Eine der schrecklichsten Überschwemmungen war diejenige vom Jahre 1300. Sieben Kirchspiele sollen nach dem Bericht **) ein Raub der Wellen geworden sein.

Eine der schrecklichsten Überschwemmungen war diejenige vom Jahre 1300. Sieben Kirchspiele sollen nach dem Bericht **) ein Raub der Wellen geworden sein. Im Norden der Utlande, westlich von den jetzigen Dünen Sylts, wo nun das freie Meer ebbt und flutet, lag an einer Bucht die Stadt Wendingstedt mit ihrem altberühmten Hafen; damals verschwand auch sie, und Sylt erhielt eine westliehe Meeresgrenze, an der keine Schilfe mehr landen und ankern konnten. Dass diese Flut mit einer seltenen Gewalt gewütet haben muss, geht aus einem weiteren interessanten Bericht bei Weigelt ***) hervor: „Aus einer östlich von Rungsolt (zwischen dem jetzigen Pellworm und Nordstrand) gelegenen höheren Gegend löste sie eine große Strecke Moorland ab und trug dasselbe über die Hewer nach Eiderstedt, wo es sich auf fruchtbare Äcker lagerte“; und dass es in der Tat hier nicht nur in unbedeutenden Bruchstücken angekommen ist, dass beweisen die daran sich anschließenden Zwistigkeiten zwischen den früheren Eigentümern des Moorlandes und den Eiderstedtern; denn erstere machten Anspruch auf die Benutzung auch an seiner neuen Stelle, während die letzteren die gänzliche Wegräumung des unwillkommenen Geschenkes von ihren Äckern und Wiesen verlangten.

*) Weigelt S. 140.
**) Weigelt S, 140; Arends, Physische Geschichte der Nordsee-Küste 2. Band S. 66. Danokworth's Chronik S. 89 u. 93.
***) Weigelt, S. 160.


Da nun dieses nicht geschehen konnte, wurde den Eiderstedtern schließlich das Recht des Eigentums zugesprochen. Bald nach der Mitte desselben Jahrhunderts, nämlich 1354 und 1362, setzten ebenso schreckliche Überschwemmungen die begonnene Umgestaltung dieser nördlichen Gegend der Außenlande fort. Die letztere, als „Manndrankelse“ bezeichnet, wird von allen Sturmfluten als die allergrößte geschildert, und es solle *) in Nordfriesland keinen einzigen Landesteil gegeben haben, wo nicht Kirchen und Dörfer in die See versunken seien. Was die Insel Sylt betrifft, so wurde durch diese Flut ihr Zusammenhang mit Föhr und Amrum durchbrochen. Weigelt schreibt darüber: „Noch am 8. September 1362 ging die Sonne über Dörfern und Kirchspielen unter, die nördlich von Föhr und Amrum und südlich von Sylt gegen die schmale, zwischen jene Inseln hindurchgehende Seestraße sich erstreckten, sodass die Bewohner der einen und anderen Harde Nachbarn waren. Aber am Morgen des folgenden Tages war jene Straße bis auf eine Meile erweitert, und die an ihr landeinwärts gelegenen Dörfer und Kirchen waren in einer einzigen Nacht versehwunden“ etc. Ferner sind nach Danckwerth **) im nördlichen Teil von Sylt die beiden Ortschaften Stedum und List in jener Flut zu Grunde gegangen.

Die letzte große Sturmflut, die in höherem Masse umgestaltend auf Nordfriesland einwirkte, erfolgte 1634. Nach dem Bericht von Mein ***) soll am 11. Oktober dieses Jahres das Meer im Laufe einer einzigen Stunde durch 44 Deichbrüche in die Kroge gestürzt sein. Von den 8.000 Bewohnern der Insel waren 6.200 ertrunken, 50.000 Stück Vieh verloren, 1.300 Häuser zertrümmert, 30 Windmühlen eingestürzt.

*) Weigelt S. 161.
**) „Newe Landesbeschreibung der zwei Herzogtümer Schleswig und Holstein“ 1662 S. 93.
***) Mein 725.

Von der Mitte der Insel Nordstrand *) blieben nur einige Halligen übrig; das westliche Ende Pellworm wurde mit Hilfe der Holländer wieder gewonnen, das östliche Ende, das jetzige Nordstrand, erst viel später eingedeicht; von den 40.000 Demath, welche die Insel eben vor der Flut noch maß, sind jetzt nach mehr als drittehalb Jahrhundert erst 11.000 wieder vor den Fluten gesichert und bewohnt. Was die Insel Sylt anbetrifft, so heißt es bei Hansen**) in einem kurzen Verzeichnis aller Sturmfluten von 1204 bis 1839 von dieser Flut: „Der Sylter Deich wurde zerstört“.

