Die Pflicht neuer Untersuchung

Darum ist die Pflicht neuer Untersuchung überall da geboten, wo ein begründeter Zweifel erhoben wird gegen Dinge, die wir so fest zu glauben meinten, dass sie ein Stück unseres Daseins zu sein schienen. Die Pflicht kann nicht erspart werden. So steht auch in diesem Falle die Sache. Sie steht so, dass mit vollem Rechte jetzt schon an jeden Mann der eigentlichen Wissenschaft die Forderung gestellt werden darf, über Tilly keine andere Nachricht für wahr zu halten, als die auf sichern ursprünglichen Zeugnissen ruht. Die Lebensgeschichte Tillys kann wesentlich und hauptsächlich nur aus unmittelbaren Quellen geschöpft werden. Wir rechnen z. B. schon das Theatrum Europäum nicht mehr dahin. Denn schon dieses Werk im Jahre 1635, drei Jahre nach seinem Tode, ist getrübt zum Nachteile Tillys, *) und diese erste Trübung hat wesentlich und mächtig zu der ferneren beigetragen.

*) Man vergleiche Forschungen zur deutschen Geschichte, Band l. Heft 1 Seite 128 ff.


Es liegt hier unmittelbar die Frage nahe: welchen Grund konnte ein Frankfurter Gelehrter haben, die Geschichte Tillys zu entstellen? Der Grund liegt nicht fern. Vor der Schlacht bei Nördlingen gipfelte in Deutschland die schwedische Macht. Damals schrieb Abelin das Buch. Dasselbe erschien erst nach der Schlacht bei Nördlingen; aber auch damals noch war Frankfurt in schwedischen Händen, standen die Schweden mächtig in Deutschland da. Das Buch Abelins ist der schwedischen Auffassung angepasst.

Und abermals erwächst uns dann eine neue Frage. Angenommen auch, dies sei so, wird man uns entgegnen: welchen Grund hatten die Schweden, grade das Gedächtnis Tillys in solcher Weise zu verdunkeln und verdunkeln zu lassen? Warum, wenn Tilly ein Ehrenmann war, brachten sie nicht dem Überwundenen, der ihnen nicht mehr schaden konnte, die Anerkennung dar, welche der Feind auch dem Feinde schuldig ist? Warum hassten sie Wallenstein minder als Tilly?

Und hier allerdings berühren wir den Nerv der Sache. Früher oder später muss derselbe bloßgelegt werden, und wir zweifeln nicht, dass es einer Untersuchung, wenn sie kein anderes Ziel hat als die Wahrheit, einmal gelingen werde. Wir begnügen uns, hier eine Tatsache hinzustellen, die dafür von Wichtigkeit sein muss. Der erste Geschichtsschreiber, der ein lebhaft tadelndes Wort über Tilly ausspricht, ist der kalvinische Genfer Professor Spanheim.*) Derselbe schrieb im Jahre 1632 im Auftrage des Schwedenkönigs Gustav Adolf und nach schwedischem Materiale de Soldat suédois in französischer Sprache. Die hauptsächliche Tendenz dieses für Frankreich, nicht für Deutschland berechneten Buches ist der Nachweis, dass der Krieg Gustav Adolfs nicht ein Religionskrieg, sondern ein politischer Krieg gegen das Haus Österreich sei. Bis dahin enthält keine deutsche Flugschrift den Vorwurf einer Besonderen Grausamkeit gegen Tilly, auch diejenigen nicht, welche Magdeburg betreffen. Ich nehme selbst die eifrigste und heftigste von allen, die Magdeburgische Weltfackel, die ebenfalls 1632 erschien, davon nicht aus. Sie erwähnt nur kurz, dass das Wüten der Soldaten bei der Einnahme der Stadt dem Generale selbst nicht gefallen habe. Erst der Professor Spanhejm in Genf zeichnet 1632 das Bild Tillys, wie es seitdem in der Anschauung der Menschen Gestalt gewonnen hat. Doch ist Spanheim noch vorsichtig. Er setzt ausdrücklich hinzu:**) wenn es wahr ist, was man so beharrlich berichtet. Auf seine weitere Charakteristik Tillys hat diese seine Darstellung von Magdeburg noch keinen Einfluss. „In Wahrheit,“ sagt er, „war außer einigen solchen Flecken der Ruf Tillys makellos. Sein Mut, seine Tüchtigkeit, seine Erfahrung, das Vertrauen, dessen er sich unter den Kriegsleuten erfreute, sein Lebenswandel, die ausgezeichneten Dienste, die er seiner Partei erwiesen, konnten für ihn mit gutem Rechte den Namen eines der größten Heerführer seines Jahrhunderts in Anspruch nehmen.“

*) Cf. Bayle sub voce Spanheim.
**) Soldat suédois, I, 482.


