Fortsetzung

Offenbar hat sich hier seit der Errichtung der politischen Zünfte ein Zwischenstand gebildet, der in sich fasst alle die Anwärter zur Aufnahme unter die Geschlechter, oder die die unter der früheren Verfassung es gewesen wären, mochten sie nun Rentner geworden oder Kaufleute großen Stils geblieben sein. Jetzt entstammen sie und gehören dauernd zu einer der ersten drei Zünfte *), und damit ist ihnen der Übergang zu den Geschlechtern ein für allemal versperrt. Aber eine hoch geachtete Klasse, die sich vornehmlich zur Besetzung der städtischen Ämter eignete, blieben sie trotzdem.

Alles in Allem findet man wiederum eine große Ähnlichkeit mit den Augsburger Zuständen**).


Nüblings Kapitel über den Ulmer Großhandel enthält in der Hauptsache die Geschichte einer Anzahl der führenden Ulmer Handelshäuser, zum Teil nach ungedruckten Akten im Ulmer Archiv, worauf wir indes hier nicht weiter eingehen. Am umfangreichsten ist seine Darstellung des Kramhandels: 103 von 320 gespaltenen Quartseiten in Zeitungsdruck. Sechs Gattungen von Kramwaren (Spezerei, grobe Krämerei, Ellenwaren samt Leder und Wachs, das Geschmeide, das Zentnergut und das Stückgut), und unter diesen über fünf Dutzend einzelne Waren, gelangen zur Besprechung. Ferner kommt eine interessante Krämerordnung von 1549 zum Abdruck, wenn auch in modernisiertem Deutsch und mit Zwischenbemerkungen Nüblings, die sich nicht immer ohne weiteres vom Text sondern lassen. Daran schließen sich Abhandlungen über fünfzehn der Krämerzunft angegliederte Handwerke. Man sieht, dass eine ungeheure Menge von Stoff mitgeteilt wird.

*) Vgl. oben S. 182 über die Krämerzunft.
**) Unrichtig scheint mir, wenn Nübling (S. 262b) den vierten Stand den „von der Ehrbarkeit“ nennt. Das geht zurück auf eine Anmerkung Veesenmeyers, S. 113 seiner Ausgabe von Fabri. Danach hat die Gockel’sche Abschrift vorn Jahre 1678 hier die Überschrift: „De honorabilibus et modestis civibus Ulmensibus. Von der guten gemein«. Dazu am Rande: „IV ord. civ. Ulm“, und unter dem Titel im Text: „NB. Die von der erbarkeit, oder erbare geschlechter sunt Patricii“. Die von der Ehrbarkeit sind also die Geschlechter des dritten Standes, auf die hier dem Anschein nach nur des Gegensatzes halber hingewiesen wird.


Indes sei zum Schluss ein Wunsch gestattet! Wenn der Verfasser die Aufgabe, die er sich zunächst gestellt hatte (vgl. darüber auch das Vorwort zu der Dissertation), durchgeführt hat, dann möge er die Muße, an der es ihm ja nicht länger fehlen wird, zu einer Neubearbeitung des Ganzen verwenden. Er möge alles ausscheiden, was sich auf die allgemeine Handelsgeschichte bezieht, ebenso seine ganz verfehlten handelsgeschichtlichen Motivierungen politischer Vorgänge, und sich streng auf das beschränken, was unmittelbar mit Ulm in Zusammenhang steht. Sodann möge er das äußerst wertvolle handschriftliche Material, das er benutzt hat, in genauen Abdrücken vorlegen, und allein einen möglichst knappen Text dazu schreiben. Er braucht sich nur seine 1890 in Schmollers „Forschungen“ veröffentlichte Abhandlung über Ulms Baumwollweberei zum Muster zu nehmen. Wer vor zwölf Jahren als Jüngling eine so tüchtige Leistung zu stände gebracht hat, muss auch jetzt als gereifter Mann wirklich brauchbare wissenschaftliche Arbeiten liefern können. Dann wird er auch sicher Mittel und Wege zur Veröffentlichung finden. Er muss nur nicht nach falschem Lorbeer streben. Zu einer weltgeschichtlichen Behandlung, wie Nübling sie in seinem Werke über das Kaufhaus versucht, gehören eben doch ganz andere Studien, als sie ihm in seiner jetzigen Lage möglich sein werden. Diese Partien, die immer und immer wieder den eigentlichen Gegenstand überwuchern, sind ja nicht uninteressant, aber es fehlt doch an einer genügenden Begründung zu der Menge der äußerst gewagten Behauptungen. In der ganzen Weltgeschichte scheint nach Nübling überhaupt kaum etwas geschehen zu sein, das nicht auf handelspolitischen Ursachen, Vorgängen und Erwägungen beruht, ja alles löst sich bei ihm in einen Kampf zwischen freihändlerischen und national geschlossenen Handelsstaaten auf.

Von vielen, vielen ganz unbegründeten Motivierungen will ich nur ein Beispiel herausheben. Im 14. Jahrhundert sollen überall auf dem Kontinent die Juden totgeschlagen worden sein, weil man sie, und nicht mit Unrecht, als die Väter der liberalen Ideen betrachtet habe, nämlich der Freihandelsideen, die England auf dem Festlande verbreitete, um das deutsche Gewerbe zu ruinieren, während es für sich an einem national abgeschlossenem System festhielt (S. XVII). Aber auch an falschen Zustandsbildern fehlt es nicht. So wäre im 10. Jahrhundert, nach Erschließung Innerasiens in Deutschland, durch ein wildes, spekulatives Handelstreiben der selbständige Mittelstand vernichtet worden. „Die Kleriker, Ritter und Beamten prassten [nun] um die Wette mit den Großhändlern der Städte“. (S. XII.) Die Gewohnheit des Redakteurs aus dem Vollen zu schöpfen, mag ja für solche Ungenauigkeiten mit verantwortlich zu machen sein. Da müsste sich der Verfasser eben einige Selbstzucht auferlegen. Und auch bei seinen Etymologien, die selbst einem Fabri keine Ehre machen würden (Sardam, Saar, Saarbrücken, Sarmatien, Zar, Zermatt, Scharlach, Schürlitz und Schere soll alles mit serica Zusammenhängen [S. 165 Anm. 1030]), muss er als studierter Mann sich doch sagen können, dass ohne philologische Fachkenntnisse niemand sich auf diesem Gebiete versuchen darf.

Wir sind dem Verfasser zu Danke verpflichtet, weil er der gelehrten Welt viele interessante Tatsachen aus der ulmischen Handelsgeschichte zur Kenntnis gebracht hat; aber wir haben uns auch erlauben müssen, auf den Weg hinzuweisen, auf dem allein er ein wirklich gediegenes wissenschaftliches Werk zustande bringen wird.