X. Frauen-Colleges.

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Eine Beurteilung der öffentlichen Meinung in Amerika, der Einflüsse, die sie gestalten, und der Mittel, die sie zum Ausdruck bringen, würde unvollständig sein, wenn sie die gebildete amerikanische Frau nicht in den Kreis der Betrachtung zöge — ganz zu schweigen von der amerikanischen Frau per se, die von den Beobachtern unseres Lebens oft hingestellt wird als beides: Vollendung und öffentliche Meinung selbst in Person. Aber hier beschränke ich mich auf die Frau, die eine College-Erziehung genossen hat. Über 20.000 Frauen haben den baccalaureus-Grad in einem anerkannten College vollen Ranges erworben. Wir haben lange ihre Arbeiten und Fähigkeiten beobachten können und glauben durch unsere Erfahrungen völlig zur Behauptung berechtigt zu sein, daß sie, als Klasse genommen, eine neue und originelle Beisteuer zu den Phänomena der menschlichen Gesellschaft abgeben.


Der Umschwung, durch den der Frau die Gelegenheit gegeben wurde, denselben Studien obzuliegen wie der Mann, ob nun allein für sich oder zusammen mit dem anderen Geschlecht, datiert, wie viele andere radikale Gesellschafts-Reformen, von dem Ende des Bürgerkrieges (1865). Vassar-College wurde 1865 gegründet; Michigan öffnete 1870 den Frauen seine Tore. Beide Ereignisse waren das Resultat ein und derselben Bewegung und Forderung. Nicht „coeducation“, sondern gleiche Erziehung für Männer und Frauen war die Losung.

Die schwersten Bedenken und die ernsthaftesten Befürchtungen wurden wegen der vorgeschlagenen Reform laut. Die Frau hätte weniger graue Gehirn-Substanz als der Mann; ihre Gesundheit würde den Anstrengungen nicht gewachsen sein; die Klassiker würden schlecht für ihre Nerven sein, schlimmer als z. B. das Klavierspielen; es würde sie logisch und unweiblich machen; es würde ihr Interesse von weiblicher Arbeit, der Heirat und den Pflichten des Haushaltes ablenken; es wäre so wie so widernatürlich und im besten Falle unnötig.

