Ein fideler Abend unter dem Äquator -1-



In Cramat, einer der freundlichen Vorstädte Batavias, war eine Anzahl von jungen Leuten auf dem Anwesen 1) eines ihrer Gesellschaft versammelt, um dort einen fröhlichen Abend zu verbringen. Leopold van Roeken feierte heute seinen fünfundzwanzigsten Geburtstag und hatte nicht nur beschlossen, sein erstes Viertel vom Jahrhundert in würdiger Weise zu verlassen, sondern auch das zweite auf gleiche Art - und keineswegs nüchtern - anzutreten. Passende und willkommene Gesellschaft fand er dazu leicht. Es waren, außer seinem eigenen Kompagnon, einem Deutschen, lauter junge holländische Kaufleute, neun an der Zahl, teils eigene Geschäfte betreibende, teils Buchhalter der bedeutenden Maatchappey; und schon um den reichgedeckten Tisch geschart, sprudelte der fröhliche Humor der Versammelten mit den fliegenden Champagnerpfropfen lustig ins Freie.


Der Holländer hat darin große Ähnlichkeit mit dem Deutschen, seinem nahen Verwandten, daß er beim Essen gern und viel spricht. Er verzehrt dadurch die Speisen nicht so rasch und verdaut besser, während der Amerikaner in scharfem Kontrast dazu bei der Mahlzeit kein Wort mit dem Nachbarn wechselt und die Speisen so rasch wie möglich hinunterschlingt. „Time is money“, denkt er dabei, was liegt ihm an dem Körper, den er ja doch nur dazu benutzt, Geld - immer nur Geld - zu verdienen. Der Holländer verdient ebenso gern Geld wie er, aber er tut es auf vernünftigere Weise. Wir leben nur einmal, und er will, während er lebt, auch genießen. Wo das mit Maß geschieht, ist er im vollen Recht, und Unmäßigkeit bildet überhaupt kein hervorstechendes Laster der Niederländer.

Zahlreiche malaiische Diener umgaben die Tafel, jeden Wunsch der Gäste rasch zu befriedigen, und als man die warmen Speisen beendet hatte, trugen sie Unmengen der herrlichsten Früchte herein, denn Java wird darin von keinem Land der Welt übertroffen. Die Insel selber erzeugt schon eine große Zahl ihr eigentümlicher wilder und delikater Früchte, und was außerdem andere Tropenländer Köstliches darin boten, wurde ebenfalls hierher verpflanzt und gedieh vortrefflich. So lag hier, neben der Perle aller Früchte, dem Mangustan-Apfel, die saftige Ananas, mit denen im Innern weite Flächen bepflanzt stehen; die brasilianische Butterbirne, deren markartiges Fleisch, ebensogut mit Salz wie mit Madeira und Zucker zu einer Creme angerührt, vortrefflich schmeckt; ferner die Manga und Pampelmuse, eine riesige Orange; ja das Hochland hatte heute selbst seine Erdbeeren liefern müssen, und der in Eis gekühlte Wein wurde mit dem Saft der Kokosnüsse zu einem wunderbar erfrischenden Getränk gemischt.

Das Mahl hatte sich inzwischen länger als gewöhnlich hingezogen, und mit dessen Beendigung brach auch schon die Dämmerung herein - diese frühe Dämmerung der Tropen, die den heißen Tag kürzt und mit ihren kühlen Lüften den ermatteten Körper stärkt und kräftigt. Übrigens dürfen wir Nordländer uns die Hitze unter dem Äquator nicht zu drückend vorstellen, und so sonderbar es klingt, ist es doch gar nicht selten bei uns heißer als dort. Viel zur Milderung trägt schon die kürzere Zeit der Sommertage bei. Die Sonne geht regelmäßig in den Tropen um sechs Uhr auf und unter - im ganzen Jahr nur um wenige Minuten differierend -, steigt also nie vor acht Uhr über den Dunstkreis herauf und hat um halb fünf Uhr abends schon wieder ihre größte Kraft verloren. Ferner sind die dortigen Wohnungen alle so gebaut, Kühle zu verbreiten und dem Luftzug freien Durchgang zu lassen, während unsere Häuser gerade im Gegenteil darauf berechnet sein müssen, dem langen Winter Trotz zu bieten. Die wahrhaft heißen und endlosen Tage, wenn die Sonne morgens um fünf Uhr schon hoch am Himmel steht und um sieben Uhr abends fast noch ihre volle Kraft hat, finden uns deshalb auf nichts vorbereitet, was uns Kühlung bieten könnte. Fast verschmachtend, denken wir mit Schaudern an die Unglücklichen, die jetzt auch noch unter dem Äquator leben müssen, während wir hoch im Norden beinahe verbrennen, und wie würden wir diese „Unglücklichen“ beneiden, könnten wir sie zu solcher Stunde unter ihrem kühlen Porticus, im Schatten dichter Fruchthaine, von der kühlen Seeluft angefächelt, sitzen sehen.

