Unpolitische Bilder aus St. Petersburg. 07. Das Winterpalais.

Skizzen, nach dem Leben gezeichnet
Autor: Jerrmann, Eduard (1798-1859) Schauspieler, Puppenspieler, Landwirt, Erscheinungsjahr: 1851

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Russland, Russen, Leibeigenschaft, Bauern, Reformen, St. Petersburg, Heimat, Hauptstadt, Land und Leute, Militärdienst, Sitten und Bräuche,
Vom Göttlichen zum Profanen ist nur Ein Schritt; machen wir ihn, so sind wir im Winterpalais, das, in seiner Art, an Großartigkeit dem imposanten Dome nicht weicht. Ein englischer Schriftsteller ist der Meinung, dass die genaue Betrachtung dieses Palastes, mit dem nicht leicht ein anderer in Europa zu vergleichen sein dürfte, schon allein die Mühe der Reise nach Petersburg lohne; und falls der Besucher nicht gar zu weit davon entfernt wäre, könnten wir jenem Ausspruch nur beipflichten.

Dieser Palast, von seltenem Umfange, ward unter der Kaiserin Elisabeth durch den Grafen Rastrelli erbaut. Sie legte den Grundstein zu dem kolossalen Gebäude im Jahre 1754, und 8 Jahre später, in ihrem Sterbejahre, ward es vollendet.

Majestätisch erhebt es sich am Ufer der Newa, und der Quai, der es begrenzt, trägt nach ihm den Namen, wird aber gewöhnlich der Hof-Quai genannt. Die Haupt-Fassade des enormen Palastes hat drei und fünfzig Fenster; er ist vier hundert und siebzig Fuß lang, drei hundert und achtzig Fuß tief und sechs und siebzig hoch. Er hat drei Stockwerke, bildet ein längliches Quadrat und das Imposante seiner Erscheinung gewinnt nicht wenig durch zehn prachtvolle Säulen, welche sich über dem Portal erheben, und schön geformte Statuen, die jedoch nur aus Gips, dagegen die Balustraden von herrlichem Marmor sind.

Einen wahrhaft überraschenden Anblick bietet der Eintritt in die Zarenwohnung von der Newaseite. Hier ist die große Auffahrt und eine Marmortreppe, die wohl ihres Gleichen nicht findet, führt in den ersten Stock, der einzig den Zeremonien des Hofes geweiht ist. Hier reiht sich Saal an Saal, einer größer, einer prachtvoller als der andere; ich nenne nur den goldenen Saal (das Empfangszimmer der Kaiserin), den weißen, der durch eine Galerie, welche eine Reihe herrlicher Portraits der Marschälle des Reiches von Roumiantzoff bis Paskewitsch enthält, und mit dem Thron- oder Georgen-Saal verbunden ist, der an Größe und Schönheit alles überragt, was Europas Paläste Ähnliches aufzuweisen haben.

Wer Gelegenheit hatte, diese Säle erleuchtet, wohl gar als Zeuge eines Festes die darin wogende Pracht, zu schauen, der wird mich nicht der Übertreibung zeihen, wenn ich gestehe, dass solch ein Anblick mich in die Märchenwelt meiner Kindheit versetzte, und ich glaubte eine von den „Tausend und Einer Nächte" hier verlebt zu haben.

