IX. Die großen Colleges und ihr Verhältnis zu den kleinen.

Slosson, Edwin E., Great American Universities. Articles in „The Independent“ beginning Jan, 7 th, 1909. — Risk, Robert K., America at College, 1908, Glasgow.

Unter den 480 Colleges, die der U. S. Commissioner of Education (Unterrichtsministerium) in seinem Bericht über das Jahr 1907 als solche anerkannt hat, sind 25, die eine „undergraduate“-Frequenz von über 1.000 haben, während die Zahl der Institute, die weniger als 500 „undergraduates“ aufweisen können, 423 beträgt. Von den 122.000 „undergraduates“ aller Colleges und Universitäten des Landes zusammengenommen, kommen etwas mehr als 40.000 auf die großen Colleges, und der Rest oder ungefähr zwei Drittel auf die kleinen. Viele dieser Colleges sind schwach und stellen zu geringe Anforderungen, aber alle leisten, wenn auch wenig, so doch immerhin etwas: sie bestellen den Boden sozusagen und bilden, jedes auf seine eigene Weise, einen besonderen Kreis von Anhängern heran, indem sie an den Lokalpatriotismus derselben appellieren und das Interesse an dem Institut nicht erkalten lassen. Sie sind, wie wir sagen, „nearer to the people“, keins dem ganzen Volke, aber jedes seiner eigenen begrenzten Gemeinde dienend. Sogar der Kampf, den viele Colleges um ihre finanzielle Existenz durchkämpfen mußten, hat sie denen lieb und wert gemacht, die es sich für sie haben sauer werden lassen und manche Opfer gebracht haben.