Es war sechs Uhr abends, eben neigte sich die Sonne im Westen hinter den hochstämmigen Palmenkronen und riesigen Waringhis 2), und bequeme, luftige chinesische Rohrstühle waren von den geschäftigen Malaien hinaus in die von hohen Säulen getragene Vorhalle geschafft worden, den weißen Tuwans 3) die Aussicht auf die vor ihnen liegenden Gärten zu gestatten, die einen wahrhaft paradiesischen Anblick boten. Dort wurde der Kaffee serviert, und während ein paar junge Burschen Manila- und Havannazigarren herumreichten, liefen andere mit den aus Kokosbast gedrehten brennenden Lunten hintendrein. Jeweils zwei der Gäste hatten ein kleines Tischchen zwischen sich, auf dem die Tassen standen, und behaglich auf den mit Schiebern versehenen Stühlen ausgestreckt, lagen die jungen Leute, bliesen den Dampf in die aromatisch duftende Welt hinaus und plauderten und erzählten sich Anekdoten. Die Malaien aber, die horchend dabeisaßen und die holländische Sprache nicht verstanden, sahen sich jedesmal, sobald irgendeine gute Anekdote schallendes Gelächter hervorrief, mit breitem Grinsen von der Seite an und zeigten jeder zwei Reihen vom Sirihkauen braungelb gefärbte Zähne. Aber ihre Ruhe dauerte nicht lange - „api!“ 4) rief es bald von dieser, bald von jener Seite, wenn die eine oder andere der Zigarren beim Erzählen ausgegangen war, und wie der Blitz fuhren dann die Burschen herum und, ihre Lunten anblasend, in die Höhe, um das Geforderte so rasch wie möglich darzubieten.

„Eigentlich kann man’s hier in Indien aushalten“, sagte ein kleines zusammengedrücktes und etwas verwachsenes Männchen mit lockigem dunklen Haar und einem Paar kleiner grauer, lebendiger Augen - er war einer der ersten Buchhalter der Maatchappey, „verdoem my, Roeken, Ihr habt eins der hübschesten Anwesen hier in ganz Cramat, so hübsche Plätze hier überall herum liegen; eins aber fehlt Euch doch noch, und wenn Ihr meinem Rat folgt, macht Ihr bald Anstalten, das herbeizuschaffen.“

„Und das wäre?“ fragte das Geburtstagskind.

„Eine Frau“, sagte Heffken, der Kleine, während die anderen lachten und riefen: „Ja, ja - Heffken hat recht - Roeken muß heiraten, Roeken muß heiraten!“ „Zum Henker auch, Mann“, nahm der Buchhalter das Gespräch wieder auf, „Ihr habt jetzt Euer eigenes Geschäft, verdient ein prächtiges Geld und könntet leben wie der Hase im Klee, wenn Ihr Euch hier eben eine freundliche Heimat schafftet und Euch nicht mehr mit den verdammten roten Halunken herumzuquälen brauchtet. Ein Kommis oder ein Buchhalter, ja - ich habe nichts dagegen, der mag ledig bleiben und sich so behelfen, aber ein Prinzipal muß heiraten - wie können auch sonst seine Kommis Respekt vor ihm haben.“ „Waarachtig niet, Heffken“, lachte aber van Roeken, „von einem Muß kann hier gar keine Rede sein, da noch dazu in ganz Batavia keine ist, die ich heiraten könnte oder - möchte.“

„Hoho!“ rief der kleine Buchhalter erstaunt aus. „Wollte ich mich doch selbst getrauen, in Batavia eine passende Frau zu finden; also Bescheidenheit kann das nicht sein - oder ist es Hochmut? - Da wüßte ich dem gestrengen Herrn doch noch ein paar zu nennen, von denen selbst er die Finger lassen sollte. - Api!“

