Unpolitische Bilder aus St. Petersburg. 18. Henriette Sonntag.
Skizzen, nach dem Leben gezeichnet
Autor: Jerrmann, Eduard (1798-1859) Schauspieler, Puppenspieler, Landwirt, Erscheinungsjahr: 1851
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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Russland, Russen, Leibeigenschaft, Bauern, Reformen, St. Petersburg, Heimat, Hauptstadt, Land und Leute, Militärdienst, Sitten und Bräuche,
Wahr ist es, dass nicht jeden Gesanglehrer ein ähnliches Glück in Petersburg erwartet, wie das der Madame Czecca. Die Dankbarkeit, der einst so gefeierten, Sängerin hatte die jetzt nicht minder gefeierte Gräfin veranlasst, ihrer Schutzbefohlenen diese Aufnahme zu bereiten. Sie tat noch mehr. Ihren Rang verleugnend, gab sie zum Vorteil ihrer früheren Lehrerin ein Konzert, und ließ sich noch einmal als Sängerin öffentlich hören. Das war nichts für die Sonntag; für die Gräfin Rossi, in Mitten der russischen hohen Aristokratie und ihrer noch höheren Vorurteile war es unglaublich viel. Das Konzert war das brillanteste der Saison und warf den reinen Ertrag von vierzehn tausend Rubeln Banco ab.
Madame Czecca zeigte ihr andern Tags den Kassen-Rapport, und sagte mit tiefer Rührung: „ach! Henriette, was hast du für mich getan?" — „Für Sie?" rief die Gräfin, und warf sich laut schluchzend ihr in die Arme; „für Sie? nein, für mich selbst! ach! nach Jahren wieder einmal eine Stunde des reinsten, des ungetrübtesten Glücks. Was hat die Vorsehung nicht alles für mich getan; Rang, Reichtum, Ansehen, geliebt von einem Manne, den ich anbete, im Besitz hoffnungsvoller, reizender Kinder! und doch, liebe Czecca! wie soll ich es aussprechen? Sie werden mich, ahnend, erraten: mir fehlt das Element meines Seins. Der Anblick eines Theaters macht mich traurig, der Triumph einer Sängerin demütigt mich, der Ton der Orgel, der Andere zur Andacht ruft, jagt mich aus dem Heiligtum. Ich bin die entweihte Priesterin, die ihr Gelübde gebrochen; die Kunst verstößt mich, die ich verraten, und ihr zürnender Genius verfolgt mich, wie ein Rachegespenst." In Tränen gebadet sank sie auf das Kanapee. „Aber, Jettchen," tröstete sie Madame Czecca, „Du gehörst der Kunst ja an, wie früher, wirst ihr stets angehören; Du übst sie ja noch, und ist es auch nur ein kleiner Kreis, der Dir begierig lauscht, so ist es dafür ein um so auserlesenerer; ein fürstlicher Salon sollte Dir doch wohl die Bühne ersetzen." — „Nein! nein! nein!" rief sie und sprang lebhaft auf, „des Künstlers Beruf kann ihm nichts ersetzen; nichts, nichts auf der ganzen weiten Welt! man lobt mich, man schmeichelt, man huldigt mir! was will das heißen? Sollen, können sie mich tadeln? Es sind lauter Freunde, Bekannte meines Mannes; unser täglicher Umgang; ich bin noch jung, nicht hässlich, freundlich gegen Jedermann; man ist dankbar, dass ich einen Augenblick der Langweile töte, vielleicht will man auch der Sängerin vergüten, was man, hier und da, der Gräfin entzieht; aber sehen Sie, Czecca! die Bühne mit ihrer himmlischen Illusion! der heilige Ernst, der uns durchschauert, wenn der Vorhang emporrollt, diese sehnsüchtige Angst, die uns hinaustreibt und zagend zurückhält; das wonnige Fieber, das uns durchschauert, das alle unsere Adern durchbebt! So muss dem Helden zu Mute sein, der sich kampfbegierig ins Schlachtgewühl stürzt, seines Sieges gewiss, und doch voll banger Erwartung. Und nun das Publikum! dieses Publikum, über dessen jeden einzelnen Teil unser Künstlerbewusstsein