V. Das amerikanische College.

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Es darf uns nicht wundernehmen, daß es der Außenwelt schwer fällt, zu begreifen, was die Amerikaner unter einem „College“ verstehen; verstehn es doch diese selbst noch nicht ganz. Der letzte Bericht des U. St. Commissioner of Education (Unterrichtsministeriums) enthält Statistiken von 606 Erziehungsanstalten, die sich die Titel Universitäten, College oder Polytechnikum beilegen. 139 von diesen nennen sich Universitäten, die große Mehrzahl der übrigen „Colleges“. Die Vereinigung der amerikanischen Universitäten, gegründet im Jahre 1900, umfaßt im Gegensatz hierzu nur 22 Institute. Viele Lehranstalten, die den Namen Colleges führen, stehen auf einer bei weitem höheren Entwicklungsstufe und tun bessere Arbeit als viele der sogenannten Universitäten. Hier mag der Umstand erwähnt werden, daß im allgemeinen der Titel „Universität“ im Volksbewußtsein eine gewichtigere und imponierendere Stelle einnimmt und, wenn nicht wirkliche Kenntnisse, so doch ehrgeizige Intentionen oder wenigstens den Wunsch, diese anzudeuten, repräsentiert. Der Mißbrauch des Wortes kommt häufiger in den neuen Teilen des Landes (im Westen) vor, wo die Zukunft weniger beengt und der Ehrgeiz zügelloser ist. Der angeborenen Liebe für „bigness“ (oder der Aussicht auf solche) haben die wissenschaftlichen Institute nicht entgehen können. John Graham Brooks erzählt in seinem Buche „As others see US“ (S. 73) eine Geschichte von einem englischen Bischof, dem eins der weniger bekannten östlichen Colleges außerordentlich gefiel: „Er sagte lächelnd zu dem Präsidenten desselben, daß es für ihn etwas äußerst Beruhigendes hätte, eine Anstalt gefunden zu haben, die weder durch ihre Stiftung, noch ihr schnelles Wachstum, noch das Ansehen ihrer Graduierten, noch in irgend einer andern Weise „die größte im Lande“ wäre“. Der Bischof berichtet, daß er sofort einen Ausdruck der Überraschung und des Protestes auf dem Gesichte des Gastgebers bemerkte und die Antwort bekam: „Aber unser Schulhof ist größer als der irgend eines anderen Colleges in Amerika,“


Während der letzten 15 Jahre sind jedoch bedeutende Fortschritte in dem Differentieren zwischen den Titeln „University“ und „College“ gemacht worden. Eine Anzahl Institute, z. B. Colby College in Maine, haben den Namen Universität für die bescheidenere und ehrlichere Bezeichnung College ausgetauscht. Yale University andererseits führte bis 1887 den Namen Yale College, und Princeton nahm den Titel Universität erst 1896 an. Die beiden Begriffe waren, meiner Ansicht nach, vor 1880 fast synonym, und ich glaube fernerhin mit Recht annehmen zu dürfen, daß der Grund hierfür in dem Mangel — sowohl in Zahl als Art — an richtigen Universitäten lag, die auf einer Begriffsdefinition bestehen konnten. Die einzigen Lehranstalten, die in früheren Zeiten auch nur mit einem Schein des Rechts Ansprüche auf diesen Titel machen konnten, müssen diese ihre Ansprüche einzig und allein auf den Umstand basiert haben, daß sie Fachschulen in Jurisprudenz, Medizin und Theologie besaßen. Im übrigen — d. h. wenn wir die Fachschulen außer Betracht lassen — waren sie sich sehr ähnlich, und zwar gerade dadurch, daß sie alle Colleges waren. Dies bringt uns zu der Definition des amerikanischen Wortes „College“ und zur Forschung nach seiner Lebensgeschichte.

