II. Sprache und Rasse.

Jene unbewußte Gefühlsrichtung, von der wir am Schluß des letzten Kapitels sagten, daß sie Aufschluß über einen bevorstehenden Ausdruck der öffentlichen Meinung geben kann, läßt sich nicht mit Sicherheit aus den Auslassungen von ein, zwei oder drei Personen erkennen. Sie kann nur mit der Zeit den Äußerungen vieler entnommen werden, und die Induktion, durch die wir zu ihr gelangen, wird eher eine des Gefühls als eine der Überlegung und der Vernunft sein. Sie ist außerdem selten im Besitz eines Einzelwesens; sie ist eher das Produkt eines gemeinsamen Bodens, sie gründet sich auf die ganze nur halbbewußte intellektuelle Begabung und den Reichtum an geistiger Kraft innerhalb eines ganzen Gemeinwesens. Solch einen gemeinsamen Boden, dies sine qua non einer öffentlichen Meinung, zusammengesetzt aus gleichen Neigungen, Traditionen, Erfahrungen, Gefühlsformen, Angewohnheiten oder Ideengängen, sollte man kaum erwarten bei 85 Millionen Menschen, die über ein Areal, achtzehnmal größer als Frankreich, verstreut sind, von denen ein Drittel entweder im Auslande geboren oder wenigstens von fremder Abstammung ist; aber es ist tatsächlich der Fall, daß eine Meinung bei weitem häufiger und schneller und mit gefahrbringender Bestimmtheit nach ganzen Staaten oder Landesteilen Gestalt annimmt. Der Süden, der während der ersten siebzig Jahre unserer nationalen Existenz der politisch herrschende Landesteil war, lebt seit dem Bügerkriege ganz für sich selbst, von Mißgeschick niedergedrückt und vollständig in Anspruch genommen von der drohenden Rassenfrage. Neu-England im entlegenen Nordosten ist ebenfalls eine Einheit für sich. Die pazifische Küste hat ihre eigenen Fragen und Stimmungen. Die Gebirgsstaaten sind die luftige Heimat von Neuerungen und verschiedenen Wirren. Der Mittelwesten jedoch, das wahre Amerika, ist durch ein geographisches Geschick, welches das Mississippital über die ganze Mitte des Kontinents ausbreitet, zum Bindeglied zwischen den oben genannten Landesteilen und zum festen Kern der Nation geworden.

Die Scheidewände zwischen Staaten und Landesteilen haben oft wie die wasserdichten Abteilungen eines Schiffes dem heilsamen Zweck gedient, dem Umsichgreifen einer voreiligen Meinung Einhalt zu tun. Unser Konservatismus hinsichtlich Einrichtungen und Verfassungen, unter dessen Herrschaft der Mechanismus der amerikanischen Verfassung, das älteste Stück eines vollständigen freien Regierungssystems in der europäischen Kultur, heute steht, ist zum großen Teil daraus zu erklären. Die Amerikaner sind trotz ihrer radikalen Theorien, ihres hitzigen Feuergeistes vor den Wahlen und ungeachtet ihrer klar zutage tretenden Vorliebe für Neuerungen im Detail und in Fällen, wo es sich um Pose, Spielerei oder Laune handelt, ein konservatives *) Volk — ihr englisches Erbteil und ihre Eigentumsinteressen machen sie dazu — und wenn sie zuweilen ihrer politischen Überschwenglichkeit die Zügel schießen lassen, so geschieht das, weil sie wissen, daß die Abteilungen wirklich wasserdicht sind und die Scheidewände den Druck aushalten können; deshalb können sie sich ja das Vergnügen leisten. Sie hören Bryan eine Zeitlang mit Vergnügen zu, aber wenn er Präsident geworden wäre, würde er entweder ein handfester Konservativer geworden sein — was sehr wahrscheinlich ist — oder sie würden ihm Hände und Füße gebunden und ihm einen Knebel in den Mund geschoben haben. Theodor Roosevelt, mit all seiner gewaltigen Energie und all seinem behenden Wahrnehmungsvermögen, ist und war von jeher in seinem innersten Impulse sowohl wie in den Hauptzwecken seiner Handlungen ein streitbarer Konservativer. Er suchte einerseits durch gesetzliche Regulierung den Neuerungen der vereinigten Plutokratie zu steuern, und anderseits seine Partei, die Partei des schwerfälligen Wohlstandes, in eine progressive Stellung zu bringen und sie als Bollwerk gegen das Vordringen des Sozialismus zu benutzen. Er besitzt die Herzen des amerikanischen Volkes wie kein Mann vor ihm, weil er so vollkommen die eigenartige amerikanische Kombination von Lebenskraft, Offenherzigkeit und Konservatismus personifiziert.


