Ukrainische Geschichte - die ukrainischen Kosaken

Aus: Die Ukraine und ihre Bedeutung im gegenwärtigen Krieg mit Russland
Autor: Kuschnir, Wladimir Dr. (1881-1938) Historiker und Publizist, Erscheinungsjahr: 1915
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Russland, Ukraine, Österreich, Preußen, Polen, Schweden, Deutschland, Kosaken, Landesgeschichte, Kulturgeschichte, Sittengeschichte, Landesbeschreibung, Politik, Peter der Große, Katharina II., Geschichte
Im Jahre 1904 schrieb Björnstjerne Björnson einen Brief an den Herausgeber der „Ruthenischen Revue“, in welchem er ihn um die Erklärung bat, wieso er es angesichts der europäischen Öffentlichkeit wage, jene Kosaken, die ein Schandfleck der Kultur seien, als Helden zu preisen. Es lag dieser Frage Björnsons ein Irrtum zugrunde, von welchem die ganze Kulturwelt befangen ist. Die Geschichte der ukrainischen Kosaken seit dem 16. Jahrhundert ist die Geschichte des ukrainischen Volkes schlechtweg. Sie ist dies in dem Maße, dass Schriftsteller des 18. Jahrhunderts von einer ukrainischen oder Kosakennation sprachen. Wohl hatten gleiche Ursachen auch bei den Steppenvölkern des östlichsten Europas den Bildungsprozess von den Kosaken analogen Kriegerorganisationen gefördert, aber nur in der Ukraine entwickelte sich die Kosakenorganisation zur hohen Staats- und Nation-bildenden Form. Nach Vernichtung dieser Träger der Volksinteressen war die Nation der Willkür des Eroberers ausgeliefert, der überdies aus den bisher das Raub und Kriegshandwerk treibenden Freischärlern aller Nationen eine privilegierte Truppengattung ins Leben rief, welcher der Name der Kosaken verliehen wurde. Darunter bilden Ukrainer als Nachkommen der historischen Kosaken, die zum Großteil in den Bauernstand versetzt worden oder ausgewandert waren, nur einen verschwindend geringen Teil. Wir finden Kosaken ukrainischer Herkunft in größerer Anzahl nur am Kuban, teilweise auch im Kaukasus (Terek) und am Don, doch werden dieselben infolge des Misstrauens der Regierung (die Kosaken am Kuban pflegen die nationale Tradition der ukrainischen Kosaken; in keinem Falle zu den Schergendiensten herangezogen, welche jene kosakischen Mordgesellen auszeichnen, die auf den Straßen Kiews und Jekaterinoslaws die ukrainischen Studenten und Arbeiter niedermetzeln. Wie weit die Abneigung der Ukrainer gegen das Russentum reicht, erhellt daraus, dass unter den Tereker Kosaken, die zu einem Viertel Ukrainer sind, die Ukrainer eigene Siedelungen haben, mit den russischen Kosakenfamilien nicht einmal in vereinzelten Fällen Ehen eingehen usw. Durch die irreführende Bezeichnung der russischen Henkersknechte mit dem Namen „Kosaken“ kann keineswegs die dem ukrainischen Volke teure Erinnerung an die ukrainischen Kosaken verdunkelt werden, welche deutsche Geschichtsschreiber des achtzehnten Jahrhunderts — wie es in Engels „Geschichte der Ukraine“ zu lesen steht — als ritterliches Volk preisen, welches an Ritterlichkeit und sittlichem Halt die Ritter des Malteserordens übertreffe und die gesuchte Kombattanten der europäischen, vornehmlich der preußischen, Armeen waren und es hier mit Leichtigkeit zu Offizierschargen brachten.