Diese Geschichte ist eine Kette von Verwirrungen, herbeigeführt durch zahlreiche spezialisierte Bedeutungen, welche das lateinische Wort collegium zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten in Europa und besonders in England angenommen, und die Amerika als Erbgut von der „Alten Welt“ überkommen hat. Die Verwechslung mit Universität, die wir soeben besprochen haben, ist keine amerikanische, sondern eine ererbte Sünde. Wir haben sie von Schottland und seinen Universitäten ererbt, in denen nur ein einziges College gegründet wurde oder übrig geblieben ist. Auf Aberdeen wurden z. B. beide Begriffe angewendet. — Der ursprüngliche Gebrauch des Wortes für eine organisierte Gesellschaft von Personen, die gemeinsame Funktionen vollziehen und besondere Korporationsprivilegien besitzen, hat sich erhalten in Ausdrücken, wie „The College of Cardinais“ (Das Kardinalskollegium), „The electoral College“ (Das Wahlkollegium) etc. Seine besondere Anwendung auf eine Gesellschaft von Gelehrten oder Geistlichen, wie z. B. die Gründer der Oxford Colleges, gab durch den Brauch in Oxford und Cambridge Anlaß zu dem Namen Harvard College, Yale College etc., obgleich hier eine Mehrzahl von Colleges innerhalb des einzelnen Instituts niemals resultierte, noch jemals beabsichtigt gewesen zu sein scheint. So kam es, daß in der neuen Welt bei den anfänglich armen Kolonisten die in Schottland übliche Terminologie mit der zuletzt genannten verkettet wurde. Die spezialisierte Bedeutung, die dem Worte in England Anwendung auf bestimmte Institute verschaffte, die Unterrichte in irgend einem Spezial- oder Fachkurse erteilten, wie Royal Naval College, East India College, dehnte sich ferner in Amerika mit erstaunlich verwirrendem Resultat auf die größeren Departments oder Unterabteilungen der Universitäten aus, die Spezialkurse oder Gruppen von Unterrichtsgegenständen umfaßten; so wurden die Namen „College of Mining“, „College of Agriculture“, „College of Letters or Arts“, „College of Medicine“ geschaffen. Die Wahl dieses Ausdrucks wird jetzt allgemein als unglücklich bezeichnet und das Wort „School“ ist an seiner Stelle vorgeschlagen. Endlich ist das Wort „College“ auch gebraucht worden, um ein Wohnhaus oder ein Dormitorum zu bezeichnen; z. B. in Brown University „Hope College“ und in Comell University „Sage College“, das Wohnhaus für die Studentinnen. Auch diese Bedeutung des Wortes ist schon alt. Es kommt bereits bei Chaucer vor und hat sich durch die Jahrhunderte im Gebrauch erhalten; es fand ohne weiteres Duldimg durch den Umstand, daß man in Oxford das College als ein Wohnhaus ansah. Zwei anderen Spezialisierungen des Wortes, die auf dem Kontinente aufgekommen sind, nämlich 1. die Bedeutung „Klub“, wie in Tabakskollegium, und 2. die Einschränkung des akademischen Studienplans auf einen einzelnen Kursus von Vorlesungen, wie in „Kolleg hören“, sind wir glücklicherweise entgangen; — ich sage glücklicherweise, weil wir, obgleich diese letzteren Bedeutungen zweifellos gut und schön sind, schon genug ohne sie haben.

Es bleibt nur noch übrig, die Trümmer beiseite zu schaffen und den besonderen Wert, den der amerikanische Gebrauch für dieses Wort hervorgebracht hat und auf dem es heute nach gemeinschaftlichem Übereinkommen ruht, klar und deutlich zu isolieren. Wir können es nicht länger auf ein Gebäude anwenden: das nennen wir jetzt allgemein eine ,,hair“. Es wird in Zukunft auch nicht mehr auf eine spezielle Gruppe von Studien angewendet werden: dieser haben wir den Namen „school“ gegeben. Wir können es nicht in dem englischen Sinne des Wortes für eine Art der verschiedenen Vereinigungen von Gelehrten und „tutors“ gebrauchen, die zur Pflege verschiedener Studien in einer Universität residieren: denn eine Sache mit derartigem Namen besitzen wir einfach nicht.

Wir wenden es hauptsächlich auf Unterrichtsanstalten an, die einen vierjährigen auf den Baccalaureus-Grad hinführenden Kursus besitzen, ob solch ein College nun ein abgesondertes und unabhängiges Institut oder ein Bestandteil einer Universität ist. Unterricht wird erteilt in Studien, die anerkannterweise für eine allgemeine Erziehung und Bildung grundlegend sind, und er führt im regelmäßigen Gange den Studierenden nur bis zum Beginn der Fachspezialisation. Die Schüler dieses College stehen in einem Durchschnittsalter von 18—22 Jahren, eine Tatsache, die vielleicht inmitten der so großen Mannigfaltigkeit der Einrichtungen und Lehrpläne das erste und definitivste aller vorhandenen charakteristischen Elemente für eine Parallele des College mit den Systemen anderer Länder darbietet.

