Der Wert des gemeinschaftlichen Vergnügen

Die Herausgeber dieser Blätter erlauben sich nicht aus den vorliegenden Angaben irgend eine Folgerung zu ziehen. Der Zweck dieser vergleichenden Darstellung ist mehr als erreichte wenn sie zu der leichten Überzeugung führt, — dass auf einem Beete neben einem Rosenstrauch auch füglich ein Veilchen gepflanzt werden kann. Mag die Natur dem Wasser eines Badeortes noch so viele Heilkräfte verliehen haben, mag die Kunst noch so sorgsam auf seine Verschönerung sinnen, mag kein Aufwand zu groß geachtet werden, um ihn durch Pracht und Glanz zu beleben; er kann dennoch sehr arm an Annehmlichkeiten und Freuden sein. Nur wenn in der kleinen Republik, die den Badeort bevölkert, jeder Einzelne sich verpflichtet hält, das gemeinschaftliche Vergnügen nicht bloß zu genießen, sondern tätig zu befördern, wenn jeder, der bei der freiwilligen Gesetzgebung eine Stimme hat, immer auf Erhaltung eines fröhlichen zwanglosen Tones Bedacht nimmt; dann erst gewinnt ein Badeort Reiz und Leben, dann erst wird die Freude dort einheimisch, dann erst erreicht das Wasser den höchsten Grad seiner Wirksamkeit. Es ist für den Zweck des Bades gewiss nicht einerlei, ob die Heilquelle durch steife Höflichkeit, vornehmes Absondern, einsilbige Stille, und Begierde zu glänzen getrübt, oder ob sie von freundlicher Geselligkeit, mitteilendem Frohsinn, muntern Scherz und edler Zwanglosigkeit lauter erhalten werde. Wie kann körperliches Wohlsein erhöht werden, wenn das geistige Wohlsein den wunderlichen Launen der Mode hingegeben und von ihr geflissentlich niedergebeugt wird?

Diese wichtigen Rücksichten begründen bei den Urhebern der Travemünder Badeanstalt die Hoffnung, die Gesellschaft, die ihr ein vorzügliches Zutrauen schenkt, werde sich gerne bereit zeigen, ihr die Annehmlichkeiten zu verschaffen, die sie nur ihren Bestrebungen verdanken kann.


Nachstehende Winke dürften die Art der gewünschten Teilnahme vielleicht am besten bezeichnen; sie können sich nm so viel eher einen vorzüglichen Grad von Aufmerksamkeit versprechen, weil die Gesellschaft und jedes einzelne Mitglied derselben durch ihre Erfüllung noch mehr, als die Anstalt, gewinnt.

Der gesellschaftliche Ton nähere sich, so viel irgend möglich ist, dem Tone, der in einer gebildeten fröhlichen Familie zu herrschen pflegt. Wechselseitiges Anziehen, Begierde sich mitzuteilen, Offenheit, zuvorkommende Gefälligkeit, Vermeidung aller Etikette, kurz Ablegung aller Fesseln, womit die feine Welt sich ohne Not belastet, würze den Umgang, und lade die Freude ein.

Die ganze Lebensweise erhalte das Gepräge ländlicher Einfachheit. Sie stimmt am besten zu dem Aufenthaltsort und zu einer besonnenen Gesundheitspflege. Häufiger Genuss der reinen Luft, reichliche Bewegung, Vermeidung einer zwängenden Kleidung, Neigung zu einfachen Genüssen, und zu Vergnügungen, welche die Natur anbietet, sind gleich kräftige Mittel gegen Kränklichkeit und Langeweile. Der Genuss des Vergnügens sei möglichst allgemein. Je mehr Teilnehmer es herbeizieht; desto größer wird seine Ausbeute für die Gesellschaft. Fröhlichkeit sei die tägliche Losung, das Band, das alle umschlingt. Gemeinschaftliche Lustpartien zu Wasser oder zu Lande, gesellige Bewegungsspiele, gewählte Musik, leichte Tänze, und hundert andre kleine Ergötzlichkeiten müssen im willkommenen Wechsel auf einander folgen. Ihre Entstehung darf nur selten das Werk eines glücklichen Zufalls sein; jeder, der Teil daran zu haben wünscht, übernehme zugleich die Verpflichtung bei ihrer Erfindung, Vorbereitung, Anordnung und Ausführung geschäftig zu sein. Die Bemühung ein, Vergnügen zu veranlassen ist bekanntlich oft der größte Genuss desselben, und gewiss findet sich keine passendere Beschäftigung für den Aufenthalt an einem Badeorte. Gelingt es der neuen Anstalt recht viele tätige Beförderer froher Geselligkeit zu finden, so hat sie sich noch mehr Glück zu wünschen, als zu den Begünstigungen der Natur.

Wer sich nicht berufen fühlt Freude zu schaffen, der trage wenigstens Sorge sie nicht unvorsichtig zu stören. Der Mann von Verdienst wird eine feine Anerkennung seines Wertes zulassen, aber nicht begehren. Das Frauenzimmer, das sich durch Bildung des Geistes oder Körpers auszeichnet, wird gewiss nie vergessen, dass einfache Anspruchslosigkeit ein Hauptzug der Grazien ist. Jede Freundin eines geschmackvollen Anzuges wird sich längst durch eignes Gefühl und das Modenjournal belehrt haben, dass eigentlicher Putz der Fürsorge für die Gesundheit leicht in den Weg trete, weder zu ländlichen Freuden noch zu Familienfesten passe, und dass alles prunkende Geschmeide füglich für die Maskenbälle des Winters zurückzulegen sei. Der kluge, kenntnisreiche Mann vergrabe auch hier sein Talent nicht, aber er wähle nur die Beförderung des herrschenden Frohsinns zum würdigen Tagewerk. Rang und Reichtum suche und finde hier niemals einen Paradeplatz, und Anmaßungen oder Auszeichnungen treffe stets verdiente Gleichgültigkeit.

Ist ein Ton, der jedes gesellige Vergnügen im Aufkeimen zu ersticken droht, einmal an einem Badeort herrschend geworden, so ist es schwer, ja fast unmöglich ihn- umzustimmen, und die durch ihn verbannte Freude zurück zu rufen. Ist man aber frühe recht ernstlich bemüht der Geselligkeit und dem Frohsinn die verdiente Huldigung zu verschaffen, so scheint eine so widerliche als herkömmliche Verstimmung des Tones nicht wahrscheinlich, vorzüglich, wenn recht viele tätige Freunde der gemeinschaftlichen guten Sache sich einander die Hände bieten.

Die Urheber der Travemünder Badeanstalt werden auch von ihrer Seite mit unermüdeter Sorgfalt dahin streben, den Ruf, den Lübeck sich längst bei Fremden erwarb, und immer erhielt, dass Geselligkeit, Offenheit und Heiterkeit den Umgang anziehender machen, als in manchen andern Städten, auch über eine Anlage zu verbreiten, die ihnen weit mehr zu verdanken wünscht, und verdanken wird, als Reichtum, Freigebigkeit und Pracht jemals gewähren können.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ueber die Privat-Seebadeanstalt bei Travemünde 1