XI. Coeducational Colleges.

Literatur vgl. Kapitel X.

In der letzten Vorlesung besprachen wir die höhere Erziehung der Frauen als Ganzes und beschrieben dann zwei College-Typen, die sich derselben widmen. Wir kommen nun zu einem dritten Typus, dem „coeducational“ College, und damit zu einer neuen Frage mit ihren eigenen neuen Schwierigkeiten. Im Interesse des Individuums sowohl als in dem der menschlichen Gesellschaft halten es viele verständige Leute überhaupt für unnötig, den Frauen eine College-Erziehung zu geben; aber die Zahl derer, die vor dem Gedanken zurückschrecken, sie dieselben Colleges wie die Männer besuchen zu lassen, ist noch viel größer. Den Streit über die erstere dieser Ansichten halte ich für beigelegt, und diese Beilegung erfolgte zweifellos bei ims deswegen, weil die Lösung die amerikanischen Wünsche erfüllte, aber ich glaube, er ist auch allgemein entschieden. Die zweite steht jedoch noch zur Diskussion, auch in Amerika. Das nötige Material für eine Beurteilung ist noch nicht zusammengebracht. Ansichten schwanken, sogar die Ansichten derselben Männer. Inzwischen reift die Erfahrung und die Unterlagen zur genaueren Prüfung mehren sich; denn gerade die Freiheit und Verschiedenheit unserer Unterrichtsanstalten bieten — obgleich dadurch eine heillose Verwirrung angerichtet wird — noch unschätzbare Gelegenheiten, experimentell zu lernen. Jedes Jahr verlassen Frauen Colleges beider Art und treten ins Leben hinaus; im letzten Jahre empfingen 4234 den baccalaureus-Grad in coeducational Colleges, 1429 in Frauen-Colleges; aber dies ist frisches Wachstum. Vor einem Jahrzehnt war das Material zur Beurteilung noch zu beschränkt und zu zerstreut, um eine Beurteilung zuzulassen. Wir konnten bis jetzt noch nicht mit Sicherheit nach dem, was wir von den Werken und Wundern der graduierten Studentinnen in der Praxis des Lebens gesehen haben, angeben, worin sich die mit dem Mann zusammenerzogene Frau in Wert und Wirksamkeit von ihrer mehr von der Welt abgeschlossenen Schwester unterscheidet. Wir werden jedoch bald soweit sein, wenn überhaupt ein Unterschied sich konstatieren läßt. Die bisherigen zahlreichen Erklärungen der wahrscheinlichen Unterschiede sind mit der Zeit weniger positiv und bündig geworden; vielleicht lichtet sich auch der Wald, nun man ihm näher kommt. Das Betragen und Benehmen während der Studienzeit hat ferner für die Beurteilung der beiden Klassen von Studentinnen als Prüfstein der Beurteilung gedient; besonders häufig beruhen darauf die Ansichten junger Männer, die als frisch gebackene Instruktoren von den Colleges des Ostens kommen. Später finden sie, daß die Charaktereigenschaften, die sie immer mit „coeducation“ verknüpft haben, meistenteils nur aus der ganzen neuen und ungewohnten Umgebung zu erklären sind. Ich bin selbst Lehrer an vier amerikanischen Universitäten gewesen, in zweien davon wurden nur Männer, in den beiden anderen Männer und Frauen zusammen unterrichtet. Wenn ich meine eigene aufrichtige Meinung über diesen Streitpunkt sagen soll, so muß ich mit der Erklärung beginnen, daß die Unterschiede, wie sie auch sein mögen, sich kaum mit den Ansichten der Theoretiker decken; besonders sind sie aber keineswegs so grell und weitreichend, wie man allgemein annimmt. Man erwartet aber zu viel, darin liegt der Fehler. Die Beurteilung muß sich in viel engeren Grenzen und in viel feineren Unterschieden bewegen als irgend eine der Erklärungen, die wir gewöhnlich zu hören bekommen und die in den meisten Fällen auch noch durch Parteieifer und Intrigen, durch Stellungnahme zu der Frage der Frauenrechte überhaupt, beeinträchtigt werden.