Das Peterhofer-Fest habe ich bereits ausführlich beschrieben; wie dasselbe mit einem Balle endet, zu welchem alle Welt, ohne Unterschied der Person und des Standes, den Zutritt hat, so findet alljährlich am Neujahrstage ein populärer Ball in diesen Räumen statt, den der ganze Hof durch seine Gegenwart verherrlicht. Nicht dass, sondern wie er daselbst erscheint, drückt seiner Gegenwart die Herrlichkeit auf. Im wogenden Gedränge verliert sich da der Kaiser und die Kaiserin in der bunten Menge; nur mühsam öffnet sich ihnen der Weg zur Polonaise durch sämtliche, von Menschen dicht gepfropfte Säle; drohte dem Kaiser von seinen Untertanen irgend eine Gefahr, so wäre hier seine Person wahrhaft exponiert, denn das Gedränge um dieselbe ist so groß, dass ich selbst nur mit der äußersten Anstrengung verhinderte, nicht Leib an Leib gegen ihn gepresst zu werden. Und in solchem Momente schaute ich Nicolai ins Auge; ich suchte forschend irgend einen Seelenaffekt, und fand keinen anderen als den der heitersten Freude, der vollkommensten Seelenruhe, wie nur ein Familienvater sie empfinden kann im frohen Kreise der Seinen, denen er einen glücklichen Tag bereitet. Herzlich lachen musste ich daher — nicht über die alberne Erdichtung, sondern über die gänzliche Unkenntnis des Volkes, die sich darin aussprach, — als, bei Gelegenheit der Feier der silbernen Hochzeit des erlauchten Herrscherpaares, deutsche Blätter die wunderbare Nachricht brachten, beim Peter-Hofer Balle habe eben der Kaiser den Thron besteigen wollen, als Fürst Wolkonsky ihn glücklicher Weise noch zeitig genug zurückgerissen habe, denn im selben Augenblicke seien, durch eine Maschinerie in Bewegung gesetzt, hunderte von Dolchen aus dem Sitz, der Lehne und den Armen desselben hervorgedrungen. Ich war zufällig Zeuge jenes frohen Festes in Peter-Hof; im Saale befand sich nicht einmal ein Thronsessel, und die Dolche existierten ebenfalls nur im verbrannten Gehirn des Berichterstatters.

Bietet der Winterpalast im Innern alles dar, was man an Großartigkeit, Geschmack, Luxus und Pracht nur erdenken kann, so wird das Alles vielleicht noch durch die Aussicht übertroffen, die man nach drei Seiten von seinen Fenstern hat.
Die Hauptfassade liegt nach Süden zu, und gewährt die Aussicht auf den Kaiserplatz, in dessen Mitte sich die herrliche Alexander-Säule erhebt. Dieses kolossale Denkmal erinnert an die großartigsten Monumente des Altertums vielleicht steht es bis jetzt sogar noch unübertroffen da, mindestens ragt die Säule an Höhe über die Pompejische und Trajanische hinaus. Sie besteht aus einem einzigen Granitblock, und wiegt 17.640 Zentner. Das Piedestal, der Höhe und dem Umfang der Säule vollkommen angemessen, ist ebenfalls aus einem Granitblock gehauen und beide wurden aus den Steinbrüchen von Pytterlaxe gezogen, einem Dorfe am finnischen Meerbusen, einundzwanzig Meilen von Petersburg entfernt. Auf der Spitze der Säule schwebt ein Engel von ungemeiner Schönheit, das Haupt gesenkt, in der einen Hand das Kreuz haltend, die andere zum Himmel erhoben. Schade ist es, dass man an dieser herrlichen Figur, aus der Ferne betrachtet, von zwei Seiten den Kopf fast gar nicht gewahrt; nur bei größerer Annäherung tritt das Bild in all seiner Schöne und Vollendung dem Beschauer entgegen. — Man erzählt, Louis Philipp habe, in seiner glänzendsten Zeit, den Kaiser Nicolai um eine ähnliche Säule aus seinen finnischen Steinbrüchen gebeten, der Kaiser aber habe sich mit Worten entschuldigt: Eine kleinere wolle, eine gleiche könne er ihm nicht schicken, und eine größere gäbe es nicht.

Bedauernswürdig ist, dass der herrliche Monolith bereits einen Sprung erlitten hat.

Der Säule gegenüber erhebt sich das prachtvolle Gebäude des Generalstabs mit seinen herrlichen Arkaden und den bronzenen Verzierungen. Westlich sieht man auf den großen Exerzierplatz hinab, nach der Admiralität, dem Isaaksplatz und seiner erhabenen Kirche. Die nördliche Aussicht genoss ich nur im Winter aus dem Empfangsaale des Fürsten Wolkonsky; aber nie hat mich ein Anblick mehr überrascht, nie mir gewaltiger imponiert. Dies unermessliche Eisfeld, aus dem sich die Inseln scharf abgeschnitten einzeln erheben, Wasili-Ostrow mit seiner herrlichen Börse, der Akademie mit ihren Sphinxen, Säulen und Statuen, die Zitadelle, die Petersburger-, die Wiburger-Seite, mit ihren beschneiten Türmen und Dächern, die ganze ungeheure Landschaft in das Kleid des Winters gehüllt, die Rauchsäulen, die sich überall erheben und Kunde geben, dass diese scheinbar öde Fläche reich bevölkert ist, dazu die einzelnen Staffagen des Gemäldes, die auf raschen Schlitten herüber und hinübersausen, und plötzlich wieder, gleich Traumgestalten, verschwinden — wahrlich der Anblick war wohl der schönste, den eine Winterlandschaft zu gewähren vermag. Se. Durchlaucht ließ ziemlich lange auf sich warten, aber auch bei noch längerem Harren wäre mir die Zeit nicht lang geworden. Ich kenne das antichambrieren nicht; bietet aber jedes eine gleich angenehme — Aussicht, so wundere ich mich nicht, dasselbe so an der Tagesordnung zu sehen.