Wohlverstanden, die Sondercolleges, wie Amherst, Williams, Beloit, sind unabhängige, autonome Korporationen und haben das Recht, einen akademischen Grad zu verleihen. Sie verleihen gewöhnlich die Titel „bachelor of arts“, „bachelor of science“ und „master of arts“, lassen sich jedoch nicht, so lange es durchaus achtbare Institute sind, zu der Anmaßung hinreißen, den „Doctor of Philosophy“ zu verleihen, auch nicht einmal honoris causa; aber mit den gewöhnlichen Ehrengraden, dem DD. und LLD., gehen sie fast gerade so verschwenderisch um wie die Universitäten.

In dieser meiner Abhandlung über die amerikanischen Bildungsstätten habe ich aus verschiedenen Gründen dem amerikanischen College die erste Stelle angewiesen; erstens weil es ein amerikanisches Produkt und als solches einzig in seiner Art ist — nicht etwa, daß die Amerikaner seine Bildung im voraus geplant hätten, sondern vielmehr weil die besonderen in Amerika vorherrschenden Bedingungen seine Entstehung forderten — , und zweitens, weil durch die Form und Fassung des College die eigenartigen Zustände des amerikanischen Erziehungswesens, besonders in seinen geschichtlichen Beziehungen, versinnbildlicht werden. Drittens ist das amerikanische College der am besten mißverstandene und am wenigsten gut abschneidende Bestandteil unseres Erziehungssystems gewesen, und das besonders in den Berichten, die europäischen Lesern über dasselbe zugegangen sind. Viertens bildet es den Mittelpunkt unseres höheren Erziehungssystems, so daß das Verständnis des Ganzen von demselben abhängt. Von ihm kommt die eigenartige Färbung, Tendenz und Wirkung unseres Systems, mehr als von den „Graduate Schools“ der Universitäten. Diese eigenartige Färbung mag vielleicht nicht bewundert werden noch der Bewunderung wert sein, aber das steht fest, wie wir sie sehen, ist ihre Existenz hauptsächlich aus dem Einfluß und der Wirkung des College als Vermittler zwischen den „High Schools“ und „Graduarte Schools“ zu erklären, indem es dem einen als Schlußstein, dem andern als Grundlage dient. Das Vorhandensein dieses College, das sich zwischen High School und Universität einschiebt und dadurch die Klassifikation unseres höheren Schulsystems zu einer dreifachen anstatt einer dualen — wie z. B. in Deutschland Gymnasium und Universität — macht, läßt alle gewöhnlichen Versuche, den relativen Fortschritt der Schüler zu bestimmten Zeitpunkten in den beiden Systemen zu vergleichen, einigermaßen fruchtlos erscheinen. Professor Münsterberg ist daher nach meinen Erfahrungen sehr im Unrecht, wenn er sagt (American Traits, p. 47): „Unser, d. h. der Deutschen, Eintritt in die Universität kann daher nur mit dem Eintritt in die Postgraduate-Kurse verglichen werden. Unsere drei höchsten Gymnasialklassen allein entsprechen dem College, und wer die deutsche Universität mit dem amerikanischen College vergleicht anstatt mit der Graduate School, ist entweder durch das Alter der Studenten oder die äußerlichen Formen des Studentenlebens und des Unterrichts irre geleitet.“ Nach meiner Ansicht sind beide Vergleiche falsch. Eine gemeinsame Basis für eine Parallele ist nun einmal nicht vorhanden. Die beiden Systeme, ob man sie nun als Reifungs- oder als Ausstattungsprozesse ansieht, sind von Grund aus verschieden in ihren Methoden und Idealen, und vor allem andern ist es das College, das diesen Unterschied verursacht.

Ich will das, was bisher gesagt ist, unter einige Hauptgesichtspunkte fassen:

1. Der amerikanische Kursus für höhere Erziehung umfaßt drei Typen von Lehranstalten, nämlich: die High-School oder Vorbereitungsschule — Durchschnittsalter der Schüler 14 bis 18 Jahre; — das College — Durchschnittsalter 18 bis 22 Jahre; — und die Graduateoder Fachschulen der Universität — 22 bis 25 Jahre — .