In den achtziger Jahren besuchte ich einmal die Vorlesung eines berühmten deutschen Hellenisten und bemerkte unter den Zuhörern eine einzelne Dame, in der ich „the Professor of Greek“ eines amerikanischen Colleges für Frauen erkannte. Als ich nach der Vorlesung mit dem deutschen Professor die Straße hinunterging. sagte er: „Haben Sie die Dame in meiner Vorlesung bemerkt ? Sie behauptet, Lehrerin des Griechischen zu sein in Ihrer Heimat“. Ich gab zu, daß ich dies wüßte, auch daß sie sogar „Professorin“ des Griechischen sei — und noch dazu eine außerordentlich gute. „Wie geht das zu“, fuhr er fort, „studieren die Frauen bei Ihnen Griechisch gerade wie die Männer?“ Ich bejahte die Frage. „Können sie es lernen?“ Jawohl, sagte ich, und zwar gerade so gut wie die Männer. Er ging eine Weile in tiefes Nachdenken versunken mit den Händen auf dem Rücken weiter; er war augenscheinlich unangenehm berührt; endlich kam nach reiflicher Überlegung sein Urteilsspruch: „Ich zweifle nicht im geringsten, lieber Herr Kollege, daß, was Sie da sagen, richtig ist, und dies mag auch alles unter Ihren Verhältnissen angehen, aber ich sage Ihnen, wenn eine meiner Töchter es sich jemals in den Kopf setzt, Griechisch zu studieren, schließe ich sie solange in ihr Zimmer ein, bis sie sich eines anderen besonnen hat. Ein Studium, wie das Griechische, greift zu sehr an, und für uns Deutsche ist die Gesundheit unserer Frauen von höchster Bedeutung.“ Die Erfahrungen, die die Amerikaner in den letzten 40 Jahren mit der höheren Erziehung der Frauen gemacht haben, sind, soweit ich es beurteilen kann, nicht so, daß die düsteren Vorahnungen, unter denen das Frauenstudium begonnen wurde, gerechtfertigt erscheinen könnten. Prophezeihungen, auf rein apriori Gründe gestützt und ohne irgend welches Tatsachenmaterial neigen immer dazu, etwas zu scharf und zu bestimmt auszufallen; in diesem Falle entsprechen die Resultate ihnen nicht, wenigstens nicht in wesentlichen Punkten. Die Optimisten haben wahrscheinlich einige Enttäuschungen erleben müssen, und den Pessimisten ging es sicherlich nicht besser. Tatsächlich haben die Frauen, soweit die Versuche und die Nutzanwendung der höheren Erziehung in Betracht kommen, im großen Ganzen der Welt zu deren großer Enttäuschung bewiesen, daß sie ganz wie andere Menschenkinder sind. Sie sind ein wenig sorgsamer in der Ausführung von gestellten Aufgaben als die Männer; das ist wahrscheinlich in gleich hohem Maße dem Mangel an starken Zerstreuungen, z. B. des Sports, wie ihrer höheren Aufnahmefähigkeit und Gewissenhaftigkeit zuzuschreiben. Das Durchschnittsresultat ihrer Klassenleistungen stellt sich hauptsächlich, aber nicht gänzlich, deswegen etwas höher als das der jungen Männer. Aber die Zahl derer, die die gefährlichen Pfade selbständiger Forschung und Entdeckung zu betreten wagen, ist geringer. Dieser Unterschied ist jedoch nicht fühlbar und auffallend, noch in irgend einer Weise allgemein, sondern kann im Gegenteil nur aus zahlreichen Beobachtungen und jahrelangen Erfahrungen erschlossen werden. Soweit die Befähigung in Betracht kommt, dem Unterricht zu folgen, Unterschiede zu beobachten und zu gruppieren, die Aufmerksamkeit auf Gegenstände zu konzentrieren, die Nachdenken erfordern, besteht kein wesentlicher Unterschied. Die Frauen scheinen aber weniger geneigt zu sein, längeren Schlußfolgerungen nachzugehen, wenn sie auch dazu imstande sind. Bei der Behandlung eines Gegenstandes und beim Unterricht darüber scheint sich das Augenmerk der Frauen durch eine Eigenschaft, die Professor Münsterberg als eine „Unterschätzung des Abstrakten und Abwesenden“ bezeichnet hat, mit verhältnismäßig größerer Schnelligkeit und Zuverlässigkeit auf Einzelheiten, Illustrationen, Erläuterungen und konkrete Fälle zu richten als auf Verallgemeinerungen und Perspektiven; aber hierin sehe ich weniger eine Manifestation des Geschlechts in dem Individuum als vielmehr den Einfluß der Umgebung innerhalb der gesellschaftlichen Verhältnisse des Geschlechts. Der Kern der ganzen Sache ist, daß, solange wir durchgreifende Verschiedenheiten zu finden erwarten, wir enttäuscht sein werden. Was für Unterschiede auch bestehen mögen, sie sind zu fernliegend und fein, um im voraus wahrgenommen zu werden, — wenigstens so lange es sich um gewöhnliche Proben des College-Unterrichts handelt. Was nun die anfänglichen Befürchtungen für die Gesundheit und die Nerven angeht, so spricht zum mindesten keine Tatsache dagegen, daß die Aufmerksamkeit, welche den körperlichen Übungen und dem sanitären Leben zugewendet wird, die Durchschnitts-Studentin von heute unstreitig stärker und gesünder macht als die Durchschnittsfrau gleichen Alters und gleicher Klasse außerhalb des College. Frl. Martha Carey Thomas, Präsidentin von Bryn Mawr College, schreibt in ihrer Abhandlung „Education of Women“ (S. 38): „Diejenigen, die mit einigen der vielen Tausenden von gesunden, normalen Frauen, die gegenwärtig in dem College studieren, in Berührung gekommen sind, oder eine Gelegenheit gehabt haben, etwas von dem späteren Leben einer auch noch so kleinen Zahl College-Frauen zu sehen, sind zu der auf Erfahrung gestützten Überzeugung gelangt, daß diese sowohl im College als auch nachdem sie es verlassen, im ganzen körperlich gesünder sind als andere Frauen gleichen Alters und gleicher gesellschaftlicher Stellung.“ Die englischen Verhältnisse sind in Frau Henry Sidgwicks Buch „Gesundheits-Statistiken der Studentinnen in Cambridge und Oxford und ihrer Schwestern“ (Cambridge University Press 1890) erörtert worden. Diese Statistiken verglichen die Gesundheit von ungefähr 560 „honour graduates“ mit einer gleichen Anzahl ihrer Schwestern oder Cousinen, die nicht das College besucht hatten, und zeigten, daß im Durchschnitt ungefähr 5% weniger von den „honour graduates“ sich in schlechtem Gesundheitszustande befanden als ihre Schwestern und Cousinen. Die Vergleichungstabellen bewiesen ebenfalls, daß die verheirateten graduates sich einer besseren Gesundheit erfreuten als ihre verheirateten Schwestern, daß weniger kinderlose Ehen unter ihnen vorkamen, daß sie verhältnismäßig mehr Kinder per Jahr hatten, und daß ihre Kinder gesünder waren (vgl. die genannte Schrift von Carey Thomas, Fußnote S. 38). Die Mädchen der amerikanischen Colleges scheinen, nach den Statistiken zu schließen, etwas später zu heiraten als ihre Schwestern, die kein College besuchen. Statistiken von Vassar aus dem Jahre 1895 führen nur 38% aller „graduates“ als verheiratet an, dagegen 63% der Schülerinnen der ersten vier Klassen, die dann das College verließen. Ähnliche Resultate erschienen in den Bryn Mawr Statistiken von 1900, nachdem elf Klassen graduiert hatten. 15% graduates in allen diesen Klassen hatten sich verheiratet, dagegen von den Zöglingen der ersten beiden Klassen 40%. Das Studium und die damit gegebene Gelegenheit zur Beschäftigung im Lehrfach usw. wirkt darauf hin, das Heiraten hinauszuschieben. Anhänger des Frauenstudiums sagen, man solle den graduierten Frauen nur Zeit lassen, sie würden es ihren andern Schwestern schon gleichtun, wenn sie diese auch gerade nicht überholen werden.