Lassen wir die theoretische Erörterung und das Forschen nach der Ursache. Coeducation ist unzweifelhaft in den Vereinigten Staaten vorherrschend. Wenigstens viermal so viele Frauen erstreben eine höhere Erziehung unter dieser Schulform als in der anderen. Wie auch die landläufigen Meinungen über die Richtigkeit und Schicklichkeit dieser Wahl sein mögen, zugegeben muß werden, daß sie mit wenig Rücksicht auf diese Ansichten getroffen ist. Einerseits kommen die Beurteilungen post festum, anderseits mußten sie sich der Wirklichkeit eben anpassen. Coeducation kam in die Universität durch eine einfache und unvermeidliche Ausdehnung des in den „common schools“ gebrauchten Systems auf diejenigen Institute, die deren natürliche Fortsetzungen und Schlußsteine waren. Die Ausdehnung fand zuerst und hauptsächlich im Westen statt, wo man sich weniger an das Hergebrachte gebunden fühlte. Unter demselben Druck, für die höhere Erziehung der Frauen Vorkehrungen treffen zu müssen, legte der mehr konservative Nord-Osten seine Separat-Institute an und hielt so die Bewegung der „coeducation“ teilweise in Schach. Nach dem Zahlenmaterial, das Frau Präsidentin Thomas in ihrer Monographie über „the Education of Women“ gegeben hat, sind in New England und den nördhchen Mittelstaaten von 64 Colleges (die römisch-katholischen Colleges und Seminare ausgeschlossen) nur 29 oder weniger als die Hälfte ,,coeducational“. In den südlichen und südlichen Mittelstaaten sind von 161 Instituten 125 coeducational und 36 ausschließlich für Männer bestimmt. In den westlichen Staaten sind von 195 nur 13 ausschließlich den Männern reserviert.

Die Colleges nahmen, wie oben gesagt, coeducation aus dem System der „public schools“ herüber aus praktischen Gründen und nicht sehr unter dem Einfluß theoretischer Erwägungen. Aber auch für die „public schools“ selbst waren ursprünglich mehr praktische als theoretische Gründe maßgebend gewesen.

Die früheren Stadt- und Bezirks-Schulen New Englands hatten für den Unterricht der Mädchen fast gar nichts vorgesehen. Entweder nahmen die unzulänglichen „dame-schools“ (ländliche Elementarschule unter Leitung einer älteren Dame) sich der Mädchen für ein privates Unterrichtshonorar an, oder diese lernten ihr bißchen Lesen und Rechnen von den Eltern zu Hause. Die halsstarrigen alten Puritaner hatten sich Paulus Lehren über die Frauen ganz wörtlich zu Herzen genommen. Ende des 18. Jahrhunderts hören wir jedoch, daß es den Mädchen erlaubt war, zur Mittagszeit oder in besonderen Sommerquartalen die Schulen zu besuchen, wenn die Knaben nicht da waren. Aus dieser Zeit stammt die Geschichte von einem kleinen Mädchen aus Hatfield (Mass.), das seinen Wissensdurst dadurch stillte, daß es auf der Schulhaustreppe saß und durch die offene Tür die Knaben ihre Lektionen hersagen hörte.