Viele besuchen die Colleges, die ohne diese Gelegenheit nie eins besucht haben würden; sie werden hierin entweder durch ein religiöses Interesse bestimmt oder auch dadurch, daß sie das College täglich vor Augen haben. Hunderte gehen jedes Jahr von diesen Instituten auf die Universitäten; ja, man wird finden, daß ein nicht unbeträchtlicher Teil des besten Materials in den heutigen „graduate-Departements“ der Universitäten von verhältnismäßig unbekannten und unbedeutenden Land-Colleges kommt. Und doch ist gerade jetzt ihre Existenz sehr in Frage gestellt. Eine ganze Anzahl von Umständen macht ihnen das Leben schwer. Der erste und sehr bedauerliche ist, wie wir schon gesehen haben, daß der „baccalaureus“-Kursus von den Studienjahren losgetrennt wurde, in denen ein allgemeiner Bildungskursus noch annehmbar für die Studenten war, die über kurz oder lang sich einem Berufsinteresse zuwenden müssen. Zweitens haben aber eine große Anzahl neuer Unterrichtsgegenstände, die eine kostspielige Ausstattung seitens der Schule erwarten, sich den akademischen Anforderungen anzupassen gewußt und sind in die Lehrpläne der großen Institute, welche die Mittel hatten, sie zu lehren, aufgenommen worden, z. B. die verschiedenen Zweige des Ingenieurwesens. Drittens erfordern die alten Gegenstände des Unterrichts dadurch, daß sie sogar schon innerhalb des „baccalaureus“Kursus auf einen Beruf zugeschnitten wurden, eine größere Ausstattung in Laboratorien und Bibliotheken, als die Mittel dieser Colleges es erlauben; und die Umgestaltung dieser Gegenstände zu Spezial-Kursen beansprucht mehr Lehrer, als sie zur Hand haben. Besonders im Westen sind die Colleges in einer schlimmen Lage. Dort sind die Familien, die ihren Kindern eine allgemeine Bildung zu geben wünschen, bei weitem nicht so zahlreich wie im älteren Osten; überdies hat das Emporkommen der Staats-Universitäten mit ihrem kostenfreien Unterricht, ihrer besseren Ausstattung- und ihrer Beliebtheit unter der Masse des Volkes den Colleges den Boden unter den Füßen weggezogen. Viele der kleinsten Colleges haben in letzter Zeit tatsächlich den Plan erwogen, ihre Arbeit auf die ersten beiden Jahre des Baccalaureus-Studiums zu beschränken und am Ende derselben ihre Schüler auf die Universität zu schicken. Sie würden dann ihren Unterricht bis auf die Vorbereitungs-Schule hinab ausdehnen — viele haben übrigens schon ein Vorbereitungs-Departement — und die 6 Schuljahre vom 12. (14.) bis zum 18. (20.) Lebensalter in ihren Bereich bekommen. Das wäre ein Schritt in der Richtung des deutschen Gymnasiums und würde zum Aufgeben des eigentümlichen amerikanischen dreiteiligen Systems beitragen helfen. Der Plan hat einige große Vorzüge, aber wird aller Wahrscheinlichkeit nach nicht durchdringen. Die tiefeingewurzelten Interessen der Colleges, den vierjährigen „baccalaureus“Kursus zu behalten, sind zu gewichtig. Die lebenskräftigeren „kleinen Colleges“ werden es sich nicht nehmen lassen, ihre Studenten bis zum baccalaureus-Grade zu führen; die Studenten werden sich weigern, weg zu gehen; die „Loyalität“ zu ihrem College und der Einfluß der „fraternities“ (Verbindungen) werden sie zurückhalten. Die eigenartigen geselligen Bande, die der Student als Charakteristika eines College-Kursus so wert schätzt und mit Recht wert schätzt, sind Resultate eines vierjährigen Wachstums, d. h. ein Student, der in der Mitte dieses vierjährigen Zeitabschnittes ein College verließe, um in ein anderes einzutreten, würde das, was er im ersten gewonnen, verlieren und würde für ein neues Beginnen im zweiten zu spät kommen. Ein „college-graduate“ ist immer unter einem bestimmten Namen bekannt; entweder als ein „Princeton-man“, ein „Yale-man“ oder etwas ähnliches. Eine solche Bezeichnung hängt ganz davon ab, wo er seinen baccalaureus-Grad erhalten hat. Das postgraduate-Studium, und sei es noch so ausgedehnt, hat gar keinen Einfluß darauf. Ein Student, der seinen A. B. in Princeton und seinen Dr. phil. in Harvard erhalten, wird bei Gelegenheit eines Fußballspieles zwischen diesen beiden Instituten immer auf selten von Princeton stehen, dies durch Beifalls- und Freudenrufe bekunden und einen Sieg Princetons über Harvard festlich begehen. Und wenn er Geld für Collegezwecke gibt, so gibt er es Princeton, und zwar gewöhnlich durch die Vertreter seiner Klasse, denn immer und bei allen Gelegenheiten wird er nicht allein nach seinem College, sondern auch nach dem Jahr, in dem er graduierte, bezeichnet: er ist Princeton 97 oder Princeton 07. Mit anderen Worten, seine ganze akademische Individualität ist in einem terminus technicus zusammengefaßt, der ihm durch seine Graduierung nach einem vierjährigen College-Kursus geworden ist. Keine tieferen Empfindungen sind mit dem dreijährigen graduate Kursus, der zum Dr. phil. führt, verbunden. Das ist einfach Butter und Brot oder einfach Wissenschaft, sicherlich nicht Angelegenheit des Herzens. Aber die Verbindung mit dem College ist ganz entschieden Sache des Gemüts. Übersieht man das, so mißversteht man unser Collegeund Universitäts-System sowohl in seinem Verhältnis zur öffentlichen Meinung als auch in Hinsicht auf seine eigenen Probleme. Bis zu einem gewissen Grade ist sogar ein lebenslängliches geselliges Verhältnis mit der Collegegraduierung verbunden. Jede Klasse ist organisiert, und ein permanenter Sekretär erhält sich bezüglich des Aufenthalts und der Lebensschicksale jedes einzelnen Mitgliedes auf dem Laufenden, läßt darüber von Zeit zu Zeit Nachrichten drucken und sendet Zirkulare an alle Klassenmitglieder. Einmal alle drei oder fünf Jahre feiert die Klasse eine Wiedervereinigung und hält pomphafte Festlichkeiten in den Hallen der alma mater ab.