uns erhebt, und das vereint den ehrwürdigen Areopag bildet, dessen Ausspruch wir zitternd erwarten; Sie wissen es, Freundin! wie oft wir seine Launen bitter tadeln, wie oft wir seine schiefen Urteile unter uns verlachen; und doch — doch — ist es dieses Publikum, dieser Verein von Bildung und Unwissenheit, von Kunstkenntnis und Unverstand, von Geschmack und Rohheit, diese bunte Masse, die für Geld, sage für ein Stück Geld das Recht erkauft hat, von uns unterhalten zu werden, die den Willen und die Macht hat, eine getäuschte Erwartung an unserer Ehre zu strafen — diese wilde Gewalt zu zügeln, hinzureißen, ohne Unterschied des Standes und der Bildung in ein Gefühl des Entzückens zu vereinen, nach unserem Willen weinen oder lachen zu machen, den Götterfunken der Begeisterung aus unserer Brust in die tobende Menge zu schleudern, und durch den Feuerbrand seines Jubels, in trunkener Wechselwirkung, die erschöpften Kräfte aufs Neue wieder belebt zu fühlen, diese Empfindung des künstlerischen Beglückens und Beglücktwerdens, diese Kaptivierung des Volkes durch innere Kraft, durch die Gewalt der Töne, durch die Allmacht der Kunst! — das ist erhaben, das ist göttlich, das trägt über Erde und Dasein hinaus, o Czecca, Czecca! noch einmal lass mich Bartholo betören, noch einmal unter Rossinis göttlichen Tönen dem Dolche Otellos erliegen — und keine Klage soll mir mehr entschlüpfen, dann bin ich befriedigt und — habe gelebt. —"
Laut schluchzend sank sie auf den Divan; da trat der Bediente herein, einen Fremden meldend, der dringend die Frau Gräfin zu sprechen wünschte. Eine abschlägige Antwort hatte wieder keinen andern Erfolg, als eine um so dringendere Wiederholung derselben Bitte. „Unmöglich!" sagte die Gräfin, „wie sehe ich aus; in dieser Aufregung, mit rot geweinten Augen!" — „Ach, geh!" entgegnete Madam Czecca, „Du bist immer schön genug, und vielleicht kannst Du einem Unglücklichen helfen!" — Der letzte Grund siegte; die Freundin verließ das Zimmer und der Fremde trat ein.
Es war eine hohe Gestalt, in armenischer Tracht; der graue Bart rollte bis zum Gürtel herab, aber ein wärmendes Feuer leuchtete noch aus dem mächtig funkelnde Auge. Er blieb einige Augenblicke im Anschauen der Gräfin versunken, und erst auf ihre wiederholte Frage, was er wünsche, schien er sich zu sammeln und brachte ziemlich unzusammenhängend sein Gesuch vor.
„Ich bin ein Kaufmann aus Charkow", sagte er, „der Jahr aus Jahr ein, seinem Geschäfte, seiner Familie lebt. Außerdem kenne ich nur eine Leidenschaft, die für Gesang und Musik. Der große Ruf, den die Frau Gräfin früher in der Kunstwelt genoss, ist bis zu uns gedrungen, und der sehnlichste meiner Wünsche war stets, Sie nur einmal bewundern zu können. Ihr Rücktritt von der Kunst schien ihn für immer zu vereiteln, als die Nachricht zu uns gelangte, dass Sie sich entschlossen, von Dankgefühl für Ihre einstige Lehrerin erfüllt, noch einmal öffentlich in deren Konzerte zu singen. Ich konnte der Begier, Sie zu hören, nicht wiederstehen; ich ließ Geschäft, Weib und Kinder im Stich und kam hier an; kaum abgestiegen, schickte ich gestern nach Billeten; umsonst; für keinen Preis eins zu haben. — Frau Gräfin, ich kann und kann einmal nicht zurückkehren, ohne Sie gehört zu haben. Sie sind so gut, Sie haben gestern einer Freundin zu Liebe öffentlich gesungen; machen Sie einen alten Mann glücklich, und erfreuen Sie ihn mit sechs Takten Ihres Gesanges; ich habe Sie dann doch gehört und nicht umsonst die weite Reise unternommen."
