Abschnitt 10

Über die niedreren Stände
auf dem
flachen Lande in
Meklenburg-Schwerin


Die Kinder wachsen auf, indem sie Winters und Sommers draußen spielen. Kränkliche sterben wegen Mangel an Aufsicht; nur gesunde werden groß. Bei gelinder Witterung gehen sie baarfuß, oft in Hemden, und schlafen in der Sonne. Das Mädchen unterscheidet man an einer Mütze aus 3 Stücken, den Knaben an einer aus vielen Stücken, deren Keile alle am Hinterkopfe in einen Stern zusammenlaufen. Der Heidendreck (schorfähnliche Schmutz auf dem Vorkopfe) wird gewöhnlich mit Sorgfalt abgemacht. 5 bis 6 Jahre alt, gehen sie Winters in die Schule, während sie Sommers schon die Gänse zu hüten pflegen. Nach vollendetem 14. Jahre werden sie eingesegnet, wenn sie lesen können, den Katechismus wissen und mit der Bibel bekannt sind. Wenige lernen schreiben, und das meistentheils nur Knaben, rechnen noch wenigere. Die Eltern scheinen zuweilen den Töchtern das Schreiben zu verwehren, aus Furcht, sie möchten sonst Liebesbriefe schreiben.


Von einem schweren Kranken sagt man: seit drei Nächten habe ich kein Licht bei ihm ausgehabt. Eine, unter das Bette gesetzte Schüssel mit kaltem Wasser schützet gegen das Wundliegen. Phantasirt der Kranke, so legt man ihm zuweilen einen todten Pferdekopf unter das Kopfkissen; der Dunst macht ihn sofort ruhig. Schon vor dem Tode pflegt man das Maaß zum Sarge und Todtenhemde zu nehmen. Stirbt er, so wird er sogleich aus dem Bette genommen, gewaschen und angekleidet, ehe er erstarrt. Den Tod sucht man ihm zuweilen durch Wegnahme des Kopfkissens zu erleichtern, besonders deshalb, weil man fürchtet, es möchten einzelne Federn darin sein, die den Tod erschweren. Dann werden die Glocken geläutet (Scheidelklocken). Bei der Beerdigung am dritten Tage wird das ganze Dorf, bei armen Verstorbenen um Gottes willen, gebeten, und jedes Haus ist gehalten, einen Folger zu senden. Im Sterbehause der Wohlhabenden wird zuvor Branntwein und Semmel (Stuten) gereicht; zuweilen wird auch nach der Beerdigung den Freunden ein tüchtiges, aber stilles Gastmahl gegeben; das nennen sie scherzweise: dei Hut vertären - die Haut verzehren. - Am Tage der Beerdigung gehen des Morgens zwei Männer hin, das Grab zu bereiten, wobei sie zweimal läuten. Kommt der Leichenzug um Mittag auf die Feldscheide des Kirchdorfs, so beginnen wiederdie Glocken, bis derselbe den Kirchhof erreicht. Hier wird der Sarg auf die Bahre gesetzet, ein stilles V. U. gebetet und ein Gesang gesungen. Dann wird die Leiche von verheiratheten oder unverheiratheten Männern, je nachdem der Todte es war, unter Glocken und Gesang einmal um die Kirche getragen, damit er nicht wieder komme. Prediger und Küster gehen vor der Leiche her, die Männer folgen, und hinterher die Frauen, Verwandte zuerst. Zuweilen wird die Leiche in die Kirche gebracht, und eine Rede vom Altar (Sermon, Abdankung) oder von der Kanzel (Leichenpredigt) gehalten. Nach dem Zuwerfen des Grabes (Kuhle) wird wieder still gebetet, worauf Alle weggehen. - Sorgfältig hütet man sich, dem Todten etwas von fremdem Zeuge mit in den Sarg zu geben, aus Furcht, er möchte den, dem es gehört, nachholen. Auch darf ihm kein Zipfel der Bekleidung in den Mund fallen, weil sonst die Seinigen bald folgen; ein Rasenstück pflegt ihm deshalb zur Befestigung des Gewandes auf der nackten Brust zu liegen. Auf die Bahre darf Niemand aus eben dem Grunde sich setzen. Im Sterbehause (bei Dargun) wird gemeiniglich von dem Standorte der Leiche bis zur Thüre nach der Entfernung derselben Asche gestreuet. Zu Warnemünde wird die Leiche die Nacht vor der Beerdigung auf die wohl erleuchtete Diele gestellt, und die Verwandten sitzen als Wache (Wak) in der Stube, suchen die Gesänge zur Beerdigung auf und schmauchen; die jungen Leute machen dann auf der Straße allerlei Kurzweil. Die Todtenfrau ruft dort, die Straßen durchlaufend, die Folger in der Stunde der Beerdigung mit lauter Stimme zusammen.

Der Meklenburger ist zu mechanischen Arbeiten sehr aufgelegt, ja es ist fast kein Dorf, in dem nicht mehrere sich finden, die ohne weiteren Unterricht Haus- und Ackergeräthe zu machen verstehen, selbst zuweilen Gefäße mit länglich-rundem Boden. Der Schulze zu Ziegendorf bei Grabow verfertigt gute Tischuhren. Der Statthalter Buller, der erst zu Hof Grabow, dann zu Brusow und endlich zu Kl. Bölkow wohnte, hatte ohne alle Anleitung sich eine Drehorgel gemacht und ein Fortepiano fast vollendet, als er starb. Ein junger Mensch zu Heiligenhagen spielt auf einer selbstgemachten Flöte zum Tanze. Ein Pferdehirte zu Rittermannshagen schnitzte Hunde, Pferde, selbst Menschenköpfe ganz leidlich aus Holz. Daß besonders Musiksinn reichlich vorhanden sei, sieht man an den gewöhnlichen Spielleuten, die gemeinhin ohne Beihülfe die Violine erlernen, selbst zuweilen das Klarinet, und jede vorgesungene Melodie ungesäumt nachspielen. Bei den Hirtenhin und wieder um Dargun findet sich auch eine Art Schalmei, etwa 4 Fuß lang, unten sehr weit, von Tannenholze gemacht, mit Pechdraht umwunden, und stets feucht gehalten. Der Ton gleicht dem eines Serpent. Dort gießt mancher Bauer sich die Rockknöpfe aus Blei mit dem Bilde eines Pferdes.

Das Gedächtniß ist bei den meisten sehr stark; es giebt Beispiele, daß ein Bauer eine ganze Predigt herbeten kann, die er so eben hörte. Das Combinations-Vermögen, und mithin Witz und Laune, die freilich zuweilen ins Schmutzige zu streifen liebt, scheint ungleich stärker als Scharfsinn. - Der Kalender ist ihnen das non plus ultra geistiger Arbeiten; daher Kalender machen - im tiefen Nachdenken brüten, sich schweren, unnöthigen Sorgen ergeben. Derselbe und Katechismus, Bibel, Gesangbuch sind fast die einzigen Bücher. Fürs Erste ist noch an nichts weiter zu denken. - - - -