Die östliche Seite dagegen zeigt nur die Eremitage, zu welcher eine gedeckte und geschlossene Galerie hinüberführt.

Im Winterpalais werden Krone, Zepter und die übrigen Reichskleinodien aufbewahrt.

Bietet diese Residenz des Kaiserlichen Hoflagers alles dar, was man sich an Glanz, Pracht, Reichtum, Geschmack und Eleganz nur denken kann, so ist dafür um so weniger für die Bequemlichkeit der Bewohner gesorgt, deren, außer den Allerhöchsten Herrschaften sich nur Wenige, und diese Wenige in sehr beschränktem Umfange erfreuen. Der ganze erste Stock des ungeheuren Gebäudes steht leer, da er nur die großen Säle enthält, welche den Hoffesten und Zeremonien geweiht sind. Die Souterrains sind für Küchen und den Aufenthalt der Dienerschaar bestimmt; die Entresols für die höheren Beamten; den zweiten Stock endlich bewohnt die Kaiserliche Familie, wie die Hofdamen und Palastbeamten, und da das Dach sich über mehr als zwölfhundert Personen wölbt, so bleibt zwar der Höhe nach immer noch Raum genug, aber in der Breite mangelt er bedeutend. Dazu kommt noch, dass mitten im zweiten Stock, man ans einem der Säle in einen ziemlich geräumigen — Garten tritt, der zwar eine ausnehmende Überraschung gewährt und mitten im nordischen Winter eine angenehme Zuflucht unter tropische Gewächse bietet, den Raum des Hauses aber unendlich beschränkt, so dass selbst der Minister Wolkonsky außer einem sehr schönen Empfangssaale, nur noch einige ganz kleine Gemächer bewohnt. Es ist überhaupt eine Eigentümlichkeit der russischen Bauart, die einen besonderen nationalen Zug sehr bestimmt bezeichnet, die Eitelkeit nämlich, dass bei allen Gebäuden, bis tief hinab in den Bürgerstand, das erste und hauptsächlichste Gemach jeder Wohnung, der Salon bildet, an den sich dann andere, mehr oder minder komfortable, Zimmer anschließen, auf deren Wohnlichkeit der Russe aber geringen Werth legt, wenn nur der Salon geräumig und schön ist. So behilft sich auch Fürst Wolkonsky das ganze Jahr mit seinen winzigen Appartements, in denen er auch, große Präsentationen abgerechnet, Jedermann empfängt, weiß er doch, dass dicht nebenan ein herrlicher Saal mit einem wundervollen Gobelin, ein Geschenk Karls des Zehnten, seiner harrt, um da sechs bis achtmal im Jahre vornehme Herrschaften zu empfangen.