Es ist merkwürdig, dass ein Mann, der bei dem entschiedenen, eifrigen Gegner seines Tuns, bei dem Urheber des bösen Namens für ihn, dennoch eine solche Beurteilung findet, dass ein solcher Mann durch zwei Jahrhunderte dem Wesen nach unbekannt in den Winkel geschoben werden konnte. Es ist ferner nicht ein Ruhm für die geschichtliche deutsche Wissenschaft, dass sie, die mit so eifriger Gewissenhaftigkeit jedem Buchstaben nachspürt, in welchem griechisches und römisches Leben für uns wiedererscheint, nicht einmal bislang das Leben eines Mannes einer genauen kritischen Untersuchung unterzogen, dessen Wirksamkeit, wie auch immer sonst das Urteil über ihn ausfalle, doch nach der Anerkennung aller Parteien von weittragender Einwirkung auf die Schicksale unserer Vorfahren war und mithin mittelbar auch unserer eigenen ist bis auf den heutigen Tag.

Dabei verkennen wir nicht, dass für den Grafen Villermont zwei andere Beweggründe mächtig eingewirkt haben mögen, grade ihn zu dieser Arbeit zu bestimmen. Er hat mit Tilly die engere Heimat gemein. Es ist der seit einer Reihe von Jahrhunderten blutgetränkte Boden südostwärts von Brüssel, wo jede Kirchturmspitze die Erinnerungen der Völker Westeuropas wachruft. Und ferner ist dem Schriftsteller mit seinem Helden gemein das Band der treuen Anhänglichkeit an ihre Kirche.

Die Auffassung und Darstellung Villermont's trägt das katholische Gepräge. Wir sagen dies weder zum Tadel noch zum Lobe, sondern lediglich, um den Standpunkt des Verfassers zu bezeichnen. Dagegen ist es mit Nachdruck hervorzuheben, dass Villermont abermals den urkundlichen Beweis führt, wie Tilly bei allem persönlichen Eifer für seine Religion, bei aller Gewissenhaftigkeit in der Erfüllung der Vorschriften derselben, niemals das getan, was man einen Glaubenskrieg führen nennt. Er weist nach, dass Tilly zu Heidelberg über die kalvinischen Geistlichen seine schützende Hand gebreitet, selbst auf die Gefahr hin, von München aus deshalb desavouiert zu werden. Also blieb es nicht aus. Tilly hatte die kalvinischen Geistlichen in Heidelberg dulden wollen. Sie mussten auf Befehl des Civilcommissarius, der sonst dem Feldherrn untergeordnet war, die Stadt verlassen.

Hier indessen liegt die Gefahr einer Verkennung der Handlungsweise Maximilians nahe. Es handelt sich in solchen Fällen weniger um eine Gewaltmaßregel gegen Andersdenkende, als um die Behauptung landesherrlicher Rechte, für welche jene Gewalt nur das Mittel war. Wenn nämlich Maximilian die kalvinischen Geistlichen zu Heidelberg allein um ihres Glaubens willen vertrieben hätte: so würde er oder Tilly in seinem Namen überall anderswo eben so gehandelt haben. Dies ist nicht geschehen.

Tilly hat gleich nachher Jahre lang in Hessen gestanden. Auch Moritz war dort reformiert und hatte sein Land zur Annahme desselben Bekenntnisses genötigt. So eifrig der hessische Geschichtsschreiber Rommel für den Landgrafen redet: so bringt er auf Tilly keine Anklage irgend welcher Art wegen Glaubensdruckes, es wäre denn, dass man die Nötigung, vom Besitze der Abtei Hersfeld abzustehen, hierherziehen wolle. Moritz allerdings befürchtet Religionsdruck, aber einen von seltsamer Art. Nachdem Tilly drei Jahre im Lande gestanden, vertraut Moritz seinen Räten in der Stille an: er wisse wohl, was Tilly beabsichtige. Tilly wolle das Land wieder lutherisch machen. Es dürfte, wie es scheint, keinen kräftigem, keinen zwingendem Beweis für unsere Behauptung geben, dass Tilly auch nicht den allerleisesten Eingriff in das kirchliche Wesen von Hessen verübt. Warum? Es fehlte ihm und seinem Kriegsherrn dazu alle und jede Berechtigung. In gleicher Weise handelt Tilly in Niedersachsen. Als der Dänenkönig dort, wie üblich, das Geschrei des Religionskrieges erhebt, erklärt Tilly auf dem Friedenstage zu Braunschweig mit vollem Nachdrucke: er fordere alle und jeden Geistlichen in Niedersachsen und dem ganzen Reiche auf. Sie möchten sich erheben und dartun, dass irgend einem unter ihnen jemals von ihm auch nur das geringste Unrecht und die geringste Gewalt widerfahren sei. Er ist überzeugt, dass sie vielmehr seines Schutzes in aller und jeder Beziehung sich zu erfreuen gehabt haben. Der Dänenkönig hat auf diese Forderung nichts geantwortet, und in der Tat beweist jeder Erlass, jede Proclamation Tillys in Niedersachsen, dass er sich den Schutz der Geistlichen besonders habe angelegen sein lassen. Der Grund liegt nahe. Er wollte keinen Religionskrieg. Es war sein Bestreben, dieser Behauptung jeden Grund und Boden zu entziehen.

