Abschnitt 4 - Freilich gebildet sein heißt nicht patriotisch sein, aber es gibt eine Bildung, ...

Freilich gebildet sein heißt nicht patriotisch sein, aber es gibt eine Bildung, die ihrem Wesen nach allerdings hinführt zum Patriotismus, durch Entwicklung des Staatsbewußtseins, durch Anbahnung erhöhter Teilnahme an staatlichen Dingen überhaupt und damit vor allem auch an denen der Heimat. Wir wollen sie politische Bildung nennen. Und hier ist die Stelle, wo die Universität, auf ihrem eigensten Boden stehend, allerdings erfolgreich wirken kann im Sinne jener patriotischen Ausgabe. Sie kann Staatsgefühl und Vaterlandsliebe nicht erzeugen, aber sie kann beiden den Boden bereiten durch politische Bildung. Grund genug für uns, dem Wesen und Inhalt solcher Bildung in dieser feierlichen Stunde näher zu treten, aber auch an und für sich scheint sie einer eindringenden Betrachtung wert zu sein, zumal in ihrem Gegensatz zur naturwissenschaftlichen Bildung und der von dieser getragenen Weltanschauung, welche die Gegenwart beherrscht und auf weiten Gebieten auch des sozialen Lebens unserem zur Neige gehenden Jahrhundert ihren Stempel aufgedrückt hat.

Bevor wir aber eine solche Betrachtung versuchen, möchte es gut sein, sich über den Sinn des Wortes „Bildung“ in Kürze zu verständigen.


Bildung ist weder Wissen noch können, wohl aber Produkt verarbeiteten Wissens und Vorbedingung methodischen Könnens. Sie hat den Namen vom „bilden“, d. h. umgestalten eines Stoffes zu Form und Zweck. Was umgestaltet wird, ist hier ein noch rohes Organ unserer Psyche, und es wird gestaltet zur Befähigung für die Auffassung eines Wirklichen. Der „gebildete“ Musiker ist kraft seiner musikalischen Bildung befähigt Tatsachen der Tonwelt wahrzunehmen, die das gesunde Ohr des Ungebildeten nicht ahnt; er hat einen „Sinn“, der ihm ein für tausend Andere nicht vorhandenes Stück Welt erschließt. Und eben dieses tut jede Bildung für den Bereich desjenigen „Sinnes“, den sie ausgestaltet oder auch wohl erst erweckt. Das Wort „Sinn“ - in seiner übertragenen Bedeutung ein Prachtstück unseres Sprachschatzes - bezeichnet ja die ursprüngliche oder erworbene Befähigung unseres Geistes zur Auffassung bestimmter Ausschnitte der Gesamterscheinung, welche wir die „Welt“ nennen; somit können wir sagen, und sagen es alle Tage, daß durch eindringende Beschäftigung mit Sprachen der Sprachsinn, mit plastischen Formen der Formensinn, mit Rechtsverhältnissen der juristische Sinn „gebildet“, d. h. geweckt und geschärft wird. Anderes kann und tut Bildung überhaupt nichts namentlich bewirkt sie nicht eine homogene Eigenschaft, die nach der landläufigen Vorstellung als „allgemeine Bildung“ den ganzen Menschen gleichwie mit einem duftenden und glänzenden Lack überzöge. Es gibt in Wirklichkeit nicht Eine, sondern viele Bildungen, so viele als wir „Sinne“ in obiger Bedeutung des Wortes unterscheiden, d. h. so viele, als es Ausschnitte der Welt gibt, die für uns ein gesondert empfundenes Interesse haben. Demgemäß unterscheiden wir ganz scharf zwischen künstlerischer, litterarischer, philosophischer, philologischer, juristischer, naturwissenschaftlicher, linguistischer Bildung u. s. w., wohl wissend, wie diese fast niemals in Einer Person vereinigt gefunden werden und dass aus dem Vorhandensein der einen nur unter besonderen Umständen auf andere geschlossen werden darf. Wenn wir aber im Leben jemand schlechtweg als einen „gebildeten Mann“ bezeichnen, so heißt das, daß er in den für uns zumeist in Betracht kommenden Richtungen gebildete Sinne besitze, und wir übersehen dabei unbewusst alle jene, die uns minder erheblich dünken. So lassen wir wohl Leute noch als „gebildet“ gelten, die für Musik kein Ohr, für Malerei kein Auge, selbst für Poesie kaum Sinn haben, schwerlich aber solche, die aus Träumen prophezeien und an Zauberei glauben; letzteres, weil unsere Zeit da besonders empfindlich ist, wo naturwissenschaftliche Unbildung zu Tage tritt. Nicht immer war dem so, auch nicht in Epochen von nach anderen Richtungen hin hochbedeutender Kultur, es stellt eben jede Zeit ihre Ansprüche an den „gebildeten Mann“, und der Gebildete von heute - wenn es möglich wäre das Modell eines solchen mit all’ seinen Tüchtigkeiten und Mängeln Für die Nachwelt aufzubewahren - würde dereinst vor den gebildeten Augen dieser Nachwelt wenig Gnade finden, wohl aber ein lehrreiches Beweisstück abgeben zur Kulturgeschichte seines Zeitalters.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ueber politische Bildung