Wir Lutheraner würden eben so schlecht wegkommen ...

Diejenigen Zeloten, welche behaupten wollen, dass das Mosaische Gesetz schon an und für sich selbst geeignet sei, den Hang, welchen ein Teil der Juden zum Wucher hegt, zu begünstigen, dass es Grundsätze enthalte, die sich wenig mit der Ehrlichkeit vertragen, und dass, so lange die Juden nicht aufhören, diesem Gesetze zu folgen, sie keiner Verbesserung fähig sein, verdienen kaum eine ernstliche Widerlegung. Der bekannte Eisenmenger, in seinem Werke: „Das entdeckte Judentum“, nimmt unter ihnen die merkwürdigste Stelle ein; doch urteilt der Ritter Michaelis, bekanntlich kein Freund der Jüdischen Nation in seiner Orientalischen Bibliothek, Th. I. p. 330. „Ich halte Eisenmengers entdecktes Judentum für ein gelehrtes Werk; aber, es ist feindselig und ungerecht, und wenn einer gegen eine der drei, im Römischen Reiche eingeführten, Religionen etwas dergleichen schriebe, so würde man es eine Lasterschrift nennen. Wie, wenn jemand ein entdecktes Papsttum, oder Luthertum, schreiben, und, mit Vorbeilassung des Guten, wohl der allgemein angenommenen Sätze und der Widersprüche gegen Irrtümer, allesaufzeichnen wollte, was jemals irgend einem der schlechtesten Schriftsteller entfahren, oder was, beim Disputieren, auch nur einmal mündlich gesagt ist? Was man alsdann den Katholiken Schuld geben könnte, daran doch ihre Religion unschuldig ist, weiß ein jeder; aber, gewiss, wir Lutheraner würden eben so schlecht wegkommen, wie die Münsterschen Wiedertäufer.“

Der obige Vorwurf, welcher, ganz ohne Grund, dem größten der Gesetzgeber zur Last gelegt wird, kann nur von zwei Gattungen von Menschen herrühren: entweder von Christen, oder von solchen, welche keine andere, als die Naturreligion, anerkennen.


Den Ersteren, darf man sich begnügen, die einfache Frage vorzulegen, wie sie es wagen können, Gesetze anzutasten, welche ihre eigene Religion ihnen, als aus der Gottheit selbst geflossen, zu betrachten gebietet, und welche zur Basis ihres eignen Glaubens dienen. Sind jene zehn Gebote, welche Moses vor Jahrtausenden von dem donnernden Sinai brachte, nicht für die Christen so ehrwürdig, wie für Jene? Haben und behalten sie nicht stets ihre Gesetzeskraft? Ist nicht jede daraus entspringende Pflicht uns heilig? Ist die christliche Sittenlehre wohl eine andere, als die ältere Mosaische? Erklärt nicht Jesus selbst jene Gebote Mosis, von der Liebe zu Gott und dem Mitmenschen, für die ersten und wichtigsten Gebote , die alle übrigen in sich fassen, und baut also Jesus hier nicht selbst auf die nämliche Grundfeste, auf welche Moses baute? Wenn die Juden, als Bekenner Mosis, an einen Gott, unendlich in Weisheit, Güte, Heiligkeit und Gerechtigkeit, glauben; ist dies nicht auch unser Glaube? Wenn sie glauben, dass der Staub zur Erde, wovon er genommen, dass aber der Geist zu Gott, der ihn gegeben, zurückkehrt; wenn sie an eine Ewigkeit, an ein höheres Leben, an die Unsterblichkeit der Seele, an einen zukünftigen Vergeltungstand für das Gute und Böse glauben; ist dieser Glaube uns Christen weniger teuer? Jene Letzteren, aber, wie mögen sie wähnen, dass es Moses, wenn er so nichtswürdige Grundsätze gepredigt habe, möglich gewesen sei, sich für einen Gesandten des Herrn auszugeben und für einen solchen erkannt zu werden? Zu welchen Schwachheiten auch die gebrechliche Natur hinziehen mag, so wird doch nie die Tugend ihr unverletzliches Recht auf das Herz verlieren. Wehe dem Betrüger, der sie nicht immer zum Wahlspruche im Munde führt, wenn er es der Welt glauben machen will, dass er nur unter dem Panier der Gerechtigkeit wandle! In ihrem heiligen Namen übt selbst der Wüterich seine Gräueltaten aus, und eben diese Heuchelei ist, wie der sinnreiche Larochefaucault sehr wahr sagt, die glanzreichste Huldigung, welche das Laster der Tugend bringen kann. In der Tat, mag der Gesetzgeber nicht, als unmoralisch, geschildert werden, welcher, wie Moses seinem Volke ausdrücklich befiehlt, den Fremden zu lieben, mit der Erinnerung, dass auch ihre Vorfahren einst Sklaven waren; der es lehrt, seinen Bruder, wie sich selbst, zu lieben, Gutes für Böses zu vergelten; der mit dem Fluch der Gottheit denjenigen bedroht, der die Kleidung eines armen Unglücklichen über Nacht bei sich zurückbehält; der seinem Volke einschärft, dass wir alle Kinder eines einzigen Vaters sind. Nach der Behauptung anderer suchen die Juden die Grundsätze der Immoralität, wenn sie selbige in dem reinen Text der Bibel selbst nicht finden können, in der Auslegung der Rabbinen auf, welche, wie man weiß, die einfache und klare Religion Mosis zum Teil mit einer Menge Vorurteilen verunstaltet haben. Zwar beschuldigt man die neueren Gesetzgeber dieser Nation, nicht mit Unrecht, dass sie ihre Religion mit unzweckmäßigen Gebräuchen überfüllt, dadurch den Geist eingeengt, und an sich unbedeutende Zeremonien für Ausübung der wahren Frömmigkeit ausgegeben haben; doch muss man ihnen die Gerechtigkeit widerfahren lassen, dass ihr Gesetzbuch die unverwerflichste Sittlichkeit atmet. Durchaus empfehlen sie das uneigennützigste Mitleid, unter den menschenfreundlichsten Ansichten, darin an, ermahnen zur Duldung und Ergebung im tiefsten Leiden, zur Achtung der Obrigkeit bei ihrem strengsten Verfahren, welche sie, als Stellvertreterin der Gottheit, auf Erden, zu betrachten, gebieten. Ihren wirksamen, weisen Vorschriften allein haben wir jene Reinheit der Sitten zu danken, welche die Nation unleugbar charakterisiert.