XII. Die Universitäten.

Perry, Edward D., The American University. Monographs on Education in the United States. Universal Exposition St. Louis, 1904. — Journal of the Proceedings of the Association of American Universities. 10 Conferences, partictdarly of tenth Conference 1909, Paper presented by Univ. of Calif.

Es ist keine so einfache Sache, die amerikanische Universität zu beschreiben. Man kann nämlich nicht ein bestimmtes konkretes Beispiel herausgreifen und sagen: „Dies ist eine amerikanische Universität“. Lehr- und Lerntätigkeit steht in reicher Blüte, Hilfsmittel zur Veranschaulichung sind in Fülle vorhanden. Das alles stimmt mit den Einrichtungen überein, durch die z. B. in Deutschland eine Universität gekennzeichnet wird, aber es ist doch nicht dasselbe, nicht so auf ein Institut konzentriert. Unser System ist aus sich selbst herausgewachsen für unsere besonderen Bedürfnisse, und seine Entwicklung ist weder ursprünglich noch überhaupt sehr von dem Wunsche bestimmt worden, darin ein Gegenstück zu der europäischen Universität hervorzubringen. Wenn ein Bedürfnis nach Unterricht in gewissen Gegenständen oder für einen gewissen Zweck fühlbar wurde, haben sich sofort Leute daran gemacht, dieses dadurch zu befriedigen, daß man schon Bestehendes ergänzte oder umgestaltete. Der Hauptbeweggrund war, die Nachfrage zu befriedigen und nicht etwa nach dem Muster fremder Kategorien oder ausländischer Ideen etwas zu schaffen. Die einzige Ausnahme hierzu mag im rein äußerlichen Mechanismus vielleicht die Einführung der „graduate school“ mit ihrem dreijährigen zum Dr. phil. führenden Studium sein. Dies ist unzweifelhaft bewußter und — wie viele von uns jetzt glauben — unglücklicherweise der „Philosophischen Fakultät“ der deutschen Universität nachgebildet worden. Aber es stellte sich heraus, daß ihre Studenten reifer an Jahren als die deutschen Vorbilder waren und größeres allgemeines Interesse sowie ausgedehntere Kenntnisse besaßen. Und ob wir es nun für gut oder schlecht halten mögen, ein Vergleich der veröffentlichten Doktordissertationen wird zeigen, daß das amerikanische Doktorat eine reifere und umfangreichere, wenn auch nicht durchdringendere Vorbereitung voraussetzte. Tatsache ist, daß es unmöglich ist, die beiden Verhältnisse und die beiden Resultate mit einander zu vergleichen. Der amerikanische Doktortitel ist selten vor dem 26. oder 27. Jahre zu erlangen. Außerdem hat der amerikanische Graduate-Student den vierjährigen College Kursus hinter sich, für den das deutsche System — ob das ein Vorteil oder Nachteil ist, bleibe dahingestellt — kein genaues oder auch nur entfernt ähnliches Gegenstück aufzuweisen hat. Die versuchten groben Vergleiche und Gleichungen, die wir in den von durchreisenden Beobachtern für Europäer geschriebenen Berichten über die amerikanische höhere Erziehung finden, sind, soweit ich gesehen habe, höchst fehlerhaft und irreleitend.


Ein Vergleich kann nur im Einzelfalle gezogen werden. Der Einzelstudent ist der entscheidende Faktor. In einigen Fällen wird die College-Graduierung, in anderen das Ende des zweiten College-Jahres, in wieder anderen der Eintritt in das College dem deutschen Abiturientenstadium entsprechen, aber in den meisten Fällen wird nichts entsprechen.

Soviel über die eine mögliche Ausnahme zu der eingangs erwähnten Tatsache, daß Amerika sich nicht bemüht hat, die europäische Universität nachzuahmen. Aber da man doch schließlich, wenn man zu Europäern über Universitäten spricht, erklären muß, wodurch die amerikanische Universität gekennzeichnet wird, so muß man die Merkmale heraussuchen, ja manchmal aus dem Gefüge herausbrechen.

Eins steht zunächst fest: wir dürfen nicht erwarten, durch ein einfaches Rechenexempel zu einem Resultat zu kommen, indem wir etwa z. B. alles, was das „College“ nach unserer Beschreibung kennzeichnet, subtrahieren und den ganzen Rest „Universität“ nennen.

