Ueber die Lebensdauer

Dem Geheimnis länger zu leben auf der Spur
Autor: Suckow, Dr. (?) Medizinalrat in Jena, Erscheinungsjahr: 1858
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Witwenkasse, Lebensversicherung, Gesundheit, Lebenserwartung, Lebensdauer
Heute wissen wir – wer vier simple Lebensregeln, wie: nicht rauchen, mäßig Alkohol trinken, sich beim Essen zurückhalten und etwas Sport zu treiben, befolgt, verlängert sein Leben erheblich. Britische Forscher sprechen dabei von bis zu 14 Jahren. Dabei sei es vollkommen unabhängig, welcher gesellschaftlichen Schicht die Person angehört, noch habe ihr Körpergewicht darauf einen signifikanten Einfluss.

1858 machte sich der Medizinalrat Dr. Suckow aus Jena, dem Geheimnis des langen Lebens auf die Spur. Es ist äußerst unterhaltsam und informativ, was er darüber herausfand. Aber lesen Sie selbst.
Aus: Deutsches Museum. Zeitschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben. Herausgegeben von Robert Prutz. 8. Jahrgang. Januar-Juni. 1858

Es ist eine auffallende Erscheinung, dass die ersten Witwenkassen nach kurzer Dauer ihres Bestehens fast sämtlich zu Grunde gingen, während die Lebensversicherungsgesellschaften früher und später die glänzendsten Geschäfte machten.

Diese voneinander so abweichenden Resultate waren die Folgen desselben Verhältnisses: die Teilnehmer lebten länger, als man vermutet hatte.

Dennoch gründeten sich diese Vermutungen nicht auf vage Schätzungen; sie beruhten vielmehr auf einer sehr sichern Basis. Vieljährige Erfahrungen, die man über die mittlere oder durchschnittliche Lebensdauer gemacht hatte, die genauesten Zusammenstellungen, aus Kirchenbüchern und andern Urkunden gewonnen, waren von den bewährtesten Mathematikern ihrer Zeit, Finlaison, Babbage, Halley und andern benutzt worden, um die wahrscheinliche Lebensdauer, die in den verschiedenen Lebensaltern noch zu erwarten war, zu berechnen und danach die ein- und auszuzahlenden Summen zu bestimmen.

Diese Berechnungen sind aber gar nicht so kompliziert, als man beim ersten Anblick glauben mag. Denn wenn man die Summe der Jahre, welche eine gewisse Menschenmenge durchlebt, auf alle diese Menschen gleichmäßig verteilt, so erhält man genau die mittlere oder durchschnittliche Lebensdauer. Die wahrscheinliche Lebensdauer dagegen, oder die Lebensprobabilität, wird durch das Jahr bestimmt, bis zu welchem die Hälfte einer gewissen Menschenmenge lebt und das zu erreichen alle in gleichem Maße hoffen durften, als sie befürchten mussten, es nicht zu erleben.

Alle diese Verhältnisse, auf Tatsachen und Zahlen gegründet, waren sorgfältig beachtet und in sogenannten Mortalitätstafeln zusammengestellt worden; dennoch hatte man sich geirrt, dennoch waren die Zahlen zu niedrig gegriffen. Es mussten daher auf alle jene Versicherten und in die genannten Anstalten Eingekauften Verhältnisse eingewirkt haben, durch welche ihr Leben eine längere Dauer gewann, als sie bei einer gemischten Bevölkerung wahrgenommen wird.

Indem wir diesen Verhältnissen nachforschen, haben wir zu erörtern, welche Bedingungen überhaupt verlängernd oder verkürzend auf das Leben einwirken; ob es möglich ist, sie genau zu beurteilen und zu berechnen, oder ob es außer dem Bereich unsers Wissens liegt, ihren Einfluss zu bestimmen; ob es ein vergebliches Bemühen ist, auch nur annähernd angeben zu wollen, welches die Dauer einer jetzt lebenden Bevölkerung sei.

Die Erfahrung, dass nur eine sehr geringe Minderheit aller Geborenen jenes höhere Alter erreicht, welches man als das Ziel des menschlichen Lebens ansieht; die Erfahrung, daaa kaum von 2.000 einer 100, kaum von einer Million einer 110 Jahre alt wird, hat aufmerksam die Umstände erforschen lassen, unter denen ein höheres oder niedrigeres Leben erreicht wurde, und schon Hippokrates widmet den Einflüssen, welchen man in dieser Hinsicht eine gewisse Wichtigkeit beilegt, eine sorgfältige Beachtung.

Wir können sie füglich in zwei Klassen teilen, je nachdem sie mehr auf eine ganze Bevölkerung einwirken oder mehr das einzelne Individuum betreffen.

Bei diesen Betrachtungen weiden wir zugleich sehen, wie weit es in unsere Hände, in die Macht unsers Willens gegeben ist, wie ein gewisses moralisches und geistiges Ziel zu erreichen, so bestimmend auf die Dauer unsers Lebens einzuwirken, oder wie weit hier ein blindes Fatum waltet, das zu beherrschen uns jede Teilnahme entzogen ist, wofür eine bestimmte Regel, ein unwandelbares Gesetz zu finden uns versagt bleibt.

Betrachten wir zuerst die weitverbreiteten Einflüsse, so ist der Glaube, dass an die Jugend und an das Alter der Erde und des Menschengeschlechts auf ihr eine längere oder kürzere Lebensdauer gebunden sei, ein ziemlich allgemeiner und er wird durch die alttestamentlichen Überlieferungen gestützt. Nach ihnen lebte Seth 913, Methusala 969 Jahre. Wenn wir es auch den Schriftkundigen überlassen müssen, welche Deutung sie dem hohen Alter antediluvianischer Menschen geben, so dürfte es doch nicht unwahrscheinlich sein, dass diese Namen mehr Ereignisse und Zustände als einzelne Personen bezeichnen.

In den Zeiten nach der Sündflut, namentlich aber in den Zeiten, wo historische Denkmäler sprechen, übersteigt die Lebensdauer der Menschen diejenige nicht, welche auch gegenwärtig noch beobachtet wird. Abraham wurde 175, Isaak 180, Jakob 147, Joseph 110 Jahre alt: Alter, welche auch in neuerer Zeit noch erreicht wurden. Aber schon der Psalmist klagt, dass des Menschen Leben nicht länger dauere als 70 oder 80 Jahre.