Der ihm nächste Bursche glitt zwischen zwei Lehnstühlen und unter dem kleinen Tische hin, um den Rufenden recht bald zu erreichen, und hob die Lunte zu ihm empor, und van Roeken rief, den Kopf schüttelnd: „So hoch hinaus will ich gar nicht Heffken, und mit viel Geringerem wäre ich zufrieden, aber Ihr müßt bedenken, daß ich noch nicht so lange hier in der Kolonie bin und das alte Land deshalb auch noch nicht so weit vergessen habe, mich schon ganz und vollkommen in ein indisches Familienleben hineinzufinden. Außerdem, wenn ich einmal heirate, tue ich es meiner Bequemlichkeit wegen, und dann will ich auch eine Frau haben, die sich mir ganz und mit voller Seele hingibt.“

„Nun, du sollst sagen, daß du noch nicht Inder wärst“, rief ein anderer der Gäste, sich behaglich in seinem langausgezogenen Lehnstuhl dehnend, „bis ins Mark hinein hast du die hiesige Luft eingezogen, und das Gescheiteste, was du tun könntest, wäre, du nähmst dir einfach eine Liplap. 5)

Ihr würdet ein kapitales Paar abgeben.“

„Danke dir“, sagte van Roeken trocken, „die Liplap-Damen wären die letzten nach meinem Geschmack. In der Jugend ja, aber wie lange dauert’s, und man hat einen dicken Fleischklumpen im Haus, der aus seinem Lehnstuhl nur dann und wann einmal aufsteht, um die Dienstboten zu prügeln.“

„Wenn dich Mevrouw Wattlingen hörte, drehte sie dir den Hals um“, lachte Wagner, van Roekens Kompagnon, indem er sich eine frische Zigarre nahm, „api! sapáda! 6)

Zum Henker auch, schläft denn die ganze Gesellschaft?“

Die Malaien schossen mit ihren Lunten von allen Seiten vor, und Wagner, von einem Feuer nehmend, ohne die anderen eines Blickes zu würdigen, fuhr fort: „Es ist überhaupt eine falsche Idee, zu glauben, daß dir hier in Indien eine Frau - nämlich eine im Lande erzogene Frau - irgendeine Bequemlichkeit im Hause bereiten würde. Das müssen dir doch die Dienstboten tun. Willst du es besser haben, bleibt dir nichts anderes übrig, als selber nach Europa hinüberzugehen und dir eine Frau dort auszusuchen.“

„Daß das jetzt nicht geht, weißt du selber am besten“, sagte van Roeker, „und es kann noch Jahre dauern, bis ich imstande wäre, das Geschäft so lange zu verlassen.“

„Dann gib mir den Auftrag“, lachte Keurhuis, ein junger Mann von kaum dreiundzwanzig Jahren, „ich gehe mit der nächsten Mail nach Holland, um mir selber eine Frau zu holen, und bringe dir gleich eine mit.“

„Du wärst der letzte, dem ich die Wahl anvertrauen möchte“, sagte van Roeken, „denn die Beste behieltest du doch für dich selber.“

„Dann macht’s wie der Missionar auf Celebes!“ rief Bylderheer, ein anderer der Gesellschaft, der längere Zeit in einem Celebes-Handlungshaus konditioniert hatte und erst seit einigen Monaten von dort zurückgekehrt war.

„Und wie hat es der gemacht?“ fragte van Roeken.

„Ganz einfach dem Board der Missionare in England Auftrag gegeben, ihm eine passende Frau herüberzuschicken.“

„Und das ist geschehen?“

„Geschehen? Allerdings. Schon mit dem nächsten Schiff traf seine Braut ein, ein liebes, prächtiges Mädchen, einfach und bescheiden, nur ein bißchen schwärmerisch-fromm, was aber zu dem Mann vortrefflich paßte.“

„Und nach acht Tagen werden sie beide wünschen, daß sie einander nie gesehen hätten“, sagte Wagner.

„Bitte um Verzeihung!“ rief Bylderheer. „Die beiden Leute sind jetzt sechs Monate miteinander verheiratet und leben so glücklich, wie nur Eheleute leben können. Zufällig habe ich gerade heute abend mit einer von dort eingetroffenen Prau 7)
Briefe bekommen, worin mir Ballenheg, unser Kommissionär, der mit dem Engländer gut bekannt ist, über die beiden schreibt. Aber bei Euch, Roeken, kann man keinen Brief lesen; es ist ja stockfinster geworden.“

„Wahrhaftig!“ rief van Roeken. „Der Abend war aber so wundervoll, und ich hatte gar nicht darauf geachtet. He, Licht da, und ein bißchen rasch; wie wär’s, meine Herren, wenn wir heute keinen Tee tränken, sondern eine Bowle machten? Es ist kühl genug, ein Glas zu vertragen, und morgen überhaupt Sonntag, so daß wir ausschlafen können.“

„Vortrefflich, vortrefflich!“ jubelten ihm die anderen zu. „Eine Bowle, den Tag würdig zu beschließen!“