Wie die Tautropfen der Nacht der allmächtig wärmende Strahl der Sonne aufsaugt, so wichen die letzten Spuren der Tränen aus dem holdlächelnden Antlitz der schönen Frau. Mit, nur ihr eigenem, Liebreiz rückte sie dem Greise einen Fauteuil zum Instrumente, und überließ sich dem, sie beherrschenden, Genius. Die Rosensinger fuhren über die Tasten, die ersten Töne erschallten in dem geräumigen Salon; die Gräfin war verschwunden, Henriette Sonntag war wieder sie selbst, oder vielmehr, sie war die verkörperte Desdemona. —
Die Romanze war beendet; die, aus sich selbst in höhere Regionen versetzte, Künstlerin kehrte allmählich zur Erde, zum Selbstbewusstsein zurück. Sie blickte zur Seite, nach ihrem Publikum. — Der Greis war dem Lehnsessel entsunken, lag neben ihr auf den Knien, und drückte sein Gesicht in die Falten ihres Gewandes. Nach der Pause, die dem Gesange gefolgt, erhob auch er das Antlitz; es war wie verklärt, aber von einem unnennbaren Zuge von Wehmut überflossen. Er wollte sich erheben, wollte sprechen, aber — vermochte es nicht. Das reizende Händchen der Sängerin kam ihm zu Hilfe; er presste es krampfhaft an seine Lippen, erhob sich und ließ pfeilschnell einen kostbaren Diamantring von seinem Finger an den ihren gleiten. So wankte er der Türe zu; daselbst angelangt, kehrte er sich um, maß die Sängerin mit einem langen, tiefforschenden Blicke und mit einem Ton der tiefsten Wehmut, den eine heftige Anstrengung ihm entpresste, lispelte er: O! Schade! Schade! — und war verschwunden.
Henriette Sonntag trat wieder zum Klavier. Sie wollte fortfahren, zu singen; der Gräfin versagte der Ton: tief erschüttert stutzte sie den Kopf auf das Notenpult und mit einem Ton der tiefsten Wehmut, den eine heftige Anstrengung ihr erpresste, lispelte sie: „Ja, Schade! O! Schade!" — und sank in tiefem Nachsinnen auf das Kanapée.*) —
*) Jahrelang, nachdem diese Zellen zuerst der Öffentlichkeit übergeben worden, gelangte die Nachricht in unser Vaterland, von dem glänzenden Triumphe, den in London die Kunst über die sozialen Verhältnisse gefeiert. Der Genius streifte die beengenden Fesseln der Konvenienz ab. Henriette Sonntag schwelgt wieder in seinen heiligen Umarmungen Sei stolz, Deutschland! sie ist deine Tochter!
Der Herausgeber.
Madame Czecca zeigte ihr andern Tags den Kassen-Rapport, und sagte mit tiefer Rührung: „ach! Henriette, was hast du für mich getan?" — „Für Sie?" rief die Gräfin, und warf sich laut schluchzend ihr in die Arme; „für Sie? nein, für mich selbst! ach! nach Jahren wieder einmal eine Stunde des reinsten, des ungetrübtesten Glücks. Was hat die Vorsehung nicht alles für mich getan; Rang, Reichtum, Ansehen, geliebt von einem Manne, den ich anbete, im Besitz hoffnungsvoller, reizender Kinder! und doch, liebe Czecca! wie soll ich es aussprechen? Sie werden mich, ahnend, erraten: mir fehlt das Element meines Seins. Der Anblick eines Theaters macht mich traurig, der Triumph einer Sängerin demütigt mich, der Ton der Orgel, der Andere zur Andacht ruft, jagt mich aus dem Heiligtum. Ich bin die entweihte Priesterin, die ihr Gelübde gebrochen; die Kunst verstößt mich, die ich verraten, und ihr zürnender Genius verfolgt mich, wie ein Rachegespenst." In Tränen gebadet sank sie auf das Kanapee. „Aber, Jettchen," tröstete sie Madame Czecca, „Du gehörst der Kunst ja an, wie früher, wirst ihr stets angehören; Du übst sie ja noch, und ist es auch nur ein kleiner Kreis, der Dir begierig lauscht, so ist es dafür ein um so auserlesenerer; ein