Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt

Der langen Wimpern seidenes Haar.
Drum erhebe den Blick, schlag’ die Dschadra zurück.
Dir selbst zum Triumphe, den Menschen zum Glück!


Und wenn unser Dichter aus seiner optimistischen Weltanschauung ja einmal unsanft emporgerüttelt wird durch die Wahrnehmung, dass in der Welt doch so manches besser sein könnte, er verzagt nicht. Das Unglück, sagt er, kann die Weisheit nicht, doch Weisheit kann das Unglück tragen. Sein Rezept in diesem Falle ist:


Verscheuch den Gram durch Liebsgekose
Durch deiner süßen Lieder Schall,
Nimm dir ein Beispiel an der Rose,
Ein Beispiel an der Nachtigall!

Die Rose auch, die farbenprächt'ge,
Kann nicht der Erde Schmutz entbehren,
Und Bülbül*) selbst, die Liedermächt'ge,
Muss sich von schlechten Würmern nähren.


Solche, nur der äußeren Szenerie nach an den Orient noch erinnernde Lieder in anakreontischer Weise, die das Lob des Weines oder der Geliebten singen, finden wir sonst nur noch sporadisch. Frauenliebe soll nicht profaniert werden, Frauenliebe gehört nicht in Gedichte, deren sich möglicher Weise der große Haufen bemächtigt. Ehe ich Ihnen nun aber, verehrte Anwesende, andeute, welchen Surrogats der persische Dichter für die in das Harem gebannte Frau sich bedient, finde hier noch die Bemerkung Platz, dass auch die Liebe selbst, als Regentin des Weltalls, als die mächtigste Leidenschaft und das stärkste Motiv für den Willen, Gegenstand der Poesie wird. Ich gebe Ihnen ein Beispiel von Ferideddin Attar**), einem Dichter des 12. Jahrhunderts.

Die ganze Welt ein Marktplatz ist der Liebe,
Ist wohl ein Ding, das fern von Liebe bliebe?
Ein Liebeszeichen schuf Gott jedem Wesen,
Das kannst sogleich du an der Stirn ihm lesen,
So Erd' wie Himmel, Sonne, Mond und Sterne,
An jedem glänzt das Liebesmahl von ferne.
Von Liebeslust sind All' entglommen.
Viel tausend Jahr sie nicht zu Sinnen kommen,
Zur Erde berauscht die Häupter Alle neigen.
Von Jedem heischt die Lieb' geheimes Schweigen.
Was suchen alle Wesen emsig? Liebe!
Und folgen sie nicht dem Verbindungstriebe,
So sprechen mit sich selbst sie von der Liebe.


*) Name für die persische Nachtigall.

**) Geboren 1119, Verfasser des „Kleinods der Substanz“, der „Vogelgespräche“ und des „Buch des Rathes“.


Schon längst gehör’ ich in der Liebe Orden,
Schon längst ist Liebe mir mein Tempel worden.
Wer's übernimmt, der Welten Glanz zu singen,
Der muss fürwahr auch in die Liebe dringen.


Welches ist aber der Ersatz für die fehlende Geliebte? Meine Antwort ist ein Hinweis auf eine in den Sitten des Orients begründete Erscheinung, die sich ganz von selbst als Surrogat für den mangelnden Verkehr mit Frauen darbieten musste. Wie nämlich im alten Griechenland hauptsächlich infolge der geringen Teilnahme des weiblichen Geschlechts an dem Geräusche des Tages jene leidenschaftliche Freundschaft unter Männern Wurzel fassen konnte, die auch der griechischen Erotik ein so eigentümliches Gepräge verleiht, so hat auch in Persien dieselbe Ursache dieselbe Wirkung hervorgebracht, nur dass hier das angedeutete Verhältnis noch ausgeprägter auftritt, noch mehr Ausfluss des Nationalcharakters ist. So beginnt Sadi*) eine seiner Erzählungen im Buche der Liebe (das übrigens, mit Ausnahme der oben citirten Stellen, nur Beispiele der Männerfreundschaft enthält) mit folgenden Worten: „In meiner frühen Jugend hatte ich, wie das so zu geschehen pflegt und wie du weißt, ein Liebesverhältnis mit einem jungen Menschen von lieblicher Stimme etc.“ Ich brauche Sie nicht erst darauf aufmerksam zu machen, wie bezeichnend die Worte: „Wie das so zu geschehen pflegt“ in diesem Zusammenhange sind.