Ein ganz bedeutender Teil der undergraduateoder collegiate-Einrichtungen gehört zu dem, was in Europa als Universität bekannt ist. Beinahe alle Spezialisierung nimmt ihren Anfang weit zurück in den College-Kursen, wenigstens werden dort die Grundlagen gelegt. Das Eigentümliche an der Sache vom europäischen Standpunkte aus ist, daß diese Anfänge der Spezialisierung in denselben Kursen liegen und von denselben Lehrern gepflegt werden, die auch die andern Studenten besuchen, welche durchaus kein Fachstudium einschlagen wollen. Das College ist ursprünglich für Leute geschaffen, die sich durch Beschäftigung mit den Methoden und dem Inhalte verschiedener Wissenschaften für das Leben vorbereiten wollen. Dient es auch dem zukünftigen Fachstudenten, so ist es in sich selbst eine beständige Warnung gegen zu schwache Grundlagen. Die amerikanische Demokratie stellt unzweifelhaft eigentümliche Anforderungen sowohl an Vielseitigkeit der Interessen wie an Vielseitigkeit der Fähigkeiten. Der Typus von Spezialisten, wie ihn das europäische System hervorbringt, entspricht außer in sehr beschränkten Grenzen nicht unseren Zwecken. Die Spezialisten stehen selten mit ihrer Umgebung im Einklang; ihre Interessen sind nicht vielseitig genug; sie verrichten gute Dienste in beschränktem Felde, aber sie werden immer Diener bleiben; Führer werden selten aus ihnen. Ein Beweis hierfür liegt in der weitverbreiteten Reaktion, die sich überall gegen das, was man gewöhnlich mit dem Namen „hasty specialization“ (Spezialisation auf zu schwacher Grundlage) belegt, fühlbar macht. Überall hört man die Forderung, zum College zurückzukehren, und ich bin überzeugt, daß dies eine natürliche Forderung amerikanischer Lebensbedingungen ist. Professor Flexner verleiht ihr in seinem bereits zitierten Buche Worte (S. 216): „Der Ausweg liegt, wie ich die Sache betrachte, in der kräftigen Geltendmachung der Priorität des Colleges als solches. Der Schwerpunkt muß zurückverlegt werden. Das ist der Kern der ganzen Frage. Geschichtlich sind Yale; Columbia, Harvard, Princeton Colleges. Der A. B., nicht der Dr. phil. ist der „College man“, und ist es von jeher gewesen. Dem College sind reichliche Unterstützungen zugeflossen. Und es ist ein College, wo dem Jüngling ein tiefer Ernst des Strebens und volles Vertrauen in sich selbst anerzogen wird, dessen die Nation in hervorragendem Grade bedarf.“

Es ist bereits bekannt, daß die neue Verwaltung der Harvard-Universität ihr erstes Augenmerk auf die Wiederherstellung des alten Colleges richten wird. Harvards Einfluß auf die Nation in der Vergangenheit und seine ihr geleisteten Dienste sind hauptsächlich durch seine Collegeerziehung bedingt. Noch mehr ist dies bei Yale der Fall. Die ihnen eigentümliche Atmosphäre erhalten diese Institute in ihren Colleges; aus ihnen rekrutiert sich auch das Heer ihrer Anhänger. Das Bürgertum der Nation bedarf seiner College-“Graduates“. Bürgertugend und nicht Bureaukratismus ist das höchste Dienstideal der Nation und ihr größtes Bedürfnis. Man will durchaus nicht die Arbeit der philosophischen Fakultät, indem sie für die Ausbildung des Sachverständigen Sorge trägt, herabsetzen, noch hat man die Absicht, ihren Wirkungskreis zu beschränken — ganz im Gegenteil; aber es besteht eine sehr entschiedene Abneigung dagegen, das College aufzugeben. Es muß bleiben, um einen zweifachen Zweck zu erfüllen: erstens eine allgemeine Vorbereitung fürs Leben für solche Leute vorzusehen, die damit ihre Ausbildung abschließen — und diese machen, wenigstens in den älteren Colleges des Ostens, das vorwiegende Element aus — , und zweitens einen allmählichen Übergang von der allgemeinen humanistischen Erziehung zur Spezialisierung und Forschung zu bilden. Dies ist das amerikanische Verfahren und wird beibehalten werden. Eine Nachahmung des Ausländischen, wie wir sie hier gehabt haben, gehört der Vergangenheit an und wird nicht so bald wieder Aufnahme finden. Amerikanische Zustände sind verschieden von europäischen und schaffen verschiedenartige Bedürfnisse. Die Menschen sind in vielem gleichgeartet, ob nun in Amerika oder Europa, aber die sozialen und politischen Zustände sind andere. Die Einschiebung des Colleges zwischen die Vorbereitungsschule und die Schulen für Spezialisierung befriedigt ein amerikanisches Bedürfnis, und das amerikanische College ist heute der einflußreichste und tonangebende Faktor in der Gestaltung der amerikanischen öffentlichen Meinung. Das Land wird heute in der Hauptsache von den College graduates regiert, sei es nun, daß sie tatsächlich die öffentlichen Ämter innehaben, sei es, daß sie die öffentliche Meinung bestimmen.