2. Das amerikanische System ist durch diese dreifache Einteilung charakterisiert, und die Schwierigkeit, es zu verstehen und mit europäischen Systemen zu vergleichen, hat in dieser EigentümUchkeit ihren Ursprung.

3. Diese Dreiteilung entsteht aus dem Vorhandensein des College, besonders des Sondercollege, gewöhnlich „small College“ genannt und zeitlich der Entwicklung des spezialisierenden Universitätskursus in den sogenannten Graduate Schools vorgeordnet.

4. Diese Dreiteilung war nicht im voraus geplant, sondern wuchs heran unter Nutzbarmachung und Adjustierung des vorhandenen College-Mechanismus, der wiederum durch den neuen Mechanismus der Universität ergänzt wurde. Sie ist historisch begründet und kann daher auch nur historisch erklärt werden, und das besonders durch die Geschichte des College.

Die Geschichte des amerikanischen College beginnt mit der Eröffnung von Harvard College 1638, acht Jahre nach der Gründung von Boston. Bis 1693, dem Gründungsjahre von William und Mary College in Virginia, war Harvard das einzige Institut seiner Art. Einige Jahre später, 1701, kamen die „Collegiate School“ in Saybrook, Connecticut, dazu, die 1716 nach New Haven übersiedelten und zwei Jahre später den Namen „Yale“ erhielten. Dann folgten in rascher Reihenfolge Princeton als College of New Jersey 1748, Columbia als Kings College 1754, die University of Pennsylvania zu Philadelphia 1755, Brown zu Providence, Rhode Island, 1765, Dartmouth in New Hampshire 1768, und Rutgers in New Jersey 1770. Neun Colleges, die bis auf den heutigen Tag bestehen, sind demnach vor dem Ausbruch der Revolution gegründet worden *). William und Mary, durch mannigfache Hindernisse und Unterbrechungen zurückgehalten, machte nur langsame Fortschritte. Die anderen Institute, vielleicht mit der Ausnahme von Brown, folgten in der Hauptsache den Plänen und Zwecken Harvards, das nicht nur durch seinen Reichtum und seine wissenschaftliche Stellung, sondern auch durch seine ausgesprochene Seniorität eine hervorragende Stellung unter ihnen einnahm. Neun von den Gründern Yales waren Graduierte von Harvard, wie seine ersten Präsidenten und Lehrer. Die ersten drei Präsidenten von Princeton graduierten in Yale, und der erste Präsident von Brown kam von Princeton. Der Grundstein Harvards wurde durch einen Beschluß des gesetzgebenden Körpers — damals noch „the General Court“ genannt — von Massachusetts im Jahre 1636 gelegt, indem dieser Staat £ 400 bewilligte für die Errichtung einer „Schoale or Colledge“ zum Zwecke der Erziehung der „Enghsh and Indian youth in knowledge and godliness“ — „der englischen und Indianer-Jünglinge in Wissen und Gottesfurcht.“ Im folgenden Jahre wurden zwölf der einflußreichsten Leute der Kolonie, sechs Geistliche und sechs Beamte, unter ihnen John Winthrop und John Cotton, bevollmächtigt „to take order for a College at New Town“ — „die nötigen Schritte für die Errichtung eines College in Newton einzuleiten“. Der Name „Cambridge“ wurde kurz darauf dem Teile von Newton gegeben, in dem das College gelegen war, aus Ehrerbietung gegen das englische „Cambridge“, in dessen Universität — und besonders im Emmanuel College — eine große Anzahl der puritanischen Gründer der Kolonie ihre Erziehung erhalten hatten. Im September 1638 starb John Harvard, ein Geistlicher der Nachbarstadt Charlestown, erzogen in Emmanuel College, Cambridge, und hinterließ £ 750 und seine Bibliothek von 300 Bänden dem in Vorschlag gebrachten College, das bei seiner kurz darauf erfolgenden Eröffnung nach ihm benannt wurde.

*) Washington und Lee und die Hampden Sydney Colleges in Virginia, obwohl als Schulen schon begonnen, wurden erst nach dem Kriege Colleges.

