Über ein altes Boot oder Schiff von Doberan

Autor: Lisch, G. C. F., Erscheinungsjahr: 1873
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Doberan, Ostseesturmflut 1872, Boot, Einbaum
Die gewaltige Sturmflut vom 13. November. 1872, welche die Ostseeküsten so ungeheuer verheert hat, hat in der Gegend des Seebades am „Heiligen Damm“ bei Doberan ein seltenes altes Wasserfahrzeug ans Licht gebracht.
Hinter den Stranddünen des „Heiligen Dammes“ östlich von den Häusern des Seebades erstreckt sich eine weite Wiesenniederung wohl eine Meile weit gegen Süden in das Land hinein, an dem Dorfe Börgerende und dem langen Dorfe Rethwisch entlang.
Durch diese Niederung fließen die vereinigten lebendigen Bäche von dem Flecken, der ehemaligen Zisterzienser-Mönchs-Abtei, Doberan und der Umgegend her. Am Ende dieser Niederung im Norden, nicht weit von den Stranddünen, liegt ein ziemlich großer Süßwassersee, welcher der Conventer-See *) heißt, ohne Zweifel, weil früher die Fischerei in dem See dem Mönchs-Convente des Klosters diente, ein bekannter Aufenthalt der wilden Schwäne.
In diesen See fließen an dem Südende die genannten Bäche, welche jetzt vereinigt sind und als ein Fluss wohl die Dober oder Daber genannt werden. Im Norden, nicht weit vom Ostseestrande oder dem "Heiligen Damm", hat der See durch die Dünen einen Ausfluß ins Meer, welcher die Jennewitz heißt, mit einer Schleuse in den Dünen, durch welche das überflüssige Wasser des Sees ins Meer, bei niedrigem Wasserstande desselben, gelassen wird.
Früher bildete das einfließende Wasser drei Bäche oder Flüsse, von denen der mittlere, die Dober, in das Südende des Sees floss und noch fließt. Links und rechts, oder im Westen und Osten, flossen zwei
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*) Nach einer Sage in und bei Doberan soll hier früher ein Fischer Namens Convent gewohnt haben, welcher ein Haus am See besaß und dem See den Namen gab. Der See wird aber wohl richtiger von dem „Convent-Fischer“ des Klosters, als von einem „Fischer Convent“ den Namen haben. Der See wird auch wohl der Conventer See genannt.
andere Bäche in den See. Diese Nebenarme sind aber längst hoch zugewachsen, zugeschüttet und überwachsen, jedoch sind die früheren Wasserbetten noch zu erkennen.
Ohne Zweifel war in den allerältesten Zeiten die ganze Niederung ein Gewässer und die ganze Wiesendecke ist jetzt noch nicht dick und liegt wahrscheinlich auf einem Sumpfe.
Am frühen Morgen des 13. November. 1872 durchbrach nun die gewaltige Sturmflut die breiten und hohen Stranddünen *) und das Meer überflutete brandend und verwüstend wohl eine Meile lang die ganze Niederung und auch einen großen Teil des langen Dorfes Rethwisch, wo es viele Häuser umwarf, viel Vieh ertränkte und tausendfältigen Schaden anrichtete. Noch am Ende Mai 1873 hingen vertrocknete Seetang-Fäden und Pflanzenwurzeln aus der Flut, fast eine Meile weit vom Strande, in den Wipfeln der blühenden Obstbäume und der Weidenbäume an dem Landwege.
Durch diese gewaltige Naturrevolution ward nun ein uraltes Wasserfahrzeug tief aus der Wiesenniederung ans Licht gefördert. In der Wiese hinter dem Gehöfte des Erbpächters Hesse zu Rethwisch, ungefähr 300 Schritte von dem Conventer-See entfernt, nach dem Dorfe Rethwisch hin, ward nach dem Versiegen des Wassers ein altes Boot oder Schiff gefunden. Das Boot hatte 12 Fuß tief unter der Rasendecke der Niederung gelegen und war ohne Zweifel durch einen unterirdischen Seitendruck der gewaltigen Wassermasse so in die Höhe gedrängt, dass der Schnabel oder das Vorderteil 12 Fuß hoch aus der Wiesendecke in die Luft hineinragte. Ohne Zweifel hatte das Fahrzeug in dem Bette des dritten, östlichen ehemaligen Flussarmes gelegen. Auch sonst in der Nähe des Fundortes des Schiffes hatte die
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*) Von der furchtbaren Gewalt der Sturmflut kann man sich einen Begriff machen, wenn man vernimmt, dass bei dem Seebade Doberan der aus Steinen bestehende "Heilige Damm" über den Haufen geworfen, die Dünen weggeschwemmt, die Ufer zerrissen und die hohen Ebenen überschwemmt wurden, ja dass sogar ein mit Brettern beladenes finnisches Schiff vom Meere über den Heiligen Damm und die Dünen geworfen und tief im Lande auf eine Höhe am Buchenwalde gesetzt ward, wo es abgebrochen werden musste.