Gekreuzt wird diese Form der Organisation nach Klassen durch die Organisation nach Orten. Z. B. haben die Dartmouth Alumnen ihre Boston, New York, Chicago, Washington Vereinigungen und andere, nach großen Distrikten benannt, wie z. B. die „Northwest Association“, mit dem Mittelpunkt in Minneapolis, wo nämlich der Schriftführer wohnt und wo jährlich oder noch häufiger Bankette und Konvente abgehalten werden. Außerdem haben sie die „Great Divide“ (große Wasserscheide) Vereinigung, die in Denver ihren Mittelpunkt hat, ferner die „Of the Plains“ (der Prärie) zu Omaha, die „South Cahfornia“ zu Los Angeles und die „Pacific Coast“ zu San Francisco. Im ganzen gibt es 18 dieser lokalen Dartmouth Vereine. Yale hat 59, darunter einen in Shanghai, China, und einen in Hawaii.

Diese Solidität des vierjährigen Kursus, befestigt durch Loyalität und ebenfalls durch gesellige Bande, von denen wir eben gesprochen haben, ist es, die dem College ein Fortleben zu sichern scheint. Ohne diese würde es durch das Übergewicht der großen Institute, d. h. der Colleges in Verbindung mit Universitäten, zermalmt und zu einem Unterrichtskörper mit zweijährigem Kursus reduziert werden. Diese Intra-Universitäts-Colleges sind eine stete Gefahr für die alleinstehenden Colleges. In den ersteren wird das Berufsstudium immer mehr betont, wenigstens in den letzten beiden Jahren, und macht dadurch, indem es ja auch den herrschenden Verhältnissen Rechnung trägt, nur sein gutes Recht geltend. Um diesen Stand der Dinge gebührend zu kennzeichnen, haben zum wenigsten zwei Universitäten, die Universität von Chicago und die Universität von Kalifornien, eine Endstation am Schlüsse des zweiten Jahres eingerichtet, die durch eine quasi-Graduierung — und ein quasi-Diplom — gekennzeichnet ist. Der Student tritt dann in die „Upper Division“ in ganz ähnlicher Weise ein, als ob er in ein neues Institut aufgenommen würde. Die ganze Arbeit der „Lower division“ ist beendet und liegt hinter ihm: das ist extra vorgeschrieben. Weder die beiden Arbeitsfelder sollten durcheinandergebracht werden noch die beiden Gesichtspunkte. In der Universität von Kalifornien ist die Arbeit der unteren Abteilung in der Form von „required“ (vorgeschriebenen) Gruppen schematisiert, während die obere Abteilung, im schärfsten Gegensatz hierzu, einzig und allein im Hinblick auf den frei gewählten Hauptgegenstand eingerichtet ist. Die Universität von Kalifornien hat ferner erst kürzlich mit den „kleinen“ Colleges des Staates und der Nachbarschaft Vereinbarungen über eine Basis getroffen, auf der die Studenten derselben zur oberen Abteilung, sei es „ad eundem“ oder anderswie, zugelassen werden. Das Junior-Certificat, d. h. das quasi Diplom, das nach Absolvierung der unteren Abteilung verliehen wird, wird demnach nicht allein ein Dokument innerhalb des Colleges, sondern in noch viel höherem Grade ein Passierschein zwischen Colleges. Außerdem hat die Universität von Kalifornien ihre Eintrittsbedingungen so zugeschnitten, daß ein Student, falls überhaupt seine Aufnahme angängig ist, während der ersten zwei Jahre seinen Kursus so zurechtrücken kann, daß er schließlich allen Bedingungen und Vorbedingungen für den Spezialkursus, den er in der oberen Abteilung beginnen soll, genügt. Er hat nämlich die Möglichkeit, in seinem Vorbereitungskurse ausgelassene Studien durch entsprechende Arbeit in der unteren Abteilung nachzuholen. Diese Maßregel hat sich wegen der dadurch gegebenen Biegsamkeit des Kursus als wünschenswert für die zahlreichen Schüler erwiesen, die ihren Lebensplan ändern, d. h. von den Kulturstudien zum Ingenieurfach oder vice -versa übergehen, oder die sich erst verhältnismäßig spät im Leben zur Wahl eines bestimmten Studiums entschließen wollen. Nach diesem Plane braucht der Knabe sich nicht schon in der „High-School“, besonders aber nicht — was durchaus zu verwerfen ist — schon in den ersten Jahren dieser Schule entscheiden, welchem Fache er sich zuwenden soll. Wir versuchen also, wie dieses Beispiel zeigt, die ganze Treppenflucht unserer Erziehungssysteme nach jeder zweiten Stufe mit Absätzen zu versehen. Ein weiterer Vorteil des Systems ergibt sich daraus, daß es dem Lehrplan der „high-school“ die sklavische Abhängigkeit von den Eintrittsbedingungen des College nimmt. Die „high-school“ ist demnach auf dem besten Wege, eine selbst bestimmende Wesenheit zu werden: das College ist geneigt, ihre Arbeit, wie immer sie auch sei, anzunehmen.*)

