Fortsetzung

Woher kommt es nun, meine Herren, dass der Rheinstrom sich nicht wie die meisten andern Flüsse mit einem einfach verlaufenden Flusssysteme begnügen kann, vielmehr gezwungen ist, in der Länge seines Laufes dreimal die Arbeitsleistung eines normalen Flusses zu wiederholen?

Der Grund dieser ungewöhnlichen Anstrengung liegt darin, dass der Rhein nicht wie andere Flüsse nur ein Gebirgssystem durchfliesst und dann im Meere stirbt, sondern dass er drei verschiedene Gebirgssysteme hintereinander überwinden und durchschneiden muss.


Ein Gebirgssystem umfasst diejenigen Berge und Gebirge, welche durch dieselben geologischen Ursachen entstanden sind, welche ihre gemeinsame und gleichzeitige Entstehung in einem analogen inneren Bau bekunden.

Gebirge entstehen an der Erdoberfläche durch seitliche Stauungen der unregelmäßig absinkenden Gewölbeteile der festen Erdkruste; durch Wärmeverlust in den kalten Raum wird das Volumen der Erdkugel fortwährend verkleinert, die feste Erdkruste sinkt nach auf einen schwindenden Kern und es stauen sich nun die einzelnen absinkenden Teile des Erdgewölbes, da sie in eine kleinere Kugeloberfläche gelangen.

Europa ist in den unendlich langen Zeiten der Erdgeschichte stets von Süden her bedrängt worden durch das kompakte Erdgewölbestück, welches wir Afrika nennen: alle Gebirge in Europa zeigen daher Falten, welche im allgemeinen von Ost nach West verlaufen, und Aufstauungen, deren innerer Bau beweist, dass diese Faltengebirge von Süden nach Norden fortgeschoben wurden.

Und zwar liegen die ältesten Faltengebirge im Norden von Europa, mit Schottland und Norwegen beginnend, die jüngsten Auffaltungen dagegen im südlichen Europa; auch die Alpen sind ein geologisch junges Gebirge, sie wurden von Afrika mittelst des Stieles, den wir Italien nennen, nach Norden um ca. 150 km weit vorgeschoben und dadurch zu einem Faltengebirge aufgestaut.

Für den Rhein kommen drei europäische Gebirgssysteme in Betracht: das ältere, am weitesten nach Norden geschobene Niederrheinische Schiefergebirge; das jüngere, eigentümlich gebaute Oberrheinische Gebirgssystem; und das eben erwähnte jüngste Alpine Gebirgssystem.

Betrachten wir, welche Wirkungen die Entstehung und der Bau dieser drei Gebirgssysteme auf den Lauf des Rheines ausgeübt haben; wir beginnen dabei mit dem Alpensystem.

Dieses System umfasst die Alpen selbst, die Tiefschweiz mit dem Bodensee und den Schweizer Jura, indem diese Berge und Landstrecken gleichzeitig und gleichartig entstanden sind.

Durch die Aufstauung von Süden her wurden die Schichten und Gesteine dieses Systems in lange Falten und Mulden gelegt, deren Verlauf sich auch äußerlich in den von Ost nach West langgestreckten Bergzügen zu erkennen gibt. Die höchste Auffaltung erhebt sich in den Zentralalpen, die tiefste Mulde wird ausgefüllt durch die seenreiche Tiefschweiz.