Da nach dieser Zeit in jener Gegend keine auch nur annähernd so verderbliche und umgestaltende Sturmfluten wieder eingetreten sind, so haben wir die zerrissene und zerbröckelte Gestalt der nordfriesischen Utlande, wie sie heute die Karte zeigt, hauptsächlich als ein Werk des 13., 14. und 17. Jahrhunderts anzusehen. Dass dies auch speziell für die Insel Sylt zutrifft, lehrt uns ein Blick auf die beigelegte „Antiquarische Karte der friesischen Bergharden“, entworfen von C. P. Hansen, die bis auf das Jahr 1240 zurückgeht. Möge die Richtigkeit der Meier'schen Karten ***), auf welchen die von Hansen basiert, von manchen kritischen Gelehrten auch in Einzelheiten bestritten werden, so werden wir im Großen und Ganzen sie doch anerkennen müssen und die mit einer für jene Zeit bewundernswerten Genauigkeit aufgenommenen und mit großer Sorgfalt gestochenen Karten als einen wertvollen Beitrag zur Kenntnis der geographischen Verhältnisse des alten Nordfriesland ansehen. Der schon erwähnte Chronist Caspar Danckwerth, welcher mit Meier übereingekommen war, eine Beschreibung zu seinen Karten zu liefern, äußert sich über dieselben folgendermaßen †): „So viel endlich die Land-Karten des alten Nordfriesland anreichet, zeuget der Königl. Mathem: Johannes Meier, dass er fleißig den Tieffen nachgefahren und alte glaubwürdige Männer jederzeit zu Gefährten mit sich genommen, welche ihm die Örter gezeigt haben, wonach er dann die Carten formiret und in Grund geleget habe.“

*) Arends. 2. Band S. 25 und 144.
**) C. P. Hansen: Die Insel Sylt in geschichtlicher und statistischer Hinsicht. S. 7.
***) Herausgegeben im Jahre 1652 zugleich mit der Danckwertbh‘schen Chronik.
†) Danckwerth: Newe Landesbeschreibung der zwei Herzogtümer Schleswich u. Holstein S. 93,

Haben also die Umgestaltungen Nordfrieslands im großen Maßstabe mit dem Jahre 1634 auch gewissermaßen einen Abschluss gefunden, so wurde doch das Zerstörungswerk des Meeres, wenn auch in weniger umfangreicher Weise, noch nach jener Zeit fortgesetzt So wird besonders von der Weihnachtsflut des Jahres 1717, der Neujahrsflut zwischen 1720 und 1721 und von der höchsten unter diesen, der Flut im Febr. 1825 berichtet, dass sie Deiche Überspült und zerrissen, Häuser und Menschen weggeschwemmt hätten. Wenn die letztgenannten Fluten auch nicht die Berühmtheit erlangt haben, wie manche der vorhergegangenen, so mag das weniger ihrer Unbedeutendheit, als vielmehr dem Umstände zuzuschreiben sein, dass einerseits das Meer in der Vorzeit naturgemäß zunächst mit den weniger widerstandsfähigen Landgebilden den Kampf aufnahm und so größere Verheerungen anrichten konnte, als später an den wegen ihrer größeren Widerstandsfähigkeit übriggebliebenen Resten, und andererseits die Menschen jetzt erst anfingen, durch die Erfahrungen der vorangegangenen Jahrhunderte gewitzigt, durch höheren und stärkeren Bau der Deiche dem feindlichen Element mit Erfolg zu begegnen.

Aber, wenn es auch nicht mehr zu so verderblichen Überschwemmungen mit dem Untergange ganzer Ortschaften führte, so traten doch an den Uferstrecken, die wegen ihres natürlichen Schutzes gegen die normalen Angriffe des Meeres uneingedeicht bleiben, wie die ganze durch eine mehr oder minder hohe Dünenkette geschützte Westküste der Insel Sylt, bei hohen Fluten immer noch recht bedeutende Abbruche ein. So wurden beispielsweise nach Hansen*) durch die Sturmflut vom 4. Februar 1825 stellenweise 100 bis 160 Fuß von den westlichen Dünen weggerissen; und während acht stürmischer Tage des Jahres 1839 verlor das Land in der Gegend des roten Kliffs mehr als 40 Fuß an Breite.

*) Hansen: Die Insel Sylt, in geschichtlicher und statistischer Beziehung. S. 8.