Das Tagebuch David Mc Clures berichtet unter dem 7. Nov. 1773 von einer Aufforderung durch die „Selectmen“ (Ausschuß) von Portsmouth, N. H., „die Leitung einer öffentlichen Schule von Fräuleins zu übernehmen“, und später, daß er großen Erfolg hatte: „30 kamen am ersten Tage und bald darauf 70 bis 80“. Er fügt hinzu: „Ich lehrte hauptsächlich Lesen, Schreiben, Arithmetik und Geographie. Dies ist, glaube ich, die einzige auf Kosten der Stadt unterhaltene weibliche Schule in New England; es ist eine weise und nützliche Einrichtung“. Ungefähr zur selben Zeit oder vielleicht etwas später hören wir zuerst von Seminaren oder Akademien für Mädchen; ferner von einigen gemischten Schulen, alle jedoch unter Privatleitung. Schritt für Schritt fanden die Mädchen im Beginn des 19. Jahrhunderts Zutritt zu den kleinen Bezirks-Schulen der Landstädte, und bei der großen Erweiterung des öffentlichen Schulsystems nach 1830 wurde die Mischung der Geschlechter in diesen Schulen zur Regel. Die spärliche Verteilung der Bevölkerung über den größten Teil des Landes machte diese Maßregel unvermeidlich, wenn den Mädchen irgend welche Gelegenheit zum Schulunterricht geboten werden sollte. Die Bewegung nahm ihren Fortgang, allmählich und natürlich, ohne irgend welche Auseinandersetzungen hervorzurufen und fast ohne Aufzeichnungen zu hinterlassen. Nach 1865 wurden die öffentlichen Schulen fast ganz coeducational, und nur wenige Separat-Schulen für Mädchen (meist highschools) blieben in den großen Städten bestehen. Heute sind alle öffentlichen Schulen mit Ausnahme von 1% und weniger Knaben und Mädchen gleichmäßig zugänglich. Der Mangel an Männern während des Bürgerkrieges (1861—1865) brachte die Frauen in von Jahr zu Jahr schnell zunehmender Anzahl in die Lehrstellen. Vorher waren die Männer in großem Übergewicht gewesen. Im Jahre 1870 waren sie es noch im Süden; aber auch hier ist ihre Zahl im Jahre 1907 von 65% auf 31% gefallen. In dem Lande als Ganzem war im Jahre 1870 der Prozentsatz der in der Lehrtätigkeit stehenden Männer 41; er fiel 1890 auf 34,5, 1900 auf 30 und 1907 auf 21,7. Im Nordosten, New England mit eingeschlossen, dem Paradies der Schulen und Schullehrer, und in den Mittelstaaten (N. Y., Pa. usw.) ist die Lehrtätigkeit an den öffentlichen Schulen fast ganz in die Hände der Frauen, die jetzt 86°/o des ganzen Lehrkörpers ausmachen, übergegangen.

Derselbe Zeitabschnitt ist durch das Emporkommen der Normalschulen, Spezial-Erziehungsanstalten für Lehrer, gekennzeichnet. Gegenwärtig bestehen 189 solcher Schulen mit 64.000 Zöglingen, von denen 50.000 Frauen sind. Der Zeitraum des Bürgerkrieges bezeichnet, wie wir schon an anderer Stelle sahen, einen Wendepunkt in unserer Erziehungsgeschichte; hierher gehört: die Auflösung des alten College-Lehrplans, die Entwickelung der StaatsUniversitäten, das Erschließen der Universitäten für Frauen, die Gründung des ersten Frauen-College; die endgültige Einführung von Coeducation in die öffentlichen Schulen und das Überwiegen der Frauentätigkeit an diesen.

Der Versuch, Frauen und Männer in einem College zusammen heranzubilden, wurde zum ersten Male in dem „Oberlin Collegiate Institute“, gleich von seiner Eröffnung im Jahre 1833 an, unternommen. Es war damals mehr eine Akademie als ein College und erhielt nicht vor 1850 seinen College „charter“ (Freibrief). Es hatte mancherlei seltsame Bestimmungen, so z. B. schrieb es körperliche Arbeit vor und überwachte streng das Betragen und die sittliche Führung der Studenten. Seine „coeducation“ wurde daher gewöhnlich mit auf das Konto seiner etwas wunderlichen Eigenart gesetzt. Aber mit den Jahren trugen die Berichte von dem unerwarteten Erfolge des Experiments viel dazu bei, ähnlichen Vorschlägen williges Gehör zu verschaffen.

In das im Jahre 1853 eröffnete Antioch College wurden Frauen ebenfalls von Anfang an völlig gleichberechtigt mit Männern aufgenommen. Horace Mann, der frühere Sekretär des Massachusetts Board of Education, der Vater unseres öffentlichen Schulsystems und ein leidenschaftlicher Vorkämpfer der „coeducation“, war sein erster Präsident, und dank seinem Einfluß wurde dem neuen Experiment viel Gunst und Aufmerksamkeit zugewendet. Die öffentliche Anpreisung des günstigen Einflusses, den hier die Coeducation auf das Betragen der Studenten ausübte, veranlaßte die Redensart, dass „College-Studenten zuerst in Antioch gentlemen genannt wurden“.