Statistiken, die im Jahre 1905 auf Grund des Namenmaterials in einem wohlbekannten biographischen Diktionär gemacht wurden, zeigten, daß 70% der 11.384 darin genannten, durch besondere Verdienste ausgezeichneten Personen das College besucht und 65% regelrecht graduiert hatten. Weniger als 10% hatten nur die Volksschule besucht und 1/5 % waren „self-taught“ (Autodidakten).

Fassen wir noch einmal zusammen: die Erziehung, welche in Europa für den Staatsdienst vorbereitet, ist — soweit sie nicht von der Armee ausgeht — die von der Universität gegebene; in Amerika ist es eher die des College. Eine demokratische Staatsleitung wird von den Spezialisten Gebrauch machen, aber sie erwählt sie nicht in dieser Eigenschaft zu Ämtern, noch regiert sie durch dieselben.

Alles dies haben wir vorausschicken müssen, um zu zeigen, daß die amerikanische Universität dadurch nicht definiert wird, daß wir einfach das College von der Totalsumme, die unter dem gemeinsamen Namen „university and College“ geht, subtrahierten. Wir suchten das Merkmal in dem amerikanischen System, das dem, was der Deutsche unter einer Universität versteht, entsprechen könnte. Ein Teil davon, und noch dazu ein äußerst wichtiger, ist, wie wir sahen, im „College“ konzentriert. Besonders bei den größeren Instituten und in den größeren Staats-Universitäten des Westens, wo Spezialisierung im Maßstabe der Universitätsarbeit besonders stark in den letzten zwei Jahren des College-Kursus betrieben wird.

Ein weiterer Beweis dafür, daß das Ende des baccalaureus-Kursus einen Punkt jenseits der Grenze darstellt, die man gewöhnlich und mit anscheinend gutem Recht als den Anfang der Universität bezeichnen mag, ergibt sich aus der Tatsache, daß die Fachschulen, Jura und Medizin, selten die Beendigung eines Collegekursus für die Zulassung vorschreiben. Yale fordert zwei Jahre Collegearbeit sowohl für Medizin wie für Jura. Columbia verlangt einen vollen Collegekursus als Bedingung für die Zulassung zur Jura, aber nur ein Jahr College für den Beginn des rein medizinischen Studiums. Harvard schreibt für seine Rechtsschule Collegegraduienmg vor und 85% seiner Mediziner haben den baccalaureus-Grad; aber es versucht die Vollendung des Collegekursus in drei Jahren möglich zu machen. Ein vierjähriges medizinisches Studium im Anschluß an die Collegearbeit bringt das Durchschnittsalter für den M. D. auf 26 oder 27 Jahre, und das Alter des Eintritts in die Praxis auf 27 bis 29, Die Universität von Kalifornien verlangt drei Jahre Collegearbeit für Jura, verleiht jedoch den baccalaureus-Titel in Jura schon nach einem Jahre, und den doctor juris nach drei Jahren; sie schreibt ein Minimum von zwei Jahren College für den Eintritt in das Studium der Medizin vor, aber tatsächlich haben die meisten Studenten der Medizin den baccalaureus-Titel. Denen jedoch, die das Minimum gewählt, gibt es den baccalaureus (B. S.) am Ende des zweiten Jahres, indem es die medizinischen Wissenschaften der Pathologie, Anatomie, physiologischen Chemie, Bakteriologie und Physiologie als Studien für den baccalaureus-Grad mitanrechnet, und verleiht dann den Titel „Doctor der Medizin“ nach weiteren zwei Jahren. Dieses Ineinanderschieben der beiden Kurse ist ein nicht so außergewöhnliches Zufluchtsmittel, zu dem man in Anbetracht des Alters des Studierenden griff. Ein System kann nicht bestehen, das die Facherziehung über das 25. Jahr hinzieht. Von den 10.821 Studenten der 71 besten medizinischen Schulen des Landes hatten im Jahre 1907 nur 1.591 oder ungefähr 15% einen College-Grad.