Doch auch an der nach dem Haff hin gelegenen, teilweise wertvollere Marsch- und Wiesenstrecken einschließenden Ostküste machte sich stellenweise eine recht beträchtliche Abnahme fortwährend bemerkbar; und, eine wie bedeutende Umänderung die Insel Sylt auch in den beiden letzten Jahrhunderten — also noch nach der Zeit der Umgestaltung Nordfrieslands im großen — erfahren hat, darüber werden wir belehrt, wenn wir die Küstengestalt der Insel von heute mit derjenigen vom Jahre 1648 vergleichen, wie sie uns die Meiersche Karte zeigt, von deren Umrissen eine Kopie dieser Arbeit beigelegt ist. Die Kopie ist gemacht nach einer 1652 von Meier zugleich mit der Danckwerth'schen Chronik herausgegebenen Karte, die ich von einer Volksbibliothek auf der Insel Pellworm zu leihen Gelegenheit hatte. Noch deutlicher dürften vielleicht die Veränderungen an den einzelnen Strecken hervortreten, wenn wir die zweite Zeichnung, Kopie einer Karte vom Generalmajor z. D., Ehrendoktor der Philosophie, Franz Geerz betrachten, welcher den Versuch gemacht hat, unter einem gemeinschaftlichen Maßstab 1:120.000 die beiden Karten von 1648 und von 1878 über einander zu legen.

Dass aber endlich die Insel Sylt nicht nur in langen Zeiträumen, sondern auch schon von Jahrzehnt zu Jahrzehnt noch fortwährend so bedeutenden Umgestaltungen unterworfen ist, dass es auf einer Karte, im Maßstabe 1:20.000 gezeichnet, schon sehr wohl erkennbar wird, das sollen die folgenden Untersuchungen zeigen.

Während wir aus der Geschichte der nordfriesischen Inseln hauptsächlich die zerstörende Kraft des Meeres kennen lernten, sehen wir in der Gegenwart diese durch künstliches Eingreifen des Menschen um ein Bedeutendes abgeschwächt, und neben derselben die aufbauende Kraft mehr und mehr zur Geltung kommen. Dass jedoch auch in früheren Zeiten das Meer durch Brandung sowohl als auch durch die Gezeiten an manchen Stellen zur Erhöhung der Küste und Vermehrung des Landes beigetragen haben wird, steht außer allem Zweifel; nur waren die Ergebnisse dieser aufbauenden Tätigkeit zu gering, als dass sie gegenüber den gar zu oft sich wiederholenden gewaltigen Verlusten an Ort- ja Landschaften genügende Beachtung und in geschichtlichen Berichten Erwähnung gefunden hätten.

Wegen der völlig ungleichartigen Umlagerungen an der Ostküste und an der Nord- und Westküste Sylts — von einer Südküste kann kaum gesprochen werden, da die Insel nach Süden hin in eine schmale Spitze ausläuft — sollen die beiden genannten Küstenpartien gesondert betrachtet werden.

Durch die Liebenswürdigkeit des Herrn Düneninspektors und Landvogts Hübbe in Keitum a/S. wurden mir als Resultate von sorgfältigen Messungen, vorgenommen in den Jahren 1878 und 1896, also in einem Zwischenraum von 18 Jahren, die auf den folgenden Seiten angegebenen Zahlen mitgeteilt.

Auf Grund der in der ersten Hälfte gegebenen Resultate wurden die dieser Arbeit beigelegten Tafeln I und II gezeichnet. welche die nördliche Hälfte der Insel Sylt darstellen und wohl das anschaulichste Bild über die Abnahme sowie Zunahme von deren Nord- und Westküste innerhalb des genannten Zeitraumes geben dürften. Zur Erläuterung der Zeichnungen sei folgendes hinzugefügt: Die Messungen, welche sich von der nordöstlichen Spitze der Insel, der sogen. Ellenbogenspitze westwärts um den Ellenbogen herum auf die Westküste bis Hömum Odde, der südlichsten Spitze Sylts, erstrecken, im Ganzen eine Ausdehnung von 41,5 klm,, sind in Abständen von je 500 m vorgenommen, und zwar in der Weise, dass von der Ellenbogenspitze als Ausgangspunkt aus im Jahre 1878 in gewissen Entfernungen vom Fuß der Düne Pfähle eingerammt wurden, welche mit den fortlaufenden Nummern von 0 bis 83 bezeichnet wurden. Die 1896 wiederholten Messungen der Entfernung derselben Pfähle vom Fuß der Düne mussten dann das Vor- oder Rückwärtsschreiten des Dünenfußes und somit die Zu- oder Abnahme in dem Zeitraum von 18 Jahren ergeben. Den Entfernungen der je 500 m von einander entfernten Pfähle entsprechen auf den Tafeln diejenigen zwischen den senkrecht zur Küstenlinie gezogenen Linien und zwar sind alle diese Senkrechten, um auch an den Stellen, wo nur geringe Änderungen innerhalb der 18 Jahre eingetreten waren, die letzteren auf der Karte etwas deutlicher zum Ausdruck bringen zu können, im Maßstabe 1: 10.000, die Küstenlinie selber hingegen im Maßstabe 1: 20.000 gezeichnet.

Bei der Betrachtung der Tafel I fällt an der Nordwestküste sofort der schroffe Übergang von der starken Zunahme der Nordküste zu der Abnahme der Westküste auf.