Aus noch späterer Zeit wissen wir durch Ulpians Mortalitätstafeln, dass selbst die durch Stellung und Hilfsmittel bevorzugte Klasse der Bürger im alten Rom nicht länger lebte als die gemischte Bevölkerung im modernen Paris, Berlin oder Wien.

Und vergleichen wir die Jetztzeit mit der im 16., 17. oder 18. Jahrhundert, so ist sogar eine Zunahme des Lebens gegen die letzten Jahrhunderte als erwiesen zu betrachten.

Hat nun das Alter der Erde und des Menschengeschlechts keinen Einfluss auf die Lebensdauer des einzelnen Menschen, so glaubte man eine um so größere Bedeutung für die Dauer des Lebens den verschiedenen Klimaten zuschreiben zu dürfen. Ist es doch bekannt, wie das mörderische Klima von Batavia die Ansiedler dezimiert und wie so mancher, den man schon aufgegeben hatte, dem heilsamen Aufenthalte in Madeira oder Ägypten noch Jahrzehnte verdankt.

Und dennoch — etwa die kältesten Polar- und heißesten Tropenländer ausgenommen, ist in den verschiedensten Gegenden der bewohnten Erde die mittlere Lebensdauer der Bevölkerung wenig voneinander verschieden. In Schweden und Norwegen, in Schottland und Irland ist die durchschnittliche Lebensdauer derjenigen, welche in Holland oder Belgien, in Frankreich oder Italien erreicht wird, ziemlich gleich; in Neapel und Paris lebt man nicht länger, vielleicht etwas kürzer als in Hamburg und Berlin. Und doch, welcher Unterschied des Bodens und des Klimas!

Es ist aber nicht bloß die Gewohnheit, die den menschlichen Organismus unempfindlich macht gegen die verschiedenen klimatischen Einflüsse; bei dem ewigen Wechsel der Witterung in den gemäßigten Zonen kann eine Gewöhnung, wenigstens an die eine oder andere Temperatur, nicht stattfinden; die gleiche Lebensdauer in den entgegengesetzten Klimaten hat vielmehr darin ihren Grund, dass die Einflüsse, welche hier verlängernd, dort verkürzend auf das Leben einwirken, stets durch entgegengesetzte Verhältnisse paralysiert werden.

Während im Norden der kürzere Sommer und der lange Winter die Entwickelung verlangsamen, so verzögern sie auch die mit dem absteigenden Leben verbundenen Prozesse und das fest in der ganzen organischen Natur gültige Gesetz wird auch hier bestätigt, dass mit der langsameren oder rascheren Ausbildung ein längeres oder kürzeres Leben verbunden ist. Wird das kalte Klima den Kinderjahren feindlicher, so treffen wir um so häufiger ein sehr hohes Alter bei einzelnen, die den Angriffen in der Jugend nicht erlagen. Daher finden wir, wenn nicht ausschließlich — denn A. von Humboldt fand in Peru einen Mann von 143 Jahren — doch vorzugsweise im Norden die höchsten Lebensalter: in Norwegen den 160jährigen Serrington, in Schottland den 146jährigen Thomas Winslow, in Irland die Gräfin Desmond, die 140, die Gräfin Ekleton, die 143 Jahre alt wurde.

Es scheint, dass die ungünstigen äußern Einflüsse in der gesteigerten Lebenstätigkeit des entwickelten und abgehärteten Organismus einen kräftigen Widerstand finden, wenn auch das kindliche Alter ihnen oft unterliegt. Wenn daher der Jakute Sibiriens unberührt von Frost und Kälte, nur in seine Pferdedecke gewickelt, den Sattel zum Kopfkissen, auf dem Schnee übernachtet, so überlebt aber auch nur die Hälfte der Kinder das zehnte Jahr.

Bei den Bewohnern des hohen Nordens ist es die große Menge der genossenen Nahrungsmittel — ein Lappe verzehrt täglich 15 Pfund Fleisch und Thran —, welche bei dem regeren Atmungsprozess eine größere Wärme zum Schutz gegen die äußere Kälte entwickelt und durch den raschern Umsatz in allen Teilen des Körpers den einzelnen Organen eine jugendliche Frische bewahrt.

Im Süden dagegen und in den Tropenländern bedingt die aller Vegetation so günstige Wärme eine rasche Entwickelung und Ausbildung des kindlichen Organismus, aber später auch ein rascheres Abwickeln des Lebensprozesses. Bei dem geringen Bedürfnis nach Nahrung — einem Ägypter genügt eine Hand voll Datteln für den ganzen Tag — wird weniger Blut bereitet und weniger Wärme entwickelt: aber die schwächere Herzkraft, das weniger energische Atmen bedingt schon frühzeitig eine Überladung des Körpers mit kohlenstoffigen Bestandteilen, schon frühzeitig ein rascheres Altern, trotz der günstigsten Außenverhältnisse.

Wurde im Norden von dem ewigen Winter das Zerstörungswerk direkt übernommen, so ist es in den Tropen der eigene Körper, der dem Leben eine frühere Grenze setzt.

Um so wichtiger für die Dauer des Lebens sind die ursprüngliche Anlage und die tausend Verhältnisse, wie sie Lebensweise, Beschäftigung, Gewohnheit, bürgerliche und häusliche Einrichtungen mit sich führen.

Zuerst ist es der Stand der Zivilisation, der unsere Beachtung verdient.

Ist es der Wilde, der, wie man sagt, nach der Natur lebt, d. h. den halbbewussten Trieben folgt, wie sie durch äußere Veranlassungen oder innere Körperzustände erregt werden, der in der Freiheit umherschweift, allen Einflüssen des Wetters sich aussetzt und die Erzeugnisse des Bodens, roh, wie sie ihm gereicht werden, genießt —, ist er es, der eines längern Lebens sich erfreut, oder der zivilisierte Europäer, dessen Geist, durch Bildung und Gesittung gehoben, eine verständige Bewirtschaftung des Lebens sich zur Aufgabe macht und, wie er zweckmäßig für den Körper sorgt, auch die Seele durch geistige Genüsse zu beleben versteht?