Der Rhein und seine Zuflüsse benutzen nun in den Alpen möglichst die Muldentäler, in denen sie leicht abfließen können: so sind das lange und breite Alpental des Vorderrheines von Dissentis bis Chur und das Rheinwaldtal, in dem der Hinterrhein am Bernhardin und Splügen vorbei ziemlich friedlich bis hinab zur Rofna-Schlucht fließt, solche Faltenmulden parallel gerichtet der ost-westlichen Erstreckung des Gebirges. Sobald jedoch der Rhein hinausgelangen will nach Norden, muss er die vorliegenden Falten des Gebirges in harter Arbeit quer durchschneiden. Während daher die Längstäler der Alpen sich als schöne, reichangebaute und dicht bevölkerte Talmulden darstellen, sind die Quertäler wilde Erosionsschluchten, eng, fast ungangbar, mit senkrechten Felswänden, mit Wasserfällen, mit gurgelnden Strudeln und Stromschnellen. Beispiele sind hier für den Rhein die bekannte Via mala oberhalb Thusis, die Felsschluchten des Oberhalbsteiner Rheines, der Bergüner Stein an der Albula-Straße.

Die tiefste und breiteste Längsfalte des alpinen Gebirgssystems ist die Tiefschweiz zwischen den Alpen und dem Schweizer Jura: ursprünglich ein Meer zur mittleren Tertiärzeit, dann ein großer Süßwassersee, dessen Reste die Seen der Schweiz sind. Der Bodensee reichte ursprünglich in der breiten Gebirgsspalte zwischen Schweiz und Vorarlberg mit seinem Wasserspiegel hinauf bis Ragatz und Landquart unterhalb Chur. Der Rhein hat diese 50 km lange Strecke allmählich mit dem von ihm in großen Massen mitgeschleppten Gebirgsschutte zugefüllt und schiebt noch jetzt sein Delta immer weiter in den Bodensee hinein. Der breite Talboden oberhalb des Bodensees ist demnach Oberfläche des alten Rheindeltas; da nun jeder Fluss seine eignen Anschwemmungen naturgemäß nicht viel über seinen Wasserspiegel erheben kann, so ist jede Deltabildung und so auch das Rheintal oberhalb des Bodensees häufigen Überschwemmungen ausgesetzt. Ich habe dort eine solche Überschwemmung zu Anfang September des Jahres 1890 selbst miterlebt: im Gebirge hatte es acht Tage lang geschneit, der Schnee lag auf den Graubündener Alpen fußhoch; da schlug der Wind um, warme Lüfte aus Südwesten brachten Regen und Gewitter, die Schneemassen schmolzen plötzlich und ungeheure Wassermassen stürzten zu Tal, viele Straßen und Wege zerstörend. Das Rheintal war bald vom Bodensee bis Ragatz hinauf völlig überschwemmt, der Bodensee hatte wieder seine frühere Ausdehnung gewonnen und ließ seinen weit ausgedehnten Wasserspiegel so hoch steigen, dass z. B. in Rorschach die Eisenbahnzüge bis über die Axen im Wasser fuhren.

Um die fast alljährlich wiederkehrenden Überschwemmungen der Landstrecken im Deltagebiete des Rheines oberhalb des Bodensees zu beseitigen oder wenigstens abzuschwächen, haben sich die Schweizer und die österreichische Regierung endlich geeinigt, die erforderlichen Schutzmaßregeln in Angriff zu nehmen. Auch die übrigen Uferstaaten wollen eine Regulierung des ganzen Bodensees gemeinsam vornehmen; zu diesem Zwecke ist in den letzten Jahren der Bodensee in jeder Hinsicht von Sachverständigen untersucht und genau studiert worden; die geologische Beschreibung und Entstehungsgeschichte des Sees und seiner Ufergegenden wird demnächst im Auftrage der Regierungen der fünf Uferstaaten zur Publikation gelangen.

Der Bodensee ist auch für uns hier am Mittelrhein ein gewisser Schutz gegen Überschwemmungsgefahren, da sein großes Becken in der Regel die von den Alpen niederströmenden Wassermassen zu fassen und so die Kraft derselben zu brechen vermag.

Der mittlere Teil des Rheinstromsystems interessiert uns am meisten, da wir hier am Mittelrhein diesem Teile angehören und seinen Gefahren ausgesetzt sind.

