Über den Gebrauch der kalten und warmen Bäder

Beobachtet man den körperlichen Zustand der Hilfe suchenden Badegäste, so wird man finden, dass die meisten derselben an Schwäche oder Erschlaffung der festen Teile leiden, dass erhöhte Reizbarkeit der Haut, Verstopfung in den Eingeweiden, Krämpfe, Gicht und andre Nervenübel, Rheumatismus, Hämorrhoiden, und wie das große Heer von Symptomen der Schwäche sonst noch Namen haben mag, mehr oder minder die Übel sind, womit sie zu kämpfen haben, und wovon sie befreit zu werden wünschen.

Die meisten Personen, welche mit schmerzhaften Krankheiten vorbenannter Art behaftet sind, haben gewöhnlich zuerst durch den Gebrauch warmer Schwefelbäder sich Erleichterung zu verschaffen gesucht, und auch einen augenscheinlich wohltätigen Erfolg davon sehr bald verspürt; bei eintretender Kälte aber kehrten ihre schmerzhaften Gefährten nicht nur wieder zurück, sondern sie drangen jetzt noch heftiger und gleichsam mit erneuerter Wut auf sie ein, und eine wiederholte Flucht zur warmen Quelle war in dem nächsten Sommer ein noch dringenderes Bedürfnis geworden, wie zuvor.


Ihre Haut ward vom warmen Bade immer mehr verzärtelt, immer reizbarer; jede Zugluft wirkte immer unangenehmer, immer folgenreicher auf die verzärtelte Körperfläche. Die Gicht, anstatt dass sie durch kräftige Mittel in ihren Quartieren angegriffen, und aus dem Körper vertrieben werden sollte, konnte nur einmal im Jahre zum scheinbaren Rückzuge gebracht werden, und sich die übrige Zeit ganz gemach noch mehr einnisten, weil keine innere Kraft ihr entgegen arbeitete.

Ganz anders ist die Wirkung des mäßig kalten Seebades. Dieses stärkt die Fasern des ganzen Körpers, gibt den Nerven eine richtigere Stimmung, belebt die Zirkulation aller flüssigen Substanzen vermittelst seiner stärkend-reizenden Kraft und hebt dadurch innere Stockungen; es erregt einen jugendlichen Appetit; es befördert die Ausdünstung, nicht wie warme Bäder durch Erschlaffung und Erweiterung der Schweißlöcher, sondern durch vermehrte Tätigkeit des Gefäß-Systems; es stärkt vor allem die Haut, so dass dieses wichtige, mit Nervenfäden übersäte Organ unnütze und schädliche Stoffe besser verflüchtigen, die Tätigkeit innerer Organe in regelmäßigerem Gange halten kann, und gegen die Einwirkung der kalten Luft unsers nördlichen rauen Himmelstrichs gleichsam gestählt wird.

Diese wesentliche Verschiedenheit der Wirkungen warmer Bäder und des kalten Seebades würde vielleicht allein schon hinreichen können den Vorzug zu rechtfertigen, den wir da, wo nicht besondere Fälle eintreten, dem letztern vor den ersteren zu geben uns bewogen finden müssen; es erheischt inzwischen die Wichtigkeit des Gegenstandes, noch einen Augenblick bei ihm zu verweilen, und zu zeigen, dass unter allen Bädern gerade das Seebad einen der ersten Platze, sowohl in Rücksicht auf die Bestandteile des Wassers, als auch in Betracht mancher andern Nebenumstände behauptet.

Offenbar äußert das Seebad seinen Einfluss gerade am nachdrücklichsten in den gangbarsten, beschwerlichsten und hartnäckigsten Krankheiten, in einem Grade, der die Wirksamkeit der bewährtesten inneren Heilmittel gewöhnlich sehr erhöht, oft bei weitem übertrifft und nicht selten die Anwendung derselben ganz entbehrlich macht. Es bewirkt, dass diejenigen Übel, die entweder ein unfreundliches Klima, oder eine herrschende regellose Lebensweise notwendig herbeiführt, ganz verhütet, gehoben, oder doch wenigstens gemildert werden.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ueber die Privat-Seebadeanstalt bei Travemünde 1