Ein Mädchen aus dem Volke. (Erzählung in sieben Kapiteln)

Es mag nicht allgemein bekannt geworden sein, dass vor einigen Jahren nächtlicher Weile in den Straßen einer großen norddeutschen Hauptstadt ein meuchlings Verwundeter gefunden wurde, der nach einem einzigen rätselhaften Worte, das später die Ursache der Entdeckung seiner Mörder wurde, den Geist aufgab. Die nähere Geschichte dieses Vorfalls würde billigerweise den Sammlungen von Kriminalfällen einzureihen sein, vielleicht auch vorzugsweise nur den Seelenforscher interessieren, da das Leben des Ermordeten — es war ein Mann, angeblich aus dem Lehrerstande, hieß Ludwig Wächter oder, wie ihn die an seinem Tode näher beteiligten untern Stände nannten, Lude Wächter — voll merkwürdiger Tatsachen für die Erfahrungsseelenkunde sich ergab. Indessen diese Umstände allein würden uns nicht bestimmt haben, sie zum Gegenstand unserer Darstellung zu machen. Es waren vielmehr in die Geschichte dieses, wie sich später bei öffentlicher Gerichtsverhandlung ergab, eigenberufenen Mannes Lebensumstände noch anderer Personen verwickelt, und diesen zunächst gelten die folgenden Blätter. Sie werden die Verhältnisse Ludwig Wächters, sein Ende und das rätselhafte Wort, das zur Entdeckung seiner Mörder führte, nicht verschweigen, haben es aber zunächst nur mit zwei Lebensläufen zu tun, deren Darstellung selbst in den Leiden, die sich in ihre Schicksalsfäden verflochten, den Leser hoffentlich fesselt oder wenigstens in ihm Stimmungen zurücklässt, die erheben, nicht niederziehen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Unterhaltungen am häuslichen Herd. Band I.