Das Oberrheinische Gebirgssystem bedingt hier den Lauf des Rheines; zu diesem Systeme gehört das südwestliche und ein großer Teil des südlichen Deutschlands: Schwaben und Elsass-Lothringen, Schwarzwald und Vogesen, die schwäbische, bayerische und fränkische Alp, das ganze Maingebiet, endlich Odenwald und Haardt, sowie die ober- und mittelrheinische Tiefebene — alle diese äußerlich so mannigfaltig gestalteten Gebirge und Landstrecken sind gleichzeitig und durch die gleichen Bewegungen entstanden; sie bilden daher in ihrer Gesamtheit ein einziges Gebirgssystem, welches wir das „Oberrheinische" nennen. Ich gehe hier nicht näher auf die Entstehung dieses Gebirgssystems ein, nur über die uns hier zunächst interessierende oberrheinische Tiefebene gestatten Sie mir einige Worte.

Die Rheinebene von Basel bis Mainz ist, wie gesagt, kein Tal, sondern eine weite Erdspalte, welche dadurch entstand, dass der zwischen den Alpen und dem Niederrheinischen Schiefergebirge eingespannte Erdgewölbeteil in der Mitte auseinanderbarst: die Ränder des Bruches erhoben sich allmählich immer höher über den eingebrochenen Schollen der Grabenversenkung und bilden nun die Randgebirge: Schwarzwald, Vogesen, Odenwald und Haardt.

Seit der älteren Tertiärzeit vermögen wir diesen Einbruch nachzuweisen: zuerst verband hier ein Meeresarm das norddeutsche mit dem Schweizer und südfranzösischen Meere; die marine Fauna in den ältesten Schichten des Mainzer Beckens gibt uns Kunde von dieser Meeresbedeckung unserer Ebene; dann wurden die Verbindungen nach Norden durch die vulkanische Erhebung des Vogelsberges, nach Süden etwas später durch die Auffaltung des Schweizer Jura aufgehoben; es entstand allmählich ein Süßwassersee in der Bruchspalte von Basel bis Mainz, der zunächst immer noch nach Süden, nach Südfrankreich, seinen Abfluss hatte. Erst zu Anfang der diluvialen, also der allerjüngsten Zeit der Erdgeschichte geschah die große Umkehr der Wassermassen im südwestlichen Deutschland: der Rhein, welcher zuerst, nachdem er entstanden war, durch die jetzige Burgunder Pforte südlich der Vogesen nach Südfrankreich in das Rhonebecken abfloss, wandte sich bei Basel nach Norden und mündete in den großen Süßwassersee, dessen Spiegel sich zwischen Schwarzwald und Vogesen, Odenwald und Haardt ausbreitete; als die ersten Menschen hier in unsern Gegenden erschienen, bewohnten sie die Ufer dieses großen Sees, gleichzeitig mit dem Elefanten, dem Rhinoceros, dem Flusspferd, dem Riesenhirsch, dem Urochs, Tieren, deren Reste in unserem Museum aufbewahrt werden.

Mit den gewaltigen Schuttmassen, die der Rhein und seine Zuflüsse zur diluvialen Gletscherzeit aus den Alpen mitbrachte, begann er nun alsbald ein mächtiges, rasch wachsendes Delta in den See unterhalb Basel vorzuschieben; allmählich hat der Rhein mit diesen seinen Deltaanschwemmungen den ganzen See bis Mainz zugefüllt: wir finden in den diluvialen Rheinsanden bis hier in unsere Gegend, z. B. in den Sanden des Darmstädter Wasserwerks im Griesheimer Eichwäldchen, Gerölle von Gesteinen, deren Herkunft aus den Alpen wir mit Sicherheit nachweisen können. Das tiefste Bohrloch in unserer Rheinebene, dasjenige der Spiegelglasaktiengesellschaft Waldhof bei Mannheim, hat mit 175 m Tiefe noch nicht die diluvialen Anschwemmungen durchsunken; so mächtig lagert jetzt der Schutt des Rheines in der ober- und mittelrheinischen Tiefebene.

