, »dusendrnal leiwer in Keden un Banden as mit sösunsäbentig Johr Premierleutnant.«

Gott sei Lob un Dank! min Stuw' hadd keine iserne Gardinen. Ick rümte mine Habseligkeiten en beten in un gung wedder räwer nah den Oberstleutnant. Hir hadd sick dat nu sihr tau sinen Vurtel verännert; min Herr Oberstleutnant hadd en ganzes Nest vull Döchter, ein ümmer schöner as de anner, de Fru Oberstleutnantin was 'ne gaude fründliche Fru, un männigen frölichen Nahmiddag un tauvertrulichen Abend heww ick in desen gastfründlichen Hus' taubröcht, un noch hüt denk ick doran un dank dorför recht ut Hartensgrun'n.

Blot mit den ollen Herrn müßte sick einer en beten in acht nemen, denn as ick seggt heww, hei hadd sine Eigenheiten, un wil hei man wenig Umgang hadd un em de Tid tauwilen lang würd, was hei ok männigmal wat verdreitlich. Mit sine Offzierers kunn hei sick nich recht verdragen: »Luter olle nägenklauke Feldwebels«, säd hei, »schicken sei mi hir her; und das sollen denn Offiziers sein! – Was weiß so'n Leutnant L. von Kriegskunst? – Damals als Diebitsch in der Türkei war, sagte dieser Leutnant L., Diebitsch könnte nicht über den Balkan kommen; aber Leutnant Th. sagte ihm, er käme rüber, und er ist auch rüber gekommen; aber Th. war auch ein wirklicher Offizier.«

Recht hadd min oll Herr Oberstleutnant, 'ne sonderbare Versammlung von Krigshelden hadd sick in Däms tausam funnen, un em würd't swor, ut dit vertüderte Klugen dat En'n rute tau finnen, an dat hei sine Unnergewenen anbinnen süll; ick mein, hei kunn seindag' keinen Adjudanten dor mang rute finnen. Un noch denk ick doran, wo em dat gung, as mal 'ne nige Uplag' von Offzierer för em in de Wismar rute kamen was, de sei em as ganz wat Besonders tauschicken deden. Hei beslot, dit süll von jitzt af sin Adjudant warden, un, üm em doch glik mit aller möglichen Fründlichkeit unner de Ogen tau gahn, gaww hei en feierliches Abendbrod, wotau de nige Adjudant mit de Fru Adjudantin inladen würd. Mit Eten un Drinken wüßten sick denn ok de beiden Ihrengäst ganz gaud tau behelpen; äwer as dat nah Disch mit 'ne Unnerhollung losgahn süll, dunn wull dat nich recht, dunn hackt dat. – Ein von de Frölens kamm denn nu up den Infall, den Quartiermeister P., de dor up de Festung satt un allerlei Hokuspokus mit Taschenspelerstückschen verstunn, räwer kamen tau laten. Na, de Mann makt denn also ok sin Sak, un as hei mal unner'n Haut en Ball in en Karnallenvagel verpuppen deiht, seggt de nige Herr Adjudant: »Herr Oberstleutnant, das Stück habe ich schon mal gesehen, das war aber dunnmals kein Karnallenvagel, das war eine Pag'.« – »Nein, lieber Mann«, röppt de Fru Adjudantin, »es war keine Pag', es war eine Maus.« – »Nein«, seggt hei, »es war eine Pag'.« – De olle Herr, de all wat sworhürig was, glöwt jo woll, hei hadd sick verhürt un fröggt mi: »Was meint er mit 'ner Pag'?« – »Ich glaube, Herr Oberstleutnant, er meint einen Frosch.« – »Und dazu sagt er 'ne Pag'? Mein Adjudant sagt zu einem Frosch 'ne Pag'? – 'ne Pag'?« Un dormit gung hei ut de Dör herute. – Ja, för Adjudanten was Däms man 'ne swacke Gegend. – 't mag sick äwer dor jo ok woll mit betert hewwen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ut mine Festungstid