Diese Nationaleigentümlichkeit der Perser ist nun für eine reiche Fülle erotischer Lieder — nicht bloß der leichten anakreontischen Gattung, sondern auch der tiefsten, gedankenreichsten Dichtungen — das Grundthema geworden. Es ist wohl überflüssig zu bemerken, dass dem wahren Dichter trotz des überschwänglichen, sinnlich - phantastischen Ausdrucks in den Liedern dieser Gattung, nur der reine, edle Eros vorschweben kann, wie ihn von der realen Seite das griechische Sparta und Thebens heilige Schaar repräsentiert, wie ihn, ideal gefasst, Plato in seinem Gastmahl und Xenophon in der Schrift mit dem nämlichen Titel durch Sokrates' Mund verherrlicht hat. Und wie tief und edel die Perser selbst diesen innigen Umgang mit Männern gefasst haben, davon zeugt eine Stelle aus Sadis „Rosengarten“, wo es heißt:

Ein Jüngling war von sanftem Sinn und Leben,
Der einem lautern Antlitz sich ergeben.
Einst fielen sie bei einer Meeresfahrt
In einen Strudel, den sie nicht gewahrt.
Ein Schiffer kam, um Irans Hand zu fassen,
Eh' noch das teure Leben ihn verlassen,
Doch rief er mitten aus dem Wogen brand:
Lass mich und fasse schnell des Freundes Hand!
Indess er sprach, sah er die Welt zerrinnen.
Mit diesem Wort' entschwanden seine Sinnen.


Der Dichter fügt dem noch bei, dass so stets wahre Freunde handeln werden, dass das Herz einzig für den Geliebten sorgen muss, vor dieser Sorge die ganze Welt dem Blicke entschwinden soll.

„Denn Sadi weiß, wie's in der Liebe geht,
Wie man Arabisch in Bagdad versteht.“


*) Sadi (geboren 1175, gestorben 121)2?), ohne die dem Orient eigene Tiefe und Überschwänglichkeit und darum dem europäischen Genius näher stehend, Verfasser des „Rosengarten“, „Lustgarten“, eines „Buch des Käthes“ und eines „Divan“.

Zur genaueren Kenntnisnahme der hier einschlagenden Verhältnisse verweise ich Sie auf das schon erwähnte Buch der Liebe in Sadis „Gulistan“ und auf das fünfte Buch von Dschamis*) Frühlingsgarten, welches den Titel führt: „Nachtigallen im Garten der Liebe.“ Die lyrischen Sachen des letzterwähnten Dichters, die vier Sammlungen füllen, behandeln zumeist diese Richtung der Liebe und ihre reale Erscheinung. Und da uns Rückert in gewohnter Meisterschaft eine reiche, herrliche Anthologie des Besten aus diesen Sammlungen in Übersetzungen gegeben hat, so stehe ich nicht an, Ihnen, verehrte Anwesende, einige Stellen mitzuteilen, die ebenso von des Dichters wie des Übersetzers pikanten und witzigen Manieren, und von dem ironischen Wetterleuchten, das durch diese Gedichte zuckt, das beredteste Zeugnis ablegen.

*) Dschami (geboren 1419, gestorben 1492), der letzte große Dichter der romantischen Poesie. Er schrieb: Das Geschenk der Edlen, Rosenkranz der Gerechten, Jussuf und Suleicha, Buch Alexanders, Frühlingsgarten.

Hören wir zuvörderst eine Aufforderung zur Liebeslust und Liebesfreude:

Der Sänger hob mit Saitenklang
So schön zum Frühtrunk den Gesang:
Steh' auf; dein Lebensaugenblick
Sei angelegt zum ew'gen Glück!
Was schließest du beim Fest dein Ohr
Vor Becherklang und Liederchor?
Nie übersieh den Weinrubin!
Denn sichtlich fließt die Zeit dahin.
Genieß den Tag. Wer wissen mag,
Ob er erlebt noch einen Tag?
Wo ich nur seine Spur mag sehn
Wend' ich vom Freunde nicht mein Flehn,
Dschami, zur Kaba zieh nicht aus,
Er ist bei dir in jedem Haus.