Durch die oben angeführte gedeckte Galerie des Winterpalais gelangen wir in das „Sans souci" der großen Katarina, in die von ihr erbaute Eremitage. Hier legte die Kaiserin, wie bekannt, im Vorsaal Krone und Zepter ab und war ganz die geistreiche, reizumflossene Frau. Hier in ihrem Boudoir feierte sie ihre Erholungsstunden im Kreise, ihr geistverwandter, Männer und Frauen, hier hielt sie ihre soirées spirituelles, ihre Lese-, ihre Unterhaltungszirkel, hier hatte sie ihr Atelier, wo sie zeichnete, gravierte, drechselte. Ich will den Leser nicht mit Beschreibung der, zweitausend Bilder starken, Galerie, die sehr viele Meisterwerk fast sämtlicher Schulen bis auf unsere Zeit enthält, ermüden, nicht mit der Medaillen- und Kupferstichsammlung, ich will nur flüchtig der Bibliothek erwähnen, die über hunderttausend Bände zählt, darunter viele inedirte Manuskripte und namentlich Voltaires Werke, aus seiner eigenen Bibliothek mit Marginal-Bemerkungen von seiner Hand, die oft sehr geistreich sind, und sich in keiner späteren Ausgabe seiner Werke finden. Auch Drechslerarbeit, von Katarina eigenhändig und sehr zierlich angefertigt, wird hier noch aufbewahrt. Diese mechanischen Beschäftigungen scheinen ihre Lieblings-Zerstreuungen gewesen zu sein; sie drechselte und gravierte viel in Carniolen und machte Gelehrten und Hofleuten häufig Geschenke mit diesen Kunstwerken von Kaiser-Hand. Der König Stanislaus von Polen spricht in seinen Memoiren mit Enthusiasmus von dem Eifer, den die große Frau auf diese Kleinigkeiten verwandte, und erwähnt unter Anderem einer trefflichen Kopie eines Gemäldes von Greuze, das sie mit solchem Talent und so viel Kunstfertigkeit ausgeführt, dass man alle Vollkommenheiten des Originals darin wiederfinde.

Die Eremitage ward zu verschiedenen Malen um- und an-angebaut, und ist man auch gegenwärtig wieder mit ihrer Vergrößerung beschäftigt; dass auch ihr Inhalt vermehrt werden wird, darf man von der bekannten Kunstliebe des Kaisers erwarten, der ihn schon in vielen Teilen, namentlich die Bildergalerie um mehrere ausgezeichnete Gemälde, bereichert hat.

So sah es im Winterpalais aus, während im Dezember 1837 der Hof eines Abends im Michael-Theater einer französischen Vorstellung beiwohnte, als ein Adjutant in die Loge trat und dem Minister des Hauses etwas in's Ohr raunte. Fürst Wolkonsky gab hierauf einige Befehle und sah scheinbar ruhig der Vorstellung weiter zu. Aber bereits eine halbe Stunde später kehrte der Adjutant zurück. Der Fürst hörte ihn an und wandte sich an den Kaiser, der aufstand, seiner Gemahlin den Arm bot und sie zu ihrem Wagen geleitete. Während sie einstieg, erhielt der Kutschruer Befehl, statt nach dem Winterpalais in den Anitchkoff'schen Palast zu fahren. Der Kaiser bestieg sein, schon bereit gehaltenes, Pferd und sprengte nach dem Winterpalais. Ein fürchterliches Drängen und Treiben war in den Straßen; halb Petersburg war bereits auf den Beinen, die Nacht war tageshell gelichtet und die zum Himmel sprühenden Feuersäulen bestätigten die furchtbare Nachricht: das Winterpalais stehe im Brand.

Der Anblick, der des Kaisers hier harrte, war ein fürchterlicher. Die Wiege seiner Kindheit stand in einem Feuermeer. Aus allen Fenstern der Fassade schlug die Flamme mit Gewalt empor; von dieser Seite war von dem ganzen oberen Teile des Gebäudes nichts mehr zu sehen; nur hoch, hoch in den Lüften tauchten von Zeit zu Zeit, wie Geistererscheinungen, riesige Gestalten aus den Flammen empor und wiegten sich auf ihren höchsten Spitzen. Es waren die sinnbildlichen Figuren, die das Obergebälk des Daches zierten und die in der Tat von den Flammen verschont wurden; zwar geschwärzt, aber sonst unversehrt, gingen sie aus dieser schrecklichen Feuersbrunst hervor.

Der Kaiser sprengte sogleich um den Palast herum, persönlich nach seinen Wachen zu schauen. Die Sorge war nicht überflüssig; auf der Westseite standen zwei Schildwachen dem Verbrennen nah; in der allgemeinen Bestürzung hatte man sie abzulösen vergessen, und sie harrten, das Gewehr im Arm, trotz der furchtbaren Glut, ergeben ihres Schicksals. Der Kaiser löste sie persönlich ab, und drang nun in den Palast; mit raschem Blick überzeugte er sich von der Gefahr des nahen Einsturzes, und eilte nun in die am meisten bedrohten Säle, die darin rettenden Menschen zu entfernen. Alles floh auf sein Geheiß ins Freie, nur vier Arbeiter, die Befehl hatten, einen großen Wandspiegel zu retten, wollten den Saal nicht verlassen, bis ihr Auftrag vollzogen sei; da zog der Kaiser den Degen und schlug mit dem Gefäß so gewaltig auf das Glas, dass es in Trümmer auf die arbeitenden Muschiken stürzte. Nun wurde der Saal geräumt, und kaum war seine Schwelle überschritten, so stürzte unter furchtbarem Gekrache die Decke ein.