„Ich bitte aber um eine Tasse Tee“, sagte Wagner. „Mit euren Bowlen bleibt mir zu Haus; ich habe es einmal versucht und nicht wieder.“

„Wer Tee trinken will, kann es ja tun“, sagte der Wirt, während die Malaien beschäftigt waren, die sechs im Portico hängenden Astrallampen anzuzünden. „Zu einem fröhlichen Abend gehört aber Bowle, und dann fehlte uns weiter nichts, als daß wir uns noch von Meester Cornelis einen Rongging 8) kommen ließen.“

„Damit morgen in ganz Batavia die Nachricht die Runde macht, die Firma Wagner und van Roeken hätte Orgien gefeiert“, sagte der ruhigere Kompagnon. „Wenn ihr das tun wollt, dann geht lieber gleich an die Quelle zu Meester Cornelis selber, erlaubt mir aber, daß ich hierbleibe und meinen Tee allein trinke.“

„Der alte Moralist“, lachte Heffken. „Aber hier geht es auf keinen Fall, und diesmal hat er recht. Die Nachbarschaft ist zu nah, und rechts und links sollten wir bald neugierige Gesellschaft genug haben. Übrigens bitte ich um die Erlaubnis, die Bowle zu brauen. Ich bin darin ein alter Praktikus.“

„Zugestanden, zugestanden!“ riefen die übrigen fröhlich.

„Und jetzt, nachdem wir Licht haben, den Brief“, sagte Bylderheer, das fragliche Schriftstück aus der Tasche ziehend; aber niemand hatte mehr Geduld, ihm zuzuhören.

„Oh, laßt Eure langweilige Epistel!“ rief Heffken; „was geht denn uns das an, ob der englische Pfaffe auf Celebes glücklich oder unglücklich mit seiner Herzallerliebsten lebt. Für uns die Bowle, und ich bitte Euch um noch eine Eurer Zigarren, van Roeken. Diese Havanna ist wahrhaftig vortrefflich - habe sie in meinem Leben nicht besser geraucht.“

„Wo fahren denn diese vielen Carretas heute hin?“ fragte Wagner. „Ich habe jetzt sieben hintereinander gezählt, die alle dort links einbogen.“

„Zu van Romelaers“, sagte van Roeken, „dort ist heute Empfangsabend, und wie ich hörte, soll sogar Musik hinbestellt sein.“

„Alle Teufel!“ rief Heffken, „dann ist heute abend auch Verlobung dort; ich habe diesen Morgen im Kontor davon gehört. Das schöne Kätchen soll weggegeben werden.“

„Unsinn“, sagte van Roeken rasch, „wer hat das Märchen erfunden?“

„Märchen?“ lachte Heffken. „Hauptmann Regterwyl wird Euch bald beweisen, daß nicht viel Märchenhaftes an der ganzen Sache ist. - Verd... Roeken, war die kleine Käthe nicht auch eine von Euren Flammen?“

„Nicht daß ich wüßte“, sagte van Roeken lachend, aber er wandte sich rasch vom Licht ab, denn er fühlte, wie er bei der Nachricht die Farbe veränderte. Die vorzubereitende Bowle gab ihm indessen leicht einen Vorwand, sich zurückzuziehen, und als er, von einigen Malaien gefolgt, in das Haus ging, beugte sich Keurhuis zu dem Buchhalter und flüsterte: „Aber Heffken, wußtet Ihr denn nicht, daß van Roeken einen Korb von der kleinen Romelaer bekommen hat?“

„Waarachtig niet!“ rief dieser überrascht aus, „kein Wort! Deshalb wurde er so rot. Aber er muß doch schon vorher davon gehört haben, daß sie halb und halb diesem Offizier versprochen war.“

„Wahrscheinlich nicht; aber sprecht nicht so laut; Wagner braucht nichts davon zu hören. Laßt das Gespräch auch lieber fallen, wenn Roeken zurückkommt.“

„Gewiß - gewiß“, nickte der Buchhalter. „Dürfen ihn heute an seinem Geburtstag nicht ärgern. Später ist immer noch Zeit, ihn damit zu necken.“

„Er verträgt darin vielleicht keinen Spaß.“

„Bah, was will er machen“, lachte Heffken still vor sich hin. „Das ist also schon der zweite Korb, den er hier bekommen hat.“