Die Institute, die im deutschen Sinne als Universitäten angesehen werden können, weil sie ein starkes Element dessen in sich vereinen, was man in Deutschland unter Universitäts-Studium versteht, die also „graduate schools“ von 100 bis 400 Teilnehmern haben und die eine oder mehr Fachschulen besitzen, sind die folgenden:

Privatstiftungen. Staats-Universitäten.
Harvard, Michigan,
Yale, Wisconsin,
Columbia, Minnesota,
Pennsylvania, California,
Cornell, Illinois,
Chicago, Missouri,
Johns Hopkins, Iowa,
Stanford, Indiana.

Johns Hopkins besteht nur aus einer philosophischen Fakultät mit einer Frequenz von 177, einer medizinischen Fachschule von 355 und einem College (nur für Männer) von 166 Studenten. Es ist der einzige Fall einer scharf begrenzten Trennung der Universität von dem College; die philosophische Fakultät etablierte sich zuerst, während das College und die Schule für Mediziner sich erst später anschloß. Die philosophische Fakultät hat nur eine begrenzte Anzahl von Studiengruppen erhalten, aber in allen werden außerordentlich gute Leistungen erzielt. Johns Hopkins Gründung im Jahre 1876 schuf erst eine genau begrenzte und bewußte Existenz der amerikanischen Universität. Sein College besitzt einen dreijährigen baccalaureus-Kursus. Frauen sind nur zu der medizinischen Fachschule zugelassen.

Clark Universität zu Worcester, Mass., begann im Jahre 1889 als philosophische Fakultät nur mit den Abteilungen der Mathematik, Physik, Chemie, Biologie und Psychologie (Pädagogik mit eingeschlossen); aber alle waren sie von hoher Leistungsfähigkeit. Es ist bezeichnend für amerikanische Verhältnisse, daß dieses Institut, dem Beispiele von Johns Hopkins folgend, im Jahre 1902 ein College angliederte. Eine philosophische Fakultät scheint sich ohne ein College einsam zu fühlen.

Die „graduate school“ (philosophische Fakultät) hat sich in den letzten 30 Jahren entwickelt. Erst im Jahre 1872 beschloß Harvard, den Dr. Phil, zu verleihen. Ungefähr seit dem Jahre 1800 werden „resident graduates“ in den jährlichen Katalogen der Anstalt erwähnt; aber ihrer waren nur wenige, zwölf im Jahre 1811, neun im Jahre 1833, einer 1837, fünfzehn 1845, drei 1850, neun 1860, und sie scheinen nichts anderes zu tun gehabt zu haben, als zu „reside“ — als „da zu sein“. Im Jahre 1863 wurden einige unzusammenhängende Kurse von Vorlesungen geboten, „zu denen alle „College graduates“ und Schullehrer, die ihre Namen eintragen, Personen — außer den „undergraduates“ — , die mit der Universität in Verbindung stehen, und andere gegen Zahlung von $ 5.— (21 Mk.) zugelassen sind“. Die Erwähnung von Geld ist der erste Beweis der Realität. Im Jahre 1872 wurden weitere formelle Einrichtungen getroffen und 28 graduate-Studenten schrieben sich ein; im Jahre 1876 — 61 und 1889 — 111. Im Jahre 1890 wurde die bisherige Abteilung als besondere „graduate school“ organisiert. Yale, das bahnbrechend auf diesem Felde war, hatte schon im Jahre 1847 ein „graduate department“ eingerichtet und den Dr. der Philosophie zum ersten Male im Jahre 1861 verliehen. Eine philosophische Fakultät kam 1872 hinzu. Columbia verlieh seinen ersten Dr. phil. 1884.