Alle Staats Universitäten des äußersten Westens öffneten sogleich nach ihrer Gründung den Frauen die Tore: Utah 1850, Iowa 1856, Washington 1862, Kansas 1866, Minnesota 1868, Nebraska 1871. Aber diese waren alle in dem wilden, windigen Westen gelegen, in dem es so wie so nicht ganz geheuer war. Aber als im Jahre 1870 die Universität von Michigan, die sich eines dreißigjährigen guten Rufes und großen Ansehens erfreute, beschloß, Frauen zuzulassen, da brach der Damm, die Universitäten des Westens folgten eine nach der anderen dem gegebenen Beispiel, und alle nach 1871 gegründeten gewährten den Frauen von Anfang an Zutritt. Die Staats-Universitäten des Südens folgten langsamer; Virginia und Georgia sind den Frauen sogar noch nicht zugänglich. Die höheren Gesellschaftsklassen des Südens sind wegen eigenartiger gesellschaftlicher Vorurteile hinsichtlich Bildung und Stellung der Frau der „coeducation“ nicht hold oder ihr geradezu feindselig gewesen, und jetzt noch immer sind ihre Angehörigen seltener in den coeducational Instituten zu finden als vielleicht irgendwo anders im Lande. Derartige gesellschaftliche Vorurteile wird man ebenfalls in den Mittel-Atlantischen Staaten finden, wo sie jedoch mehr die Gestalt von Bedenken annehmen, ob jene Erziehungsform sich einerseits den Bedürfnissen eng genug anpaßt, und ob sie anderseits wirksam und wertvoll zu sein verspricht.

Cornell University in N. Y., das nur teilweise Staats-Universität ist, — seine Kontrolle liegt in den Händen eines Ausschusses, dessen größerer Teil sich durch Selbstwähl ergänzt, — ließ Frauen im Jahre 1872, vier Jahre nach seiner Eröffnung, zu. Dies geschah jedoch mit der besonderen Vorsichtsmaßregel, daß ein besonderes Gebäude (residential hall), das von seinem Gründer den Namen „Sage College“ empfing, für den Zweck gestiftet wurde. Aus diesem Grunde oder auch aus anderen hat die „Coeducation“ in Cornell niemals die freie und offene Aufnahme gefunden, die besonders für die Staats-Universitäten des Westens charakteristisch ist. Die Frauen, die Cornell besucht haben, gehören zum größten Teile einer Klasse an, die eine Erziehung ausschließlich vom Gesichtspunkte einer Brotfrage betrachten, und es ist weniger wahrscheinlich, daß sie aus vermögenden, wohlsituierten Familien kommen, wie es im Durchschnitt bei den Männern der Fall ist. Cornell liegt so weit östlich, daß es in die Einflußzone der Frauen-Colleges kommt, in die Familien von wirklicher, vorgeblicher oder auch nur ersehnter gesellschaftlicher Stellung, in einer Art von allgemeiner, nicht immer zum Vorurteil ausgewachsener Tradition so gern ihre Töchter senden. Daher ist gerade in Cornell eine Grenze zwischen Student und Studentin gezogen, die wohl kaum im Westen vorhanden ist. Zu einem Klassenball werden z. B. verhältnismäßig wenige der Studentinnen von ihren männlichen Kollegen eingeladen werden; diese ziehen vor, ihre Tänzerinnen von auswärts zu wählen. Auch in der Verwaltung der Angelegenheiten und Interessen der Studenten gehen die beiden Geschlechter jedes seinen eigenen Weg. Dies soll keine Bekrittelung sein, sondern nur die Feststellung einer tatsächlichen Verschiedenheit, die eine der vielen Modifikationen von „coeducation“ gezeitigt hat. Gewiß ist, daß „coeducation“ in Cornell nicht dasselbe ist wie in Illinois, Michigan und Nebraska; es ist nicht, was man billig „a good sample“ nennen könnte.