Die Erfahrung hat längst diese Frage und zu Gunsten der Zivilisation entschieden. Und gewiss, verwechselt man damit nicht eine physische und moralische Verweichlichung, nicht das Jagen nach Körper und Geist aufreibenden Genüssen, nicht das Aneignen geistestötender Kenntnisse: so ist es nicht schwer zu begreifen, dass die hundert Vorteile, welche die Fortschritte der Kunst und der Wissenschaft, der Chemie, Physik, Agrikultur, der medizinischen Polizei und Heilkunst für das Leben gewähren, nicht ohne Einfluss für dessen Dauer sein konnten; es ist nicht schwer zu begreifen, warum der rohe Genussmensch dem verständig Lebenden nachstehen muss.

Darum waren im Altertum, was sie jetzt nicht mehr sind, die Gestade des Mittelmeers als die gesündesten der Welt bekannt, denn sie waren von den gebildetsten Völkern bewohnt; darum lebt man in gegenwärtiger Zeit länger als vor 1 und 200 Jahren, denn die Bildung hat zugenommen; und darum leben wieder die länger, welche alle Vorteile der Zivilisation für das Leben benutzen können, als die, welche aus Unverstand oder Mangel von ihnen keinen oder nur einen geringen Gebrauch machen können; mit andern Worten: die gebildeten, tätigen, regsamen Wohlhabenden leben länger, als die in trägem Wohlleben vegetieren oder in Armut schmachten.

So sehen wir in England, dem Lande der größten materiellen Wohlfahrt, eine sehr hohe mittlere Lebensdauer, eine von 38 1/2 Jahren, in Irland dagegen nur eine von 29 Jahren; und so sehen wir in Paris von den Bewohnern der Chaussée d'Antin oder des Faubourg St.-Germain, wo Fürsten, Grafen und Herren, reiche Bankiers und Kaufleute wohnen, in derselben Zeit erst einen von 42 sterben, in welcher, von den ärmlichen Bewohnern des Faubourg St.-Marçeau oder St.-Jacques von den Gassenlehrern, Wasserträgern, Lumpensammlern einer von 25 stirbt.

Aber jene Reichen können sich auch jeden Komfort des Lebens, alles Notwendige und Annehmliche, jede Hilfe in Krankheit verschaffen; da fehlt es nicht an zweckmäßiger Erwärmung, an nötiger Ventilation der Zimmer, die Produkte Ostindiens und Amerikas, was Gewerbsfleiß und Kunst erschaffen, stehen ihnen zu Gebote. Sie können, sei es zu Hause, sei es durch Reisen, den Winter in Sommer, den heißen Staub des Juli in frische Frühlingsluft verwandeln.

Kann es da verwundern, dass die in die Lebensversicherungen Eingekauften länger leben als eine aus Armen und Reichen gemischte Bevöllerung? Die Teilnehmer sind ja vorzugsweise Wohlhabende: denn ganz Arme können sich in solche Anstalten nicht einkaufen, da sie nicht vermögen, die jährlichen Beiträge zu erübrigen.

Findet man aber dennoch die allerhöchsten Lebensalter bei den Ärmeren, bei Soldaten, Matrosen, Tagelöhnern, Botenfrauen, so beweist das nur, dass bei einfachem mäßigen arbeitsamen Leben ein hohes Alter erreicht werden kann, selbst wenn manche Stürme drohend einwirken.

Man erinnere sich des 1792 verstorbenen Mittelstadt, der zu Fissahn in Preußen geboren, eines Abends von seinem Herrn verspielt wurde, 67 Jahre als Soldat diente, den ganzen Siebenjährigen Krieg mitmachte, 17 Hauptschlachten beiwohnte, Unzählige male verwundet wurde, in russische Gefangenschaft geriet, im 110. Jahre zum dritten male sich verheiratete und 112 Jahre alt starb.

Noch merkwürdiger ist der Däne Drakenberg, der, 1626 geboren, bis in sein 91. Jahr als Matrose diente. Er brachte 15 Jahre in der türkischen Sklaverei im größten Elende zu, setzte sich, 111 Jahre alt, zur Ruhe und verheiratete sich mit einer 60 Jahre alten Frau, die er aber lange überlebte. In seinem 130. Jahre wollte er ein junges Bauermädchen heiraten, die aber seinen Antrag ausschlug; er versuchte sein Heil noch bei mehreren, war aber bei keiner glücklicher, blieb ledig und lebte so noch 16 Jahre, bis er, 1782, in seinem 146. Jahre starb.

Doch was sind solche einzelne Beispiele gegen die Massenzahlen. Sie vermögen den Ausspruch nicht zu schwächen, dass mit der Volkswohlfahrt ein längeres Leben der Bevölkerung parallel geht.

Noch sind aber die Meinungen geteilt, ob eine dichte oder dünne Bevölkerung das Glück eines Landes ausmache. Betrachten wir daher den uns interessierenden Punkt, den Stand der Population in Beziehung auf die Lebensdauer.

Wo, wie meistens in größeren Städten, in Fabrikdistrikten, die Bevölkerung eine sehr dichte, sehr emsig zunehmende ist, da ist die Sterblichkeit bedeutend größer als in den volksärmeren Orten, in den ackerbautreibenden Distrikten, wo die Bevölkerung langsam sich mehrt. Und an eine so feste Regel ist diese Erscheinung gebunden, dass, wie Casper zuerst nachgewiesen hat, das Verhältnis der Einwohnerzahl zu der Fahl der Geborenen ziemlich genau die mittlere Lebensdauer ausdrückt. In den Gemeinden Montreux und Leysin in der Schweiz, wo die mittlere Lebensdauer eine sehr hohe ist — 45 und 48 Jahre — da kommt auch nur ein Neugeborenes auf 45 und 48 Einwohner und wo, wie in Eibenstock im Sächsischen Erzgebirge, die ganze Tätigkeit der Mütter oft jahrelang immer nur zwischen dem kleinsten Kind in der Wiege und dem nur ein Jahr altern am Gängelbande geteilt ist, wo schon auf 19 Einwohner ein Neugeborenes kommt, da beträgt die durchschnittliche Lebensdauer auch nur wenig über 19 Jahre.

Der Grund dieses eigentümlichen Verhältnisses kann nicht bloß der sein, dass auf einem gewissen Raum nur eine gewisse Menschenmenge ihren Unterhalt findet, bei unsern Kommunikationsmitteln ist das nicht anzunehmen; wahrscheinlicher ist es, dass durch das enge Zusammenwohnen, durch die ineinander gebauten, Luft und Sonne entbehrenden, die mannigfachsten Evaporationen aufnehmenden Wohnungen, dass durch die geringere, weil geteiltere Sorgfalt für die Kinder, eine größere Sterblichkeit bedingt wird, die sich daher vorzugsweise in der Kinderwelt zeigt, wie denn in dem ebengenannten Fabrikstädtchen mehr als die Hälfte der Kinder vor dem siebenten Jahre stirbt.