*) Professor Münsterberg, seiner Liebe für den Kontrast und das Paradoxe nachgebend, sagt von dem amerikanischen Typus in seinem Buche „The Americans“, Seite 143: „Er ist lebensfrisch bis zur Ausgelassenheit, und doch gütig und freundlich: konservativ, wenngleich empfindlich, ohne Respekt vor Herkommen und doch religiös, leichtblütig und doch rücksichtsvoll.“ Präsident Butler, „The American as he is“, Seite 23 f, sagt: „Das amerikanische Volk ist außerordentlich konservativ“.

Ungeachtet all der Barrieren und Scheidewände, die Ortsregierungen und provinzielle Interessen errichtet haben, ist die Lebensausrüstung, das Temperament und die Aussicht des Volkes derart gleichartig, daß die gewöhnlichen Schätzungen der Europäer weit dahinter zurückbleiben. In erster Linie gibt es nur eine Sprache in Amerika und sozusagen keine Dialekte. Die kontinentale Ausdehnung des Landes mit seinem zentralen Mischbassin und dem schnellen Wechseln und Sichmischen der Bevölkerung ist außerordentlich förderlich für Monoglottismus. Sprachliche Verschiedenheiten, wie sie Großbritannien im Wallisischen, Gälischen und Irischen fortbestehen lassen kann, die feststehenden Dialekte wie die von Yorkshire und Somersethshire, sind hier unmöglich. Die Sprachen der Einwanderer verschwinden und werden aufgesogen wie der Reif von der Sonne. Ungeachtet der ungeheuren deutschen Einwanderung (6 Millionen seit 1820) wird sehr wenig deutsch in der zweiten Generation gesprochen. Eine Sprachinsel des Pfälzerdeutsch hat sich in der Tat zwei Jahrhunderte lang im östlichen Pennsylvanien unter dem Schutze gemeinsamer und eigenartiger rehligiöser Satzungen und eines kompakten, ununterbrochenen Zusammenlebens in ländlicher Isolierung erhalten, aber auch sie wird jetzt schnell absorbiert, ohne den langsamen Assimilationsprozessen in Syntax*) und Wortschatz Zeit zur Beendung ihrer Arbeit zu lassen. Im Auslande geborene Eltern bemerken bald, daß die Karriere ihrer Kinder ernstlich in Frage gestellt ist, wenn diese der englischen Sprache nicht mächtig sind oder sie mit einem fremdländischen Akzent sprechen, und so gern sie auch vielleicht die Muttersprache beibehalten möchten, so opfern sie diese zarte Rücksicht doch dem praktischen Bedürfnis. Eine dialektische oder mangelhafte Aussprache hat gewöhnlich in Amerika zum wenigsten ein unbewußtes Vorurteil gegen einen Menschen im Gefolge, und das besonders im Geschäftsleben, und da sie ganz offen zum Gegenstand der Lächerlichkeit gemacht wird, so wird das Vorurteil häufig zu einem bewußten. Wer einen derartigen Dialekt spricht, gibt sich daher, ob bewußt oder unbewußt, die größte Mühe, ihn loszuwerden, und die öffentliche Schule mit ihrem tapferen Heer puristischer Frauen ist eine mächtige Hilfe bei diesem Werke. Der scharfe, bestimmte und etwas gekünstelte Klang des Neu-England-Dialektes ist dem Bemühen, die starken, hervorstechenden Eigentümlichkeiten des ursprünglichen lokalen Dialektes zu überwinden, zuzuschreiben und entspricht somit der Genauigkeit und sogenannten Korrektheit des Hochdeutschen, das auf niederdeutschem Territorium gesprochen wird. In beiden Fällen ist die Betonung eine Schöpfung der Schulen. Das Verwerfen von Übergangsformen in Amerika, in Fällen wie dont: you oder at: all sind deutliche Anzeichen von Künstlichkeit, die man häufig bei Puristen bemerkt, und besonders bei den Frauen Neuenglands. Keine Form von künstlicher Verbesserung des Dialektes ist amerikanischen Ohren mehr verhaßt als eine Nachahmung des englischen Dialektes der höheren Klassen, und jemand, der etwas derartiges von einem Besuche in England mit nach Hause bringt, wird als Snob angesehen und unverzüglich in den Höllenpfuhl der Snobs verbannt. Die Sprache, die sich jetzt immer mehr einbürgert, ist daher von keinem englischen Dialekte geborgt; wir dürfen viel eher erwarten, daß die verschiedenen englischen Mundarten, besonders die der oberen Klassen, mit der Zeit Schritt für Schritt dem amerikanischen Idiom Raum geben werden, und zwar weil die überwältigende Masse der Englischsprechenden sich desselben bedient — und die amerikanischen Gräfinnen und Herzoginnen, von denen jetzt der englische Hof wimmelt, dürften den Keim der Ansteckung sogar in diese geheiligten Hallen tragen. Aber ob nun natürlich oder künstlich, ob zum Guten oder Bösen, Amerika hat eine Sprache, und nicht nur das, sondern es bedient sich derselben auch mit einer Gleichförmigkeit des Idioms, die alles bei weitem übertrifft, was in der gesprochenen Form von irgend einer europäischen Mundart bekannt ist. Dieses massive Verkehrsmedium, das keine besonderen Idiome aufkommen läßt, die mit gewissen Gesellschaftsklassen wie in England, oder mit Landesteilen wie in Deutschland verknüpft sind, ist die solide Grundlage einer nationalen öffentlichen Meinung.