Die Ansichten, die in einer im X. (1903) Bande des Pädagogischen Seminars, S. 275 ff., summarisch zusammengefaßten Untersuchung ausgesprochen sind, sind weniger ermutigend. Ich meine den Artikel von G. Stanley Hall und I. L. Smith, „Marriage and Fecundity of College Men and Women“. Aus diesem geht hervor, daß die ersten Klassen in Vassar (1867—1876) 323 „graduates“ hatten, von denen im Jahre 1903 179 verheiratet waren (55 ½ % ). Die Gesamtsumme der Kinder, die diesen Graduierten geboren wurden, war 365, d. h. 3,09 kamen auf eine Mutter, oder 2,03 auf eine Verheiratete (50 waren kinderlos), oder 1,13 auf eine Graduierte. In den nächsten zehn Vassar-Klassen (1877—1886) waren 378 Graduierte, von denen sich 192 verheirateten (50 ¾ %). Die Gesamtzahl ihrer Kinder betrug 294 oder 2,59 auf jede Mutter, 1,53 auf jede Verheiratete (78 waren kinderlos), oder in anderen Worten, sie ergab einen Durchschnitt viel geringer als ein Kind auf jede Graduierte. In den ersten zehn Klassen in Wellesley (1879—1888) waren 436 Graduierte, von denen 203 sich verheirateten (46 ½ %)Die Durchschnittszahl der Kinder war 2,37 per Mutter, 1,81 per Verheiratete.