In diesem Sinne muss auch der Kurfürst Maximilian, muss auch der Kaiser Ferdinand beurteilt werden. Von dem Beginne der Reformation an galt der Satz, dass der Landesherr über das Bekenntnis seiner Untertanen entscheide. Dies hatte da, wo die Untertanen im Vereine mit den Fürsten zur Reformation übertraten, gar keine praktische Schwierigkeit. Ja es empfahl sich sogar sehr. Denn sowohl Luther wie andere Reformatoren waren der Ansicht, dass zweierlei Religion nebeneinander in einem Lande nicht gut sei. Es ist nicht nötig, Unduldsamkeit als Beweggrund dieser Ansicht vorauszusetzen: sie hatte in dem Zusammenleben der Menschen, namentlich so lange die Anrechte an geistliches Besitztum nicht scharf geschieden waren, ihre tiefe Begründung. Wir sehen diesen Satz von der Macht und Autorität der Obrigkeit in Dingen innerhalb des Protestantismus allgemein praktisch wer den. Der Religionsfriede von Augsburg gab diesem Verfahren den staatsrechtlichen Ausdruck für das deutsche Reich in dem Satze des: cujus regio, ejus religio. Von diesem Tage an erschien das sogenannte Reformationsrecht als der Gipfel und die Blüte der landesherrlichen Befugnisse. In Folge dessen sehen wir die Pfalz innerhalb zwanzig Jahren viermal ihr Bekenntnis ändern, weil jeder neue Landesherr seinen eigenen Glauben zum Landesglauben macht. Man mag diese gefährlichen Konsequenzen beklagen und bedauern; aber man hat kein Recht, die Einzelnen anzuklagen, die Jeder für sich auf ihre Weise es ehrlich und redlich meinten und innerhalb der Grenzen ihrer Befugnisse zu handeln glaubten. Wenn ein Fehler da war: so fiel er nicht den Einzelnen zur Last, sondern dem Systeme, der Anschauung der Zeit, aus welcher das System entsprungen war.

Innerhalb des Katholizismus wurden einige Versuche gemacht, auch dorthin den Satz zu übertragen, Sie blieben vereinzelt und schwach, bis erst Ferdinand von Steiermark das System mit Nachdruck hinübernahm, nicht als Kaiser, sondern als Landesfürst. Das Reformationsrecht war ein Ausfluss der Landeshoheit: cujus regio, ejus religio. Ferdinand argumentierte so: kraft des Rechtes der Landeshoheit, aus welcher das Reformationsrecht fließt, duldet ein jeder protestantische Fürst innerhalb seines Landes nur die Religion, zu welcher er selbst sich bekennt. Kraft desselben! Rechtes dulde ich in meinen Ländern fortan nur diejenige Religion, zu welcher ich selbst mich bekenne. Er machte diese Worte zur Tat.

Allein weiter darüber hinaus ging er doch auch nicht. Indem er dem Kurfürsten von Sachsen als Entschädigung für die aufgewendeten Kriegskosten die Lausitz überließ, fand Ferdinand es in der Ordnung, dass der Kurfürst von Sachsen dort als Landesherr das Luthertum befestigte und den Katholizismus nicht duldete. Friedrich von der Pfalz hatte durch seine Rebellion, bis er sich zur Abbitte und Genugtuung bequemte, nach der Anschauung des Kaisers seine Länder verwirkt. Der Kaiser hatte über dieselben einstweilen dem Kurfürsten Maximilian von Bayern das Recht der Landeshoheit übertragen. Das Reformationsrecht war ein Ausfluss der Landeshoheit. Mithin erschien es in der Ordnung, dass Maximilian von diesen Ländern dasselbe Religionsbekenntnis forderte, welchem er zugetan war. Es erschien so sehr in der Ordnung, dass keiner der protestantischen Fürsten eine Beschwerde darüber an den Kaiser brachte. Sie konnten Fürbitten, Verwendungen einlegen: das Prinzip durften sie nicht anfechten. Der Religionsfriede von Augsburg war ein Grundgesetz des Reiches. Er sicherte einem jeden Fürsten die Befugnis, innerhalb der Grenzen seines Gebietes das Bekenntnis der Untertanen festzustellen nach der persönlichen Überzeugung des Fürsten. Das Rütteln an diesem Grundgesetze und zwar zu einer Zeit, wo der Kaiser mächtig in Waffen stand, konnte gefährliche Folgen nach sich ziehen.

