Unter Bayern und Schwaben

Autor: Nicolai, Friedrich (1733-1811)
Themenbereiche
Inhaltsverzeichnis
  1. Kapitel 1 - München - Die Stadt – Der Hofstaat und die Regierung – Industrie und mechanische Kunstfertigkeit – Gelehrsamkeit und die Schönen Künste – Aberglaube und Religion – Der Nationalcharakter der Bayern – Das Räuberunwesen in Bayern – Sitten und Gebräuche – Die Mundart der Bayern
  2. Kapitel 2 - Die Reise von München über Nymphenburg nach Augsburg - Schloß Nymphenburg – Die Porzellanmanufaktur – Dachau
  3. Kapitel 3 - Augsburg - Lage und Aussehen der Stadt – Die Einwohner – Der Wasserbau – Protestanten und Katholiken in Augsburg – Handel und Gewerbe – Die Weberei – Die feinmechanischen Künste – Augsburger Buchdruckereien und der Buchhandel – Bildung und die Schönen Künste – Sitten und Sprache in Augsburg
  4. Kapitel 3 - Ulm - Die Fahrt nach Ulm – Die Münsterkirche – Das Stadtregiment – Zeitungen und die Zensur – Bibliotheken und Schulen – Sitten und Gewohnheiten – Der Charakter der Schwaben – Der Murrle – Das Fischerstechen in Ulm – Die Weiterreise nach Stuttgart – Geislingen – Esslingen – Das St. Urbanusfest
  5. Kapitel 5 - Stuttgart - Das Schloß – Das Opernhaus – Die Regierung – Buchhandlungen, Druckereien, Zeitungen – Kunst- und Naturalienkabinette – Die Militärakademie – Die Schönen Künste – Religiosität und Kirchenvisitationen – Sitten und Sprache in Stuttgart
  6. Kapitel 6 - Auf dem Weg nach Tübingen - Die Solitude – Ludwigsburg – Hohenasperg und ein Besuch bei Schubart – Hohenheim – Die Fahrt nach Tübingen – Die Chausseen
  7. Kapitel 7 - Tübingen - Die Stadt – Das Schloß – Die Universität – Das Theologische Stift – Das Collegium Illustre – Die Magister Schelling – Die Universitätsbibliothek – Industrie und Einwohner von Tübingen
  8. Kapitel 8 - Die Reise von Tübingen nach St. Blasien im Schwarzwald - Hechingen – Unterwegs von Balingen nach Schömberg – Der Straßenbau – Von Frittingen bis Donaueschingen – Der Ursprung der Donau – Weiterfahrt nach St. Blasien – Der Anblick des Stiftes
  9. Kapitel 9 - Das Stift St. Blasien im Schwarzwald - Der Fürstabt – Gelehrte Männer im Stift – Gebäude und Kirche des Stiftes – Der Klostergarten – Archiv und Bibliothek – Klostereinrichtungen und Regierung im Kloster – Von St. Blasien nach Schaffhausen
Leseprobe aus Kapitel 1 - München

München hat vor vielen Städten, selbst vor dem großen Wien, den Vorzug, daß es von ihm eine in neuerer Zeit erschienene, vollständige Beschreibung gibt, die einem Fremden als Leitfaden dienen kann. Man verdankt sie Herrn Prof. Westenrieder. Ich weiß sehr wohl, daß daran viel und zum Teil mit Recht Kritik geübt worden ist, aber im großen und ganzen gehört dieses Werk doch zu den wenigen wirklich nützlichen Städtebeschreibungen. Eine solche Aufgabe scheint nicht schwer zu sein, denn man hat ja alles, was man beschreiben will, vor Augen. So dachte ich auch, bis ich mich selbst an eine solche Beschreibung machte. Doch die Erfahrung hat mich inzwischen die Schwierigkeiten gelehrt, eine solche Menge von Gegenständen, wie sie sich in einer großen Stadt zeigen, unter dem rechten Gesichtspunkt zusammenzufassen, dabei das Bemerkenswerte auszuwählen und es kurz und doch klar zu beschreiben. Die erste Ausgabe meiner Beschreibung von Berlin war, obgleich ich größten Fleiß darauf verwendet hatte, noch sehr unvollkommen.

München ist eine Stadt von mittlerer Größe, und im allgemeinen sind die Gassen hier viel breiter als in Wien. Die Kaufingergasse, die Neuhausergasse, das Tal u. a. sind alle breit genug. Der Platz oder Markt, wo die Hauptwache ist, hat recht ansehnliche Häuser, unter denen sich Arkaden wölben. Auf diesem Platz steht ein vergoldetes Bildnis der Jungfrau Maria auf einer hohen marmornen Säule, um deren Basis man geharnischte Engel damit beschäftigt sieht, Ungeheuer zu zerhauen. Der Jesuitenpater Crammer erklärt dazu in seinem Werk »Das deutsche Rom«, wie er München nannte: »Die vier Tiere sind eine Natter, ein Basilisk, ein wilder Löwe und ein Drache. Diese vier Tiere symbolisieren die vier Übel eines Landes: ansteckende Luft und Krankheiten, Hungersnot, Krieg und die Ketzerei.«

Die Residenz oder das kurfürstliche Schloß ist ein ungeheuer großes Gebäude, ohne rechten Zusammenhang und mit einer schlechten Symmetrie, von dem 1750 noch dazu ein Teil abgebrannt und bisher nicht wieder aufgebaut worden ist. Man hat im Schloß aber immer noch genug Platz übrig, denn es ist so weitläufig, daß es acht Höfe einschließt. Es ist schwer, von der heterogenen Gestalt dieses Bauwerks eine klare Vorstellung zu vermitteln. Von außen ist die Residenz an vielen Stellen mit Marmor verkleidet. Die zweieinhalb Geschoß hohe Hauptfassade, unter dem Kurfürsten Maximilian I. erbaut, ist zwar nach damaligem Geschmack mit tischlerhaften Verzierungen überladen, und die beiden übereinanderstehenden dorischen und ionischen Säulenreihen sind etwas kurz, wie es bei Gebäuden der damaligen Zeit oft vorkommt, aber man kann doch nicht leugnen, daß diese Fassade etwas Wohlgereimtes und eine dem Auge sehr gefällige Harmonie der Teile aufweist. Die rechte Ausstrahlung eines landesherrlichen Schlosses hat sie aber doch nicht. Ich hätte das Gebäude eher für eine reiche Prälatur gehalten, zumal die Jungfrau Maria als Patronin von Bayern groß davor steht. ...

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