Harvard wurde demnach gegründet unter dem Einfluß und nach dem Muster eines englischen College, aber da es sich natürlich dem hiesigen Studentenmaterial anpassen mußte, wurde es gezwungen, einen dem englischen Eton sehr ähnlichen Typus anzunehmen. Daher wurde es in seinen Anfängen „school“ oder „College“ genannt, und während der ersten 17 Jahre seiner Existenz hatte Yale den Namen „Collegiate School“, Viele der anderen damaligen Colleges, wie Bowdoin, Hamilton, Union, begannen als Schulen und wurden erst später Colleges. Es ist daher nicht mehr als billig, den Ursprung des amerikanischen College gerade so viel in den englischen schools wie in den englischen Colleges zu suchen. Es war eine Mischung der beiden Typen. Sein Charakter als „school“ zeigt sich hauptsächlich durch das Fehlen der Mehrgliederung, wie sie die Cambridge und Oxford Colleges hatten. Dies bezeichnet, und zwar gleich von Anbeginn, die erste Abweichung von dem englischen Muster. Daß die ersten Colleges nichts weiter als bloße Schulen waren, ist genugsam dargetan durch das Alter der Schüler. Dies war in Harvard im Anfang ungefähr 13—17; ein Jahr weniger als das gegenwärtige Durchschnittsalter in unseren Vorbereitungsschulen (HighSchools). Gotton Mather graduierte 1678 im Alter von 15 Jahren. Paul Dudley 1690 im Alter von 14. Increase Mather, der spätere Präsident von Harvard (1685—1701), begann seine Studien im Alter von 12 Jahren und empfing seinen Magister-Grad mit 17 Jahren. Der erste Timothy Dwight, späterer Präsident von Yale (1795—1817), erhielt sein Reifezeugnis 1767 in Yale mit 17 Jahren. Man erzählt sich, dasjohn Trumbull, Schüler der Klasse von 1767 in Yale, mit 7 Jahren vollständig vorbereitet war, in das College einzutreten, daß er dies aber weislich bis zu seinem 13. Lebensjahre aufgeschoben habe. Das Alter der Studenten der Universität von Pennsylvanien am Ausgang des 18. Jahrhunderts war noch niedriger, was auf noch mildere Eintrittsbedingungen schließen läßt. Der „valedictorian“ (d. h. der Primus) der Klasse von 1763 in Pennsylvania College, war 12 Jahre alt. Diese Zeichen der Unreife erhielten sich bis in das nächste Jahrhundert. Edward Everett graduierte 1811 summa cum laude in Harvard, 17 Jahre alt. Kein Wunder, daß Increase Mather im Jahre 1685 es ablehnte, sein Pastorat für die ihm angebotene Präsidentenstelle in Harvard aufzugeben, „to take care of forty to fifty children“, wie er sich ausdrückte. Zweifellos waren einzelne der Studenten bei weitem älter als die obenerwähnten, aber es ist augenscheinlich, daß das Durchschnittsalter aller derjenigen, die regelrechten Elementarunterricht zur Vorbereitung für das College genossen hatten, wie oben angeführt, ungefähr 13 bis 17 Jahre war, oder in anderen Worten, ungefähr 5 Jahre unter dem gegenwärtigen Durchschnittsalter stand.

Was wir über die Eintrittsbedingungen *) der damaligen Zeit wissen, entspricht, wie zu erwarten, ganz dem Alter des Studierenden. Das erste Reglement Harvards bestimmt sie wie folgt: „When any schollar is able to read Tully, or such like classical Latin author ex tempore, and make and speake true Latin in verse and prose, suo (ut aiunt) Marte, and decline perfectly the paradigms of nounes and verbes in ye Greeke tongue then may hee bee admitted into ye colledge, nor shall any Claim admission before such qualification“. Die Anforderungen in Griechisch und Lateinisch wurden später etwas verschärft; so wurde im Jahre 1655 die Fähigkeit verlangt, Cicero, Vergil oder irgend einen derartigen leichten klassischen Schriftsteller zu lesen und zu verstehen, und ebenfalls, daß der Kandidat „völlig in der griechischen Sprache bewandert sei, damit er imstande sei, gewöhnliches Griechisch zu konstruieren und grammatisch zu analysieren, wie z. B. das Griechische Testament, Isokrates und die Poetae minores“; aber immer noch wurde keine Mathematik verlangt, bis endlich Yale 1754 Arithmetik einführte. Harvard verlangte zum ersten Male im Jahre 1820 ein wenig Algebra. Columbia folgte 1821 und Yale 1847. Englische Grammatik wurde zuerst im Jahre 1819 durch Princeton hinzugefügt, und Geographie durch Harvard 1807.