*) Diese Prozesse zeigen sich deutlich in den folgenden typischen Ausdrücken: „Ich gleiche ihn“ (I like him = ich habe ihn gern) und „Wollen Sie Ihre Schuhe gepeggt haben oder gesoht haben?“ (genagelt oder genäht); „I will ihn darüber sehen“ = I will see him about it!

Was wir von der Kraft der amerikanischen Sprache gesehen haben, mit der sie die anderen in ihren Bereich kommenden Sprachen absorbiert, findet eine Parallele in dem Assimilationsvermögen des Temperaments und der Lebensanschauung des amerikanischen Volkes, Low sagt in seinem Buche „America at Home“ (London, 1909.) sehr treffend: „Ein gut Teil des Temperaments und der Stärke Amerikas ist seinem Vermögen zuzuschreiben, den Ausländer aufzusaugen, ihn schnell in seinem Denken, Betragen und Fühlen zu einem Amerikaner zu machen. Der Amerikaner ist daher, ob nun Amerikaner von Geburt oder durch Adoption, ganz von dem patriotischen Glauben durchdrungen, daß sein Land und sein Volk wirklich Europa und den Europäern überlegen sind, und er ist von einem aufrichtigen Bedauern erfüllt, daß die Welt nicht so eingerichtet sei, daß auch andere an seinem Glücke ein wenig teilnehmen können.“ Es ist die Sitte des Landes, ein begeisterter Patriot zu sein. Die Landesfahne ist überall zu sehen. Sie weht über jedem Schulhause, und der Flaggensalut gehört zu den wöchentlichen Ereignissen in jedem Unterrichtsinstitut. Wir stehen in dem Ruf zu glauben, daß wir „das größte Volk der Erde“ seien, daß unsere Freiheit im Denken und Handeln geradezu ohnegleichen dastehe, daß, was auch immer drohen möge, alles zu einem guten Ende kommen müsse, daß die Vorsehung uns zu etwas ganz Besonderem ausersehen habe und daß wir unter ihrer ganz speziellen Obhut stünden. Man sagt uns ferner nach, daß wir dies nicht nur glauben, sondern wir wären auch jederzeit, ob mit oder ohne Veranlassung, bereit, diese Tatsache offen und laut zu betonen, und wie unsere englischen Freunde behaupten, es wenn nötig durch die Nase betonen. Wenn das der Fall ist — und meiner Ansicht nach enthält der Ausspruch viel Wahrheit — , so darf man aber auch nicht ungesagt lassen, daß unsere im Auslande geborenen Bürger, und sogar die kürzlich eingewanderten, sich mit bewunderungswürdiger Schnelligkeit diese Eigenart des Landes aneignen und es uns gewöhnlich darin zuvortun. Ob sie es tun in der unbewußten Annahme einer Mode, oder in der Absicht, uns für den Augenblick den Mund zu stopfen, lasse ich dahin gestellt sein: es dürfte wohl manchmal das eine, manchmal das andere der Fall sein; meiner Ansicht nach jedoch meistenteils das erstere. Soviel steht fest, unsere Ausländer sind die ausdrücklichsten Verehrer des von uns mit Stolz betonten „Amerikanismus“. Es ist amüsant zu sehen, wie die Kinder oft darin aufgehen, bevor ihre Eltern der Sprache des Landes mächtig sind, und meine eigene Erfahrung bestätigt die folgende von Professor Münsterberg (The Americans, S. 164) gemachte Beobachtung : „Es ist in der Tat erstaunlich, wie in den Klassen der New -Yorker Schulen unten auf der „East Side“ keins der Kinder, obwohl sie alle von Ausländern abstammen, zugeben will, daß es ein Italiener, Russe oder Armenier ist. Alle diese kleinen Leutchen wollen durchaus „Amerikaner“ sein, mit amerikanischem Patriotismus und amerikanischem Stolz,“ In San Francisco werden die chinesischen Kinder infolge des lokalen Vorurteils gegen Mischung der Rassen in einer öffentlichen Schule für sich unterrichtet; und es ist rührend und komisch zugleich, diese kleinen Orientalen eifrig und andächtig die Gestikulationen des Fahnensaluts machen zu sehen, und sie aus vollen Kehlen das „Star spangled banner“ und „My country, this of thee“ singen zu hören, wenn wir der mageren Gastfreundschaft gedenken, die wir unter den obwaltenden Umständen dieser besonderen Rasse zu bieten uns veranlaßt fühlen. Das Bürgerrecht wird, wie hier beiläufig erwähnt sei, den im Lande geborenen Chinesen verliehen, und obwohl unsere Erfahrung mit den chinesisch-amerikanischen Untertanen noch sehr jungen Datums ist, so bin ich doch fest überzeugt, daß unsere Bedenken gegen die Aufnahme der chinesischen Einwanderer sich keineswegs mit der Besorgnis begründen lassen, daß die Chinesen, die im Lande aufgewachsen sind und mit demselben fortwährend in engster Verbindung gestanden haben, nicht gute Staatsbürger abgeben würden, vorausgesetzt, daß ihre Zahl in der Gemeinde nicht zu groß ist.