Die Eröffnung von John Hopkins im Jahre 1876 als bloßes graduate-Institut mit einem ausgezeichneten LehrerKollegium und 20 fellowships (Stipendien) von je $ 500. — (2.100 Mk.) weckte in dem neuen Geschäftszweige, der es sich zur Aufgabe machte, vorschriftsmäßig etikettierte und garantierte Kandidaten für Collegelehrerstellen zur Deckung der Nachfrage parat zu haben, besondere Unternehmungslust. Überall wurde verkündet, die Amerikaner brauchten nicht mehr die deutschen Universitäten aufzusuchen. Von überall her, von großen und kleinen Colleges, strömten die ehrgeizigsten der jungen College graduierten nach Baltimore, um dort Kurse in Mathematik, Physik, Chemie, Geschichte, den Klassikern, Sanskrit und den modernen Sprachen zu belegen, — und sehr bald wandten sich auch die College-Präsidenten des Südens und Westens auf ihrer Suche nach neuen Instruktoren an die Anstalt in Baltimore. Niemals ist eine frische Warensendung von den Kauflustigen freudiger begrüßt worden, noch je schneller vergriffen gewesen. Es war gute Ware und stand in dringender Nachfrage. Einige Exemplare trugen, wie leicht begreiflich, die Merkmale einer maschinenmäßigen Produktion, aber das meiste war gut. Es trug ein neues Warenzeichen und war wirkhch eine bessere Qualität, wenn nicht ein ganz neues Produkt! Präsident Gilman kam mit seiner Universität, wie der amerikanische Geschäftsmann sagen würde, „just in the nick of time“ (wie gerufen), und während eines ganzen Jahrzehntes beherrschte er den Markt. Durch seinen Erfolg angestachelt, wandten sich andere der Entwickelung dieser „infant home industry“ zu, unter Nachahmung der Waren ,,made in Germany“. I. J. 1861 wurde der erste Doktor der Philosophie in New Haven verliehen, 1898 waren 3600 graduate-Studenten in 24 Universitäten eingetragen, und 246 erhielten nach bestandenem Examen den Doktortitel; i. J. 1907 waren 7000 eingeschrieben und 329 Titel wurden verliehen. Die Anforderungen für den Doktorgrad sind jetzt an allen Universitäten ersten Ranges durch gemeinsamen Beschluß der Vereinigung der amerikanischen Universitäten gewissermaßen vereinheitlicht worden. Die einheitlichen Anforderungen sind: a) ein dreijähriges Spezial-Studium — mit beständigem Aufenthalt im Universitäts-Bezirke — , oder in besonderen Fällen, wenn vorgeschrittene Spezialarbeit schon in den Collegekursen begonnen war, nur ein zweijähriges; b) die Vorlage einer gedruckten Dissertation, die Resultate einer selbständigen Untersuchung aufweisen muß; c) ein mündliches Examen in einem Hauptund einem oder zwei Neben-Fächern.

Nur ein kleiner Prozentsatz aller derer, die als graduate-Studenten eingetragen sind, haben die Aussicht oder das Streben, den Doktortitel zu erlangen. Eine größere Anzahl machen den A. M. (master of Arts). Dieser Grad wurde früher drei Jahre nach Graduierung gegen eine gewisse Geldsumme verliehen, jetzt ist er aber wieder frisch aufpoliert worden und fungiert als regelrechtes Fachdiplom der Lehrer. Er wird jetzt nach einem Jahr erfolgreichen graduate-Studiums und Ausarbeitung eines Essays oder einer These verliehen. Immer mehr tritt zutage, daß unsere eigentliche amerikanische Universitätsarbeit an der Grenze zwischen der unteren und oberen Abteilung des College einsetzt. Von diesem Punkte an gerechnet erstreckt sich die Berufsvorbereitung des Lehrers über drei Jahre und der M. A.-Grad entspricht dann genau den Graden „Zivil-Ingenieur“, „Maschinen-Ingenieur“ usw. in den technischen Schulen. Diese geben den B. S. (Bachelor of Science) am Ende des vierten College-Jahres, d. h. bei der sogenannten Graduierung, werden sich jedoch, hoffentlich mit allgemeiner Zustimmung, innerhalb weniger Jahre die Verleihung des Ingenieurtitels bis zum Ende des ersten graduate-Jahres vorbehalten. C. E. (Civil-Engineer) und A. M. sind eigentlich beides technische Grade. Das Doktorat hat ein anderes Ziel. Unsere Normierung erstrebt also in nicht mißzuverstehender Weise, die Erlangung der technischen Berufsgrade „Ingenieur“ bzw. „magister“ auf ein dreijähriges und die wissenschaftlichen Diplome „Dr. jur.“, „Dr. med.“ und „Dr. phil.“ auf ein fünf-, in besonderen Fällen ein vierjähriges Studium von der Mitte des College-Stadiums an festzulegen. Wenn dies einmal erreicht ist, werden wir zum ersten Male seit der Sintflut trockenes Land unter den Füßen haben. Und was wird dann aus dem alten baccalaureus-Stadium werden? Wenn es erhalten bleibt, wird es die Vollendung des traditionellen Collegekursus markieren und denen zu Diensten sein, die den Kursus in der alten Weise benutzen, nämlich als eine allgemeine Vorbereitung fürs Leben und fürs Geschäft.