Wenn Hufeland schon vor mehr als 60 Jahren die große Salubrität von Jena rühmt, so ist zu bemerken, dass daselbst bei einer Bevölkerung von 6.000 Einwohnern jährlich im Durchschnitt nur 127 Kinder geboren werden, d. i. 1 auf 48 Einwohner, was eine mittlere Lebensdauer von 48 Jahren ergeben würde; die mittlere Lebensdauer beträgt in Preußen 29 1/2 , in Frankreich 35 3/4, in England 38 1/2 Jahr.

Bald für eine ganze Bevölkerung, bald für ein einzelnes Individuum sind Abstammung und Konstitution von größter Wichtigkeit für die Lebensdauer. Man weiß, dass die kaukasische Rasse länger lebt als die mongolische, der Europäer länger als der Hottentotte, dass ein langes Leben Eigentum einzelner Familien und Personen ist. So hatte Thomas Parre, ein Bauer in England, der 1635 starb und 152 Jahre alt wurde, Kinder und Enkel, die über 100 Jahre lebten und eine Urenkelin, die das Alter von 103 Jahren erlangte.

Fragen wir nach den Bedingungen, die eine Anwartschaft zu einem so hohen Alter in sich bergen, so ist es der am deutlichsten ausgesprochene Gattungscharakter, das normale Ebenmaß einzelner Teile, namentlich das richtige Verhältnis der bildenden zu den konsumierenden Organen. Ein guter Magen, ein gesundes Herz und kräftige Lungen sind von jeher als die Vorbedingungen eines langen Lebens erachtet worden.

Nicht auf außerordentliche Muskelkraft, nicht aus ungewöhnliche Körpergröße kommt es an, aber auf das richtige Verhältnis der einzelnen Teile zueinander. Dies ist ein von Haus aus Gegebenes und erhält sich nicht selten bei einzelnen Volksstämmen und Familien und die Nachkommen dürfen um so mehr auf ein langes Leben rechnen, welche den Vorfahren, die lange gelebt, der Bildung nach am ähnlichsten sind.

Wenn man aber dennoch zuweilen von kräftigen Eltern schwächliche Kinder abstammen sieht, so ist nicht zu übersehen, dass die Kinder bald mehr der Mutter, bald mehr dem Vater ähneln; und wie zuweilen die von wohlgebildeten Eltern auf die Kinder vererbten Gesichtszüge bei diesen sich nicht zu einem schönen harmonischen Ganzen vereinen, so können die etwa dem zarteren mütterlichen Körper nachgeformten Bildungsorgane, Herz und Lungen, das in der Anlage massenhaftere Nerven- und Muskelsystem nicht gehörig ernähren und eine schwächliche Konstitution bedingen.

Manches kann wohl auch durch passende oder unpassende Lebensweise nachgeholt oder zum Verderben geführt werden, wie denn der englische Arzt Clarke erwähnt, dass er in London stets den Enkel habe an Schwindsucht sterben sehen, wenn er dasselbe Schneiderhandwerk wie Vater und Großvater betrieb.

Ein vergebliches Bemühen ist es aber, die Konstitution vollständig umwandeln zu wollen. Es erinnert solch ein Versuch an die Hoffnungen, welche man an die Transfusion knüpfte, d. h. an die Operation, durch welche man von einem Tier oder Menschen Blut auf einen andern überleitete. Nicht nur einzelne Ärzte, wie Bohle, ganze gelehrte Gesellschaften beschäftigten sich noch im 17. Jahrhundert mit den Fragen: bekommt ein Hund Wolle nach Schafsblut, frisst ein Hund dann Kräuter, bekommt er Hörner? Wird ein Schaf bissig nach Hundeblut? Werden alte Leute wieder jung nach Kinderblut?

Wir lächeln jetzt über solche Fragen; haben aber die etwa eine verständigere Hoffnung, welche in Gräfenberg oder durch Hrn. Barry du Barry’s Revalenta einen ganz neuen Menschen anzuziehen glauben?

Wie aber mit der Konstitution, so ist auch mit dem verschiedenen Geschlecht eine ursprüngliche Anlage zu einem längern oder kürzern Leben gegeben und die Natur hat, wie die statistischen Tabellen aller Länder und Zeiten beweisen, die Frauen nicht unbedeutend vor den Männern bevorzugt, indem sie durchschnittlich einer längern Lebensdauer von drei Jahren sich erfreuen.

Und hierin müssen wir denn auch den Hauptgrund suchen, warum die Sterblichkeitstafeln, die diesen Unterschied nicht beachteten, sondern eine von Männern und Frauen gemischte Bevölkerung zur Basis ihrer Berechnungen nahmen, so bedeutende Fehler in die Tabellen für die Witwenversorgungsanstalten einlaufen lassen konnten. Die Einzahlungen dauerten kürzer, die Auszahlungen länger, als man berechnet hatte und so wurden jene Anstalten bankrott.

Diese geringere Sterblichkeit zeigt sich bereits in den Kinderjahren; denn wenn konstant mehr Knaben als Mädchen geboren werden, im Verhältnis von 21 zu 20, so hat sich dieses Mehr schon in den ersten Kinderjahren ausgeglichen, das Leben der Frauen bleibt fortwährend ein gesicherteres als das der Männer und kein Jahr ist es, das ihnen besonders verderblich würde, wie man wohl gemeint hat; daher erreichen auch 1/4 mehr Frauen das 80., 1/3 mehr das 100. Jahr als Männer, wenn diese auch die allerhöchsten Lebensalter häufiger erlangen.

Man hat vielfach nach dem Grund dieser Bevorzugung der Frauen gefragt, doch vergeblich, wenn man nicht eine ursprüngliche, in der Konstitution liegende höhere Bildungskraft als Grund des längeren Lebens annehmen will. Namentlich sind alle Versuche, aus Analogien in der übrigen organischen Natur einen Grund zu finden, gescheitert. Denn wenn wir überall ein um so längeres Leben wahrnehmen, je später die Entwickelung vollendet, je derber die Struktur, je massenhafter der Körperbau ist, so finden sich diese Verhältnisse eher bei Männern, und würden bei ihnen ein längeres Leben vermuten lassen.