Es ist augenscheinlich, daß die Statistiken der ersten zehn Klassen Vassars (1867—1876) am ehesten zu einem Vergleich mit den Männer-Colleges herangezogen werden können. In der folgenden Tabelle vergleichen wir Harvard mit Amherst während derselben Jahre. Nur durch Vergleichen mit den Männer-Colleges können die Zahlen der Frauen-Colleges zu unserem Zwecke von irgend welchem Werte sein.

1867— 1876 Prozent der Ver Anzahl d. Kinder Anzahl d. Kinder
heirateten per verheirateten Graduate per Graduate

Vassar 55 ½ % 2,03 1,13
Harvar 72 ½ % 2,26 1,63
Amherst 76 ½ % 2,11 1,60

Die Durchschnittszahl der Kinder per verheirateten Graduierten ein halbes Jahrhundert früher war in Amherst 3,56 und in Yale 4,13; der Unterschied zwischen den gesellschaftlichen Gebräuchen und Verhältnissen verschiedener Zeitabschnitte ist also, wie diese Zahlen beweisen, von bei weitem größerer Bedeutung als irgend ein Unterschied zwischen Männer-Colleges und Frauen-Colleges. Die Mädchen, die von den selbständigen Frauen-Colleges graduieren, heiraten augenscheinlich in geringerem Verhältnis als die graduierten Männer; aber die Durchschnittszahl der Kinder, die auf den einzelnen verheirateten Graduierten kommt, läuft fast auf eins heraus. Für die „coeducational Colleges“ haben wir, soweit ich weiß, bis jetzt noch keine Daten. Ich glaube jedoch, daß der Prozentsatz der Heiraten sich hier höher stellen würde als bei den alleinstehenden Colleges.

Daß die Ergebnisse der höheren Frauenbildung weder im besonderen noch im allgemeinen als schädlich angesehen werden, kann mit Sicherheit aus der stetig Jahr für Jahr und in den beiden Haupt-Typen, dem Separatwie dem „coeducational College“, mit gleicher Schnelligkeit wachsenden Zahl der Studentinnen geschlossen werden (vgl. die Tabelle auf Seite 613 des U. S. Commissioners Report für 1908). Im Jahre 1890 waren in den alleinstehenden Colleges von vollem College-Rang 2000, in den „coeducational“ 8000; im Jahre 1908 in den alleinstehenden Colleges 8000, in den „coeducational“ 35000, d. h. innerhalb von 18 Jahren hatte sich die Zahl vervierfacht.

Die Institute, die Frauen Collegeund Universitäts-Studien bieten, könnten unter drei Rubriken gruppiert werden: 1. die separaten und unabhängigen Gründungen wie Vassar; 2. die mit Universitäten als „Annexe“ verbundenen Mädchen -Colleges, z. B. Barnard College zu Columbia; 3. die „coeducational“ Institute.

1. Die unabhängigen Gründungen. Es gibt im ganzen acht dieser Schulen, die Collegekurse von gleichem Rang und gleichen Anforderungen wie die Männer-Colleges bieten; sie begreifen die Vorbereitungsschule, welche für viele andere, wenn nicht für den größten Teil derselben, ein Hemmschuh ist, nicht mit ein. Von diesen acht heben sich vier als die besten ab, und diese werde ich kurz beschreiben: Vassar, Wellesley, Smith und Bryn Mawr; dem Einkommen nach folgen sie aufeinander: Smith, Vassar, Bryn Mawr, Wellesley.