Aber die Kinder der Einwanderer sind keineswegs die einzigen, die für die assimilierenden Einflüsse dieses unfaßbaren, alles in sich auflösenden Amerikanismus unmittelbar empfänglich sind. Wir lassen Professor Münsterberg sprechen und geben hier die Fortsetzung der oben zitierten Stelle, die Kinder der Einwanderer und die öffentlichen Schulen betreffend. „Und jeder neue Tag läßt es deutlicher hervortreten, daß die Nation in ihrem ganzen System öffentlicher Einrichtungen eine ähnliche Schule für den erwachsenen Ausländer besitzt. Männer mit ergrautem Haar und junge Leute, die in ihrem Vaterlande niemals aus ihrer traurigen und gedrückten Existenz sich würden emporgearbeitet haben, werden, kaum daß sie den Fuß auf das Pflaster des „Broadway“ gesetzt haben, im Umsehen Leser von Zeitungen, Besucher von politischen Versammlungen und im Kleineren unabhängige Geschäftsleute . . . Sie wachen plötzlich auf, und obgleich jede Rasse in dieser Umgestaltung dem Triebe der Selbstbestimmung ihre eigene Färbung verleiht, der allgemeine Charakterzug, der typische amerikanische Zug wird nichtsdestoweniger in jeder Rasse zum Vorschein kommen, wenn nur die Bedingungen günstig sind.“ Fremde Beobachter haben oft die Leichtigkeit beklagt, mit der ihre Landsleute ihre nationalen Charaktereigenschaften und Untertanenpflichten abgestreift haben und den Einflüssen der Amerikanisierung anheimgefallen sind, und haben die Frage aufgeworfen, wie viel länger dieser Prozeß im Angesicht einer beständigen Immigration fortgesetzt werden kann. Professor Darmstädter aus Göttingen sagt in seinem Buche „Die Vereinigten Staaten von Nordamerika“ S. 219: „Für das amerikanische Volk ist es natüdich eine sehr ernste Frage, ob es gelingen wird, die Einwanderer süd- und osteuropäischer Herkunft ebenso zu assimilieren, wie es bei den Briten, Iren, Deutschen und Skandinaviern geglückt ist. Man hat es in Deutschland unseren Landsleuten vielfach zum Vorwurf gemacht, daß sie so rasch amerikanisiert worden sind, dabei aber übersehen, daß die Deutschen, wenn sie sich nicht entschlossen hätten, Amerikaner zu werden, in eine unhaltbare Lage gekommen wären.“ Dies letztere ist richtig, sofern es nicht mit der „unhaltbaren Lage“ irgend eine Form wirklichen Zwanges meint, sondern sich auf die natürliche Absorptionskraft des Landes und das natürliche Hindernis der Sprache bezieht, deren Gewicht unbewußt alle spüren müssen, die sich nicht anpassen wollen. Professor Darmstädter fährt fort: „Die Ansichten darüber, wieweit die Assimilation rassefremder Elemente möglich ist, gehen weit auseinander; viele vertrauen auf die amerikanische Volksschule, die amerikanischen Ideen, kurz auf die Macht des ganzen amerikanischen Milieus, und hoffen, daß die Einheit der amerikanischen Nation, die ja mehr auf den gemeinsamen Ideen als auf der gemeinsamen Abstammung beruht, auch in Zukunft erhalten bleibt.“