*) S. Broome, E. C. Eine historische und kritische Abhandlung über College-Eintrittsbedingungen. Columbia Doct.-Diss. 1902.

Der erste Versuch, die Eintrittsbedingungen endgültig quantitativ zu bestimmen, wurde in Columbia College im Jahre 1785 unternommen. Kein Kandidat soll nach dem zweiten Dienstag im April 1786 in das College aufgenommen werden, es sei denn, er sei imstande, Caesars De hello Gallico, die vier Reden Ciceros gegen Catilina, die vier ersten Bücher Virgil, die Äneis und die Evangelien (die letzteren aus dem Griechischen) ins Englische zu übersetzen, die Abhängigkeit und die Zusammensetzung der Worte zu erklären und Englisch in grammatikalisch richtiges Latein zu bringen; auch soll selbiger die vier Grundprinzipien der Arithmetik nebst der Regel de tri verstehen“.

Die Dauer des Collegekursus in Harvard war augenscheinlich bis ungefähr 1654 nur drei Jahre. Um diese Zeit wurde er endgültig auf vier Jahre erhöht. Der Lehrplan gab der Philosophie, die Ethik, Staatswissenschaft und Physik umfaßte, stark den Vorzug. Griechisch, mit besonderer Verweisung auf das Neue Testament, und Rhetorik mit öffentlicher Deklamation folgten. Hebräisch, Chaldäisch und Syrisch nahmen ungefähr ein Sechstel des Studienplanes ein. Mathematik, Algebra mit eingeschlossen, Geometrie und Astronomie wurden für das letzte Jahr reserviert und nahmen mit Geschichte und Botanik eine untergeordnete und schwache Stellung ein. Jeder Schüler wurde zweimal am Tage im Bibellesen und der Erörterung theologischer Streitfragen geübt. Harvard und die anderen Colleges der Anfangsperiode waren im Hinblick auf einen äußerst religiösen Zweck gegründet worden. „Jeder Student ist deutlich darauf hinzuweisen“, schärft das erste Reglement Harvards ein, „und eindringlich ermahnt, zu bedenken, daß der Hauptzweck seines Lebens und seiner Studien ist, Gott zu erkennen und Jesum Christum, der da ist ewiges Leben, und daher Christum zugrunde zu legen, als die einzige Grundlage für alle tüchtigen Kenntnisse“. Das unmittelbare praktische Endziel der Gründung dieses Colleges war, die Kirche mit einer wohl ausgebildeten Geistlichkeit zu versorgen. Quincy konstatiert in seiner Geschichte Harvards, daß von den 531 Graduierten Harvards bis zum Jahre 1701 mehr als die Hälfte Geistliche wurden. Von den ersten 76 Abiturienten (1642—1656) wurden 59 Geistliche und mehr als drei Viertel der Graduierten in den ersten 18 Klassen in Yale ebenfalls.

Religion war jedoch in den Kolonien von verschiedenen organisierten Glaubenssekten abhängig; daher kam es, daß jedes College bald als eins betrachtet wurde mit der religiösen Gemeinde, durch deren Bestrebungen und in deren Interesse es gegründet war. Harvard ist von den Massachusetts Bay-Puritanern gegründet worden, Yale von derselben Hauptgemeinde, den Congregationalisten, aber zur Pflege einer strengeren Orthodoxie, Princeton von den Presbyterianern, Columbia von den Episcopalen, Brown von den Baptisten, Rutgers von der Holländisch-Reformierten Kirche. Mit der Zeit hat man sich denn daran gewöhnt, das amerikanische College als Eigentum einer gewissen religiösen Sekte anzusehen oder doch wenigstens dasselbe als der Oberherrlichkeit einer solchen unterworfen zu betrachten, und sogar bis auf den heutigen Tag nimmt man entweder aus Höflichkeit oder häufiger noch aus tatsächlicher Überzeugung an, daß die Sonder-Colleges in einer solchen Verbindung stehen. Dies kennzeichnet die zweite Abweichung des amerikanischen College — und das gleich bei seiner Begründung — von dem englischen Typus.

