Seit der Epoche, wo die Strahlen der Philosophie anfingen ...

Seit der Epoche, wo die Strahlen der Philosophie anfingen, über Europa im schwachem, dann im stärkeren, Schimmer zu leuchten, haben diese Gräuel nicht mehr in solcher Masse gewütet; nicht aber ward allen Bedrückungen ein Ziel gesetzt. Noch im Jahr 1390 ließ Wenzel einen offenen Befehl ins Reich gehen, nach welchem alle Fürsten, Grafen, freie Herren, Ritter, Knechte, Bürger und andere Untertanen von allen Juden-Schulden, an Kapital und Zinsen frei und ledig sein sollen. Die Reichspolizeiordnung von 1577 ordnet, dass die Juden einen gelben Ring an dem Rock, unverborgen, zu ihrer Erkenntnis, tragen sollen; nur geduldet und gedrückt wurden sie fast allenthalben; noch bis zum Jahre 1808 mussten die Juden in Lübeck, gleich dem Vieh, einen Leibzoll bezahlen, wenn sie in die Stadt kamen, und am 31. Mai 1814 durfte noch ungescheut bei dem Senate und der Bürgerschaft darauf angetragen werden, alle Jüdischen Glaubensgenossen aus den Ringmauern der Stadt zu verbannen, ihre Läden zu schließen, und selbst den Handel ihnen zu untersagen; das einzige und letzte Mittel ihrer Subsistenz.

Und diesem Volke, welches, als ein Opfer boshafter Verleumdungen und fabelhafter Erzählungen, zu Tausenden geschlachtet ward, diesem Volke, welches, zur Belustigung und Erbauung des Pöbels, so oft ein Raub der Flammen ward, in dessen Geschichte fast jedes Blatt mit Blut geschrieben ist, diesem Volke, welches ein so unbarmherziges Schicksal traf, will man Lasten aufbürden, die, wo sie sich finden, eben dies Schicksal zuwege brachte? — Nachdem man, während Achtzehnhundert Jahren, die Juden mit Schmach überhäuft hat, will man es ihnen zum Vorwurf machen, dass sie nicht alle für die Ehre empfänglich sind? Nachdem man in so vielen Staaten alle Mittel, durch Wissenschaften und Kunstfleiß eine Laufbahn sich vorzuzeichnen, ihnen abgeschnitten hat, will man als eine Menschenklasse sie schildern, welche durch Niedrigkeit, Trägheit und Nutzlosigkeit eine Last der bürgerlichen Gesellschaft wird? O der schreienden Ungerechtigkeit! Man will es ihnen zum Vorwurf machen, dass sie für ein auserwähltes Volk Gottes sich halten und im Stolz deshalb sich über die Christen erheben. Aber, wenn dieser Stolz wirklich in ihrer Brust lebte; wäre er zu tadeln? Während Rom und Griechenland nicht mehr sind und ihre zerstreuten Abkömmlinge nicht einmal. das Andenken ihres Ursprungs zurückbehalten haben, windet sich ein Volk von mehreren Millionen Menschen durch die unermessliche Wüste von dreißig Jahrhunderten der Selbstständigkeit und sechzehn Jahrhunderten der Verfolgung bis zu unseren Zeiten fort. Gesetze, die in den ersten Tagen der Welt, die in der Kindheit der Natur ihnen gegeben wurden, diese Gesetze bewahren sie noch auf. Die Anhänger eines Kultus, der eine ganze Welt umfasste, sind, seit fünfzehnhundert Jahren verschwunden, und ihre Tempel stehen noch: Wie eine unerschütterliche Säule, die nur allein eine Überschwemmung der ganzen Natur überleben konnte, scheint die Zeit, jene allgemeine Zerstörerin, sie allein vom gänzlichen Untergange verschonen zu wollen. Dem gegenwärtigen Jahrhunderte als Bürge für die ersten Zeitalter der Welt dienend, verliert sich die Geschichte dieses Volkes bis zur Wiege der Menschheit, und seine Überreste scheinen sich bis auf ihre gänzliche Zerstörung erhalten zu müssen. Welcher Meinung man auch sein mag, möge man die Erhaltung dieses Volkes entweder dem Willen Gottes zuschreiben , der es abschließend für sich gewählt hat, oder möge man in dieser Festigkeit, welche die Juden charakterisiert, nur eine tadelnswerte Hartnäckigkeit sehen, oder, endlich, möge man hierin nur eine Gottheit erkennen, welche alle Religionen mit demselben Auge betrachtet, und keines andern Wunders, um ihre Größe zu bekunden, bedarf, als das ewige Schauspiel der Natur, so wird doch niemand, dessen Seele noch im Stande ist, den Wert der Tugend und einer erprobten Festigkeit zu empfinden, den Zoll der Bewunderung einer unerschütterlichen Festigkeit versagen, von der noch kein Volk auf Erden ein solches Beispiel gegeben hat. Man will noch jetzt den Juden nicht vergessen, dass einst der Stifter unserer Religion unter ihren gewaltsamen Händen gestorben sei. Aber, wer berechtigt, anzunehmen, dass der fanatische Hass, mit welchem die Vorfahren der heutigen Hebräer den ersten Stifter des Christentums verfolgten, noch auf ihre jetzigen späteren Nachkommen, gegen alle Bekenner desselben; vererbt sei? Wer möchte leugnen wollen, dass nur in dem Zeitalter der Barbarei man die entferntesten Nachkommen, wegen einer, von verblendeten Eiferern begangenen, Tat, verfolgen könnte, welche vor so vielen Jahrhunderten, an der Asiatischen Küste des mittelländischen Meeres, begangen wurde? wer möchte sich einen Bekenner der Lehre Christi nennen, und die erste seiner sanften und weisen Lehren vergessen?