Der Dichter folgt dem Mahnrufe, ihn begeistert die Schönheit des Geliebten:

Der Glanz von deinem Angesicht Hess es mich ganz in Wonne
Vergessen, dass es einen Mond einst gab und eine Sonne.

Wenn die Sonn' auch Mutter wäre und der Vater Mond dazu,
Doch zur Welt nie wieder kommen würd' ein Kind so schön wie du.


Vor Allem ist es der schlanke, zedernartige Wuchs des Geliebten, der den Liebenden entzückt:

Dein feiner Haarwuchs und dein Wuchs so haarfein,
Der Unterschied von beiden wird kein Haar sein.

Da mein Arm zu deinem Wipfel sich, o Zeder, nicht erkecket,
Wünsch' ich mich zu deinen Füssen als dein Schatten hingestrecket.

Da ich deinen Wuchs im Garten nicht erblicke, will ich gehen
Ihm zu Ehren die Zypresse und die Pinie besehen.


Vielfach rühmt auch der Dichter den Mund seines Geliebten:

Jener Mund ist solch ein feuriger Rubin,
Dass mein Mund brennt, wenn mir träumt zu küssen ihn.


oder:

Ein Siegelring der Herrschaft ist deines Munds Rubin,
Des Bartes Phantasiestrich als Inschrift schmückt er ihn.


Auch vom Kinn weiß der Dichter zu singen:

An des Herzens Gram zu kranken däuchte mir Gewinn,
Bis ich der Genesung Apfel fand an jenem Kinn.


Die Anhänglichkeit an den Gegenstand der Liebe benutzt der Dichter zu folgenden witzigen Wendungen:

Dein Sklav von Herzen bin ich zwar, doch einer, der die Flucht gern sucht
Verkaufest du mich hundertmal, zurück zu dir nehm' ich die Flucht;
Mich einen Augenblick nur dir entziehn, nicht möglich wär' es mir,
Wie sollt' ich's auch versuchen mehr? ich hab' es hundertmal versucht


Solchen Vorzügen gegenüber ist natürlich auch die Eifersucht unsers Dichters sehr empfindlich :

So ist meine Eifersucht auf dich, dass, könnt' es nur geschehn,
Ich dein Bild in Andrer Einbildungskraft nicht ließe gehn,


hat er doch nicht immer das Glück, dem Geliebten zu gefallen; denn er klagt:

Froh macht mich dein Anblick, meiner dich betrübt; wie wär’ es fein:
Könntest du mir immer sichtbar und ich dir unsichtbar sein.


Das Wehe des Dichters erreicht jedoch seinen Kulminationspunkt, wenn er vom Gegenstande seiner Sehnsucht fern sein Leben in Trauer hinbringt. Da bittet er ein Blättchen Papier seine Stelle zu vertreten. Darauf heißt es unter anderem:

Dir zu schildern mein Verlangen ist das Buch zu End' gegangen
Meines Lebens; doch gegangen nicht zu End' ist mein Verlangen...
Welch' Geschenk werd' ich dir geben, wenn ich sehn dich darf mein Leben,
Da ich längst mein bares Leben in der Trennung ausgegeben.


Ein andermal ruft er den Morgenwind zum Boten auf, beschwört ihn, zum Haus des Geliebten zu wandeln, die Schwelle desselben zu küssen und für ihn, den Zungenlosen, geschickt die Zunge zu entbinden. „Dir“, ruft er dem Morgenwinde zu:

Dir hab' ich meinen Leib gezeigt, der sich zum Haar verzehrt,
Das sei dem Haarfeinwüchsigen nun Haar um Haar erklärt
Fragt er: wie geht's dem Dächami denn? so sag' ihm dieses: Schau,
Geschrieben diesen Brief mit blutsickernder Tränen Tau.
So sehr ist er geschwunden, dass, wenn du ihn hier willst haben,
Er sich im Brief verbergen kann selbst zwischen den Buchstaben.


In dieser verliebten Stimmung ist dem Dichter natürlich der Wein lieber als der Prediger:

Will der frostige Prediger nicht die Glut Verliebter anerkennen,
Will ich einst mit einem Ach! samt seiner Kanzel ihn verbrennen.