Unter den anderen größeren Privat-Lehrinstituten, die „coeducation“ angenommen haben, mögen hier namenthch aufgeführt sein: Boston University (Methodisten) 1873, Stanford (California) bei seiner Gründung 1891 und Chicago University bei seiner Gründung 1892.

Der Fortschritt der „Coeducation“ hat unzweifelhaft in der jüngsten Zeit mehr Widerstand gefunden. Die Western Reserve Universität zu Cleveland, Ohio, die lange coeducational gewesen war, wies 1888 seinen Studentinnen einen „annex“ zu. Wesleyan in Connecticut, das seit 1872 Studentinnen zuließ, geht jetzt auf seine alte Form des Männer-Colleges zurück. Tufts College, in der Nähe von Boston, coeducational seit 1892, bereut früh und überlegt schon jetzt die Bildung eines „annex“. Stanfort hat die Zahl der Studentinnen auf 500 beschränkt, d. h. wie die Sachen jetzt stehen, auf ein Drittel der Gesamtschülerzahl; aber wie es in der nahen Zukunft sein wird, auf einen so kleinen Bruchteil des Ganzen, daß das System des Instituts nicht länger coeducational genannt werden kann. Chicagos Versuch mit einer „Segregation“, dessen wir in der letzten Vorlesung Erwähnung taten, war als eine Verbesserung der „coeducation“ geplant und führte in Wirklichkeit zu einem „annex“ für die beiden unteren Klassen.

Alle diese Anzeichen scheinen, zusammen betrachtet, auf ein Nachlassen, wenn nicht geradezu auf eine Ebbe in der Hochflut der Coeducation hinzudeuten. Wenigstens muß jetzt als ausgemacht angesehen werden, daß die Coeducation nicht so gut in das „small college“ paßt wie in die Universität. Der Grund ist zweifellos in dem engeren gesellschaftlichen Leben des „small College“ zu suchen; das kleine College ist eine Art Männerklub. Man hört häufig, daß junge Leute, besonders im Osten, Institute meiden, wo Mädchen sind. Dies war einer der offen zum Ausdruck gebrachten Beweggründe für den Wechsel in Wesleyan und in geringerem Maße ebenso in der Western Reserve. Der Präsident von Tufts ist der Ansicht, daß Coeducation Männer sowohl wie Frauen veranlaßt, ein College nicht aufzusuchen.

Die jungen Leute meiden allen Anzeichen nach nicht die großen Universitäten des Westens aus Furcht vor den Mädchen, denn die Zahl der Männer wächst dort im Durchschnitt. Sie gehen jedoch zu den technologischen und kommerziellen Kursen über und überlassen die alten Studien und Kurse allzu viel den Frauen. Hat diese letzte Erscheinung mit Coeducation zu tun? Viele sind der Meinung. Ich habe meine Zweifel. Es ist sicherlich nicht wahr, daß die Männer in die Kurse für Mechanik, für Minen- und Eisenbahnbau, für Staats- und Handelswissenschaft laufen, nur um sich vor den Frauen zu flüchten. Die eigentümlichen Zeitverhältnisse, die Forderungen des Tages treiben sie dorthin. Der Beruf, zu dem das College gegenwärtig am häufigsten die Frauen führt, ist das Lehrfach; dem steht kaum ihre Vorliebe für allgemeine Kultur- und Disziplinar-Fächer nach. Von Leidenschaft getragene Neigungen werden im menschlichen Leben leicht zum Gesetz, und ein gesunder junger Mann, der sich in einer Literaturklasse oder einem griechischen Kurse allein mit 23 jungen Mädchen sieht, wird sich höchstwahrscheinlich bald die Frage vorlegen, ob er sich nicht in seinem Beruf vergriffen habe. Das kommt zweifellos vor; in meiner Amtstätigkeit sind mir jedoch nur wenige konkrete Fälle begegnet, wo die Wahl eines Kursus von der An- oder Abwesenheit des weiblichen Geschlechtes beeinflußt worden wäre. Die gegenwärtige Tendenz, die die Männer in die Richtung der Technologie drängt, hat sicherlich ihren ursprünglichen Beweggrund nicht in der Furcht vor dem Unterrock.

