Abschnitt 3 - Wenn also die Quellen des Patriotismus so tief liegen, dann will es scheinen, ...

Wenn also die Quellen des Patriotismus so tief liegen, dann will es scheinen, als vermöchte zu ihnen die lehrhafte Tätigkeit einer wissenschaftlichen Anstalt nimmer hinabzudringen, ist doch ihr alleiniges Arbeitsfeld der Intellekt ihrer Jünger, d. h. die aus Vorstellungen und Begriffen gewebte Oberfläche der Seele, unter welcher in unnahbarer Tiefe erst Das ruht, was des Menschen Charakter und Werk ausmacht, die Summe seines Fühlens, Glaubens und Wollens. Wissenschaftlicher Unterricht kann nun einmal, direkt wenigstens, Gefühle nicht erzeugen; er soll aber nicht anregen wollen zur Äußerung von Empfindungen, die nicht vorhanden sind. Sündhaft und verkehrt zugleich wäre jeder Versuch zur künstlichen Aufzucht eines erheuchelten Patriotismus: sündhaft, weil das Gift der Heuchelei in der Brust des Jünglings den werdenden Charakter des Mannes zerrüttet, verkehrt aber, weil das Produkt einer solchen Züchtung nicht bloß politisch wertlos, sondern schädlich ausfallen muss, indem es, wie alle Falsifikate thun, das nebenan aufsprießende echte Gewächs diskreditiert und erdrückt.

Dieses echte Gewächs eines stillwarmen Vaterlandsgefühles keimt am liebsten abseits von den geräuschvollen Betätigungen jenes Afterpatriotismus, es bedarf und erträgt weder künstliche Düngung noch Treibhaus, es reist, wenn überhaupt, so von selbst unter dem Sonnenstrahl der Freude am heimischen Wesen.


Denn auch sie endlich, diese Freude, mit ihrer stillen und unscheinbaren Wirksamkeit, gehört zu den großen Faktoren des Patriotismus.

Als einen solchen hat sie vor dritthalb Jahrtausenden schon der geniale Volkskenner Perikles gewürdigt, als er das berühmte Grundmotiv zur Leichenrede wählte, durch welche der schwer gebeugte Patriotismus der Seinigen aufgerichtet werden sollte. Freude am Staat verknüpft mit dem Staat. Und hier zeigt sich uns zuerst ein Punkt, von dem aus unsere Hochschule allerdings patriotische Anregungen bewirkt, zwar zunächst noch nicht durch ihre Tätigkeit, wohl aber schon vermöge ihrer Existenz. In den glänzenden Mittelpunkt unseres weiten Reiches gestellt, mit Arbeitsmitteln und Kräften in besonders reichlichem Maße ausgestattet, äußerlich verkörpert und wohnhaft in einem der schönsten Paläste, welche deutsche Kunst nach italienischem Vorbild deutscher Wissenschaft erbauen durfte, bildet unsere Universität den natürlichen Gravitationspunkt für die wissensdurstige Jugend aller Länder und Völker unseres großen Vaterlandes. Tausende und aber Tausende mögen seit ihren Knabenjahren davon geträumt haben, hier dereinst ihre Bildung zu vollenden, vielen, sehr vielen war der Weg zu steil, oder widriges Schicksal hat sie abseits verschlagen, wenige Auserwählte nur sind an dieser Pforte angelangt - und ein jeder von Ihnen, verehrte Kommilitonen, ist einer von diesen Auserwählten. Mit gehobener Brust, aber zugleich dankbaren Sinnes betreten Sie darum das Weichbild unserer Hauptstadt, wohin die eigene Kraft zwar Sie geführt hat, aber doch nur vermöge der Weckung und Stählung dieser Kraft in den Kulturwerkstätten des Staates.

Die Hauptstadt allein schon bedeutet für den vorgebildeten jungen Mann Erweiterung des Gesichtskreises nach allen Richtungen, zumal auch in Hinsicht auf staatliche Dingen in diesem Hause aber, welches er für die Dauer seiner Studienjahre bezieht, nicht als Gast, sondern als berechtigter Insasse, für den es gebaut wurde, tritt ihm der Staat gleichsam körperlich entgegen, und zwar in der erfreulichen Gestalt als Geber. Wie mancher hat ihn bisher nur als Nehmer gekannt! vom Elternhaus her als den missliebigen Nehmer von Steuern, aus den Knabenjahren als den odiosen Polizeimann, die schönsten Wege der Erlustigung mürrisch verschließend. Hier aber begegnet auch dem politisch noch Blinden dieses unheimliche Etwas zum erstenmal freundlich winkend, mit vollen Händen. Licht und Schönheit, die ersehnte akademische Freiheit, die Aussicht auf ausgezeichnete Berufsbildung und auf Stillung jedes Durstes nach geistiger Nahrung durch gewaltige Bücherschätze und zahlreiche Lehrer, das alles winkt ihm aus unseren Hallen entgegen. Sollte da nicht ein Strahl der Freude am heimischen Staatswesen, dem Spender dieser Güter, die Seele des Eintretenden erwärmen? Und sollte diese Wärme nicht wachsen können zugleich mit der Erweiterung und Vertiefung der hier zu gewinnenden Bildung? jener Bildung, die Sie dereinst, neben schönen Erinnerungen aus der Hauptstadt, als köstliche Ausstattung fürs Leben in Ihre engere Heimat zurückbringen sollen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ueber politische Bildung