Sobald Nicolai sich überzeugt hatte, dass kein Menschenleben mehr in Gefahr, eilte er zur Kaiserin in das Anitchkoff'sche Palais.

Diese hatte sich indes von ihrem ersten Schrecken erholt, und als sie ihren Gemahl wiedergesehen und der ermatteten Natur ihre Rechte einräumen wollte, fragte sie betrübt: wo werden wir denn nun die Nacht zubringen? Ihr Sekretär, Geheimerat Chambeau, bat um Erlaubnis, sie in das Schlafgemach zu führen, das er für sie in Eile hergerichtet, und hier fand die überraschte Frau, durch die zarte Sorgfalt eines aufmerksamen Dieners — ihr Schlafgemach aus dem Winterpalais mit seinen tausend kleinen Bequemlichkeiten; alles so, an demselben Orte, in derselben Ordnung, als ob es unberührt geblieben wäre, seit sie es nach der letzten Toilette verlassen. — So wie der Brand diesen Flügel erreichte (und das ging mit reißender Schnelligkeit) eilte Chambeau mit einem Dutzend Dienern und Muschiken in das Boudoir, und rief jenen zu: Das hier ist der Kaiserin! Da darf nicht das Geringste zerbrechen! — und in Schürzen, Körben, Rocktaschen wurden diese wundervollen Kostbarkeiten, diese Uhren, Vasen, Schatullen, tausend und abertausend Nippsachen, die in einem solchen Boudoir nicht fehlen dürfen, aus dem brennenden Palaste gerettet, eine halbe Stunde Weges durch das Gedränge der wogenden Massen an den angewiesenen Ort getragen, und als Chambeau dort selbst alles, wie es an seinem früheren Platze war, geordnet, als die Kaiserin ihr neues Schlafgemach betrat, war nur die Lokalität verändert; an der Einrichtung mangelte nichts, alles stand auf dem Platze, wie sie es gewohnt war, wie sie es verlassen — kein Bändchen war zerdrückt, kein Blatt Papier war beschmutzt.

In Deutschland dürfte es nicht viel Herrschaften geben, die von ihren Leuten so gut und prompt bedient werden.

Am andern Tag besah der Kaiser die Brandstätte. Im Innern wütete noch das furchtbare Element. Man hatte es ruhig gewähren lassen und nur die Eremitage zu schützen versucht, was auch glücklicher Weise gelungen war.

Lange blickte Nicolai, in Schmerz versunken, in das Grab einer der Zierden seiner schönen Stadt. Endlich richtete er sich auf, fuhr mit der Hand über die Stirn, und sagte ganz heiter: Heut übers Jahr will ich hier wieder in meinem Zimmer schlafen; wer übernimmt den Bau?

Alle wichen scheu vor der Herausforderung zurück. Es waren viele Sachverständige in seiner Umgebung, keiner hatte den Mut, das unmöglich Scheinende zu übernehmen. Da trat nach kurzer Pause General Kleinmichael, des Kaisers Flügeladjutant, hervor, und sagte, wie Herzog Alba zu Don Philipp: Ich wills! — „Und in einem Jahr soll der Bau fertig sein?" fragte der Kaiser. — „Ja! Sire!" — „Nun gut! so geh' ans Werk!"

Eine Stunde später wurde der zum Teil noch brennende Schutt hinweggeräumt. Im Dezember 1837 hatte der Brand das Gebäude zerstört; im Dezember 1838 war es wieder erbaut. Drei Monat später bezog es der Hof.

Kleinmichael hatte sein Wort gelöst: der Bau war vollendet, vollendet in der zugesagten Zeit! aber — um welchen Preis!! — Nur in Russland war ein solches Wunderwerk möglich, nur in Russland, wo der Wille des „Herrn" ein Ausspruch Gottes ist; nur in Russland, wo man kein Mittel spart, kein Mittel scheut, ihn zu erfüllen.