Die Interessen der Separat-Colleges stehen demnach in sichtlichem Widerspruch zu denen der intra-Universitäts-Colleges. Das kleine College verspricht bessere individuelle Aufsicht über seine Studenten und besseren Schutz, sollte er wünschenswert erscheinen, gegen zu frühe Spezialisierung. Das große College bietet dem reifen Studenten bessere Gelegenheit, seine Arbeit im Hinblick auf einen zukünftigen Beruf zu gestalten, und läßt ihn in vielen Fällen tatsächlich schon im dritten oder „Junior“ Jahre wirkliche Universitätsarbeit beginnen. Zum Beispiel kann der Student, sollte er Medizin studieren wollen, von den letzten beiden Jahren seines baccalaureus-Kursus als den ersten beiden seines Fachstudiums Gebrauch machen, und durch „telescoping“ (ineinanderschieben) der beiden zwei volle Jahre sparen. Hierdurch ist das alleinstehende College in sichtlichen Nachteil gesetzt.

*) Eine Auseinandersetzung des kalifornischen Planes findet sich in dem Bericht der zehnten Jahreskonferenz der Vereinigung der amerikanischen Universitäten, 1909.

Daß der Widerstreit der Interessen noch nicht zu vollerer Kenntnisnahme und stärkerem Ausdruck gekommen ist, und daß das Separat-College nicht schon mehr durch diesen Nachteil gelitten hat, ist zum Teil den noch ungeordneten Zuständen zuzuschreiben, die durch das stetige und starke Anwachsen der Schülerzahl bedingt sind. Es waren genug und übergenug für alle möglichen Erziehungsanstalten vorhanden. Das obenaufgelegte Gewicht der dreijährigen „graduate“und Fachstudien bewirkt jedoch, daß diese und ihre Arbeit immer tiefer und tiefer in das Gefüge der Colleges sinken; die Zukunft des Separat-Colleges wird daher trotz der Verschanzungen und Verstärkungen, die ihm Tradition und anhängliche Zuneigung gewähren, ernstlich in Frage gestellt. Im Osten, wo der Zulauf von Männern, die nur eine allgemeine Vorbereitung für Geschäft und Leben anstreben, stärker ist, wird das College sich wahrscheinlich leichter halten als im Westen, wo außerdem die kleinen Colleges weniger gut verschanzt sind und wo die Staats-Universitäten an sich schon ein verhältnismäßig großes Übergewicht über die durch Privat-Schenkungen erhaltenen Universitäten des Ostens besitzen.

Die Staats-Universitäten müssen aus verschiedenen Gründen für sich behandelt werden, aber unter den von Privatleuten gegründeten Universitäten bietet vielleicht Yale den interessantesten und bezeichendsten Fall eines intra-Universitäts-Colleges größeren Maßstabes. In diesem Institut zählen wir 2.240 „undergraduates“ gegenüber einer „graduate-school“ von 391 und den Fachschulen (Theologie, Medizin, Jura) mit einer Gesamtbeteiligung von 657. Die drei entsprechenden Summen für Harvard sind 2277, 531 und 1074. Die „undergraduates“ machen demnach in Yale 70% des Ganzen aus, in Harvard 59%. In Columbia (ohne die Studentinnen unter den „undergraduates“, die in Yale und Harvard mitgezählt sind) machen sie 52% aus, in Chicago 44%, in Princeton jedoch 93%.

Das große College zu Yale ist im wesentlichen das kleine College, wie wir es in Amherst beschrieben haben, nur umfangreicher und — wie Sie wohl urteilen werden — übergroß und rudimentär. Sein Einteilungs- oder Organisations-Mechanismus ist wohl mehr entwickelt, aber das fällt nicht dagegen ins Gewicht, daß der einzelne Student nicht zur Geltung kommt und in der großen Masse verschwindet.

