Unpolitische Bilder aus St. Petersburg.

Skizzen, nach dem Leben gezeichnet
Autor: Jerrmann, Eduard (1798-1859) Schauspieler, Puppenspieler, Landwirt, Erscheinungsjahr: 1851

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Russland, Russen, Leibeigenschaft, Bauern, Reformen, St. Petersburg, Heimat, Hauptstadt, Land und Leute, Militärdienst, Sitten und Bräuche,
Vorwort.

Die freundliche Aufnahme, welche mehrere der hier folgenden Schilderungen aus St. Petersburg bereits in verschiedenen Journalen gefunden hat, gibt mir den Mut, der ehrenden Aufforderung meiner Herren Verleger zu folgen, und sie gesammelt, und durch manches Neue vermehrt, dem Publikum hier zu überreichen. Ich täusche mich nicht über das Schwierige meines Unternehmens; ich kenne den Unterschied der Anforderungen, die man an einen Journal-Aufsatz und an ein Buch zu machen berechtigt ist; deshalb gebe ich dieses auch in der anspruchslosen Form abgerissener Bilder. Ich maße mir kein Urteil im Allgemeinen an; ich schildere nur, was ich teils mit eigenen Augen gesehen, teils aus zuverlässigen Quellen geschöpft habe.

Die öffentliche Stimmung schreckt mich nicht. In einer viel bewegteren Zeit schrieb ich, nach meiner Rückkehr aus Frankreich, mein Buch über Paris, und obgleich es, in Manchem, der herrschenden Meinung über Frankreich und sein politisches, wie soziales, Leben widersprach, ward ihm doch Seitens der Leser und der Kritik die nachsichtsvolle Berücksichtigung zu Teil, die redliches Streben nach Erkenntnis der Wahrheit stets erwarten darf.

So gehe ich auch jetzt, wie damals, unbefangen und frohen Mutes ans Werk.

Durch Erziehung, Beruf und Neigung an Beobachtung gewöhnt, durch Schicksale mancher Art vielen herrschenden Vorurteilen entrückt, habe ich die Verhältnisse in der Hauptstadt Russlands drei Jahre lang, so weit meine sozialen Beziehungen reichten, mit aufmerksamen, so viel als möglich unbefangenen, Blicken belauscht, und füge hier meinen Beobachtungen nur diejenigen Bemerkungen bei, die sich als natürliche Schlussfolgen aus denselben ergeben. Ich will weder als Politiker, noch als Moralist auftreten; Sitten und Gebräuche eines fremden Landes will ich schildern, mit all der Offenheit, all dem Freimut, deren Folgen mir zwar so häufig die schönsten Jahre meines Lebens getrübt, denen ich mich aber des ungeachtet nicht zu entziehen vermag. Schweigen, oder die nackte Wahrheit sagen: durch beides ehrt man einzig sein Publikum; und da ich nun einmal über russische Zustände spreche, so schildere ich sie, wie ich sie gesehen, wie ich sie begriffen habe; war meine Anschauungsweife eine falsche, so irrt nur mein Erkennen, mein redlicher Wille nicht; ich kann nur mit meinen Augen sehen, aber das Bewusstsein, dass ich das Gesehene in keiner Art entstellt, macht mich kühn genug, es treu und unumwunden wieder zu geben, auf die Gefahr hin, der herrschenden Meinung in Vielem zu widersprechen, dem Vorurteil ein großes Feld der Kritik zu eröffnen. Ich sage: dem Vorurteil! denn über nichts habe ich im aufgeklärten Deutschland so befangene Urteile gehört, als über Russland und seinen Herrscher. Die chinesischen Zustände sind uns genauer bekannt, als die eines Reiches, das unmittelbar an unseren Grenzen beginnt. Zu den vielfältig irrigen Ansichten, die über Russland im Allgemeinen bei uns vorwalten, haben die mannigfaltigen Beschreibungen desselben nicht wenig beigetragen; denn abgesehen von den geflissentlichen Entstellungen haben deutsche und französische Schriftsteller die dortigen Verhältnisse mit den Augen ihrer Nationalität beschaut; das ist irrig und auch ungerecht, denn ein jedes Land, wie jede Nation, hat das Recht, zu begehren, dass es vom Standpunkte seiner Eigentümlichkeit aus beurteilt werde, und wer sich auf diesen Standpunkt nicht zu stellen vermag, dem werden witzige Vergleiche, geistreiche Räsonnements, Spott und Satire wohl gelingen, — Schilderungen nach dem Leben nimmermehr.

