Unpolitische Bilder aus St. Petersburg. 05. Eine Militär-Revue.

Skizzen, nach dem Leben gezeichnet
Autor: Jerrmann, Eduard (1798-1859) Schauspieler, Puppenspieler, Landwirt, Erscheinungsjahr: 1851

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Russland, Russen, Leibeigenschaft, Bauern, Reformen, St. Petersburg, Heimat, Hauptstadt, Land und Leute, Militärdienst, Sitten und Bräuche,
Nächst dem Peterhofer Fest kann man wohl nichts Imposanteres sehen, als eine Revue in Petersburg. Eine solche wird gewöhnlich im Frühjahr vom Kaiser, vor seiner Abreise auf dem Marsfelde gehalten. Dieses Marsfeld bildet einen ungeheuren Raum zwischen dem Sommergarten und den Garde-Infanterie-Kasernen, nach Norden, der Treutzkybrücke zu gelegen, und fasst bequem an 80.000 Mann, die daselbst vor dem Kaiser defilieren. Wer seine Kenntnis des russischen Militärs nur aus den gewöhnlichen Berichten deutscher Zeitungen geschöpft hat, der wird erstaunt sein bei dem Anblick dieser Mustertruppen. Die Leute bieten den, echt militärischen Wesens: einen abgehärteten Körper, eine strenge Disziplin und einen durchweg ernsten Sinn für ihr Kriegshandwerk. Die Pünktlichkeit in Kleidung und Tracht wird ganz genau durchgeführt; die Regelmäßigkeit der Kavallerie, namentlich was die Pferde betrifft, findet in der ganzen Welt nicht ihres Gleichen. Da sieht man ganze Regimenter Dragoner mit ihren großen starken Rappen, einer so hoch wie der andere, einer ähnlich dem andern zum Verwechseln, kein weißes Härchen an irgend einem, kein Abzeichen, auch nicht das geringste, welcher Art es auch wäre. Dasselbe ist bei den Regimentern, welche nur Braune oder Füchse reiten, der Fall; dasselbe sah ich bei einem Husarenregimente, dessen Mannschaft ohne Ausnahme nur Apfelschimmel ritt. Und nun die Tzscherkessen, diese in Eisen gehüllten männlichen Schönheiten, diese Rittergestalten, von dem heimatlichen Klima gebräunt, mager aber muskulös, hochgewachsen, vom ehernen Helm, aus dem das feuerglühende Auge flammt, bis zu den eisenbeschienten Knien, von ihrem stählernen Panzerhemd umschlossen, ein Pferdchen reitend, das sie förmlich mit Liebesblicken überwachen; wahrlich, dieses Korpf bildet das Muster und die Zierde aller und jeder Reiterei. Der Tzscherkesse reitet sein Pferd nicht zur Parade oder Revue; er lässt es dahin führen, denn die Bürde könnte ihm ein Tröpfchen Schweiß erpressen. Auf dem Platze angelangt, wird es erst aufs Neue gebürstet, die Hufe werden schwarz angestrichen, und jedes Stäubchen von seinem Körper sorgsam weggeblasen; nun erst schwingt sich der Reiter auf sein Ross, und beiden sieht man an, welcher Stolz sie gegenseitig erfüllt. Jetzt fliegen sie im gestreckten Galopp dahin, über Zaun und Graben, und derselbe Reiter, der noch vor einem Augenblicke gezittert haben würde, sein Tier durch eine raue Handberührung zu verletzen, er achtet seiner bis zum Absitzen so wenig, als ritte er den allerschlechtesten Gaul. — Ja! diese Tzscherkessen bilden die erste Kavallerie der Welt. — Und nun diese Artillerie! diese Bespannung! diese Eleganz und Leichtigkeit im Bau der Geschütze und Munitionswagen; diese Akkuratesse der Exerzitien, diese Ausdauer und Unermüdlichkeit, und nun vor Allem — diese strenge, diese beispiellose Disziplin. — Hierin sind sich alle Truppen gleich ohne allen Unterschied, von den Kosaken, die auf Befehl bei Eylau die Brücke mit ihren Leibern deckten, bis zu den Schildwachen am brennenden Winterpalais, die trotz der Gluthitze ihren angewiesenen Posten nicht ohne erfolgte Ablösung verlassen wollten. Ich kenne die Linientruppen weniger und spreche hier nur von den Garden. Diese sind in der Tat ein auserlesenes Truppenkorps — doch werden sie auch ganz vortrefflich gehalten. Jeder Mann hat seinen dreifachen kompletten Anzug, erhält Fleisch, Brot und Traktament, und außerdem seinen Artell-Anteil, der ihm eine große Wohltat verbürgt. Es sind nämlich den Truppen überall, wo sie in Standquartieren stehen, gewisse Landesstrecken zu ihrer Benutzung angewiesen. Diese bebauen sie in ihren Freistunden mit Kohl und Kartoffeln, und um zur allgemeinen Menage ihr Fleisch zu liefern, zahlen sie eine ganz unbedeutende Summe von ihrer Löhnung zu diesem Artell und genießen dafür ein gemeinschaftliches, ganz vortrefflich schmeckendes, nahrhaftes und gesundes Essen. In diese Artellkasse fließen auch noch sämtliche Extra-Abgaben, wozu die Soldaten von ihren Extra-Einnahmen verpflichtet sind; z. B. von der Bezahlung, die sie für Privatdienstleistungen erhielten, als: das Statistieren im Theater, Möbel-Tragen beim Umziehen, Holz hacken etc. Von alle dem zahlen sie gewisse Prozente „ins Artell," und das gibt, nebst dem Gewinn der Äcker, einen so stattlichen Fond, dass sie Jahr ein, Jahr aus sich eines vortrefflichen Tisches erfreuen. Durch diese Einrichtung sind die russischen Truppen sehr gut verpflegt. Freilich gehören aber auch solche Lokal-Bedingungen dazu; denn wenn sie den Grund und Boden überall erst kaufen oder pachten sollten, so dürfte ihre Kohlsuppe leicht mager genug ausfallen.

Nächst der Beköstigung wird eine besondere Rücksicht auf Wohnung und Reinlichkeit des Militärs verwendet. Man denke sich die prachtvollsten und geräumigsten, palast-ähnlichen Gebäude, so hat man ein treues Bild von den Petersburger Kasernen und zugleich die Frage beantwortet, ob das Militär Ursache hat mit diesem Aufenthalte zufrieden zu sein. Fast noch vortrefflicher, als die Kasernen, sind die Militärhospitäler eingerichtet; hier geht eine vollkommen zweckmäßige Lokalität mit der sorgsamsten ärztlichen Behandlung und Krankenpflege Hand in Hand; jede etwanige Lässigkeit eines Beamten wird durch die stete Sorge verhindert, einen überraschenden Besuch des Kaisers zu erhalten. So ist in gesunden wie kranken Tagen für den Soldaten wohl gesorgt, und da die Garnison sehr stark, ist auch der Wachtdienst nicht eben beschwerlich.

Jerrmann, Eduard (1798-1859) deutscher Schauspieler, wirkte 1842 als Oberregisseur am Deutschen Theater in St. Petersburg

Jerrmann, Eduard (1798-1859) deutscher Schauspieler, wirkte 1842 als Oberregisseur am Deutschen Theater in St. Petersburg

Kosaken

Kosaken

Tscherkesse

Tscherkesse

Kosaken-Regiment beim Angriff

Kosaken-Regiment beim Angriff

Kosakenangriff

Kosakenangriff

Kosaken und Tscherkessen

Kosaken und Tscherkessen

Garde Tscherkesse

Garde Tscherkesse