Die gleichen Deltaanschwemmungen haben die Nebenflüsse des Rheines, der Neckar, der Main, auch die kleinen Zuflüsse wie die Modau bei Eberstadt vor ihren Mündungen in den damaligen See hinausgebaut.

Die oberrheinische Tiefebene ist seit der Tertiärzeit immer tiefer zwischen die höher aufsteigenden Randgebirge eingesunken; noch jetzt ist sie im Absinken begriffen; jedes Mal wenn wieder eine Spannung in diesem Teil des Erdgewölbes ausgelöst wird und bei den Einbrüchen die alten Spalten von neuem aufreißen, fühlen wir die Erde im Zusammenbruch unter unseren Füssen erbeben; so lange geschriebene Urkunden existieren, melden sie uns von den immer sich wiederholenden Erdbeben in der oberrheinischen Tiefebene: das Münster von Basel wurde im Jahre 1021 von einem Erdbeben zerstört und in den Rhein geworfen; Basel, Freiburg, Straßburg wurden oft von Erdbeben heimgesucht; die Dome von Speyer und Worms zeigen in den Rissen ihrer Mauern die Spuren der Erdbewegungen; die Erdbeben zu Groß-Gerau aus den Jahren 1869 und 1870 sind noch in aller Gedächtnis.

Die Rheinebene sinkt noch jetzt allmählich tiefer ein zwischen ihren Randgebirgen, daher sind die Überschwemmungsgefahren des Rheinstromes und seiner Zuflüsse in unserer Ebene immer mehr gewachsen.

Andrerseits steigen die umliegenden Randgebirge immer höher; wir können dieses Aufsteigen von Schwarzwald, Vogesen, Odenwald und Haardt geologisch genau nachweisen; ich will ihnen aber hier nur einen leicht verständlichen Beweis anführen: mehrere Zuflüsse des Rheines durchschneiden, ehe sie in die Rheinebene eintreten, Berge, welche bedeutend höher sind als die Landstrecken ihres Mittellaufes; z. B. der Neckar fließt in der Gegend von Heilbronn zwischen niedrigen Bergen, welche nur 250 m Höhe über dem Meere erreichen; weiter abwärts tritt er ein in den südlichen Odenwald und durchschneidet nun Berge, die 500 m Höhe über dem Meere aufragen. Die Zorn drüben im Elsass durchquert ebenfalls bei Pfalzburg und Zabern den Kamm der Vogesen, der ansehnlich höher aufsteigt als die Wasserscheide zwischen Zorn und Saar. Ebenso der Main, der in seinem Unterlauf die hohen Sandsteinplateaus vom Odenwald und Spessart durchschnitten hat.

Solche hydrographischen Rätsel lösen sich uns nur, wenn wir wissen, dass die Flussläufe älter sind als die Gebirge, durch welche sie fließen: Neckar, Zorn und Main gaben bereits ihrem Laufe die Richtung, welche sie jetzt besitzen, lange Zeiten, bevor Vogesen, Odenwald und Spessart ihre Sandsteinplateaus zu der Höhe erhoben hatten, in der wir sie jetzt sehen. Und zwar durchsägt jeder Fluss das Gebirge, welches unter seinem Bette heraufgestaut wird, in dem Maße seiner Wassermasse: starke Gewässer durchschneiden die Berge, bis sie ein gleichmäßiges Gefälle erreicht haben, schwache Wasseradern bleiben oben im Gebirge haften.