Ich lobe aus innerster Überzeugung Vieles in Russland, was ich in meinem Vaterlande bitter tadeln würde; die dasselbe an Russland tadelten, hatten eben bei dessen Schätzung nicht Russland, sondern ihr Vaterland, ihre Nationalität, ihre Person vor Augen. Von dieser subjektiven Anschauungsweise habe ich mich möglichst fern zu halten gesucht, und bei jeder frappanten Erscheinung, nächst der allgemeinen menschlichen Rücksicht, der auf Klima, Zivilisation, wie Temperament und Charakter der Bewohner, nach Möglichkeit Rechnung zu tragen gesucht. Im Übrigen stütze ich mich auf Fakten; diese aber sind teils historisch, teils noch vorhanden, und daher unbestreitbar. Meine Ansichten können Widerleger finden; — die Tatsachen, worauf sie sich gründen, finden deren nicht.
Der Verfasser.

Inhalts - Verzeichnis.

01. Kaiser Nicolai der Erste
02. Eintritt in Petersburg
03. Gesellige Unterhaltung
04. Das Peterhofer Fest
05. Eine Militär-Revue
06. Bauten
07. Das Winterpalais
08. Kronsgebäude
09. Findelhäuser
10. Curiosa
11. Speisen und Getränke
12. Pensionen und Ökonomie — machen
13. Polizei
14. Justiz
15. Brautschau
16. Kutscher und Kuriere
17. Theater
18. Henriette Sonntag
19. Konzerte
20. Verschwörung
21. Die kaiserliche Familie
22. Joseph ist tot, aber Peter lebt
23. Fürst Gagarin
24. Gostinoy-Dwor
25. Klassifikation
26. Herr und Knecht
27. Leibeigene
28. Ein Kaufmann erster Gilde und ein Verschwender erster Größe
29. Ein Kaufmann zweiter Gilde
30. Eine russische Sekte
31. Ein Traum
32. Statue Peters des Großen
33. Der Pope
34. Die Grausamkeit der Liebe
35. Samjots und Winga
36. Der Mond des Gebirges
37. Justiz und Polizei
38. Rute und Knute
39. Der russische Bauer
40. Ein Tag in Sorskojè-Sélo
41. Ein Wintermorgen auf dem Lande
42. Ein Abend auf der deutschen Kolonie

Jerrmann, Eduard (1798-1859) Schauspiler, Puppenspieler, Übersetzer, Landwirt

Jerrmann, Eduard (1798-1859) Schauspiler, Puppenspieler, Übersetzer, Landwirt

unpolitische Bilder aus St Petersburg Titelblatt

unpolitische Bilder aus St Petersburg Titelblatt

An der Neva mit Blick auf den Winter-Palast

An der Neva mit Blick auf den Winter-Palast

Russische Parlamentaria beim Verlassen der Duma

Russische Parlamentaria beim Verlassen der Duma

Reiterstandbild Peter I.

Reiterstandbild Peter I.

Kosaken

Kosaken

Mutterliebe

Mutterliebe

Ganz privat - Teestunde am Samowar

Ganz privat - Teestunde am Samowar

Auf dem Vieh- und Fleischmarkt in St. Petersburg

Auf dem Vieh- und Fleischmarkt in St. Petersburg

Russisches Bauernmädchen

Russisches Bauernmädchen

Russischer Dorfmusikant

Russischer Dorfmusikant