Suchen wir zunächst die Erklärung für den starken Anwachs an der erstgenannten Küste


Suchen wir zunächst die Erklärung für den starken Anwachs an der erstgenannten Küste, so finden wir hier eine ungleich größere Ruhe im Wasser als an der Westküste, bedingt durch den Schutz, welchen hauptsächlich zwei der Nordwestecke vorgelagerte Sandbänke jener Küste gewähren, nämlich Salzsand und Rüstsand, deren Entstehung oder, wenn wir sie nach der Ansicht vieler als Überreste von der einst so weit hinausreichenden Insel ansehen wollen, deren Erhaltung sich dadurch erklären lässt, dass hier zwei verschiedene Strömungen sich begegnen. Wenn nämlich der Flutstrom, der an der Westküste der nordfriesischen Inseln sich von Südwesten nach Nordosten bewegt, mit Hilfe der Brandung Sand oder Erdteile von dem seichten Meeresgrunde oder von den Ufern losgerissen hat, so bleibt sowohl das Wasser als auch das mitgeschleppte Material in dieser Bewegung, bis es auf Hindernisse stößt. Dies ist aber hier nördlich vom Ellenbogen der Fall. Dort fällt der ausfließende Strom der bei Hoyer mündenden Widau und des Haffs oder der Ebbstrom samt den seewärts mitgenommenen Sand- und Schlammteilen dem Flutstrom in die Flanke und veranlasst, dass an diesem Orte, wo die Bewegung aufgehoben wird, die mitgeführten Sedimente zu Hoden sinken und sieh anhäufen. Außer den beiden genannten Bänken findet sich noch weiter östlich und nördlich von der Lister Tiefe eine dritte Bank, Haffsand genannt. Diese Sandbänke haben nun insofern eine wichtige Bedeutung für die Ablagerungen an der Nordküste, als sie das Ungetüm der von der offenen See hereindringenden Wogen mildern, sodass nördlich von Sylt eine relativ große Ruhe eintritt, die eine der ersten Bedingungen für die Ablagerung von Sedimenten ist. Eine andere Frage aber wird es sein, ob auch von diesen Sandbänken, also indirekt durch die Gezeitenströmungen, das Material zum Aufbau der nördlichen Küste geliefert wird, oder ob wir hier nicht vielmehr mit einem anderen Faktor zu rechnen haben, dessen große Bedeutung für den Aufbau von Neuland an Flachküsten Professor Pechuel-Loesche *) nachgewiesen hat, nämlich der Brandung. Und in der Tat werden wir bald die Überzeugung gewinnen, dass auch hier gerade die Brandung an der Herbeischaffung des Materials und dem Aufbau desselben den allergrößten Anteil hat.

*) Die Kalema: Globus XXXII 1877 S. 119 u. 136 und Flachküsten, Meeresströmung und Brandung: Globus L 1886 S. 39, 55, ferner: die Loango-Expedition, III S. 17-39.


Betrachten wir zu dem Zwecke zunächst die in Fig. 1 und Fig. 2 graphisch dargestellte Verteilung der Winde auf die verschiedenen Himmelsrichtungen innerhalb eines Jahres, wobei sofort das starke Überwiegen der westlichen, süd- und nordwestliehen über die übrigen Winde, nicht allein der relativen Häufigkeit, sondern auch der Stärke nach klar hervortritt, und gehen dann zum westlichen Strande hinunter, um zu beobachten, was hier vorgeht. Wir finden dann, dass die Richtung der dort einlaufenden Roller im Allgemeinen derjenigen des gleichzeitigen Windes entspricht, obgleich die Roller, in seichteres Wasser gelangend, Grund fassen und dadurch in ihren unteren Teilen in der freien Bewegung gehindert, gegen die Untiefen und gegen die Strandlinie einschwingen. Demzufolge rauschen die Wassermassen der Roller schräg über den Strand hinauf und rauschen, von den nachfolgenden gedrängt, auch wieder in schräger Richtung den Strand hinab, wodurch eine sehr merkbare seitliche Versetzung der Gewässer samt dem durch die Bewegung schwebend erhaltenen festen Material bewirkt wird. Von dieser Wirkung der Brandung konnte ich mich oft überzeugen, indem ich irgendeinen leichten Gegenstand in das Wasser warf; dieser wurde, je nach der Stärke der Brandung, in kürzerer oder längerer Zeit bedeutende Strecken am Strande entlang fortgeschafft. So hatte z. B. bei mittelstarkem Wind und entsprechender Brandung aus südwestlicher Richtung eine leere verkorkte Flasche in 10 Minuten ca. 200 m zurückgelegt; und eine größere angeschwemmte Planke sah ich bei S. S. W.-Wind und starker Brandung in 1/2 Stunde ca. 350 m nach Norden treiben. Man nennt diese Erscheinung auch wohl „Trift“ oder mit einem Ausdruck der Wasserbautechniker „Küstenstrom“. Eine bestimmte Geschwindigkeit dieser Vorwärtsbewegung für irgendwelche vom Wasser verschleppten Gegenstände und Stoffe anzugeben, ist unmöglich, da diese nicht allein von der Stärke und Richtung der aufrollenden Roller, sondern außerdem noch, und dies nicht am wenigsten, von dem Zufall abhängig ist, insofern nämlich als dem Gegenstande auf der zurückzulegenden Strecke mehr oder weniger Hindernisse in den Weg treten, wie z. B. größere Steine, alte Wracks oder die ins Meer hinausgebauten, später genauer zu beschreibenden Buhnen, woran sie manchmal Halt machen müssen, ja bisweilen überhaupt nicht vorbeikönnen, bevor nicht stärkere oder anders gerichtete Winde mit entsprechender Brandung eintreten. Angenommen aber, wir hätten einen glatten Strand ohne solche Hindernisse, so könnte im Allgemeinen behauptet werden, dass die Geschwindigkeit des Transportes proportional wäre der Stärke der Brandung und der Schiefe des Winkels, unter dem die auflaufenden Wellen den Strand treffen.

Der Transport der Sande erfolgt in ähnlicher Weise, nur werden die gröberen längs des Gestades bei mäßiger Brandung mehr auf dem Grunde dahin geschoben, während die feineren mehr oder weniger in der Schwebe erhalten werden.

Da nun aber, wie die gezeichneten Windrosen erkennen lassen, die aus dem südwestlichen und nordwestlichen Quadranten kommenden Winde bezüglich ihrer Häufigkeit und Stärke sich so ziemlich gleichbleiben, so könnte zunächst mit Recht gefragt werden, wie die Brandung an der Westküste der Insel das Material für den starken Anwachs an den beiden Enden derselben habe liefern können, ohne dass es erst seitwärts geführt und durch den Flutstrom dorthin geschafft würde. Denn durch das wechselnde Eingreifen der beiden genannten Winde muss die Verschiebung der Sande am Strande auch der Richtung nach wechseln, bald von Süden nach Norden und bald von Norden nach Süden erfolgen, sodass im Großen und Ganzen von dem an der Westküste verschiebbaren Gesamtvorrat durch die unmittelbare Wirkung der Brandung nichts verloren gehen könne. Die nähere Überlegung aber wird uns bald zu der Überzeugung bringen, dass gerade durch die wechselnde Tätigkeit jener verschiedenen die Landwinde bei weitem übertreffenden Seewinde ein so mächtiger Anwachs an der Nordküste von Sylt möglich wird.