Vassar ist sechs Kilometer außerhalb des stillen, alten Städtchens Poughkeepsie am Hudson gelegen und in zwei Stunden per Bahn von New York zu erreichen. Weitausgedehnte ebene Parkanlagen umgeben ungefähr 15 Schulgebäude: das Hauptgebäude, das außer den Schulräumen und der Bibliothek, Wohnungen für 350 Studentinnen, Speisesaal usw. enthält; verschiedene andere Wohngebäude, in denen je 200 Studentinnen untergebracht werden können; eine Turnhalle, eine Sternwarte, ein Gebäude für Kunst und Musik, eins für die Wissenschaften, ein Auditorium, das Haus des Präsidenten, die Wohnungen von 5 oder 6 Professoren, ein Gewächshaus usw. Es zählt 1000 Studentinnen, 79 Professoren und „instructors“, darunter 18 Männer. Die Leitung der Anstalt hat immer in den Händen eines Mannes gelegen. Die Kosten für die Gebäude beliefen sich auf anderthalb Millionen, das Stammkapital beträgt $ 1.376.000 (5.779.200 Mk.). Alle Schülerinnen bezahlen ein Unterrichtshonorar von $ 100 (420 Mk.) jährlich und eine runde Summe von $ 300—400 für Kost und Unterkunft. Die jährliche Total-Einnahme, das Kostgeld nicht miteingerechnet, beläuft sich auf ungefähr § 350.000 (1.470.000 Mk.). Die Bibliothek enthält 60.000 Bände. Das Durchschnittsgehalt eines ordenthchen Professors ist ungefähr $ 3.000 (12.600Mk.). Das College wurde von Matthew Vassar, Poughkeepsie, im Jahre 1865 gegründet und dotiert mit der Absicht, „ein Institut zu gr?nden und zu dotieren, das jungen Mädchen dasselbe bieten sollte, was unsere Colleges jetzt jungen Männern bieten“. Es ist unter der altherkömmlichen, aber nicht gesetzlich zum Ausdruck kommenden Kontrolle der Baptisten. Es erteilt guten Unterricht und bietet eine gesunde Heimstätte unter vernünftigen und konservativen Einflüssen. Obgleich es in seiner Art bahnbrechend gewirkt hat, ist es radikalen und sensationellen Strömungen und allen Modekrankheiten erfolgreich aus dem Wege gegangen.

Wellesley-College zu Wellesley, Massachusetts, liegt auf einem reizenden Fleckchen Erde, umgeben von Wald, Hügeln und Seen, und doch nur 14 Meilen von Boston entfernt. Es wurde 1875 von Plenry F. Durant gegründet „zum Ruhme Gottes durch die Erziehung und Bildung von Frauen“. Durant, ursprünglich ein hervorragender Rechtsanwalt und Advokat nach der Art dieser bösen Welt, wurde 1863 von seinen Verirrungen bekehrt und widmete sich nun als Evangelist der Förderung religiöser Interessen. Wellesley war ein Teil seiner frommen Bestrebungen, und war im Anfang ernst — ja zudringlich religiös; mit den Jahren hat das jedoch etwas nachgelassen. Die ursprüngliche Forderung, daß jede Studentin sich wenigstens eine Stunde täglich irgendwie im Haushalt beschäftigen solle, ist ebenfalls seit 1896 fallen gelassen. Die Präsidentschaft des Colleges hat immer in den Händen einer Frau gelegen und seine am Platze wohnenden Lehrer waren fast ausschließlich Frauen. Dies macht sich sofort in der ganzen Atmosphäre des Instituts bemerkbar, sehr im Gegensatz z. B. zu Bryn Mawr, wo immer mehr Männer als Frauen in dem Lehrer-Kollegium sind. Für die 1200 Studentinnen tragen 100 Instruktoren Sorge, von denen sind wieder 86 Frauen. Sein Einkommen von angelegten Kapitalien ist das kleinste der vier Colleges.

Smith-College wurde im Jahre 1875 aus den Mitteln eines Fonds gegründet, der Hinterlassenschaft eines Frl. Sophie Smith, die dies Vermögen wiederum von ihrem Bruder Austin Smith bei seinem Tode im Jahre 1861 ererbt hatte. Dies ist ein gutes Beispiel einer in Amerika in den letzten Jahren immer häufiger auftretenden Erscheinung: der Mann scharrt Reichtümer zusammen, ohne einen bestimmten Zweck für deren späteren Gebrauch, ja, ohne die Muße zu haben, auf einen Zweck zu sinnen; er stirbt früh im Leben, und eine gute Frau oder Schwester wendet sein Vermögen menschenfreundlichen und idealen Zwecken zu. Smith ist das größte der vier Colleges mit gegenwärtig ungefähr 1500 Schülerinnen und 111 Lehrern, von denen 29 Männer sind.