Überhaupt ist ihm alles beschauliche Wesen zuwider, denn

Beschauliche sind Spiegel der eignen Missgestalt,
Was schaun sie drein und schelten den Spiegel dergestalt?
Wer in den Spiegel speiet weil er in dessen Licht
Sich hässlich sieht, der speiet sich selbst ins Angesicht.


Man kann, wie leicht ersichtlich, die meisten Lieder Dschamis und überhaupt aller hierher gehörenden persischen Dichter, dem orientalischen Geschmacke näher bringen, indem man an den Stellen, wo es nötig wird, mit Hilfe einiger leichten Interpolationen die Geliebte statt des Freundes einführt. Ist doch die persische Sprache selbst in diesem Punkte so vag und arm in Bezug auf die Bezeichnung des grammatischen Geschlechts, dass man in den meisten Gaselen oder Liebesliedern nicht mit Bestimmtheit angeben kann, ob vom Freunde oder von der Geliebten die Rede ist. Nur muss sich in diesem Falle der Übersetzer wohl in Acht nehmen, dass ihm bei diesem Einfügen der Geliebten nicht etwa, wie in den oben zitierten Versen, des Bartes Phantasiestrich einen Strich durch die Rechnung macht.

So sind wir beim zweiten Moment angelangt, das, in muhamedanischer Denkweise wurzelnd, einen maßgebenden Einfluss auf die stoffliche Gestaltung des Gasels ausgeübt hat. Dieses zweite Moment ist die Vorliebe der Perser für den Mystizismus, für jene philosophische Weltanschauung, die auf Grund der Alleinlehre ihr Streben darauf richtet, das Leben des Individuums in dem Leben und dem Dasein der Gottheit aufzulösen und zu vernichten. Zu einer Zeit, wo die wilden Mongolenhorden aus dem nördlichen Asien hereinbrachen und aller irdische Besitz in. Frage gestellt wurde, musste das Gemüt sich mit um so größerer Freudigkeit in das innere Seelenleben vertiefen, musste durch die Kontemplation der Gottheit und durch das Streben nach geistiger Freiheit ein unerschütterlicher Haltepunkt gefunden werden, der dem Sturze alles Bestehenden die Waage hielte. Durch strenge Askese, durch Entsagung alles weltlichen Treibens sucht der Sufi — dies ist der Name für die Anhänger dieser Richtung — zur inneren Erleuchtung, zur unerschütterlichen Seelenruhe und zur Vereinigung des Menschengeistes mit der Gottheit hindurch zu dringen. Vor der Größe der Gottheit fällt dann die Persönlichkeit, die Individualisierung in ihr Nichts zurück: alles Persönliche erscheint dann als Beschränkung und als ein leerer Wahn, in den Augen des begeisterten Mystikers ist selbst das Böse vom Guten nur relativ unterschieden, d. h. es ist ein niederer Entwickelungsgrad desselben, kurz, alle Gegensätze verschwinden in dem Grundgedanken der Alleinslehre.

So kommt plötzlich in die nüchterne Welt der muhamedanisch-religiösen Weltanschauung eine erquickliche Regung, und ein warmer Pulsschlag treibt zum Ausbruch inniger Gefühle, deren Ausdruck zur grandiosesten Symbolik greifen muss. Wie in der christlich - mystischen Ausdrucksweise die Kirche als die Braut Christi hingestellt wird, so ist jetzt der Freund, der Geliebte, der Schenke nicht mehr ein menschliches Wesen: es ist die Gottheit selbst — allerdings unter dem Bilde des Geliebten auftretend — nach deren Liebe der Dichter dürstet. Aber freilich bedarf es längerer Zeit, um dieses hohen Glückes teilhaftig zu werden:

Mit dem Saum des Kleides streif ich
Immer an des Freundes Duft,
Aber mit den Blicken greif ich
Ach! vergebens durch die Luft
Mir so nah' und nicht begreif ich,
Wie er mir so fern her ruft.
Die Gedanken
Stehn und wanken
Vor der Ungeheuern Kluft.


Hat aber der Dichter endlich den Weg über diese Kluft gefunden, ist er aus dem Meere des Irrtums aufgetaucht und kühn der regenbogenfarbigen Täuschung entflohen, da sinkt das Kleid von Staub herab, und heilige Reinheit unter dem Symbol des spiegelklaren Wassers umwallt ihn; er kehrt zurück in den Schooß der das All durchdringenden Gottheit.

