Abschnitt 3

I. De Festung G.


Kapitel 5


»Ja, aber meine Herren...« fung de Preuß an.

»Erlauben Sie«, säd ick, »ich habe augenblicklich nichts zu versäumen, und ein Spaziergang ist mir grade recht, ich werde Sie auf den rechten Weg führen.«

Hei namm dat höflich an, säd dat junge Mäten recht herzlich adjüs, un wi gungen af.

»Haben Sie das junge Mädchen wohl bemerkt, das so schüchtern in dem Zimmer stand?« frog hei mi, as wi ut de Stadt rute wiren. – Ick säd ja, un sei schinte mi noch sihr jung tau sin.

»Sie ist siebenzehn Jahre alt, hat nie vorher eine Reise gemacht, kennt von der Welt weniger als ein siebenjähriges Kind und geht ohne Schutz und ohne Geld nach Surinam. Die Kondukteurs sind angewiesen, für ihre Bedürfnisse unterwegs zu sorgen; das Postgeld bis Hamburg ist bezahlt, und dort nimmt sie ein fremder Schiffskapitän in Empfang, der sie übers Meer schafft.«

»Aber wie kommt dies?« frog ick.

»Sie ist Herrnhuterin aus Gnadenfrei in Schlesien und wird sich in Surinam mit einem ihr ganz fremden Manne verheiraten. – Wahrlich, es gehört Mut dazu«, set'te hei hentau; »ich bin mit ihr von Schlesien herunter gereist und habe mich ihrer ein wenig angenommen, aber ein solches Vertrauen und solche Ergebenheit habe ich selten gefunden.

»Aus Gnadenfrei«, säd ick in Gedanken. »Merkwürdig! dann habe ich das Mädchen schon öfter gesehen, das heißt, ich erinnere mich ihrer nicht; aber sie muß doch unter der kleinen grauen Schwesterschar gewesen sein, die alljährlich einmal mit ihrem Schulmeister, eine jede mit einem großen Feldblumenstrauß, nach S. kam, um von dort die weite Aussicht über das Land zu genießen.

»Nach S.? Aber, verzeihen Sie, wie kommen Sie nach S.? Ein mecklenburgischer Landmann nach S.?«, un dorbi kek hei mine Stulpstäweln an.

Ick wull all antworten, hei unnerbrok mi äwer un lachte: »Die Vorstellung meiner Person hat freilich schon Ihr Postmeister übernommen; aber der Form wegen: ich bin der General von Sch...mann aus G.«

»Besitzer von M. hier in der Nähe?« frog ick. »Dann kann ich mich Ihnen leicht vorstellen, ich bin der Sohn Ihres Justiziarius.«

»So? so?« säd hei. »Sehr angenehm! Aber wie kommen Sie nach S.?«

Oh, säd ick, ick wir ok in sine Garnisonsstadt mal söß Wochen west, un vertellte em denn in'n Korten de Umstän'n. Ick vertellte em ok, wo dat mi de gaude Platzmajur mit en Linsengericht traktiert hadd, ick vertellte em von Vatter Kählern un von den Herrn Unteroffzierer Altmann un von Schnabeln un vör allen von den tweiten Kummandanten, Obersten B. – Ach, dat vertellt sick mal schön, wenn einer in gauden Tiden von de lang' vergahenen, slimmen Tiden snackt un vör allen, wenn de Dankborkeit en Würdken mit in redt!

Mit de Wil wiren wi an dat Flag kamen, wo in den Stemhäger Stadtholt de Weg sick twälen ded, un ick wis'te em Bescheid un stunn dorbi still, wil dat ick dor ümkihren wull. »Aber, Herr General«, frog ick, »was machen meine alten Bekannten in G.?«

»Ihr alter Vater Kähler muß tot sein«, antwurt't hei, »ein andrer, mir bekannter Unteroffizier ist als Schließer dort angestellt. Der Unteroffizier Altmann wird wohl zur Garnisonskompanie gehört haben, und deshalb kenne ich ihn nicht; aber der Platzmajor ist wohl und munter und besorgt seine vielfach unangenehmen Geschäfte mit derselben freundlichen Ruhe und derselben Gewissenhaftigkeit, die Sie an ihm kennengelernt haben.«

»Und der Oberst B.?« frog ick so recht von Harten.

»Der Oberst B.?« frog hei mi entgegen. »Kennen Sie den Vorfall, den der Oberst B. einmal am heiligen Weihnachtsabend gehabt hat?« Ja, säd ick, ick wüßte de Sak.

»Dann werden Sie auch wissen, daß Oberst B. Witwer war und keine andern Angehörigen hatte als eine einzige, liebenswürdige Tochter.«

Ja, säd ick, ick hadd sei seihn, un't wir en prachtvoll, herrlich Mäten west.

Dunn let de General sinen frischen Blick so still tau Ird hensacken, un't was, as wenn en lisen Schudder äwer ein kamm: »Und diese einzige, liebenswürdige Tochter«, säd hei, un de Würd', de kemen so swor, so langsam ut em rut – »diese einzige Tochter eines durchaus braven Vaters ist am heiligen Weihnachtsabend zu derselben Stunde gestorben, in der er den Sträfling erstach – und der Vater ist im Irrenhaus.«

Ick stunn as angedunnert. En Mann vull Kraft, vull Leiw', vull dägte Gesundheit – un wahnsinnig! – wahnsinnig dörch eine einzige rasche, hastige Daht, de as en swarten Stein in en rühmlich, ihrenvull Lewen herinne follen was!

De General drückte mi de Hand« »Es tut mir leid, Ihnen mit einer so traurigen Nachricht für Ihre Begleitung danken zu müssen.« Un dormit gung hei sinen Fautstig wider.

Ick dreihte mi üm un gung nah Hus taurügg, un as ick so in würkliche Truer dorhen gung, dunn föll mi 'ne Predigt von en ollen katholischen Preister in, wat en Waterpollack ut Äwer-Schlesigen was un up Regierungsbefehl dütsch predigen süll – ick hadd oft doräwer lacht. – Hei predigt': »Was is menschliche Lewe? – Menschliche Lewe is, wie Strohdach, kommt Wirbelwind, perdautz! fällt um.«

Ick hadd oft doräwer lacht; nu äwer, as ick dörch de schönen gräunen Wischen un dat leiwliche, olle bekannte Land tau Hus gung, dunn hadd ick keine lächerlichen Gedanken, dunn äwerset't ick mi de Predigt von den ollen ihrlichen Papen: »Was ist menschliche Vernunft? Menschliche Vernunft ist wie ein Strohdach; schickt unser Herrgott einen Wirbelwind, dann ist sie dahin.«

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ut mine Festungstid