„Der zweite?“

„Die Tochter des alten Rats Boderwend hat ihn auch ausgeschlagen.“

„Aber weshalb? Er ist jung und reich.“

„Und liederlich“, sagte Heffken. „Die Pariser Luft steckt ihm noch zu sehr in den Gliedern. Aber da ist er mit der Bowle. Jetzt kommt meine Arbeit, und nun sollt Ihr einmal sehen, was ich Euch zusammengießen werde.“

Wagner, van Roekens älterer Kompagnon, war indessen aufgestanden und vorn an den Porticus getreten, wo er tief in Gedanken auf die wundervolle Szenerie vor sich hinausstarrte; und doch hätte diese wohl verdient, ihr volle und ungeteilte Aufmerksamkeit zu widmen. Es gab auf der Welt kaum ein reizenderes Bild als das hier vor ihm ausgebreitete, und die inzwischen vollständig hereingebrochene Nacht hatte seine Reize eher vermehrt als vermindert. Vor dem breiten, nur aus einem Stockwerk bestehenden und von Säulen getragenen Gebäude dehnte sich ein mit duftenden Büschen und Fruchtbäumen bedeckter Garten aus, über dem die hohen federartigen Wipfel der Kokos- und Areka-Palmen im kühlen Luftzug rauschten und nur in der Mitte den Blick zu dem sternbesäten, tief dunkelblauen Himmel freiließen. Vor dem Garten zog sich der breite, von Hecken eingefaßte Weg hin, und zwischen zwei riesigen Waringhis konnte man durch das Buschwerk des gegenüberliegenden Gartens die ebenfalls hell erleuchtete Säulenhalle des vis-à-vis erkennen. Dort war, wie hier, eine Gesellschaft versammelt; aber dort drüben wurde keine Junggesellenwirtschaft geführt, sondern elegant gekleidete Damen bewegten sich in den zu Tageshelle erleuchteten Räumen hin und her, und von den hohen, prachtvollen Bäumen eingefaßt, sah das Ganze aus wie ein zierliches, künstlich hergestelltes lebendes Miniaturbild.




1) Im holländischen Indien werden diese Anwesen „Erbe“ genannt womit keineswegs ein wirklich ererbtes, also eigenes Grundstück gemeint ist, sondern ein Grundstück überhaupt, das man - gleichviel unter welchen Bedingungen - für den Augenblick in Besitz hat
2) Waringhi: Der indische Banianbaum, der geheiligte Baum der Javanen, der seine Zweige wieder in den Boden senkt, um dort neue Wurzeln zu schlagen
3) Tuwan: Herr; Anrede für jeden Europäer, im Holländischen toean geschrieben (das oe wie u ausgesprochen). Dem Fremden klingt es aber stets, als ob zwischen u und a des Wortes tuan ein leises w eingeschoben wäre; ich habe es auch deshalb so geschrieben
4) Api: Feuer, ein auf Java ständig gehörter Ruf nach Feuer zu den Zigarren, da sich ein Europäer nie selbst danach bemüht
5) Liplap heißen die Abkömmlinge von Eingeborenen und Europäern (dasselbe, was in Amerika die Mestizen sind). Heiraten zwischen Liplapfrauen und europäischen Männern finden häufig statt
6) Sapáda (zusammengesetzt aus siapa ada): „Wer auch immer da ist!“ Der übliche Ruf, wenn in Java ein Diener verlangt wird. In fast allen Haushaltungen sind nämlich eine Menge Dienstboten vorhanden, von denen jeder seine bestimmte Beschäftigung hat und gar nicht daran denkt, etwas zu übernehmen, was eigentlich einem anderen zukäme. Wird nun einer beim Namen gerufen, so können sechs daneben sitzen und es hören, aber keiner wird sich rühren; bei dem Ruf sapáda muß aber jeder kommen, der gerade in der Nähe ist.

Die weiblichen Dienstboten sind ebenso gewissenhaft, ja nichts zu tun, was ihnen nicht obliegt. Jedes Kind in einer europäischen Familie hat ein bestimmtes Dienstmädchen, und wenn sieben Kinderbetten in einem Schlafsaal stehen, liegen auch gewiß sieben Mädchen - neben jedem Bett eins - auf einer Matte daneben. Schreit nun ein Kind in der Nacht und das dafür verantwortliche Mädchen hört es nicht, so rührt sich keins der anderen auch nur von der Stelle; nur weil das Kleine das Zauberwort nicht versteht: „Sapáda!“
7) Prau: Eigentümliches Segelboot der Eingeborenen
8) Rongging: Chinesische Tänzerinnen, die auf den Basaren oder Märkten und manchmal auch in Privathäusern, aber natürlich nur bei Junggesellen, ihre originellen Tänze aufführen

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Unter dem Äquator