Der Rhein selbst durchquert von Konstanz bis Basel Berge, die jünger sind als er und bedeutend höher aufsteigen als der Spiegel des Bodensees; wie rasch diese Juraberge emporgehoben werden, das beweist die Tatsache, dass der Rhein trotz seiner Wasserfülle mit der Erosionsarbeit erst bis zum Wasserfall bei Schaff hausen gelangt ist. Wenn dieser Wasserfall einst bis Konstanz hinaufgewandert sein wird, würde sich der Spiegel des Bodensees um den Betrag der Höhe des Falles, nämlich um ca. 30 m, erniedrigen; diese in weiter Ferne liegende natürliche Tieferlegung des Seespiegels wird jetzt in geringerem Maße durch die Kunst der Ingenieure vorausgenommen werden, indem die Uferstaaten den Abfluss des Rheines in einer längeren Strecke vertiefen und den Hochwasserspiegel des Bodensees etwas tiefer legen wollen.

Der dritte und letzte Lauf des Rheinstromes beginnt mit dem mächtigen Tore des Binger Loches, durch welches der Rhein eintritt in das dritte ihm vorgelagerte Gebirgssystem, das Niederrheinische Schiefergebirge. Dieses Gebirgssystem umfasst den Taunus und Hunsrück, Westerwald und Eifel, Sauerland, Hohe Venn und die Ardennen, Gebirge, welche in ihrer Gesamtheit jetzt ein ziemlich gleichmäßig abgehobeltes Plateauland bilden; der innere Bau des Niederrheinischen Schiefergebirges beweist, dass wir hier den Rest eines alten Gebirges vor uns haben, welches einst an Höhe die Alpen erreichte und weit hinaus sich erstreckte nach Westen durch das nördliche Frankreich, nach Osten durch das nördliche Deutschland bis nach Russland hinein; in der Normandie und Bretagne, an der Werra bei Allendorf, im Thüringer Walde und im Harze tauchen Teile dieses alten Gebirges noch jetzt aus den jüngeren Bedeckungen zu Tage herauf.

Parallel den Alpen und Pyrenäen, aber viel älter als diese jungen Gebirge durchzog dieses hohe und ausgedehnte Gebirge das nördliche Europa von West nach Ost, ebenfalls durch Druck von Süden her aufgestaut und zu langen, westöstlich ziehenden Bergzügen zusammengefaltet. Während einer sehr langen Zeit der Erdgeschichte wurde dieses mächtige Gebirge vom Wasser abgetragen und bis auf seine tiefste Basis abrasiert; auch versanken viele Stücke desselben in die Tiefe, so dass das Niederrheinische Schiefergebirge den größten sichtbaren Rest des alten Gebirges darstellt.

Bei der vorhin erwähnten Umkehr der Gewässer Europas zu Anfang der Diluvialzeit nahm der Ausfluss des Sees in der oberrheinischen Tiefebene seinen Weg über das abrasierte Plateauland hinweg nach Norden; quer durch die ostwestlich gerichteten Falten des Niederrheinischen Schiefergebirges schnitt der Rhein sein Bette ein und sägte sich durch die harten Quarzite und Grauwacken und durch die weicheren Schiefer ein echtes Erosionstal hindurch in der Strecke von Bingen über Koblenz bis Bonn. Als der Rhein mit dieser Arbeit begann, lag einerseits die oberrheinische Tiefebene in einem höheren, andrerseits das niederrheinische Plateauland in einem tieferen Niveau als jetzt: gerade wie die Randgebirge der Tiefebene, Schwarzwald, Vogesen, Odenwald und Haardt, stiegen auch Taunus und Hunsrück, sowie das ganze übrige Niederrheinische Schiefergebirge allmählich höher empor, während der Rhein in Wasserfällen und Stromschnellen sich mühsam sein Bette wühlte.