Das starke Mißtrauen, das sich in diesen Worten ausspricht, soll uns jedoch nicht zu einer Gegenprophezeiung reizen, nur so viel sei gesagt, daß die Absorptionsfähigkeit Amerikas, soweit man dies mit greifbaren Versuchen hat feststellen können, bis jetzt noch keine Anzeichen des Nachlassens aufweist, trotz der schweren Bürde, die den Assimilationsorganen des Landes durch die neuerliche Einwanderung vom südlichen und südöstlichsten Europa auferlegt worden ist. Es gibt tatsächlich in der Weltgeschichte kein Analogon, auf das eine Prophezeiung ihr Stativ setzen könnte. Das Problem, dem sich Amerika jetzt gegenübersieht, hat, soweit die kaukasischen Rassen Europas in Frage kommen, die Abschaffung des Abstammungsunterschiedes im Gefolge, sowie ein vollständiges Substituieren des menschlich-sozialen Bandes für die Stammeseinheit. Die auf der Gemeinschaftlichkeit der Sprache, der Sitten und Ideen basierende Gesellschaft ist im Begriff, die auf Blut-Religion gebaute Gesellschaft und ihren modernen schattenhaften Repräsentanten, den rehgiösen Rassenstaat, zu verdrängen. Die Art und Weise, wie die Blut-Religion zu einem Hindernis für die soziale Einheit werden kann, und der wesentliche Gegensatz der beiden werden durch die gegenwärtige Stellung der Juden in Amerika veranschaulicht. Sie gedeihen in der Luft dieses Landes, sie zeigen sich erkenntlich für die Freiheit und die Gleichheit der Behandlung, und für die Gelegenheit, sie zu betätigen, sie sind gut patriotisch und sind im allgemeinen ausgezeichnete Staatsbürger, aber die Beibehaltung ihrer Stammesreligion, notwendig wie das wohl ist, dient doch dazu, die nebeneinander bestehenden Rassegrenzen hervorzuheben, und bietet einer sozialen Spaltung eine bedauerliche Gelegenheit, sich auf den Umrissen einer alten Blutspaltung niederzulassen, und dies in einem Lande, das dem Rassenwie dem Religionsvorurteil, wenn einzeln genommen, durchaus abhold ist.

Die Neigung des Landes zur Abschaffung der Rassegrenzen ist, wie wir bereits gesagt haben, vollständig auf die weißen Rassen beschränkt. Der Süden zieht eine scharfe Linie gegen die schwarze Rasse, und der Norden, der von jeher der Blutmischung ablehnend gegenüberstand, hat sich allmählich zu denselben Ansichten bekehren lassen. Da nun eine Abneigung gegen soziale Mischung und folgende soziale Assimilierung zu dem Widerwillen gegen Blutmischung hinzugekommen ist, bietet das Problem einer politischen Assimilierung der Neger Schwierigkeiten, die für die Zukunft bedenklich sind. Die übereilte Zulassung des Negers zum Stimmrecht am Ende des Bürgerkrieges wird jetzt allgemein als ein Fehler angesehen, und zwar selbst von den reiferen Leuten unter den Negern.

Der Westen opponiert heftig gegen jeden Versuch, die gelben Rassen Asiens zu assimilieren; der Süden ist natürlich ebenso gesonnen, und der Norden, jetzt vollständig überzeugt von dem Ernst der Negerfrage, ist weniger als in früheren Zeiten geneigt, die Einwendungen gegen asiatische Einwanderung als ein unvernünftiges Vorurteil der pazifischen Küste anzusehen. Die Vorgänge auf Hawaii während der letzten fünf Jahre lassen deutlich erkennen, daß ohne unsere Ausschließungspolitik die Orientalen heute den größeren Teil der Bevölkerung Kaliforniens ausmachen würden. Wir kommen alle immer mehr und mehr zu der Überzeugung, daß die Aufgabe, die europäischen Rassen zu einer amerikanischen Gesellschaft zu verschmelzen, für den Augenblick vollständig genug zu tun gibt.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Unterricht und Demokratie in Amerika