Wie ein Fluss entsteht.

Das System des Rheinstromes ist kein einheitliches, es besteht vielmehr aus drei verschiedenen aufeinanderfolgenden Flusssystemen, deren jedes in seinem Verlaufe diejenige Tätigkeit entwickelt, welche wir bei einem einfach geregelten Fluss beobachten können; jeder der drei Abschnitte des Rheinstromsystems ist für sich selbständig, jeder für sich auch technisch gesondert zu behandeln; diese drei Abschnitte sind: der Lauf des Rheines von seiner Quelle bis zum Bodensee; zweitens vom Bodensee bis zum Nordende der Rheinebene hier bei Mainz und Bingen; drittens vom Binger Loche bis zur Mündung in die Nordsee.

Ein Fluss entsteht dadurch, dass der niederfallende Regen von den Bergen abläuft in die Ebene und in das Meer; auf den schrägen Flächen des Gebirges gewinnt das abfließende Wasser fortreißende Kraft, es schneidet sich ein in Gebirge und Land, es bildet Täler und häuft schließlich den mitgeführten Schutt des Kontinentes in der Tiefe des Meeres auf zu neuen Schichtgesteinen.


Die Tätigkeit eines einfach geregelten Flusses von seiner Quelle bis zu seiner Mündung gliedert sich wesentlich in drei verschiedene Arbeitsleistungen:

1. In seinem Quellsysteme breitet sich das aus der Wolke niederfallende Wasser in unzähligen Adern aus über alle Flächen der Berge, es spannt ein ungeheures Netz von Regenrinnen, von Quellen, von Bächen über das ganze Gebirge ans und wirkt nun auf alle Bergflächen zerstörend und abtragend; wir nennen diese abtragende Tätigkeit des Wassers Denudation, zu deutsch Abwaschung, also eine mehr oder weniger gleichmäßige Erniedrigung aller Berge und Abwaschung aller kontinentalen Teile unsrer Erde.

Ungeheure Quantitäten des verwitterten Bodens werden durch das Quellnetz der Flüsse von allen Landstrecken abgetragen und in aufgelöstem Zustande oder suspendiert als Trübung oder als Sand und Kies am Boden des Bettes von den Flüssen mitgeführt und schließlich hinausbefördert bis in die Seen oder bis in die Meere.

2. Die zweite Art der Arbeitsleistung gewinnt der Fluss dann, wenn alle die feinen Wasseradern seines Quellsystem es zu größerer Wassermenge sich vereinigt haben: dann erhält das Wasser eine tief in die Berge einschneidende Kraft, die Kraft der Erosion, mit welcher der Fluss im Gegensatz zu der Flächenwirkung der Denudation nun mit seiner in einem Lauf gesammelten Energie in einer Linie arbeitet und dadurch die härtesten Gesteine, Berge und Gebirge allmählich durchsägt. Die Strecken der Erosionsarbeit eines Flusses sind gekennzeichnet durch enge Talschluchten, durch Wasserfälle und Stromschnellen; gewaltige Felsblöcke, groben Schotter und Kies vermag alsdann der Fluss in seinem Bette fortzubewegen und zu zermalmen. Im oberen und mittleren Lauf der Flüsse lässt sich diese einsägende Tätigkeit des Wassers beobachten, und zwar wechseln hier stets Strecken geringerer mit Strecken stärkerer Erosionsarbeit. Die stärkste Erosion des Untergrundes geschieht in den Wasserfällen: durch die Gewalt des senkrecht niederstürzenden Wassers werden die Gesteine des Flussbettes zerstört, die Felskante, über welche der Fall stürzt, wird unterwaschen und bricht durch die eigene Last nieder. Dadurch geschieht es, dass ein jeder Wasserfall allmählich im Tal aufwärts wandert.

In den Strecken geringeren Gefälles unterspült der Fluss seine Ufer, und richtet seine Zerstörungskraft seitlich und zwar am kräftigsten in der Außenseite der Schlingen; dadurch verbreitert er fortwährend sein Tal und seinen Talboden.

Die Überschwemmungsgefahr wird im oberen und mittleren Laufe eines normalen Flusses durch die Erosion verringert, weil eben in diesen Strecken das Flussbett in der Regel zu tief in den Talgrund eingeschnitten ist.

3. Im unteren Laufe leistet dagegen der Fluss die umgekehrte Arbeit: was er an Gesteinsboden, an Schotter, Kies und Sand mit dem starken Gefälle seiner jungen Kraft mechanisch mitgerissen und mitgeschleppt hat, das setzt er nun in den flachen Gefilden seines Unterlaufes wieder ab; durch diese dritte, die auftragende Tätigkeit erzeugt der Fluss vor seiner Mündung in die Seen oder in das Meer die bekannten Deltas, die ihren Namen tragen von den im Altertume nach dem griechischen Buchstaben benannten Anschwemmungen des Nil bei seiner Einmündung in das Mittelmeer.