Himmelstropf, krystallhell war ich. Erdenstaub Hess mich nicht rein,
Nun geborgen bin ich — setz' mich in des Demants Herz hinein.
Ach, vor Sehnsucht ward ich längst schon dem gespannten Bogen gleich,
Doch der Bogen ist zerbrochen, bin dem Herrn der Welt nun gleich.


Auch der Tod der Mücke in der von ihr in immer engeren Bahnen umkreisten Flamme ist ein oft benutztes Bild, nicht minder als die Liebe der Rose und der Nachtigall und die Liebe zum Schenken: diese Symbole, den erotischen Dichtungen entlehnt, erhalten hier die bestimmte Deutung der Selbstvernichtung des individuellen Willens. So fliegt der mystische Dichter hinweg über die Sphären der Schöpfung, um ein ewig Liebender mit der unendlichen Liebe eins zu werden und sich im All zu verlieren.

Der mit Recht am meisten bewunderte Dichter dieser Richtung ist Dschelaleddin Rumi († 1275), in dessen Divan oder Liedersammlung eine die Schranken der Zeit und des Raumes überfliegende Phantasie den Grundgedanken des Sufismus im reichsten Wechsel der farbenprächtigsten Erscheinungen aufrollt. Auf eine Säule gestützt soll der Dichter seine philosophisch - erotischen Phantasien ausgehaucht haben, die noch heutigen Tags das Liederbuch der Derwische bilden, wenn sie in ihren mystischen Tänzen um den in der Mitte sitzenden Scheich unter den sanfttraurigen Klängen der Flöte ihre Weisen anstimmen. So sehen wir, dass in Dschelaleddin Rumi, wie überhaupt in den andern mystischen Dichtern, die Männerliebe zur philosophischen Liebe umschlägt, gerade wie in Plato's „Gastmahl“ die Stufenleiter der einzelnen Liebeserscheinungen festgesetzt ist.

Und jetzt, verehrte Anwesende, da auch wir diese Stufenleiter von der Frauenliebe bis zur sublimsten philosophischen Liebe der Mystiker, wenn auch nur im raschen Gedankenfluge durchmessen haben, müssen wir noch des Dichters Erwähnung thun, in dem diese einzelnen Manifestationen wie in einem Brennpunkt zusammentreffen. Es ist Muhammed Schemseddin Hafis, zu Anfang des 14. Jahrh. in Schiras geboren, neben dem Epiker Ferdosi der größte Dichter der Perser und des muhamedanischen Orients. Bis zu seinem Tode im Jahre 1389 lebte er ohne längere Unterbrechungen in seiner Vaterstadt, einer Gesellschaft von Sufis angehörig. Jene asketische Begeisterung, deren Ausfluss Dschelaleddin's Gedichte sind, durchdrang auch seine ersten gottseligen Lieder, die ihm den Beinamen der mystischen Zunge verschafften, bis er in seinem höheren Alter mit einem male in das vollständige Gegenteil umschlug. Damals mochte er sich, um seine eigenen Worte zu gebrauchen, zugerufen haben:

Höre mir den Prediger,
Dessen hohler Worte Schwall
Deinem Geiste Bande flicht,
Höre mir den Pfaffen nicht!
Höre du die Nachtigall,
Die auf ihrer grünen Kanzel
Über Rosen Schöne handelt,
Über Lenz und Liebe spricht;


kurz, er streift mit einem male sein mystisches Gewand ab und bietet uns in seinem Divan Lieder, durchdrungen von übersprudelnder Phantasie, die sich der Natur, dem Wein, der Frauenliebe, der Freundschaft zuwenden und die herrschende orthodoxe Kirche samt den Mystikern angreifen, ohne dabei eine ungeheuchelte Gottergebenheit und Religiosität zu verleugnen und den Tiefen der Seelenstimmungen fremd zu werden. Dieser letztere Umstand ist denn auch der Grund, weshalb manche seiner Gaselen den Ausdruck einer wahren und gesunden Mystik, die das allzu Überschwängliche auf ein richtiges Maß reduziert, widerspiegeln. Die Geistlichen von Schiras, die ihn mit Recht als einen Apostaten von ihrem scheinheilig-beschaulichen Leben ansahen, wollten ihm nach seinem Tode ein ehrliches Begräbnis verweigern, und die Manen des Dichters hatten es dem Zufall zu danken, dass jene feindlichen Neider nicht obsiegten. Als man nämlich zur Lösung des über der Leiche entstandenen Streites zum Bücherstechen seine Zuflucht nahm — eine Art der Orakelbefragung, die ja aus dem Orient auch zu uns herübergewandert ist — und hierzu Hafis' Gedichte selbst auserkor, kam man auf die Stelle, wo der Geliebte gebeten wird, die Schritte nicht abzuwenden von Hafis' Grab, der, wenngleich von Sünden umlagert, doch des Himmels harre.