Diese großen Colleges müssen dem fremden Beobachter vorkommen wie eine große Masse von Schlafsälen, eine Häufung von gut ausgestatteten wissenschaftlichen Anstalten, eine Ansammlung von Studenten und ein ungeheures Gemengsei von Kursen und Studien, aber ohne Plan oder Organisation oder Nutzanwendung. Das Mißverhältnis zwischen der äußeren Ausstattung und der inneren Haltung dieser unverhältnismäßig großen Colleges ist von Flexner in seinem Buche „The American College“ (New York 1908) scharf kritisiert worden. Er sagt (S. 57): „Es drängt sich einem jedesmal mit frischer Kraft auf, wenn man sich von der College-Equipierung oder seinem Kataloge zu den konkreten Kundgebungen des Collegelebens wendet. Die beiden wollen durchaus nicht zusammenstimmen. Auf der einen Seite, ein stupendes Aufgebot von Gelehrten und Forschern, Bibliotheken, Laboratorien, Veröffentlichungen, auf der anderen Seite ein aus den verschiedensten Elementen bestehender Studentenhaufen, der sich kennzeichnet durch eine außerordentlich starke Vorliebe für Geselligkeit primitiver Natur und durch ein überall sich zeigendes Aufgehen in trivialen und knabenhaften Interessen.“ Die Kritik ist im ganzen genommen berechtigt. Das Wachstum ist seit 1870 zu rasch fortgeschritten, es hat die Organisation überholt. Zu viel Kraft, Aufmerksamkeit und Unterstützung ist dem College selbst entzogen und den Erweiterungen der Graduate school zugewendet worden. Das ganze System ist räumlich zu sehr entwickelt. Das große östliche College ist zu sehr den Wünschen und Bedürfnissen der reichen Studenten angepaßt worden, für die es der Hauptsache nach nur die Gelegenheit geselligen Lebens in angenehmer Form bieten soll. Vorlesungen werden ganz nach Willkür mit zu geringer Berücksichtigung eines Planes oder Zieles belegt. Zuviel Zeit und Kraft wird verschwendet. Außer dem Sport wird nichts mit Eifer betrieben. Es herrscht eine zu große intellektuelle Waschlappigkeit und zu viel Dilettantismus vor. In diesem sorglosen „Kommst-du-heute-nicht-kommst-du-morgen“ Junker Kollege ähnelt das erziehliche Resultat bei dem „elektiven“ Plan gar zu sehr der Wirkung eines unmäßigen Lesens von Journalen und Zeitschriften — wässerige Augen und ein wässeriger Verstand.

Um jedoch auf Yale zurückzukommen, so hat es mehr als die meisten Institute seiner Art darauf gesehen, sein College intellektuell in Ordnung zu halten, die Arbeit in ihm wirklich zu einer guten Schulung werden zu lassen und tüchtige und brauchbare Männer in die Welt zu schicken. Es wird gewöhnlich als kräftiger und männlicher, wenn nicht lärmender als Harvard angesehen. Es zeichnet sich sicherlich durch einen starken Lokalpatriotismus aus, hängt mit Liebe an der Scholle und ist seinen altherkömmlichen Bräuchen treu ergeben. In Harvard hält man es für anmaßend. Ein Harvard „freshman“ soll seinem Lehrer auf die Frage, was er unter einer „anticlimax“ verstehe, Yales bekanntes Motto: „For God, for country, and for Yale“ genannt haben.

Ein vierjähriges Zusammenleben in einer großen demokratischen Gemeinde in den über den ganzen Schulhof verstreuten Dormitorien hat einen Geist der Zusammengehörigkeit und Solidarität entwickelt, auf dem die große in der Studenten-Körperschaft liegende Verwaltungsfähigkeit beruht. Die Schlafhallen erzeugen keine solche gesellschaftliche Klassifikation wie die der Oxford-Colleges. Sie sind weiter nichts als Schutzdächer, und die Studenten strömen aus ihnen heraus, um sich zu einem großen Körper zu vereinigen.