Allerdings entwickeln viele Flüsse und so unsre sämtlichen in die Nord- und Ostsee einmündenden Flüsse keine Deltas, sondern sie zeigen im Gegenteil tief in das Land eindringende Trichtermündungen. Dies liegt aber nicht etwa daran, dass unsre Flüsse keine Sedimente in ihren Mündungen absetzen, sie tun dies gerade ebenso wie alle anderen Flüsse, und unsre Schifffahrt weiß davon zu erzählen. Vielmehr sind daran unsre Küsten schuld, welche so rasch unter den Meeresspiegel sinken, dass die Anschwemmungen der Flüsse in ihren Mündungen nicht über die Oberfläche des Wassers auftauchen können.

Betrachten wir nun den ganzen 200 Meilen langen Lauf des Rheinstromes, so erkennen wir, dass er dreimal hintereinander die normale Tätigkeit eines einfach geregelten Flusses wiederholt.

In den Alpen liegt sein erstes Flussgebiet; dort trägt sein dichtes Wassernetz die Oberflächen der Berge ab in der Form der Denudation; dort erodiert er in den mittleren Strecken seiner Zuflüsse in tiefen, engen Schluchten und in breiten Tälern das hochaufragende Gebirge; dort hat er ein mächtiges Delta gegen den Bodensee vorgeschoben, und dort erstirbt seine Kraft in dem schwäbischen Meere.

Der zweite Lauf des Rheines beginnt mit seinem Austritt aus dem Bodensee: das Quellgebiet dieses mittleren Abschnittes liegt durch Aare, Reuss und Limmat in den Alpen, durch die weiteren Zuflüsse im Schweizer Jura, im Schwarzwald, in den Vogesen und den übrigen Gebirgen seines Mittellaufes. Seine Erosionstätigkeit übt der Rhein in dieser Strecke aus bei seinem Durchbruch durch das Juragebirge von Konstanz bis Basel, und bekundet sie z. B. in dem berühmten Wasserfall bei Schaffhausen und den Stromschnellen bei Laufenburg.

Der Strom endigt hier in der Rheinebene, die sich von Basel bis Mainz erstreckt: nicht ein Flusstal ist diese oberrheinische Tiefebene, selbst der mächtige Rheinstrom hätte niemals eine solche Fläche von 300 km Länge und 30 km Breite aushöhlen können; vielmehr war diese ganze Ebene einst ein Meeresarm, dann ein See, der nun durch die Anschwemmungen des Rheines, durch sein allmählich nach Norden vorgeschobenes Delta völlig ausgefüllt ist.

Zum dritten Male musste der Rhein sein Werk von neuem beginnen und vollenden in dem letzten Abschnitte seines Laufes: von dem Engpasse des Binger Loches an bis hinaus nach Bonn hat sich der Strom durchgesägt durch das ganze Niederrheinische Schiefergebirge: es ist dieser Flusslauf eine echte Erosionsrinne, tief eingeschnitten in die Berge, mit steilen Felsufern, mit starkem Gefälle und mit Stromschnellen, durch welche die kräftigste Arbeit des Flusses in den Quarzitriffen des Binger Loches, bei Bacharach, Kaub, Oberwesel, am Lorley-Felsen und an vielen andern Stellen sich kundgibt.

Das Quellgebiet dieses dritten Rheinlaufes liegt in dem Quellnetz, welches seine hier einmündenden Zuflüsse, die Mosel, die Ahr, die Maas, die Lahn, die Sieg, die Ruhr, über ihre Berge und Gebirge ausspannen.

Am Niederrhein verliert nun auch diese gewaltige Wassermasse ihre fortreißende Kraft: der Rhein hat ungeheure Mengen von Kies, Sand und Schlick in dem alten, diluvialen Delta abgesetzt und aufgetragen, dessen Oberfläche jetzt die niederrheinische Tiefebene in der Kölner Bucht, in den Niederlanden und in einem Teil von Belgien einnimmt. Seine Mündungen in die Nordsee sind jetzt freilich Trichtermündungen, aber nur weil die Nordseeküste seit der Diluvialzeit immer tiefer absinkt; das relativ steigende Meer hat immer größere Buchten, wie den Zuider See, den Dollart, den Jahdebusen, eingerissen.

Mainz

Mainz

Niederlahnstein und die Marxburg

Niederlahnstein und die Marxburg

Oberwesel

Oberwesel

Pfalz

Pfalz

Rheinstein

Rheinstein

Rüdesheim

Rüdesheim

Ruine Rheinfels

Ruine Rheinfels

Schloss Godesberg

Schloss Godesberg

Schloss Johannisberg

Schloss Johannisberg

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