Kein Department des amerikanischen Unterrichtswesens ist gegenwärtig in einer größeren Umwälzung begriffen als die medizinische Fachschule, und die schnelle und manchmal sogar abrupte Steigerung der Anfordemngen hat seit 1903 in der Frequenz eine stetige jährliche Abnahme von ungefähr 1.000 zum Resultat. Schulen für Zahnheilkunde und Pharmazie, die nach amerikanischem Brauch mit Universitäten in Verbindung stehen, lassen ihre Eintrittsbedingungen auf der „high-school“ beruhen und sind daher bloße Parallelen zum College. Augenblicklich kann man für diese nur darauf hinarbeiten, ihre Graduierung mit dem Magisterund dem Ingenieur-Grad auf ein gleiches Niveau zu bringen, d. h. ein weiteres Jahr nach der Absolvierung des College dafür anzusetzen.

Die Lage der theologischen Schulen in Amerika ist eine eigentümliche. Die besten verlangen eine CollegeErziehung, aber von der Gesamtheit der 9.000 Studenten in 162 Instituten sind nur 3000 von einem College graduiert. Der größte Teil dieser Schulen wird direkt von Sekten erhalten und steht mit den Universitäten in keiner Verbindung. Die Scheidung von Kirche und Staat und das Anwachsen der Sekten in den ersten Dreivierteln des 19. Jahrhunderts, als die meisten gegründet wurden, scheint dies notwendig gemacht zu haben. Von den 14 oben erwähnten Universitäten besitzen nur 3 theologische Schulen. Als Harvard seine Schule i. J. 1819 eröffnete, wurde sie als unitarisch angesehen; und als das College immer mehr den Charakter einer konfessionellen Anstalt verlor, hielt man es für nötig, die theologische Schule ganz von dem College zu trennen, so fest war man davon überzeugt, daß eine Schule der Gottesgelehrsamkeit zu dem Inventar einer besonderen Sekte gehören müsse. Ein entsprechender Erlaß wurde demgemäß im Jahre 1858 von dem gesetzgebenden Körper beschlossen, trat jedoch niemals in Kraft. Seit d. J. 1870 bis heute ist die Schule theoretisch und praktisch von der Sekte vollständig unabhängig. Das darauf bezügliche Universitäts-Statut lautet: „Eine Übereinstimmung mit den speziellen Doktrinen oder Bräuchen irgend einer bestimmten Konfession des christlichen Glaubens wird von den Lehrern oder Studenten nicht verlangt.“

Yale organisierte im Jahre 1822 eine theologische Schule, die wie das College selbst mit den Kongregationalisten in Verbindung stand; aber auch diese Schule hat sich von der Sekte losgemacht. Das Theologen-Seminar der Chicago-Universität ist ein Baptisten-Institut, wenngleich es mit großer Liberalität geleitet wird und vorzüglich ausgerüstet ist. Columbia ist kein theologisches Institut angegliedert, aber Vertreter der beiden großen Schulen in New York, des „Union Theological Seminary“ (presbyterianisch) und des „General Theological Seminary“ (episkopalisch), sitzen in dem Aufsichtsrat der Universität. Es entspricht der Zeitrichtung, wenn wir die unabhängigen theologischen Seminare ihren Sitz in die Universitäts-Städte verlegen sehen, um dort mit den Universitäten zu gemeinsamer Tätigkeit sich zu verbinden. So haben sich z. B. kürzlich vier theologische Schulen in Berkeley, dem Sitz der Universität von Kalifornien, niedergelassen. Letztere ist ja als Staats-Schule gewissermaßen, wenn nicht gar gesetzlich, von dem Erteilen eines theologischen Unterrichts ausgeschlossen.

Aus der Aufzählung all der genannten Beziehungen wird es ersichtlich gewesen sein, daß die amerikanische Universität im Lichte der amerikanischen Verhältnisse beurteilt und eingeschätzt werden muß, und wie schwierig es ist, die Richtmaße europäischer Normen anzulegen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Unterricht und Demokratie in Amerika