Man hat zwar gemeint, dass die kürzere Lebensbauer der Männer darin begründet sein könne, dass sie den Stürmen des Lebens, der aufreibenden Tätigkeit des Körpers und Geistes mehr ausgesetzt wären: aber hiergegen erinnert Casper, dass nicht alle Frauen ein Leben führen wie es in Schillers „Glocke“ dargestellt ist, und dass namentlich die Frauen der weniger wohlhabenden Klassen vollkommen die Arbeit der Männer teilen. Und Benoiston de Chateauneuf hat aus der Lebensdauer einer großen Anzahl von Mönchen und Nonnen, die doch unter gleichen Verhältnissen leben, nachgewiesen, dass es die Nonnen zu einem höhern Leben bringen als die Mönche. Dennoch hat die Natur, die überall das Zweckmäßige begünstigt, weil es das Natürliche ist, dem Mann ein Mittel an die Hand gegeben, diese einseitige Zurücksetzung auszugleichen und in Gemeinschaft mit der Frau zu erreichen was dem einzelnen zu erlangen versagt ist.

Voltaire sprach es zuerst als Vermutung, Hufeland und Deparcieux zuerst als Erfahrungssatz aus, dass die Ehe ein Verlängerungsmittel des Lebens sei. Nicht nur, dass die allerhöchsten Lebensalter nur von Verheirateten erreicht wurden, so erlangen, nach Escherich, bei einem doch ziemlich gleichartigen Leben, die protestantischen Geistlichen ein höheres Älter als die katholischen, und von 100 verheirateten Männern erreichen, wie Odieu nachgewiesen hat, 36 mehr das 45., 16 mehr das 70. Jahr als von 100 unverheirateten, und von je 100 verheirateten Frauen erlangen 8 mehr das 45., 5 mehr das 70. Jahr als von unverheirateten. Die Männer gewinnen daher durch die Ehe 6, die Frauen 2 Jahre an ihrem Leben.

Wie falsch spekulieren daher die Hagestolze, welche meinen, da sie keine Sorge für eine Familie drückt, da sie ein genießendes und ungezwungenes Leben führen, dass sie auch auf eine längere Lebensdauer rechnen können. Sie werden durch Tatsachen überführt und man kann sie füglich schleichende Selbstmörder nennen. Sie weisen schnöde eine Lebensverlängerung von 6 Jahren von sich, die ihnen jede Frau als Heiratsgut mitbringen würde, sie leben lieber allein und kürzer, als zu fragen: wollen Sie mein Leben verlängern?

Aber auch die Furcht, dass die so oft mit Pflege und Nachtwachen beschwerten, manchen Angriffen auf die Gesundheit ausgesetzten Frauen mehr gefährdet seien als die unverheirateten, sehen wir vor diesen Angaben schwinden, wenn schon ihr Leben nicht so viele Jahre durch die Ehe gewinnt als das der Männer.

Die größere Regelmäßigkeit des Lebens ist es vorzüglich, dann die gegenseitige Pflege und Abwartung, nicht selten auch die gegenseitige geistige Anregung, tröstende, warnende, ermutigende Zuspräche, selbst die kleinen, das Salz des Lebens bildenden Differenzen, welche dieses Resultat herbeizuführen scheinen.

Werfen wir zuletzt noch einen Blick auf die verschiedenen Stände, auf den verschiedenen Beruf, womit eine Nötigung zu einer ausschließlichen Beschäftigung oder Lebensweise gegeben wird, womit eine andauernde und gleichmäßige Einwirkung wenn nicht bestimmter Handlungen, so doch gewisser Gewohnheiten verbunden ist, so hat sich hierüber, ich möchte sagen, eine Art Gewohnheitsmeinung gebildet und man nimmt keinen Anstand, die sitzende Lebensweise, den Aufenthalt in den Schreibstuben für bei weitem ungünstiger für ein langes Leben zu halten als eine Beschäftigung, die, wie die der Landleute, Jäger und Schäfer, den Körper abhärtet und dem Einfluss der frischen Natur aussetzt.

Achten wir jedoch auf die Erfahrungen im großen, auf die Massenzahlen, so sehen wir den allgemein verbreiteten Glauben nicht bestätigt und finden vielmehr, dass Regelmäßigkeit mehr als jedes andere Moment auf die Lebensdauer von überwiegendem Einfluss ist.

Wem ist es nicht aufgefallen, dass unter den Jubelgreisen, von denen alljährlich die öffentlichen Blätter erzählen, die Geistlichen die erste Stelle einnehmen. Sie sind es auch, namentlich die protestantischen Landgeistlichen, von denen die meisten ein hohes Lebensalter erreichen, ein Alter von durchschnittlich 65 Jahren.

Die Regelmäßigkeit des Lebens, der Wechsel der Zimmerstudien, die dem Geist eine höhere Richtung geben, mit der Bewegung im Freien, die den Körper stärkt, bei einer Beschäftigung, die nicht eben durch Sorge und Verantwortlichkeit aufreibt, mögen bei einem, nicht selten notwendig nüchternen Leben, wohl am meisten dazu beitragen, dieses günstige Resultat herbeizuführen.

Den Seelsorgern entgegengesetzt sind die, denen die Sorge für den Körper anvertraut ist, die Ärzte; ihnen ist unter allen Ständen das kürzeste Leben beschieden, ihre mittlere Lebensdauer beträgt nur 56 Jahre. Zwar wechselt auch bei ihnen Zimmerstudium mit Bewegung in freier Luft, aber mit welchen aufreibenden Gemütsbewegungen, mit welchen Sorgen ist ihre Tätigkeit verbunden, wie ist jede Regelmäßigkeit in ihrem Beruf verbannt; wie oft wird die nächtliche Ruhe, die nur in Eile genommene Mahlzeit unterbrochen; wie oft unterliegen sie den Folgen der Ansteckung, von denen nur ein bequemer Aberglaube sie befreit hält!

Zunächst den Seelsorgern stehen Beamte, Kaufleute, Land- und Forstleute, die sich sämtlich einer hohen Lebensdauer, im Mittel von 61 ½ — 62 Jahren erfreuen.