Eine andere und noch viel wichtigere Abweichung zeigt sich in der Organisation der Verwaltungskontrolle. In den englischen Colleges hatte es kein „board of control and ownership“ (Kontroll- und Eigentumsverwaltungs-Kommission) gegeben, das sich von dem Lehrkörper, den man nach amerikanischem Gebrauch jetzt die Fakultät, d. h. the masters and fellows, nennen würde, im wesentlichen unterschiede. Der lehrende und der verwaltende Körper waren ein und derselbe. Das Erziehungsinstitut Harvard College war jedoch, wie wir oben sahen, von dem „General Court“ von Massachusetts einer Kommission von 12 Männern, 6 Beamten der Gemeinde und 6 Geistlichen der benachbarten Städte anvertraut worden. Fünf Jahre später, im Jahre 1642, setzte ein Beschluß des „General Court“ einen Aufsichtsrat ein, der ähnlich zusammengesetzt war und volle Kontrolle über das Institut hatte. Acht Jahre später, 1650, wurde eine Charte (Freibrief) bewilligt, durch die der Präsident und die Fellows von Harvard College als eine sich selbst ergänzende Körperschaft von 7 Männern mit der direkten Kontrolle des Eigentums und der Finanzen des Colleges und mit der Vollmacht, seine Lehrer anzustellen, betraut wurde, nur abhängig von dem Rate und der Beistimmung des „Board of Overseers“, als der numerisch größeren und allgemeineren Körperschaft. Diese beiden Verwaltungskörper existieren noch heute: der Auf sichtsrat ist nur in bezug auf seine Zusammensetzung geändert worden, sehr unwesentlich in bezug auf seine Funktionen. Die Korporation wird als dem Aufsichtsrate verantwortlich betrachtet und kann als eine Art Senat einem Repräsentantenhause gegenüber angesehen werden oder vielleicht noch besser als ein Exekutivoder Finanzausschuß. Sie bestimmt, welche allgemeine Tendenz das Institut verfolgen soll, und verwaltet sein Vermögen, während der Auf sichtsrat mehr als allgemein beratende Körperschaft die Beschlüsse der Korporation zu billigen oder abzulehnen hat. So sonderbar diese Verwaltungsform ist, einmal in Kraft, hat sie sich zu erhalten gewußt. Die Korporation wurde — in dem Wortlaut des Freibriefs — aus dem Präsidenten, dem Schatzmeister und den fünf „Fellows“ zusammengesetzt. Dies ist jedoch ein neuer Gebrauch des Wortes „Fellows“ (socii). Nach Jahren (1721) begannen zwei „tutors“ des College, Nicolas Sever und William Welstead, eine denkwürdige Diskussion dadurch, daß sie behaupteten, sie wären als residierende Lehrer „fellows“ im eigentlichen Sinne des Wortes und demnach zu einem Sitze in der Korporation berechtigt. Die Erörterung dieses Streitpunktes diente jedoch nur zur Klarlegung, wie das Wort „fellow“ in der neuen Welt eine ganz neue Bedeutung erhalten hatte, indem es zu gleicher Zeit eine von Grund auf neue Entwicklung in dem Charakter der CollegeVerwaltung bezeichnete. Das alte englische „board of fellows“ hatte demnach eine Spaltung in zwei in sich verschiedene Körperschaften erfahren, 1. das „board of control“ (Verwaltungsausschuß) für alle die Anstellung von Lehrern und die finanziellen Verhältnisse betreffenden Fragen, und 2. das „board of instruction“. Die geschäftliche Seite hatte sich sichtlich von der erzieherischen getrennt. Dies fand alles statt mit der praktischen Direktheit der unmittelbaren Handlung, und niemand scheint sich damals der Wichtigkeit des Schrittes bewußt gewesen zu sein. Er führte jedoch dazu, für die ganze lange Reihe von amerikanischen Colleges und Universitäten, die folgten, den dualistischen Organisationstypus festzulegen, und gab den Anlaß zu ihrer höchst eigenartigen Entwicklung. Dies bezeichnet die dritte Abweichung des amerikanischen Colleges — und das gleich bei der Begründung — von dem englischen Typus.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Unterricht und Demokratie in Amerika