Bryn Mawr wurde 1885 in der Nähe von Philadelphia, Penn., von Joseph W, Taylor errichtet; sein Aufsichtsrat wird aus der „Gesellschaft der Freunde“ (oder Quäker) gewählt. Von Anfangan wurde hier auf eine besonders gute Qualität des Unterrichts gesehen; ein ungewöhnlich großer Teil des Lehrerkollegiums sind produktive Gelehrte. Die äußerst gediegenen Arbeiten, die von den graduierten Studentinnen geliefert werden, stehen für die Qualität des Colleges. Gegenwärtig hat es 348 Schülerinnen im College und 71 im Graduate-Departement. Die Zahl der Instruktoren beträgt 55; 28 davon sind Männer. Obgleich der erste Präsident ein Mann war, liegt die Verwaltung der Anstalt jetzt in den Händen einer Frau, und zwar einer Dame von großer Energie und Willenskraft. Als Präsidentin eines alleinstehenden Colleges ist sie ein begeisterter Anwalt der Coeducation. Man kann sich angesichts der ausgezeichneten Arbeiten und der hohen Anforderungen Bryn Marws unmöglich dem Eindruck entziehen, daß sich in der ganzen Haltung des Instituts der Wunsch deutlich ausspricht, die Sicherheit zu haben, daß die Prüfungen, denen die jungen Mädchen sich unterziehen müssen, gerade so schwier sind wie die der jungen Männer, und womöglich schwerer.

2. Der „Annex“ Radcliffe-College in Verbindung mit Harvard, Barnard zu Columbia, das Frauen-College von Brown, das College für Frauen der „Western Reserve“ Universität (Cleveland, Ohio) und das „Newcomb“ College für Frauen, verbunden mit Tulane Universität (New Orleans), sind die fünf einzigen Institute dieser Art. Barnard hat 453 „undergraduates“, Radcliffe 366. Der „Annex“ hat augenscheinlich englische Frauen-Colleges, wie Cirton und Newnham zu Vorbildern genommen, aber in Wirklichkeit ist seine Stellung eine ganz verschiedene. Cirton ist eins von vielen „residential-Colleges“, die ihre eigenen Lehrer haben und gleichberechtigt sich um die Universität als den examinierenden und gradverleihenden Körper scharen. Der „Annex“ aber hat in seiner abgesonderten Stellung ein bestimmtes und spezielles Verhältnis zu seiner Universität.

Dies spezielle Verhältnis kann am besten verstanden werden, wenn man jeden der beiden Fälle für sich nimmt. Radcliffe hat seinen eigenen Fonds (Stiftungskapital) von $ 460.000 (1.932.000 Mk.) und seine eigenen Gebäude (gegenwärtiger Wert $ 850.000 [3.570.000 Mk.]) und verleiht seine eigenen Diplome. Der Präsident von Harvard ist jedoch autorisiert, dieselben gegenzuzeichnen. Außerdem vertreten der Präsident und die „fellows“ die Stelle eines „Board of Visitors“ des Colleges, d. h. sie haben das Visitationsrecht und genehmigen die Anstellung der Lehrkräfte. Der Lehrplan ist identisch mit dem von Harvard, und die Kurse werden von denselben Instruktoren gegeben, die somit ihre Arbeit mit großer Geldund Zeitverschwendung wiederholen müssen. Graduierte von Radcliffe werden jedoch unter gewissem Vorbehalt nach dem Ermessen des Lehrers zu den Harvard-Kursen zugelassen. Gegenwärtig hat man einige 70 Graduate-Kurse in Harvard in dieser Weise den Frauen erschlossen. Demnach ist Harvard und Yale im großen und ganzen „coeducational“, was die Graduate-Arbeiten anbetrifft. Man sollte jedoch nicht außer acht lassen, daß Yale weder ein College für Frauen besitzt, noch irgend welche anderen Maßnahmen für den Unterricht von weiblichen „undergraduates“ trifft.