Anderseits hat man jedoch auch, einer gerade umgekehrten Beweisführung Raum gebend, gelten lassen müssen, daß diese natürliche Segregation nach Kursen sowohl praktisch wäre als auch eine Abwechselung in die eintönige Allgegenwart der Coeducation gebracht hätte. Dadurch wäre im Westen die feindselige Stimmung gegen Coeducation, welche die Studenten des Ostens so offenkundig hegen, vermieden. Diese Ansicht hat etwas für sich. Tatsächlich haben in der Universität von Kalifornien z. B. von den 1613 männlichen undergraduates im vergangenen Jahre 1097 Handelswissenschaft, Agrikultur, Minenbau, Maschinenwesen und Zivilbaukunst studiert, Fächer, in denen sich nur vier Studentinnen hatten einschreiben lassen, und diese alle in Agrikultur. Das heißt mit anderen Worten, daß 68% aller männlichen Studenten selten mit den Mädchen in Klassen zusammen waren.

Was auch die Gründe sein mögen, alles geht im Westen harmonisch zu, Student und Studentin nehmen, ohne daß die geringste Störung vorkäme, an ihren beiderseitigen gesellschaftlichen Veranstaltungen und Klassenorganisationen teil; sie haben jedoch außerdem zahlreiche Einzel-Organisationen, wie religiöse Vereinigungen, „athletic Clubs“, „fraternities“, „senior“ Gesellschaften usw. Man hört sehr selten einen Protest von seiten der Männer gegen die Anwesenheit der Frauen. Die meisten kommen von den öffentlichen Schulen und kennen nichts anderes als Coeducation und erwarten nichts anderes. Sie haben nicht von der Frucht des Baumes der Erkenntnis des Guten und Bösen gegessen.

Gewisse Verbesserungen sind ferner während der letzten Jahre in den coeducational Colleges des Westens eingeführt worden, um das Radikale in der „Coeducation“ zu mildern; diese könnten also als zu der obenerwähnten Reaktion gehörend gerechnet werden. Mit größerer Genauigkeit und Berechtigung würden sie jedoch, nach meiner Meinung, denjenigen Ursachen zugezählt, die die Reaktion verhindert haben, sich im Westen fühlbar zu machen. Unter den Verbesserungen sind zu erwähnen:

1. die Schaffung eines neuen Amtes „Dean of Women“, das besondere Aufmerksamkeit und Sorge den speziellen Bedürfnissen und Interessen der Frauen zuwendet und diese zu einer besonderen Körperschaft, namentlich in allen disziplinaren und Studienangelegenheiten vereinigt;

2. die Errichtung getrennter Turnhallen und Anstellung von besonderen Turnlehrern und Ärzten; ferner die Ansetzung von Doppelklassen in Hygiene; 3. die Einrichtung getrennter Versammlungs- und Lesezimmer für Mußestunden, die von Speisesälen oder Restaurants vorzugsweise für die Mittagszeit; 4. die Errichtung von Frauen-Schlafsälen, die im Verein mit den „fraternity“-Häusern und „Klubs für Frauen“ den Studentinnen Gelegenheit geben, aus der oft unfeinen Atmosphäre der gewöhnlichen Kost- und Logier-Häuser, ohne die man sich Coeducation in ihren ersten Anfangsstadien nicht recht vorstellen kann, herauszukommen. Es ist nicht ohne Bedeutung, daß diese Änderungen oft von den Vorkämpfern der Coeducation mit Argwohn betrachtet worden sind; für diese hing Coeducation eng mit der Frage der „Frauenrechte“ überhaupt zusammen. Ihnen war die Theorie von größerem Werte als die praktische Beseitigung eines Erziehungs-Dilemmas.

Die Übersicht, die wir im Vorstehenden von der Einführung und Entwickelung der „coeducation“ gegeben haben, muß unsere früher gemachte Behauptung bestätigen, daß nämlich der Brauch kein Produkt eines a priori aufgestellten Planes, sondern ein praktisches Resultat von Tatsachen war. Man fährt fort, sich den Tatsachen anzupassen. Wir halten dies für sicherer und besser, als ein Gebilde aus dem blauen Äther zu greifen; und einen Ursprung, der der Wirklichkeit sich anpaßt, erachten wir als eine höchst legitime Geburt.