Wenn wir hier drei Stände zusammenstellen müssen, von denen der eine einer sitzenden Lebensart bei anstrengender Geistestätigkeit ergeben ist, bei dein andern eine dauernde Regsamkeit des Körpers und Geistes für Spekulation und Erwerb in Anspruch genommen wird, der dritte aber bei anhaltendem Aufenthalte in freier Natur den Körper tätig erhält, ohne den Geist ruhen zu lassen, so müssen wir die Überzeugung gewinnen, dass wohl kein Einfluss allein nur Schaden bringt oder nur vorteilhaft ist und dass der Nutzen auf der einen Seite durch den Nachteil auf der andern wieder aufgewogen wird.

Und so sehen wir in der Tat, dass die geistig anregenden Beschäftigungen den Mangel körperlicher Bewegung einigermaßen ersetzen können, daher denn auch die niederen Beamten, bei denen solche Anregungen fehlen und bei denen die Zeit mit Schreiben und Rechnen ausgefüllt ist, kürzer leben als die höhern, die freilich auch in größerem Wohlstande sich befinden. In anderer Weise wird bei denen, die den Vorteil genießen, ihr Leben in freier Natur zuzubringen, der üble Einfluss ungünstiger Witterung eine Quelle von lebensverkürzenden Krankheiten.

Zu den Ständen, die sich durch ihre kürzere Lebensdauer den Ärzten am meisten anschließen, gehören Lehrer und Künstler, die durchschnittlich ein Leben von 56 — 57 Jahren erreichen.

Gestützt auf eine alte Sage von einem Schullehrer Clodius Hermippus, der 115 Jahre und 5 Tage lebte und zwar, wie die Inschrift des Gedenksteins sagt, durch den Hauch junger Mädchen, hat man lange Zeit aus Achtung vor den klassischen Worten gemeint, dass wirklich der Hauch der Kinder etwas Belebendes habe. Aber der Nachweis, dass der Hauch eben nur die zum Atmen nicht mehr tauglichen Stoffe enthalte und dass die Schullehrer in der Tat gar nicht so sehr lange leben, hat diesen Autoritätenglauben sehr beeinträchtigt, wenn auch nach neuern Zusammenstellungen die Schullehrer eine etwas höhere Stelle bezüglich der Lebensdauer einnehmen.

Trotz ziemlicher Regelmäßigkeit des Lebens mag Monotonie in der Beschäftigung bei kärglichem Gehalt, dauernder Aufenthalt in dunstigen Schulstuben, und oft genug Überanstrengung diese kürzere Lebensdauer bedingen. Wie selten können auch die Lehrer die Regel befolgen, acht Stunden der Arbeit, acht Stunden dem Schlaf, acht Stunden zerstreuendem Nichtstun zu widmen.

Auch die akademischen Lehrer erreichen leine höhere Lebensdauer; ein längeres Leben, das einzelne erlangen, wird durch das kürzere vieler anderer ausgeglichen.

Dass die Künstler, sie, deren Nachdenken durch die Phantasie angeregt wird, durchschnittlich eine kürzere Lebensdauer haben, mag wohl dem aufreibenden, oft ungeregelten, phantastischen, den wirtlichen Verhältnissen nicht entsprechenden Leben bei meistens nicht großem Wohlstande zuzuschreiben sein. Auch unter ihnen findet man einzelne Beispiele von langem Leben. Tizian wurde 96, Michel Angelo 90, Claude Lorrain 82 Jahre alt; die Regel ist das kürzere Leben, wie es Rafael der 37, Correggio der 40, Mozart der 35 Jahre alt wurde, erlangten.

Wenn wir nun absehen von diesen das Leben verlängernden und verkürzenden Momenten, die wir größtenteils nach den Angaben des ausgezeichneten Werkes von Casper angeführt haben und noch nach manchen Richtungen hin erweitern konnten, so bleibt uns noch die Frage zu beantworten übrig, wodurch dem Leben überhaupt ein gewisses Maß, das Ziel seiner Dauer gesetzt wird.

Die mannigfachen hierüber ausgesprochenen Ansichten kann man wesentlich darauf zurückführen, dass das normale Aufhören des Lebens durch das typische Gesetz, durch das Gesetz der Bildung im Organismus bestimmt wird, ein Gesetz, das man bald als Lebenskraft selbst ansah, bald auf sie zurückführte.

Wodurch ist aber jenes Gesetz bestimmt? Was ist die Lebenskraft? Wie wird durch sie das Aufhören des Lebens vermittelt?

Die Neuerer sehen in dieser Kraft die Leistungsfähigkeit oder die Summe der Einzelkräfte, welche an die unendlich vielen und verschiedenen, den Körper zusammensetzenden Bestandteile gebunden sind.

Man könnte sich mit dieser Anschauungsweise begnügen, wenn uns nur gesagt würde, wodurch denn alle diese Stoffe und Kräfte zu einem Zweck, zu einem Bildungsziel vereinigt würden; wenn uns gesagt würbe, wie es kommt, dass sie endlich aufhören, zusammen zu wirken, auch wenn fortwährend die zur Existenz der einzelnen Bestandteile nötigen Bedingungen, die sogenannten Lebensreize, einwirken, wie Speise und Trank, Luft und Wärme.

Es erscheint daher vollkommen gerechtfertigt, noch weiter nach diesem unbekannten Etwas zu fragen, dass den ersten Anstoß, die fortwährende Bedingung zu dieser vereinten Wirksamkeit gibt.

Könnten wir von einer Kraft im Körper sagen, sie sei die zuerst wirkende, sie sei es, die, wenn auch unter Zuziehung äußerer Lebensreize, eine ursprüngliche Bewegung habe und alle übrigen Organteile zu solchen anrege, so hätten wir jene Kraft und ihren Sitz gefunden, auch wenn wir es unbestimmt lassen müßten, ob sie wirklich eine ursprüngliche sei oder nur ein Glied in einer uns unbekannten Kette.

Betrachten wir die verschiedenen Organe und ihre Kräfte im Körper, so ist es die den Nerven innewohnende Kraft, die wir als die zuerst anregende, alle Bewegungen im lebenden Organismus bedingende, die wir als die Lebenskraft bezeichnen müssen.

Folgende Sätze, die wir nach Kortüms Vorgang hier aufstellen, mögen diese Ansicht stützen.

Einen Organismus nennen wir einen Substanzenkomplex, der fähig ist, Lebenserscheinungen auszuführen.

Lebenserscheinungen sind Bewegungserscheinungen.