Flut die Wiesendecke zu Hügeln empor getrieben. Darauf ward das Fahrzeug frei und auf die Wiese gelegt.
Am 30. Mai 1873 besuchte ich 1) die Gegend und auch das Wasserfahrzeug, welches jedoch schon fast ganz zerfallen war und sich nicht hatte erhalten lassen, obgleich schon bald nach der Sturmfluth Bedacht darauf genommen war 2). Ich fand noch den Kiel oder Boden, einige Seitenstücke und die beiden Enden vor, jedoch in völlig morschem Zustande, so daß sich nichts mehr erhalten und transportieren ließ.
Das Boot oder der Kahn ist aus einem einzigen mächtigen Eichen stamme gearbeitet ("Einbau"). Es ist 30 Fuß Hamburger Maß lang, oben 5 Fuß breit, im Boden 3 Fuß breit und an den Seiten gegen 3 Fuß hoch. An jedem Ende ist eine kleine Abtheilung ausgehöhlt; die Querwände dazu sind auch aus dem Eichbaum gearbeitet. Wie das Fahrzeug gearbeitet gewesen ist, ließ sich nicht mehr ermitteln, da alle Oberflächen sehr vergangen und zerstört waren. Jedoch fand ich auf der inneren Fläche noch kleine Stücke schwarzen Holzes, welche ich zwischen den Fingern zu schwarzer Farbe zerdrücken und zerreiben konnte. Das Fahrzeug scheint also durch Ausbrennen gemacht zu sein.
Wozu das Fahrzeug gedient hat, ist ebenfalls schwer zu ermitteln, da alle Anzeichen für die Bestimmung fehlen. Die Abtheilungen an den Enden scheinen für ein Fischerboot zu sprechen. Dazu ist aber wohl das Fahrzeug zu lang und zu schwer für kleine Gewässer. Eher lässt sich vermuten, dass es zu Meerfahrten gedient hat und "seehaltig" gewesen ist, also eine Art Schiff.
In diesem Falle würde das Fahrzeug den allerältesten Zeiten angehören. Jedenfalls ist es sehr alt und der Fund sehr selten.
Ein Seitenstück zu dem Doberaner Boot oder Schiff bildet, wenigstens in den Lagerungsverhältnissen, das vielfach besprochene Danziger Schiff, welches wohl ungefähr um dieselbe Zeit ans Licht gekommen ist. Bei der Anlegung eines neuen Hafenbassins für Danzig bei dem Dorfe Brösen
entdeckte man, 1000 Fuß vom Strande landeinwärts, im tiefen Seesande, 15 Fuß tief, das Wrack eines ehemals hier gestrandeten, noch ziemlich wohl erhaltenen, jedoch hin und wieder zerbrochenen Fahrzeuges. Dieses Danziger Fahrzeug ist aber schon ein Schiff im neuern Sinne des Wortes. Es ist 57 Fuß lang, 16 Fuß breit und 5 Fuß tief, aus eichenen Rippen und gespaltenen Planken erbauet, ohne Spuren von einem Steuerruder. Die Beobachter und Forscher schreiben diesem Schiffe aus geologischen Gründen ein Alter von 600 Jahren oder ein noch höheres Alter zu. Die Beschreibung und Beurteilung dieses Fundes ist mitgeteilt in der Illustrierten Zeitung, Leipzig 1873, Nr. 1542, Jan. 18, S. 43, mit einer Abbildung des Fahrzeuges in der Grube das. S. 44.

Das Doberaner Fahrzeug ist dagegen ein Einbaum und lässt nach allen Zeichen auf ein viel höheres Alter schließen.

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1) Die Beförderung und Führung verdanke ich der kundigen Teilnahme des Herrn Amtmanns von Lützow zu Doberan.
2) Die erste Nachricht von dem Funde und Bemühungen um die einstweilige Erhaltung verdanke ich dem Herrn Oberforstmeister von Wickede zu Doberan.

G. C. F. Lisch.