fürstlicher Salon sollte Dir doch wohl die Bühne ersetzen." — „Nein! nein! nein!" rief sie und sprang lebhaft auf, „des Künstlers Beruf kann ihm nichts ersetzen; nichts, nichts auf der ganzen weiten Welt! man lobt mich, man schmeichelt, man huldigt mir! was will das heißen? Sollen, können sie mich tadeln? Es sind lauter Freunde, Bekannte meines Mannes; unser täglicher Umgang; ich bin noch jung, nicht hässlich, freundlich gegen Jedermann; man ist dankbar, dass ich einen Augenblick der Langweile töte, vielleicht will man auch der Sängerin vergüten, was man, hier und da, der Gräfin entzieht; aber sehen Sie, Czecca! die Bühne mit ihrer himmlischen Illusion! der heilige Ernst, der uns durchschauert, wenn der Vorhang emporrollt, diese sehnsüchtige Angst, die uns hinaustreibt und zagend zurückhält; das wonnige Fieber, das uns durchschauert, das alle unsere Adern durchbebt! So muss dem Helden zu Mute sein, der sich kampfbegierig ins Schlachtgewühl stürzt, seines Sieges gewiss, und doch voll banger Erwartung. Und nun das Publikum! dieses Publikum, über dessen jeden einzelnen Teil unser Künstlerbewusstsein uns erhebt, und das vereint den ehrwürdigen Areopag bildet, dessen Ausspruch wir zitternd erwarten; Sie wissen es, Freundin! wie oft wir seine Launen bitter tadeln, wie oft wir seine schiefen Urteile unter uns verlachen; und doch — doch — ist es dieses Publikum, dieser Verein von Bildung und Unwissenheit, von Kunstkenntnis und Unverstand, von Geschmack und Rohheit, diese bunte Masse, die für Geld, sage für ein Stück Geld das Recht erkauft hat, von uns unterhalten zu werden, die den Willen und die Macht hat, eine getäuschte Erwartung an unserer Ehre zu strafen — diese wilde Gewalt zu zügeln, hinzureißen, ohne Unterschied des Standes und der Bildung in ein Gefühl des Entzückens zu vereinen, nach unserem Willen weinen oder lachen zu machen, den Götterfunken der Begeisterung aus unserer Brust in die tobende Menge zu schleudern, und durch den Feuerbrand seines Jubels, in trunkener Wechselwirkung, die erschöpften Kräfte aufs Neue wieder belebt zu fühlen, diese Empfindung des künstlerischen Beglückens und Beglücktwerdens, diese Kaptivierung des Volkes durch innere Kraft, durch die Gewalt der Töne, durch die Allmacht der Kunst! — das ist erhaben, das ist göttlich, das trägt über Erde und Dasein hinaus, o Czecca, Czecca! noch einmal lass mich Bartholo betören, noch einmal unter Rossinis göttlichen Tönen dem Dolche Otellos erliegen — und keine Klage soll mir mehr entschlüpfen, dann bin ich befriedigt und — habe gelebt. —"
Laut schluchzend sank sie auf den Divan; da trat der Bediente herein, einen Fremden meldend, der dringend die Frau Gräfin zu sprechen wünschte. Eine abschlägige Antwort hatte wieder keinen andern Erfolg, als eine um so dringendere Wiederholung derselben Bitte. „Unmöglich!" sagte die Gräfin, „wie sehe ich aus; in dieser Aufregung, mit rot geweinten Augen!" — „Ach, geh!" entgegnete Madam Czecca, „Du bist immer schön genug, und vielleicht kannst Du einem Unglücklichen helfen!" — Der letzte Grund siegte; die Freundin verließ das Zimmer und der Fremde trat ein.
Es war eine hohe Gestalt, in armenischer Tracht; der graue Bart rollte bis zum Gürtel herab, aber ein wärmendes Feuer leuchtete noch aus dem mächtig funkelnde Auge. Er blieb einige Augenblicke im Anschauen der Gräfin versunken, und erst auf ihre wiederholte Frage, was er wünsche, schien er sich zu sammeln und brachte ziemlich unzusammenhängend sein Gesuch vor.