Barnard College wurde 1889 in der Absicht gegründet, den Frauen gleichen Unterricht zu bieten, wie ihn Columbia jungen Männern erteilte; es tat dies, indem nach dem Muster von Radcliffe der Unterricht an beiden Colleges in die Hände derselben Instruktoren gelegt wurde. Seit 1900 hat man aus ihm das „undergraduate“-College der Universität gemacht, während weibliche „graduates“ ohne Vorbehalt zu Columbia zugelassen werden. Das College besitzt sein eigenes Lehrer-Kollegium und eine eigene Körperschaft; der Präsident Columbias ist auch sein Präsident und die Universität verleiht sämtliche Titel.

Das Frauen-College zu Brown, gegründet 1892, ist das Eigentum und wird verwaltet von dem Aufsichtsrat der Universität; aber die Betriebskapitalien werden separat gehalten. Die Universität verleiht die Grade, dieselben Lehrer erteilen den Unterricht, und die jungen Männer und Mädchen werden zusammen examiniert. Zu allen ,,graduate“-Kursen der Universität sind die Frauen zugelassen.

In der Entwickelung dieser drei Institute kann man deutlich den Trieb erkennen, eine Verschmelzung der Universität mit denselben zu einem neuen und eingeschränkten Typus der Coeducation herbeizuführen. Die Wiederholung der Arbeit der Instruktoren, die, auch von der günstigsten Seite betrachtet, immer doch nur Zeit- und Geldverschwendung ist, würde undurchführbar, wenn man sie auf die kleineren Gruppen und höheren Spezial-Studien der „postgraduate-schools“ (besonders Seminar-Arbeit) auszudehnen versuchte. Hier brach daher und zwar aus wirtschaftlichen Gründen die Scheidewand zuerst nieder, aber gerade die gesellschaftliche Beurteilung, der soziale Instinkt, oder nennen Sie es, wenn Sie wollen, das Vorurteil gegen „Coeducation“ richtete seine stärkeren Angriffe gegen die Mischung der Geschlechter in den jüngeren Jahrgängen.

Dieses Gefühl war es denn auch, das an der Universität von Chicago einen Versuch zur Verbesserung des „coeducation“ Systems unter dem neuerfundenen Namen „Segregation“ in die Wege leitete, Segregation scheint von Separation sich darin zu unterscheiden, daß es genealogisch der Sohn, oder besser, die Tochter der Coeducation ist; es stammt in gerader Linie von „coeducation“ ab. Tatsächlich wurde es zuerst als ein Plan für die Organisation von Separat-Klassen für Männer und Frauen angekündigt, und zwar in den Klassen, die in den hauptsächlichen vorgeschriebenen Unterrichtsgegenständen gewöhnlich sehr groß sind. Präsident Thomas sagt darüber (Educational Review, Juni 1908, p. 74): „Diese sogenannte Chicagoer Segregation, über die so viel hin und her geredet worden ist, läuft auf sehr wenig hinaus, und dies Wenige selbst scheint schlechte Resultate zu zeitigen“. Die von dem ursprünglichen Plane ausgehende Reaktion hat nur in 11 aus 52 Kursen des ersten und zweiten Jahres „Segregation“ bestehen lassen. Spätere Erfahrungen können immerhin dartun, daß dieser teilweisen Trennung ein gewisser praktischer Wert inne wohnt. Es ist auf jeden Fall ein günstiges Zeichen, daß die Equipierung und das System des amerikanischen Unterrichtswesens verschiedenartig und biegsam genug ist, Experimental-Demonstrationen bei wichtigen Fragen zu gestatten, für die ohne eine solche praktische Beweisführung eine endgültige und überführende Beilegung nicht zu erhoffen ist.

Besonders zutreffend ist dies bei dem unerschöpflichen Gegenstand „Coeducation“, den wir in dem nächsten Kapitel zu besprechen gedenken.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Unterricht und Demokratie in Amerika