So weit wir sehen können, füllt die „coeducation“ in den größeren Colleges und Universitäten, besonders des Westens, seinen Platz aus. Unvollkommene Ergebnisse sind uns nicht bewußt; sollten sie kommen, so sind wir bereit, ihnen durch Anpassung zu begegnen. Gegenwärtig richtet sich eine der „Coeducation“ feindliche Stimmung in der Hauptsache mehr gegen die „high-schools“ als die Colleges. Die graduate oder Universitäts-Kurse sind, wie wir gesehen haben, mit fast allgemeiner Zustimmung der Coeducation eingeräumt.

Was die großen Colleges betrifft, so möchte ich zum Schlüsse noch hinzufügen, daß die Übel, welche man anfangs allgemein erwartete nnd prophezeite, in der Praxis nicht eingetreten sind. Das Niveau des formelhaften Unterrichts ist durch die Gegenwart der Frauen nicht gesunken, sondern eher gehoben. Die Frauen tun die durchschnittliche Arbeit so gut oder ein wenig besser als die Männer, und im Besuche der Lehrstunden sind sie sogar regelmäßiger trotz des vielen Geredes von zu schwacher Konstitution. Die Männer werden zu größerer Ordnung und besserem Benehmen angehalten, nicht so sehr aus Achtung vor den Frauen, als aus dem Gefühl, daß sie sich in dem College und seinen Schulräumen in einem organisierten Teile der menschlichen Gesellschaft befinden und nicht in einem ganz besonders für sie erschaffenen Schlupfwinkel. Die Atmosphäre des Lehrzimmers schlägt von der eines Tummelplatzes täppischen Betragens in die des Konzertzimmers und Salons um. Das Geschlechtsbewußtsein wird nicht besonders angeregt, eher trägt die gemeinsame wissenschaftliche Tätigkeit einer größeren Anzahl von Leuten beiderlei Geschlechts dazu bei, dieses abzustumpfen und zurückzudrängen. Der Schimmer der Romantik verblaßt in dem hellen Sonnenlicht der Routine und in dem prosaischen Tagewerk von Formeln, Gleichungen und Paradigmen. Viele, die sich im College kennen gelernt haben, heiraten sich, und man muß sagen, daß diese Heiraten bei weitem glücklicher sind als der Durchschnitt. Scheidungen gibt es kaum unter ihnen. Was die Befürchtungen wegen geschlechtlicher Ungezwungenheit und Unsittlichkeit angeht, so hat die Erfahrung so gänzlich das Gegenteil dargetan, daß diese Frage eigentlich erledigt wäre, wenn sie nicht immer wieder von überängstlichen Gemütern aufs Tapet gebracht würde. Die für alle gültige Grundlage normaler Betätigung, auf der diese jungen Leute, im Besitze unseres Vertrauens, mit dem Selbstbestimmungsrecht und voll Selbstbewußtseins miteinander verkehren, sichert eine gegenseitige Achtung und Selbstachtung, die mächtiger ist als Schloß und Riegel. Dann bleibt noch das so oft besprochene Thema der Einwirkung auf die Haltung und das Benehmen der Mädchen übrig. Soweit ich bei Gelegenheit zahlreicher Besuche beider Arten von Colleges — solcher mit Männern und solcher ohne — habe beobachten können, ist kein sehr markierter Unterschied zu bemerken, der von dem allgemeinen Ton der Umgebung, welche das spezielle College repräsentiert, trennbar wäre. Es mag sein, daß Selbstvertrauen und Zuversicht mehr in dem einen zutage treten, Kichern und Weinkrämpfe in dem andern.

Tatsache ist, daß beide Arten von Erziehung gut sind, und so lange Leute und Verhältnisse so verschieden sind, wie es nun einmal der Fall ist, und so lange unsere Kenntnis dessen, was zum allgemeinen Besten gereicht, so unzulänglich ist, können wir uns glücklich schätzen, daß beide existieren.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Unterricht und Demokratie in Amerika