Was aber die Mitwelt an dem großen Dichter bei seinem Tode fast verschuldet hätte, das hat die Nachwelt in reichem Masse gesühnt.

Von den Ufern des Ganges bis nach Konstantinopel und in den Okzident hinein hallen die Lande von seinen wunderlieblichen Gaselen wieder und seines Lobes ist jeder Mund voll.

Und doch sind seine Dichtungen schwer zu verstehen, wie es bei einem Dichter, der die Liebe nach allen ihren Manifestationen bis in die tiefsten Tiefen der Seele verfolgt, der neben der glühendsten Phantasie Scharfsinn, Witz und oft dunkle Anspielungen zusammenwirken lässt, füglich nicht anders sein kann. Wir haben daher auch von seinen Gaselen persische, türkische und arabische Erklärungsschriften. Diese Erklärer, die meist mit vorgefassten Meinungen an die Gaselen herantraten und unter keiner Bedingung zugeben wollten, dass Hafis in seinem „Divan“ der mystischen Richtung entsagt hat, sind in ihrer schulmeisterlichen Weise soweit gegangen, fast jedes seiner Worte mystisch zu erklären: doch der gesunde Geschmack der Europäer, sowie die Liebe, die noch bis auf diesen Tag das persische Volk seinem Lieblingsdichter entgegenbringt, haben sich mit richtigem Instinkte von solchen Erklärungsversuchen abgewendet. Und sollte in der Tat nicht aller Genuss verloren gehen, wenn wir — wie jene Kommentatoren es haben wollen — für den Schlaf, für den ersten keimenden Bart des Schenken, für die Schönheit der Geliebten, für ihre Lippen, für die Geliebte selbst, für den Kuss usw. in Gedanken abstrakt-religiöse Begriffe substituieren sollen?

Die Kürze der Zeit erlaubt mir leider nur, Ihnen, verehrte Anwesende, einige wenige fragmentarische Proben aus seinem 700 Stücke umfassenden „Divan“ mit zuteilen und ich muss mich begnügen, Ihnen bei dieser Gelegenheit die Übersetzung von Rosenzweig zu empfehlen, die in sprachgewandter Darstellung den Dichter, soweit dies überhaupt möglich ist, den Deutschen nahe gebracht hat.

Hafis als Frühlingsdichter:

Des Frühlings Pracht
Ist lind und herrlich wiederkommen,
Die Rose lacht,
Sie hat Bülbülgesang vernommen.

O Zephyr traut!
Entbiet' die Liebe mein den Rosen
Ganz überlaut,
Weil süß im holden Ost sie kosen.

Schenke! Lass uns munter zechen,
Lass im Rosenhain uns kosen,
Lass uns das Gelübde brechen.
Denn es ist die Zeit der Rosen!

Wenn wir nach dem Garten wallen,
Wollen lärmen wir und tosen,
Wollen wie die Nachtigallen
Sinken in das Nest der Rosen!

Leeret unter diesen Bäumen
Den Fokal, den sorgenlosen,
Freude darf nicht länger säumen,
Es befehlen es die Rosen.

Kommt der Lenz, so magst du denken
An des Jahrs Metamorphosen,
Heische Wein und einen Schenken
Unter einem Zelt von Rosen!


Hafis als Lobredner des Weines:

Ihr haltet über mich ein allzustreng Gericht,
Der ich, soviel ich fühle, doch von Schuld so rein.
Als Gottes Hand mich formte, mich betrunknen Wicht,
Geknetet hat sie meinen Erdenstaub mit Wein.
Ihn aufzufrischen, trocknet er, ist meine Pflicht,
Und welche Feuchte noch dazu — das leuchtet ein,
Es taugt dazu die kühle, klare Welle nicht,
Es müssen diese feurigen Rubinen sein.


