Abschnitt 11

Über die niedreren Stände
auf dem
flachen Lande in
Meklenburg-Schwerin


Alte Volkslieder scheinen zu fehlen; aber zahlreich ist die Menge von Mährchen, Sagen (Läuschen), z. B. von verwünschten Prinzessinnen, von den Hünen, welche gewaltig große und starke Leute gewesen sind, und immer das Vieh gehütet haben, bis sie am Ende ausgestorben, oder durch Verheirathung sich unter dem kleineren Geschlechte verloren haben. Sie sollen alle Kirchen im Lande (eine Sage bei Doberan), außer der zu Stäbelow, erbauet haben; wie wäre es anders möglich gewesen, meinte ein Bauer, die großen Feldsteine oben ins Gemäuer zu bringen? - Manche Fabel, worin aber nur Thiere, niemals Bäume, reden, geht rund, und noch jetzt deutet man im Scherze die Töne mancher Thiere, vielleicht aus Vorliebe für Onomatopoien.


Religiosität ist so ziemlich allgemein vorhanden. Gewöhnlicher Trost bei den größten Unglücksfällen ist: es hätte noch schlimmer werden können; Gott sei Dank! Nur der Arm ist zerbrochen Gott nennt man nie ohne das Beiwort „lieb“ - leiw, ebenso auch oft Sonne, Mond, Erde, Brot. Mit großer Andacht wird der Altar zwei- bis viermal jährlich besucht, und zu dem Krankenbette beständig der Prediger gefordert. Unter den größten Schmerzen siehet man oft Menschen dem Tode mit einer erhebenden Fassung entgegen gehen, die - man nenne sie nicht Stumpfsinn - nur das Eigenthum einer hoffenden Seele sein kann, aber leider! oft den vornehmeren Standen fehlet, die nicht selten Religion nur für eine Angelegenheit des einfältigen Pöbels halten. - Redlichkeit und Treue ist Gewohnheit; nur Holzfrevel und Entwendung eßbarer Sachen (Mundraub) rechnen die Bauern nicht immer unter Diebstähle. Der das Holz aus harter Erde und das Obst aus hartem Holze hat wachsen lassen, sprechen sie, der ist so hart nicht; es ist für einen jeden. - Die Tugend der Versöhnlichkeit wird auch ihnen sehr schwer, und einige Gegenden überschreiten in Hinsicht der Keuschheit alle Gränzen der Zucht, besonders auf manchen Höfen, wenn das Beispiel der Vorgesetzten schlecht ist; daher denn zunehmende Armuth, öfterer Familienzwist und Mangel an Segen bei der Kinderzucht; andere freuen sich einer besseren Sitte, z. B. Warnemünde. - Ueber manche schlechte Neigungen belehren herrliche Sprichwörter, z. B. wär ümmer up sienen Kopp besteiht, dei kümt am Ennen ok up den Kopp tau stahn - wer immer auf seinen Kopf besteht, der kommt am Ende auch auf dem Kopf zu stehen.

Obgleich höchst gemüthlich und heiter, scheinen die meklenburger Bauern nicht frei von Mißtrauen zu sein, es möchte denn irgend etwas Wundersames oder Abergläubisches erzählt werden. Aus Mißtrauen behalten sie lieber ihre kleine Baarschaft bei sich, als daß sie dieselbe immer zinsbar belegen sollten. Aus Mißtrauen bleiben sie gerne bei der alten Sitte in der Arbeit und im Hause, und sagen lieber ja zu Allem, was ihnen gesagt und gerathen wird, als daß sie ihre rechte Meinung vorbringen sollten. Aus Mißtrauen gebrauchen sie selten Arznei, sondern lieber Hausmittel und Quacksalbereien, oder sterben elendiglich, indem sie sagen:

wer wol kümt in Docters Hännen,
dei kümt ok bal tom Ennen,

d. h. wer da kommt in Doctors Hände, der kommt auch bald zu Ende, und: wotau hewwen fünst dei Awtheikers das Gift in dei Awtheik? d. h. wozu haben sonst die Apotheker das Gift in der Apotheke? - Der Scharfrichter kennt auch den menschlichen Körper, meinen sie. - Die Gerechtigkeit betrachten sie als ein System von Ungerechtigkeiten, das zuweilen darauf ausgeht, einen Unschuldigen anzufallen, um Geld zu kriegen. Daher der häufige Wechsel der Advocaten bei Processen und die Sprichwörter: dörch Schaden wart man klauk; wo dei Tun am siedsten is, is am lichsten äwerstiegen; ick hört tau, wat der dei Klock slaug; dat Gericht will ok läwen, un jeder helpt sick, fo gaud hei kan - d. h. durch Schaden wird man klug; wo der Zaun am niedrigsten ist, ist am leichtsten überzusteigen; ich hörte zu, was da die Glocke schlug; das Gericht will auch leben, und jeder hilft sich, so gut er kann. Noch immer findet wegen des siebenjährigen Krieges der Preuße kein Zutrauen bei dem Bauer; daher hört man von preußischen Kniffen, preußischer Waare - schlechter Waare.

Ein hoher Grad von Menschenkenntniß wird dem meklenb. Bauer durch dieses stete, vorsichtige Aufmerken eigen, und er dürfte im Handel den gewöhnlichen Städtern oft weit überlegen sein. Auch darf man behaupten, daß der den Bauer nie ganz kennen lernet, den derselbe zu fürchten hat. - Hat derselbe aber irgend Jemanden sein Zutrauen geschenkt, so verliert er es nicht leicht wieder. - Unerschrocken, wenn es Noth thut, fürchtet man dennoch überall das Soldatenleben, weil es dabei Körperzwang und Schläge giebt.