Sie zeigen sich am menschlichen Körper teils in der der Willkür unterworfenen Sphäre, teils in der vegetativen, welche Bildung und Aufnahme äußerer Lebensbedingungen vermittelt.

Jene wird vom Gehirn und Rückenmark angeregt, diese vom sogenannten Sympathischen Nerven, welcher die Bildungsorgane versorgt.

In diesen beiden Nervensystemen liegt daher der letzte erkennbare Grund aller Bewegung«- oder Lebenserscheinungen innerhalb des Organismus.

Der letzte Grund einer Bewegung ist Kraft.

Der letzte Grund aller Bewegungen innerhalb des lebenden Körpers ist Lebenskraft.

Sie ist in den Nerven zu suchen, weil in ihnen jener Grund liegt.

Ihren Ursprung verdankt sie, wie die Nerven selbst, dem ersten Keim, der Lebensfähigkeit und typisches Gesetz in den neuen Organismus hinüberführt.

Man wende nicht ein, dass dann nicht die den Nerven, sondern die dem Keim innewohnende unbekannte Kraft als Lebenskraft zu bezeichnen sei. Denn erscheint das Nervensystem als Glied einer Kette, die vom Keim ausgeht, so ist es jenem identisch; nur gleiche Größen bilden eine Reihe.

Es kümmert uns auch nicht, dass die Pflanzen Leben haben, ohne empirisch nachweisbare Nerven zu besitzen; wir finden bei ihnen auch Stoffaufnahme ohne Magen, auch Säftebewegung ohne Herz, und doch zweifeln wir nicht an der Wirksamkeit dieser Organe, wo wir sie finden.

Die Kraft der Nerven ist es nun, welche den mit chemischen und physikalischen Eigenschaften begabten Geweben, welche den chemischen und physikalischen Erfolgen im Körper den eigentümlichen organischen Charakter verleiht und den lebenden Organismus von den anorganischen, lediglich den Gesetzen der Physik und Chemie folgenden Körpern, unterscheidet. Sie ist es, welche bei den stetigen Bewegungen, bei dem ewigen Wechsel von Werden und Vergehen die Beständigkeit der Form bedingt; sie, welche die Umwandelungsprozesse in bestimmter Ordnung anregt und, stellt sie ihre Tätigkeit ein, jeden Teil seinen eigenen chemischen und physikalischen Beziehungen dahin gibt.

Sie bildet den Anfangs- und Ausgangspunkt der Organismen und was unser geistreicher Anatom vom Gehirn sagt, das gilt auch von ihr: sie ist es, für die und durch die alles im Organismus geschieht.

Wie wir aber auch die Lebenskraft ansehen mögen, sie ist, wie jede Kraft, unbegrenzt in ihrem Wirken. Und wie der Erbbahn erst dadurch eine besondere Form gegeben ist, dass der fortbewegenden Kraft eine andere entgegenwirkt, so bekommt der Organismus nur dadurch eine räumliche und zeitliche Begrenzung, Form und Dauer, dass die Lebenskraft in ihrer Wirkung durch entgegenstehende Einflüsse eine Beschränkung erhält.

Diese Einflüsse liegen teils im Körper selbst, teils sind sie an Außenverhältnisse geknüpft.

Zu den letztern gehören alle Einwirkungen, denen der Mensch seiner Natur nach ausgesetzt ist und die bei ungünstigem Zusammentreffen seinen zufälligen Untergang herbeiführen. Es ist dies bei weitem die allerhäufigste Art und Weise, wodurch das Ende des Lebens herbeigeführt wird, das dann als das Resultat äußerer Bedingungen und Zufälle gegenüber der Lebenskraft erscheint.

Jene, die dem Körper innewohnenden, sein natürliches normales Lebensziel bestimmenden Bedingungen sind mit dem Typus, mit dem Gesetz für die Grenze der Form und Dauer gegeben. Es ist aber dieses nicht als etwas Anregendes, sondern als ein Hemmnis zu betrachten und liegt, wie jene Bedingungen, in Eigenschaften der den Körper zusammensetzenden Elemente; diese sind einmal das Vermögen jener Elemente, infolge der besondern Diät, an welche jedes gebunden ist, sich überwiegend aus- und rückzubilden und so die bestehende Harmonie zu stören; wie denn bei Hungernden Herz und Muskeln 45, Nerven 1 Prozent an Masse verlieren; dann die Eigenschaft der Gewebe, mit der Zeit stetig an festern Stoffen reicher, an flüssigen ärmer zu werden, d. h. sich zu verdichten.

Indem sich diese Eigenschaften der einzelnen Elemente und Gewebe auch an den zusammengesetzten Organen zeigen, so sehen wir z. B. in der Jugend durch ein Überwiegen der Ernährungsorgane bei Tendenz zum Festerwerden das Wachstum und die Entwickelung bedingt werden, während nach vollendeter Ausbildung in den absteigenden Lebensaltern ein Überschuss des Bildungsstoffes durch feine Masse erdrückend wird, oder die zunehmende Verdichtung die Organe unfähig macht, ihn zu verwerten und die notwendigen Bewegungen und Umwandelungen zu gestatten.

Vermitteln so Überwiegen einzelner Organe und allmähliches Festerwerden Ausbildung und Wachstum, so erkennen wir in denselben Bedingungen den Grund des endlichen natürlichen Aufhörens des Organismus. Disharmonie und zunehmende Kondensation nannte schon Paracelsus den Grund des organischen Zerfallens.

Welches ist nun die eigentliche natürliche Dauer des Lebens?

Können weder die notwendige Harmonie, noch die zur Entwickelung und zum Bestehen des Organismus zweckmäßigen Bedingungen über die Norm gesteigert werden, so ist eine Verlängerung des Lebens über sein natürliches Maß nicht denkbar und was man Verlängerungsmittel des Lebens nennt, sind Maßregeln, die nur die Bedingungen des frühzeitigen zufälligen Aufhörens beseitigen.

Wir müssen daher auch die allerhöchsten Lebensalter, die je erreicht worden sind, nicht als Ausnahmen, wir müssen sie als das normale Lebensziel ansehen. Das würden, nach den bisherigen Erfahrungen, 185 Jahre sein. So hoch brachte der Ungar Petraez Czarten aus Köffrösch bei Temeswar sein Leben. Im Jahre 1539 geboren, starb er 1724. Ihm zunächst steht Heinrich Jenkins aus Yorkshire, er starb, 169 Jahre alt, 1670.