Bringe mir den Stein der Weisen,

Der Wein ist der Trank der Weisen
Und aller Frömmigkeit Meister,
Denn um ihn wandeln und kreisen
Viele selige Geister.


Bringe mir den Becher Dschemschid's,

Mir den Spiegel Alexanders
Und das Siegel Salomonis'*).
Bringe mir mit einem Worte,
Bring, o Schenke, bringe Wein!


*) Der Spiegel Alexanders zeigte seinem Besitzer alle Pläne des Darius. Auch der Becher Dschemsh', aus dem die alten Parsenkönige dem wiedereinkehrenden Früh linge zutranken, offenbarte alles Verborgene und Heimliche. Durch seinen Siegelring war nach dem orientalischen Mythus Salomon Meister aller Geister.

Hafis als Dichter der Liebe

Die Freiheit ist ein Meer
Und seine Fische Herren;
Sie schwimmen ohne Schmerzen
Behaglich hin und her.

Doch diese Lust, wie schade!
Ist von geringer Dauer;
Es wohnet am Gestade,
Es stehet auf der Lauer


Liebe, die Fischerin;

Sie fischt mit eignen Angeln,
Sie fischt mit Ambralocken
Die purpurroten Fischchen;
Sie kommen unerschrocken,


und Freundschaft:

Sie lassen von der Argen
Sich gar zu gerne locken,
Und eines um das andere
Ist ihrer List Gewinn.

Ich dachte dein in tiefer Nacht;
Da lächelte mit heller Macht
Mit plötzlicher die Finsternis
Und wurde klar wie Morgenlicht.

Zu jener Stunde hat gewiss
Dein Auge, Liebchen, auch gewacht,
Zu jener Stunde hat gewiss
In Liebe mein dein Herz gedacht.


****************************************************

Einst wird kommen der Tag, da mein Freund mich wieder wird sehen,
Könnte ein schönerer Tag jemals noch leuchten mir wohl?
Singt dann Hafis von rosigen Wangen der Schönen, erröten
Blätter der Rosen vor Scham über die Blätter des Lieds.


****************************************************

Auf dem stürmischen Meer
Lange schifft' ich umher,
Trotzte Gefahr und Tod.

Doch die Gefahr ist verschwunden
Seit ich die Perle gefunden,
Hab' ich des Meeres nicht not.


Hafis als Gegner des Orthodoxen Islam:

Nimm dir ein Exempel an den Rosen!
Auf der Sonne klares Angesicht,
Morgenthau und süßer Oste Kosen
Tun sie nun und nimmermehr Verzicht.

Siehe, wie sie lachen, diese losen!
Ja, solang' sie leben hell und licht,
Fragen sie, die freudigen, nach Mosen,
Fragen sie nach den Propheten nicht.


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Wisst, dass ich selbst nach Edens Früchten kein
Verlangen habe,
Weil ich in meines Liebchens Apfelkinn
Gebissen habe.
Doch nun ade! da ich zur Schenke nun
Zu eilen habe,
Und in Betreff des Kirchengangs
Ein zart Gewissen habe.


*********************************************

Von Liebe spricht der Mystiker,
Von Liebe flötet auch Hafis;
Du aber höre diesen nur!
Denn sein Gesang, sein lieblicher,

Haucht Leben und Natur;
Der Mystiker, so prunkend auch
Sein einstudierter Redehauch,
Drischt leere Halme nur!


So wären wir am Schlusse unsrer Betrachtang angelangt. Sollte es mir gelungen sein, mit Vorstehendem Ihnen einen Wegweiser zu dem Jugend- und Lebensquell Chiser's an die Hand gegeben zu haben und sollten manche von Ihnen durch meine Worte die Anregung erhalten haben, Hand in Hand mit Hafis im Geiste die Rosenhaine von Schiras, die Häuserzeilen von Mosella und die Ufer des Rocknabad zu durchwandern, so würde ich glauben, den Zweck meines Vortrags in vollstem Maße erreicht zu haben.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ueber die erotische Poesie bei den Persern