„Ich bin ein Kaufmann aus Charkow", sagte er, „der Jahr aus Jahr ein, seinem Geschäfte, seiner Familie lebt. Außerdem kenne ich nur eine Leidenschaft, die für Gesang und Musik. Der große Ruf, den die Frau Gräfin früher in der Kunstwelt genoss, ist bis zu uns gedrungen, und der sehnlichste meiner Wünsche war stets, Sie nur einmal bewundern zu können. Ihr Rücktritt von der Kunst schien ihn für immer zu vereiteln, als die Nachricht zu uns gelangte, dass Sie sich entschlossen, von Dankgefühl für Ihre einstige Lehrerin erfüllt, noch einmal öffentlich in deren Konzerte zu singen. Ich konnte der Begier, Sie zu hören, nicht wiederstehen; ich ließ Geschäft, Weib und Kinder im Stich und kam hier an; kaum abgestiegen, schickte ich gestern nach Billeten; umsonst; für keinen Preis eins zu haben. — Frau Gräfin, ich kann und kann einmal nicht zurückkehren, ohne Sie gehört zu haben. Sie sind so gut, Sie haben gestern einer Freundin zu Liebe öffentlich gesungen; machen Sie einen alten Mann glücklich, und erfreuen Sie ihn mit sechs Takten Ihres Gesanges; ich habe Sie dann doch gehört und nicht umsonst die weite Reise unternommen."
Wie die Tautropfen der Nacht der allmächtig wärmende Strahl der Sonne aufsaugt, so wichen die letzten Spuren der Tränen aus dem holdlächelnden Antlitz der schönen Frau. Mit, nur ihr eigenem, Liebreiz rückte sie dem Greise einen Fauteuil zum Instrumente, und überließ sich dem, sie beherrschenden, Genius. Die Rosensinger fuhren über die Tasten, die ersten Töne erschallten in dem geräumigen Salon; die Gräfin war verschwunden, Henriette Sonntag war wieder sie selbst, oder vielmehr, sie war die verkörperte Desdemona. —
Die Romanze war beendet; die, aus sich selbst in höhere Regionen versetzte, Künstlerin kehrte allmählich zur Erde, zum Selbstbewusstsein zurück. Sie blickte zur Seite, nach ihrem Publikum. — Der Greis war dem Lehnsessel entsunken, lag neben ihr auf den Knien, und drückte sein Gesicht in die Falten ihres Gewandes. Nach der Pause, die dem Gesange gefolgt, erhob auch er das Antlitz; es war wie verklärt, aber von einem unnennbaren Zuge von Wehmut überflossen. Er wollte sich erheben, wollte sprechen, aber — vermochte es nicht. Das reizende Händchen der Sängerin kam ihm zu Hilfe; er presste es krampfhaft an seine Lippen, erhob sich und ließ pfeilschnell einen kostbaren Diamantring von seinem Finger an den ihren gleiten. So wankte er der Türe zu; daselbst angelangt, kehrte er sich um, maß die Sängerin mit einem langen, tiefforschenden Blicke und mit einem Ton der tiefsten Wehmut, den eine heftige Anstrengung ihm entpresste, lispelte er: O! Schade! Schade! — und war verschwunden.
Henriette Sonntag trat wieder zum Klavier. Sie wollte fortfahren, zu singen; der Gräfin versagte der Ton: tief erschüttert stutzte sie den Kopf auf das Notenpult und mit einem Ton der tiefsten Wehmut, den eine heftige Anstrengung ihr erpresste, lispelte sie: „Ja, Schade! O! Schade!" — und sank in tiefem Nachsinnen auf das Kanapée.*) —
*) Jahrelang, nachdem diese Zellen zuerst der Öffentlichkeit übergeben worden, gelangte die Nachricht in unser Vaterland, von dem glänzenden Triumphe, den in London die Kunst über die sozialen Verhältnisse gefeiert. Der Genius streifte die beengenden Fesseln der Konvenienz ab. Henriette Sonntag schwelgt wieder in seinen heiligen Umarmungen Sei stolz, Deutschland! sie ist deine Tochter!
Der Herausgeber.