Ungeheuer des Meeres

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1929
Autor: Dr. Kurt Floericke, Erscheinungsjahr: 1929

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Haie, Meere, Seefahrer, Unglücksfälle, Heringshai, Katzenhai, Weißer-Hai, Dornhai, Tigerhai, Riesenhai,
Es ist in der Tat ein unheimlicher Geselle, der im Indischen Ozean und an den Küsten Australiens lebende Tigerhai, der uns in überwältigtem Zustande auf unserem Bilde entgegentritt. Der wenigstens scheinbar plumpe Körper mit dem mächtigen Dickkopf, dass entsetzlich breite Genießermaul mit dem gähnenden Rachen, das geradezu fürchterliche Gebiss und der tückische Katzenblick der starren Augen geben diesen Riesenfischen wirklich etwas Grausliches. Kein Tier ist dem Seefahrer verhasster als der Hai, kein Fisch hat in solchem Maße seine Einbildungskraft angeregt, zu so vielen Märchen und Legenden Veranlassung gegeben wie diese fürchterliche „Hyäne des Meeres“.

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Wer da freilich weiß, wie abergläubisch die Matrosen sind und wie gern sie ein gut Stückchen Jägerlatein mit einweben, wenn sie „ein Garn spinnen“, der wird von all diesen Schauergeschichten von vornherein die gute Hälfte in Abzug bringen. Baden und fischen doch die schwimmkundigen Südseeinsulaner unbesorgt inmitten ganzer Rudel von Haifischen, ohne dass man etwas über stattgehabte Unglücksfälle hört. Aber auch in den westafrikanischen Gewässern, die als besonders haigefährlich gelten, ist deren Zahl lange nicht so groß, wie man nach den übertriebenen Berichten gewisser Reisender annehmen möchte, und in den europäischen Meeren vollends braucht sich niemand die Badelust durch die Furcht vor diesen verrufenen Tieren trüben zu lassen, denn die bei uns vorkommenden Haie sind nur ein halbes bis ein Meter lang, wie die Stern-, Katzen- und Dornhaie, also zu klein, als dass sie dem Menschen gefährlich werden könnten, oder sie sind zwar groß, aber ihrer ganzen Lebensweise nach völlig harmlos, wie der Herings- und der bis zwölf Meter messende Riesenhai.



Gerade dieser ungeschlachte Koloss ist ebenso wie die Bartenwale hinsichtlich seiner Ernährung ganz auf das Kleingetier des Meeres angewiesen und dazu in seinen Kiemenspalten mit einem Seihapparat ausgerüstet. Seltsam, dass gerade die Giganten des Meeres ausschließlich von dessen kleinsten Geschöpfen sich ernähren, und man muss nur immer wieder staunen über die unendliche Fruchtbarkeit der Salzflut, die aus winzigen Nahrungsteilen solche gewaltige Tierleiber aufzubauen und zu erhalten vermag.

Als „Menschenfresser“ besonders bekannt und gefürchtet ist dagegen der häufige und flinke Blauhai, der so gerne den Schiffen folgt, um allerlei genießbare Abfälle zu ergattern, und als noch gefährlicher gilt der größere Weiße-Hai, dessen Zähne fünfzehn Zentimeter lang sind, also ein Kerl, mit dem wahrlich nicht zu spaßen ist. Eine große Art ist auch der in den arktischen Meeren heimische Polarhai, der nicht nur Fische frisst, sondern auch den Walen bei lebendigem Leibe kopfgroße Stücke Fleisch herausreißt. Haben Walfänger Beute gemacht und neben ihrem Schiffe festgelegt, so bearbeiten die Haifische den toten Wal von unten und die Menschen von oben. Gleitet dabei einmal ein Mann aus und rutscht ins Wasser, so kann er doch unbesorgt sein, denn der Polarhai tut dem Menschen nichts zuleide.

Niemals hört man kräftigere und saftigere Flüche von bärtigen Seemannslippen, als wenn einer der verhassten Haie gefangen und an Bord emporgezogen wird. Dann ergreift alle eine maßlose Wut, und jeder beeifert sich nach Kräften, dem zählebigen Ungetüm den Garaus zu machen, hält sich dabei aber in achtungsvoller Entfernung von dem schnappenden, zähnestarrenden Maul und noch mehr von der mit polternden Schlägen das Deck peitschenden Schwanzflosse. Das Fleisch der großen Arten (das der kleineren wird hier und da von der ärmeren Bevölkerung gegessen) gilt als ungenießbar, zumal es einen höchst widerlichen Geruch an sich hat, fast wie Katzenurin. Die überaus große Leber wird zur Trangewinnung benutzt, und aus einem einzigen Riesenhai gewinnt man oft mehrere tausend Liter von diesem „flüssigen Gold“ des Meeres. Im Gegensatz zur Leber sind Herz und Hirn der Haie verblüffend klein. Die körnelige Haut liefert das sogenannte Chagrinleder.

Ein erbeuteter Tigerhai, der eine Länge von acht Meter erreicht.

Ein erbeuteteter Tigerhai, der eine Länge von acht Meter erreicht

Ein erbeuteteter Tigerhai, der eine Länge von acht Meter erreicht