Die einzige Gruppierung oder Hervorhebung ist einerseits die der Klassen (und in Yale ist die Klasse von größerer Bedeutung als anderswo), andererseits die der besonderen Auszeichnung, wie sie in rein studentischen Angelegenheiten — Sport, College-Journalismus und öffentlichen Debatten — , bis zu einem gewissen Grade auch durch hervorragende Leistungen in dem Klassenzimmer, durch die Betätigung in verschiedenen geselligen Klubs, hauptsächlich aber durch die Zugehörigkeit zu den allumworbenen „Senior Societies“ zutage tritt. Es ist das höchste Ziel und die stärkste Probe für die Tätigkeit eines Yale-Undergraduates, in seinem letzten Schuljahr zu den „Skull and Bones“ oder „Scroll and Key“ oder „Wolfs Head“ zugelassen zu werden. Während seiner ganzen Laufbahn, von dem ersten Tage seines Eintrittsjahres an, ist der Student bestrebt, in Übereinstimmung mit jenem „esprit de corps“ zu leben, der am großen und letzten Tage des Gerichts sein Recht, in eine dieser drei Scharen von Unsterblichen aufgenommen zu werden, prüfen soll. Nur 45 können jedes Jahr gewählt werden, aber das Herkommen ist nicht mißzuverstehen, es findet allgemeine Unterstützung bei den Studenten, und der einmütige Wunsch, als Kandidat zu figurieren, macht aus jedem einzelnen einen spartanischen Soldaten, wenn es sich um eine gemeinsame Studenten-Angelegenheit handelt. Nirgendswo wird Sport mit so viel Ernst betrieben. Die Leistungen eines jeden in dem alljährlich zwischen den einzelnen Colleges stattfindenden Wettbewerb fallen für seine Kandidatur schwer ins Gewicht; und sogar hier ist es nicht die Kraft der Muskeln, sondern der rechte Yale-Geist, der den Ausschlag gibt.

Wenn der Student in die Welt hinaustritt, so folgt ihm dieser Yale- „esprit de corps“. Der Name „Alumne von Yale“ wird oft als gleichbedeutend mit der Mitgliedschaft zu einem geheimen Orden angesehen. „Yale men“ halten immer zusammen. Und der Einfluß der Alumnen (Graduierten) auf das College ist gewöhnlich konservativer Natur. Sie sind jeder Neuerung in den hergebrachten Einrichtungen des alten College abgeneigt. Im Jahre 1888 unterzeichneten Tausende eine Bittschrift gegen das Abreißen eines erbärmlichen alten Holzzaunes; denn seit langen Jahren war es Tradition gewesen, im Mondenschein auf ihm zu hocken, dort zu singen, zu rauchen und sonstwie geistreich die Zeit zu vertreiben.

Es ist eine Tradition Yales, sehr auf Religion zu halten. Dwight Hall, der Sitz der „Young Mens Christian Association“, steht in der Mitte der Gebäude und wird viel als Klub- und Bet-Haus benutzt. Man hält es für durchaus angebracht, wenn der beste der College-Athleten die Leitung der Gebetversammlung übernimmt, und es ist keine ungewöhnliche Erscheinung, daß die Leute, die Dwight Hall regieren, auch die Politik der Klassenwahlen und die Geschicke der studentischen Angelegenheiten im allgemeinen stark beeinflussen. Yale hat auch eine College-Kirche, ganz nach dem Muster der in Amherst beschriebenen, und jede Klasse ernennt aus ihrer Zahl vier „Deacons“, die darin als Beamte und Geistliche fungieren. Der Besuch des Sonntags-Gottesdienstes ist vorgeschrieben, wie auch der der Morgenandacht in der Kapelle während der Wochentage, und eigentümlicherweise stimmen die Studenten der nachfolgenden Klassen sämtlich für die Beibehaltung desselben. Das ist eine gute alte Tradition in Yale (nebenbei bemerkt, im Unterschiede von Harvard) und trägt dazu bei, die jungen Leute in häufige Berührung zu bringen und mit einem Gefühl der Zusammengehörigkeit zu erfüllen. Und das erzeugt wiederum mehr Corps-Geist für Yale.

Yale ist großzügig. Es hat Individualität. Es sendet Männer in die Welt, die tatkräftig ins Leben hinaus und an die Arbeit treten. Es ist eine große Macht im Lande.

Wenn man aber nach den Quellen dieser Macht forscht, darf man nicht allein europäische Maßstäbe anlegen und nicht nur mit Übersicht der Lehrpläne oder Aufzählung der Laboratorien operieren. Yale muß als Gemeinde beurteilt werden.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Unterricht und Demokratie in Amerika