Wenn man auch zugeben mag, dass eine besonders glückliche Konstitution, ein besonders günstiger Komplex der Körperbestandteile vorhanden sein muss, um die Möglichkeit zu einem so hohen Alter zu gewähren, so ist dagegen bei so glücklichen Verhältnissen ein minder hohes Alter noch nicht als das eigentliche Lebensziel anzusehen. Davon liefert der schon erwähnte im 152. Jahre verstorbene Parre einen auffallenden Beweis. Das Gerücht von ihm war bis nach London gedrungen, der König ließ ihn kommen und bewirtete ihn königlich, verursachte aber dadurch sein rasches Ende. Der berühmte Arzt Harvey fand bei ihm alle Organe normal, keine Verdichtung, keine Verknöcherung, wie sie so oft bei altern Leuten vorkommen. Eine Indigestion [lat. Verdauungsstörung] hatte seinen zufälligen Tod bedingt.

Fällt es aber schon schwer, bei den verschiedenen Völkern der Erde solche vereinzelte Beispiele des höchsten Alters aufzufinden, erreicht die unendlich große Mehrzahl der Menschen dieses natürliche Ziel des Lebens nicht, erlangen von 100 gewöhnlich nur 10 das 70., nur 5 das 80. Jahr — was soll man zu den Betrachtungen sagen, welche der berühmte Statistiker Quetelet über die Niederlande anstellt?! „Hier“, sagt er, „erreichen 9/20,. das 16. Jahr nicht und betrachtet man das Elend und den Kummer, der dadurch Tausenden von Eltern erwächst, berechnet man die Kosten, die sie, ohne je einen Ersatz zu geben, veranlassen, so sind sie Fremden zu vergleichen, die ohne Vermögen ins Land gekommen, sie kontrahierten eine jährliche Schuld von 50 Millionen, 2/3 der ganzen Staatseinnahme, sie zogen dahin, ohne eine andere Spur als die des ewigen Bedauerns zurückzulassen.“

Wohl mag man da zweifelnd fragen, ist es möglich, hier ein geregeltes Walten zu erkennen, oder ist es ein blinder Zufall, dass die physischen Kräfte, je nachdem sie dem individuellen Zustand eines jeden Organismus entsprechen, oder sei es durch Mangel, sei es durch Übermaß, verderblich werden, bald tausend Bedingungen zu unserer Existenz in sich schließen, bald sich zu ebenso viel Ursachen für unsern Untergang gestalten?

Die Beobachtung hat gelehrt, dass auch dieses Wert der Zerstörung nicht ein regelloses ist, dass auch bei ihm alles nach bestimmten Gesetzen vor sich geht. Denn eine so unwandelbare, so feste Regel herrscht hier, dass bei gewissen gegebenen Verhältnissen sich genau berechnen lässt, wie viel von einer Anzahl Menschen dieses oder jenes Alter erreichen werden. So weiß man, dass in Berlin von 100 Knaben nur 55 das schulpflichtige Alter von sieben Jahren erreichen, nur 50 das 20. Jahr, wo sie ihrer Militärpflicht genügen müssen. Und selbst die Zahl derer, die als Opfer ganz zufällig scheinender Ereignisse, der sogenannten Unglücksfälle, erliegen, ist bestimmt und beträgt ebendaselbst jährlich 2 1/2 Prozent.

Was sind aber auch die ganz außerordentlichen Ereignisse für den großen Haushalt der Erde, was sind die 25.000 Toten bei dem Erdbeben von Lissabon, was die 30.000 Gefallenen in der Schlacht bei Leipzig gegen die 80.000, die täglich auf der Erde aufhören zu leben?

Wie natürlich ist da die so oft aufgeworfene Frage, die Klage, die nicht selten gerade der Arzt zu hören bekommt: wie kommt es, dass so viele, deren Körper und Geist unentfaltet geblieben, dass so viele das ihnen von der Natur vorgesteckte Ziel nicht erreichen? was kann der Grund dieser Erscheinung sein?

Vom Standpunkte des Arztes, des Naturforschers kann man sich begnügen, die Tatsache erkannt zu haben, die Ergründung der Motive, die für alle Naturgesetze unbekannt sind, zurückweisend.

Man kann daran erinnern, dass jeder, der in die Welt eintritt, eben allen Einflüssen ausgesetzt ist, denen wir das Menschengeschlecht unterworfen sehen, und dass, je weniger Selbständigkeit er erlangt hat, je weniger entwickelt, je jünger er also ist, um so eher seine Widerstandskraft durch die Außenverhältnisse gebrochen werde. Sie aber, diese außer dem Körper liegenden Verhältnisse — das Resultat großer kosmischer Vorgänge — entfalten ihre weitverbreitete Macht, mögen sie den Menschen schaden oder nützen.

Und wie so über alle Gedanken sorgend, schützend und voll Liebe sie auf der einen Seite erscheint, auf der andern sehen wir die Natur ohne Schonung und ohne Nachsicht, gleichviel welche Hoffnungen erfüllt, welche zerstört werden. Sind die Bedingungen des Untergangs vorhanden, er erfolgt gewiss, ebenso wie unter andern geeigneten Verhältnissen ein neues Leben erblüht, gleichviel, ob es zum Segen, ob es zur Geißel werde.

Einem Baum voller Blüten vergleicht daher Herder das Menschengeschlecht; wie viele fallen ab, wie viele widerstehen den Stürmen nicht, wie wenige gedeihen zur vollkommenen Frucht! Doch auch die nur Blüten waren, sie haben uns erfreut.

Wohl sind viele weder durch solch ein Bild, noch durch jene Betrachtungen befriedigt. Sie müssen wir über die Grenze des Wissens in das Reich des Glaubens verweisen und daran erinnern, dass, wenn gesagt ist, der Mensch ist wie eine Blume und vergeht wie sie, darunter nicht verstanden werden darf, er sei so gar nichts: denn auch die Lilie auf dem Felde ist ja herrlicher als Salomo in seiner Pracht. Ist aber das Ziel der Menschen nicht Wissenschaft und Kunstleben, nicht staatliche und bürgerliche Wirksamkeit, sondern „zu werden wie die Kinder“, so müssen wir meinen, dass auch die ihr Ziel auf der Erde erreicht haben, die nie etwas anders waren als Kinder.