Darum denn auch stehen die mächtigern deutschen Fürsten des Protestantismus bis zum Restitutionsedikte auf der Seite des Kaisers. Wir sehen die Herzöge von Weimar eifrig gegen den Kaiser. Sie haben einen andern Grund als den der Religion. Die Nachkommen Johann Friedrichs haben es nicht verschmerzt, dass Karl V. ihrem Ahnherrn die Kurwürde genommen, um sie an Moritz zu geben. Wir sehen den Markgrafen Georg Friedrich von Baden-Durlach sich gegen den Kaiser erheben. Auch dort sind zwei Linien, und der Durlacher glaubt sich von den Reichsgerichten übervorteilt gegen die katholische Linie des Eduard Fortunatus. Wir sehen Moritz von Hessen-Kassel in beständiger Konspiration mit Holland und Frankreich. Moritz hadert mit seinem Vetter von Darmstadt über die Erbfolge in Marburg, und der Kaiser, die Reichsgerichte, die eigene Ritterschaft des Moritz sind dem Darmstädter geneigt. Auch zwischen den beiden Hauptlinien des Welfenhauses ist Streit. Diejenige von Lüneburg-Celle ist kaiserlich gesinnt. Der Herzog von Wolfenbüttel schwankt; aber sein jüngerer Bruder, der wilde Herzog Christian, stürzt sich rastlos in den Krieg. Von einem Beweggrunde der Religion ist bei allen diesen nicht die Rede. Erst das Restitutionsedikt bringt eine Wendung. Zwar handelt es sich auch dabei nicht um die Lehre von der Rechtfertigung allein durch den Glauben, sondern um die Rückgabe von Kirchengütern. Dennoch konnte sich in Folge dessen, weniger bei den Untertanen als bei den Fürsten, die Möglichkeit der Idee eines Religionskrieges erheben. Und hier nun ist es von großer Wichtigkeit, wie Villermont dies Edikt auffasst und darstellt. Man hat in Deutschland von protestantischer Seite immer viel Wesens daraus gemacht, dem Kaiser das formelle Recht zu diesem Edikte zu bestreiten.

Ist das die Hauptsache? Villermont spricht dem Kaiser das formelle Recht zu. Aber dann fällt er sein schweres Urtheil: das Restitutionsedikt ging hervor aus Ehrgeiz und Eigennutz, und war dem Geiste der Kirche entgegen. Er legt dies ausführlicher dar. Es will uns scheinen, dass die Bedeutung des Restitutionsediktes noch niemals vom katholischen Standpunkte aus so scharf verurteilt sei, als hier in diesem Buche. Um so erfreulicher ist dann der weitere Nachweis, dass Tilly nach Maßgabe seiner Kraft und Stellung auf dem Collegialtage zu Regensburg Alles aufgewendet, um im Verein mit dem Kurfürsten Maximilian, wenn nicht eine Rücknahme des Ediktes, die wegen der nötigen Schonung des kaiserlichen Ansehens nicht möglich war, doch eine Vertagung auf vierzig Jahre zu erwirken. Es gelang nicht, und Tilly ward ersehen, in den Riss zu treten für die Sünden Anderer, die er eifrigst widerraten. Es war das Los, das diesem Manne so oft widerfuhr. Der einundsiebzigjährige ruhebedürftige Greis brachte das Opfer dar, noch einmal die Führung zu übernehmen, und zwar diesmal gegen den gefährlichsten Feind, den er selbst als solchen längst erkannt. Er brachte das Opfer dar, mit dem Kommando des ehemals Wallensteinischen Heeres das Erbteil des Hasses zu übernehmen, welches dieser bei den Deutschen verschuldet. Denn man sehe das Meer von Klagen, welches die deutschen Fürsten und Stände 1630 zu Regensburg dem Kaiser über Wallenstein einbringen. Man suche dort und anderswo nach gleichen oder ähnlichen Beschwerden über Tilly. Sie sind nicht vorhanden.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ueber einige Männer des dreißigjährigen Krieges