Wir erkennen diese Gebirgsbewegungen wieder deutlich in den eigentümlichen hydrographischen Verhältnissen im Bereiche des Niederrheinischen Schiefergebirges: die Lahn verharrt bei Giessen nicht in ihrer Richtung nach Süden und fließt nicht hinüber in die Wetterau, wo sie sich leicht in die weichen Tertiärablagerungen hätte einschneiden können, sondern wendet sich nach Westen um, durch Berge hindurch, die ansehnlich höher ansteigen als die Wasserscheide gegen den Main bei Butzbach. Die Mosel fließt in Lothringen durch niedriges Bergland und dringt dann zwischen Hunsrück und Eifel ein in das viel höher aufragende Schiefergebirge; ebenso entspringen die Quellzuflüsse der Maas in einem absolut tieferem Niveau als dasjenige der Berghöhen der Ardennen ist, durch welche die Maas von Mezieres bis Namur quer hindurchschneidet.

So auch der Rhein selbst: aus der Tiefebene, deren Oberfläche hier bei uns 90—100 m über dem Meere liegt, bricht er im Binger Loch ein in die Berge, die im Bingerwalde sogleich bis auf 643 m Meereshöhe aufragen. Das beweist, dass das Niederrheinische Schiefergebirge erst allmählich höher gehoben wurde, während der Rhein und seine Zuflüsse ihre gewundenen Erosionsbetten gleichzeitig in das Plateauland einschnitten.

Am Rolandseck bei Bonn verlässt der Rhein das Gebirge und tritt nun zum dritten Male in eine Tiefebene hinaus, um endlich seine Fluten dem Meere zuzuführen. Die Nordsee ist ein so junger Einbruch, dass der Rhein noch während der diluvialen Eiszeit durch das alte Flussthal des Kanales zwischen Frankreich und England nach dem Atlantischen Oceane hinausströmte. Seitdem sinkt der Boden der Nordsee und sinken unsere Küsten derartig, dass die Ingenieure ihre Deiche immer höher und kräftiger bauen müssen, um die Küsten, und vor allen die flachen Inseln vor dem gänzlichen Untergänge zu retten.

Wir haben, meine Herren, bei unserer Betrachtung gesehen, dass der Rhein drei verschiedene Gebirgssysteme in seinem langen Laufe durcheilt, dass er drei aufsteigende Gebirge, die Alpen, den Jura und das Schiefergebirge, mit starkem Gefälle, mit Wasserfällen und Stromschnellen durchschneidet, dass er in flachen Betten drei immer tiefer absinkende Tiefebenen durchfließt, die Tiefschweiz, die oberrheinische und die niederrheinische Tiefebene. Diese eigentümlichen geologischen Verhältnisse des Rheinstromgebietes bedingen, dass die Überschwemmungsgefahren, welche bei jedem Fluss naturgemäß am stärksten in seinen tiefliegenden Deltaablagerungen auftreten, sich im Rheingebiete dreimal wiederholen: die Tiefschweiz wird selbst durch das große Becken des Bodensees nicht genügend bewahrt vor den Überschwemmungen des alpinen Rheinlaufes; die Reuss wird im Vierwaldstätter See, die Limmat im Züricher See gebändigt; die Aare ist künstlich durch einen Kanal vor 16 Jahren in den Bieler See eingeleitet worden, um in diesem See ihre Gerölle und ihre Wildheit zu verlieren, ehe sie durch den Jura dem Rheine zufließt.

In der niederrheinischen Tiefebene, soweit sie auf deutschem Boden liegt, wird die Gefahr der Überschwemmungen dadurch etwas gemäßigt, dass der Rhein und seine Zuflüsse sich Talrinnen in die dort stark angehäuften Ablagerungen der diluvialen Gletscherzeit einschneiden konnten.

Für uns dagegen hier am Mittelrhein ist die Überschwemmungsgefahr in jeder Beziehung am größten.

Ich erinnere Sie an die große Überschwemmung der Rheinebene im November und Ende Dezember 1882: von der Pfalz und von Baden her bis Mainz stand die Ebene in mehr als halber Breite unter Wasser; die Rheindämme waren an mehreren Stellen gebrochen; Groß-Gerau und viele Dörfer lagen im Wasser, Häuser wurden zerstört, die Bahnlinie von Groß-Gerau nach Mainz mehrfach zerrissen; von unsern Höhen hier bei Darmstadt sahen wir auf den neu erstandenen See, dessen Wasser vor dem Engpasse des Binger Loches sich gestaut hatten.