Acht Jahre waren unter der Kaiserin Elisabeth erforderlich zum ersten Aufbau des Winterpalastes; Kleinmichael vollendete ihn in einem. Wahr ist's, dass fast sämtliches Mauerwerk unversehrt geblieben, und es sich nur um Wiederherstellung der inneren Räumlichkeit handelte: aber welche Räumlichkeit! welch ein Werk! Auch wurde buchstäblich Tag und Nacht daran gearbeitet; nicht die Mittagsstunde wurde versäumt: in steter Abwechslung ergänzten sich die Kräfte. Der Jahreszeit zum Trotz, ward nicht eine Stunde gefeiert. Den Fortschritt des Werkes zu beschleunigen, wurde den Winter über geheizt, geheizt bis zu der übermäßigen Wärme von vier und zwanzig bis sechs und zwanzig Grad. Viele Arbeiter erlagen der Hitze, andere wurden sterbend oder tot hinausgetragen; ein Maler, der am Plafond tätig war, stürzte vom Schlage getroffen vom Gerüste: weder Kosten, Gesundheit, noch Leben wurden geschont. Der Kaiser, der beim Brande mit eigener Lebensgefahr in die inneren Gemächer drang, um sie von Menschen zu säubern, damit kein Tropfen Blut das Unglück noch erhöhe, er erfuhr von den Mitteln nichts, die die Vollstrecker seiner Befehle zu deren Durchführung anwandten; er betrat nur, im stolzen Bewusstsein seiner Macht, im Dezember des folgenden Jahres den neuerstandenen Palast und freute sich seines Werkes. Der Bau war nach dem alten Plane ausgeführt worden, nur einige Verbesserungen und viele Verschönerungen waren im Innern angebracht. Die Kaiserin am Arm und die ganze Familie in seinem Gefolge, durchschritt er die Gemächer dieses immensen Baues. Was Tausende von Menschen in Jahresfrist gewirkt, das stand vollendet vor seinen Blicken. So gelangte er in den Thron-, den Georgensaal. Es ist der schönste, der größte von Allen. Länger als in den Übrigen verweilte hier die Familie, die köstlichen Goldarbeiten des Plafonds, die fünf kolossalen Kronleuchter von Bronze, das herrliche Relief über dem Throne zu betrachten, das den heiligen Georg, den Drachen tötend, darstellt. Die ermüdete Kaiserin wollte sich setzen; — der Schutzgeist Russlands verhinderte es: noch waren keine Möbel im Saale; so stützte sie sich auf den Arm des Kaisers und begab sich mit ihm in die nächsten Gemächer. Die gesamte Begleitung folgte.

Kaum hatte der Letzte von ihr die Schwelle des Saales überschritten, als ein donnerähnliches Krachen die Luft erschütterte; der ungeheure Bau schien in seinen Grundfesten zu wanken; es wurde plötzlich Nacht, denn dichte Staubwolken drangen in die Säle, umhüllten die Anwesenden und verscheuchten das Licht des Tages. Alles floh entsetzt aus dem Aufenthalt des Schreckens und der Zerstörung.

Das Gebälk des Plafonds im Georgen-Saale war der Wucht der Kronleuchter erlegen. Es war herabgestürzt, Alles unter sich begrabend, was seiner ungeheuren Wucht entgegenstand. Der, vor wenigen Augenblicken, in höchster Pracht und Schönheit erglänzende Saal bot nur noch ein Feld der Trauer, ein grauses Bild von Schutt und Trümmern dar. Der herrliche Bau war teilweise aufs Neue zerstört, aber der Genius Russlands hatte über dessen Zukunft gewacht — die Kaiserliche Familie war gerettet!

Jerrmann, Eduard (1798-1859) deutscher Schauspieler, wirkte 1842 als Oberregisseur am Deutschen Theater in St. Petersburg

Jerrmann, Eduard (1798-1859) deutscher Schauspieler, wirkte 1842 als Oberregisseur am Deutschen Theater in St. Petersburg

Russland 007. Petersburg, Alexandersäule, errichtet von Nikolaus I. zur Erinnerung an den Sieg über Napoleon

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Russland 002. Petersburg, Winterpalast, Architekt Rastrelli

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Russland 008. Petersburg, Eine Feuerwachstation

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Der Kaiserliche Winterpalst

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Russisches Sittenbild

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