Immer wieder und immer stärker bedrohen solche Überschwemmungen unsere Rheinebene; denn die Ebene sinkt, während der Taunus und Hunsrück steigen; alles Wasser des Rheines und seiner Zuflüsse, auch alles Grundwasser der Tiefebene kann sich nur entleeren über die ansteigende Schwelle des Binger Loches; und es ist eine harte Schwelle, es sind die härtesten Gesteine, die im Schiefergebirge vorkommen, die Quarzite, deren Bänke wiederholt von Bingen an bis St. Goar quer durch das Rheinbett von einem Ufer zum andern durchziehen; selbst die gewaltigen Wassermassen, die in den dortigen Stromschnellen durchschießen, haben nicht vermocht, die festen Quarzitriffe in dem gleichen Maße durchzusägen, in welchem die Schichten mit dem ganzen Gebirge aufsteigen.

Daher muss der Mensch dem alten Vater Rhein in seiner schweren Arbeit zu Hilfe kommen: es ist die erste Forderung, um die Überschwemmungsgefahren hier am Mittelrhein zu vermindern, dass die Quarzitriffe im Binger Loch und in den Talengen unterhalb desselben tiefer und breiter ausgeschossen werden, als es bisher geschehen ist.

Andrerseits ist die Überschwemmungsgefahr für unsere Rheinebene seit Jahrzehnten durch die Eingriffe des Menschen in die natürlichen Stromverhältnisse in manchen Richtungen vermehrt worden:

Der Lauf des Rheines, welcher in der oberrheinischen Tiefebene von Basel an abwärts bis Mainz naturgemäß ein vielfach gewundener war, mit vielen großen Schlingen, mit viel Sumpf- und Wiesengelände, deren Flächen große Wassermengen bei Hochwasser aufnehmen konnten, dieser Lauf ist in den letzten 75 Jahren fortdauernd reguliert worden; der Rhein wurde möglichst gerade gestreckt: indem man die meisten Schlingen abschnitt, wurde seine Länge bedeutend verkürzt und sein Gefälle vermehrt, so dass sich die Hochwasser jetzt viel rascher als früher auf den Mittelrhein werfen und stärker vor dem Binger Loch anstauen. Ebenso sind die Zuflüsse des Rheines in Baden sämtlich reguliert und senden ihre Wasser viel schneller als früher dem Rheine zu.

Die Rheindämme selbst sind oft zu nahe an die Flussufer verlegt worden; sie brechen daher leichter vor der nahen Gewalt des Hochwasserstromes.

Früher breiteten sich zu beiden Seiten des Rheines weite Wiesengelände aus, deren Flächen dem Hochwasser preisgegeben und zugleich durch den abgesetzten Rheinschlick trefflich gedüngt wurden; hinter den vorgeschobenen Rheindämmen breiten sich jetzt Getreidefelder aus; der fruchtbare Rheinschlick fließt mit dem eingezwängten Strome hinab nach Holland und wird dort in die Poltern eingelassen, deren saftige Wiesen den Reichtum der Niederlande, die Viehzucht, bedingen. Bei uns klagt die Landwirtschaft über die niedrigen Getreidepreise, vermehrt trotzdem die Ackerflächen und vernachlässigt die Wiesenkulturen, so dass die Händler ihr Vieh und ihre Mastochsen zum großen Teil aus der Schweiz, aus Österreich und aus Ungarn statt aus der Heimat beziehen müssen.

Dabei haben wir es hier in unserer Rheinebene nicht nur mit dem Rheine, sondern auch mit den alten Neckarbetten zu tun; große Strecken Landes liegen in diesen Gebieten versumpft und wenig nutzbar da; andere allzu trockene Flächen harren der richtigen Bewässerung, Seit Jahrzehnten wurde die Regulierung der Rheindämme und wurde die Entwässerung des Riedes verlangt und geplant; unsere Staatsregierung hat seit Jahren die Projekte für diese beiden großen Aufgaben ausarbeiten lassen und den Landständen, sowie den betreffenden Gemeinden vorgelegt und unterbreitet. Es ist sehr zu bedauern, dass die so notwendigen Vorlagen immer noch nicht angenommen wurden, und einige renitente Gemeinden die nützlichen Arbeiten im Ried verhindern konnten. Denn die Zustände in unserer Rheinebene werden von Jahr zu Jahr schlimmer, und großer Gewinn entgeht unserer Landwirtschaft.

Wie bisher im Großherzogtum unter der weisen Leitung unserer Landesfürsten, welche stets ihr höchstes Interesse den großen Erfordernissen moderner Kultur zugewendet haben, und unter der bedächtigen Fürsorge unserer Staatsregierung stets alle erforderlichen Aufgaben zu günstiger Lösung gebracht wurden, so werden auch diese schwierigen und kostspieligen Aufgaben des Wasserbaues, welche hier im Ried und am Mittelrhein vorliegen, unzweifelhaft einer guten Lösung entgegen geführt werden.

Unser junger Landesfürst, der heute sein 28. Lebensjahr beginnt, hat sich, folgend seinen erlauchten Vorfahren, mit großer Energie und sicherem Verständnis in die Aufgaben der Staatsverwaltung eingearbeitet und unterstützt kräftig die wohlvorbereiteten Schritte seiner Ministerien. Selbst in unserem konstitutionellen Staate kann ja der Fürst unendlich wohltätig wirken und persönlich eingreifen: ein Wort von ihm am rechten Orte und zur rechten Stunde vermag bei den Vertretern unserer Stadt- und Landgemeinden oft mehr zu erreichen als jahrelange Verhandlungen.

Die technische Hochschule ist unserem Großherzog für die ausgezeichnete Gnade und Huld , welche er der Hochschule in hohem Maße vergönnt hat, zu größtem Danke verpflichtet; vor wenigen Wochen haben wir die Ehre gehabt, Seiner Königlichen Hoheit persönlich hier in der Aula bei dem Feste der Einweihung unserer neuen Gebäude unseren tiefgefühlten Dank darzubringen.

Heute hier zur Feier seines Geburtstages versammelt, lassen Sie uns den Wunsch aussprechen, dass seine Regierung unserem Lande zum Segen gereichen, dass es ihm insbesondere gelingen möge, alle die großen Aufgaben der inneren Verwaltung eines modernen Staates, und speziell diejenigen Aufgaben, welche die auf unserer Hochschule ausgebildeten Ingenieure zu leisten haben werden, in richtiger und zweckentsprechender Weise durchzuführen und zu vollenden. Die Dankbarkeit des Volkes wird seinen hohen Entschließungen folgen.

An demselben Tage feiert auch Ihre Königliche Hoheit die Großherzogin ihren 19. Geburtstag. Die Anmut und Aufmerksamkeit, mit welcher Ihre Königliche Hoheit bei dem Feste der Einweihung unsere neuen Gebäude und alle Einrichtungen in denselben besichtigte, wird uns unvergesslich sein und ganz besonders unserer studierenden Jugend gefallen haben.

Meine Herren, werte Kollegen und Kommilitonen, lassen Sie uns alle unsere Wünsche, welche wir für unseren gnädigen Landesherrn und seine erlauchte Gemahlin an ihrem heutigen Geburtstage hegen, in den Ruf zusammenfassen:

Seine Königliche Hoheit der Großherzog Ernst Ludwig und Ihre Königliche Hoheit die Großherzogin Viktoria Melita leben hoch!