Jene Gegner der Jüdischen Nation, welche ihre Verfolgung und die Fortdauer des Druckes, unter welchem sie, Dank sei es jedoch unsern aufgeklärteren Zeiten, nur in den wenigsten Ländern noch, gebeugt sind, namentlich in der freien Hansestadt Lübeck predigen, sprechen ihre Vorwürfe besonders dahin aus, dass die Nation eine sittlich verderbte sei; dass sie nichts, als den Schacher, verstehe; dass sie vom Wucher fast abschließend lebe; dass ihre Religion unmoralische Grundsätze in sich, fasse; dass, in Gefolge der Lehren derselben, es ihr verstattet sei, die Christen zu betrügen; dass ihrem Eide keine Glaubwürdigkeit beizumessen sei, und dass die Aufnahme der jüdischen Glaubensgenossen zum Bürgerrecht schon deshalb in schädlichen Folgen sich bewähren würde, weil, nach den Satzungen ihrer Religion und ihrer Politik, sie ewig eines großen Teils der Landesrechte aktive und passive unempfänglich bleiben würden, freiwillig aber die Verschiedenheit der Nationalrechte einführen, freiwillig das Wohl des Staates auf verschiedene Zwecke lenken oder verteilen, hieße.
Es gehört zur Sache, diese Vorwürfe und Objektionen in ihrem ganzen Umfange zu prüfen und zu würdigen.

Wenn man zugeben wollte, dass ein großer Teil der Jüdischen Nation sittlich verdorbener sein möchte, wie andere Völker; so würde diese vorausgesetzte größere Verdorbenheit eine notwendige und natürliche Folge jener drückenden Verfassung sein, in welcher sie, seit so vielen Jahrhunderten, lebten; leicht würde sich psychologisch erklären lassen, weshalb der Geist der Juden, in den niederen Geschäften des täglichen kümmerlichen Erwerbes versunken, edler Gefühle entwöhnt worden, wie der Druck und die Verachtung, welche er erfährt, seine Tätigkeit niederschlagen und feinere Empfindungen in seiner Brust ersticken müssen, und immer würde dieser Vorwurf auf jene herrschenden christlichen Regierungen zurückfallen, welchen es oblag, dem Juden menschliche Gefühle dadurch einzuflößen, dass sie ihm Beweise des ihrigen gaben; welche, um ihn von seinen Vorurteilen zu heilen, zuerst die ihrigen ablegen mussten. So wäre denn jene Immoralität, welche man ihnen vorwirft, nicht ursprünglich in ihrem Charakter verwebt, sondern eine unausbleibliche, unvermeidliche Folge einer schmählichen Dienstbarkeit und Erniedrigung, in welcher so lange sie schmachteten, und Niemand wird in Abrede sein, dass eben die nämlichen Fehler durch Tugenden aufgewogen werden, welche sie sich nur allein zu verdanken haben, und welche ihnen ihre bittersten Feinde nicht absprechen können. „Wenn die Lasterhaftigkeit eines Volks geschätzt werden soll,“ — sagt der unsterbliche Mendelssohn, — „so kommen, wie ich glaube, Mörder, Straßenräuber , Landesverräter, Mordbrenner, Ehebrecher, Kindermörder, usw. mit in Anschlag — selbst, wenn die Lasterhaftigkeit nur nach der Menge der Diebe geschätzt werden soll, so müssen diese nicht mit der Volksmenge überhaupt in Vergleichung gesetzt, sondern Kleinhändler und Trödler unter den Juden mit Leuten dieses Gewerbes unter andern verglichen werden. Nach dieser Vergleichung wird die Proportion ganz anders ausfallen. Ich berufe mich auf alle Inquisitions-Akten in Deutschland, ob, nach dieser Rechnungsart, nicht fünf und zwanzigmal so vieldeutsche Diebe und Diebshehler unter den Trödlern sind, als Jüdische. Nicht zu gedenken, dass der Jude diese Lebensart aus Not ergreift, den andern aber die freie Wahl offen steht.“ Dieser Behauptung entsprechend, hat Friedländer, in seinem Werk: „Aktenstücke, die Reform der Jüdischen Colonie in den Preußischen Staaten betreffend“, dargelegt, dass unter siebenzehnhundert, in dem Laufe eines einzigen Jahres in den Preußischen Staaten anhängig gewesenen, Kriminalprozessen nur sich befunden, in welchen Juden verwickelt und bestraft worden. So wie der Charakter aller Menschen, so ist der der Juden der vollkommensten Ausbildung und der unglücklichsten Verwilderung fähig. Nicht verderbt kann eine Nation genannt werden, welche mit so standhafter Anhänglichkeit den Glauben ihrer Väter bewahrt: denn nur treue Befolgung der Grundsätze, welche man für wahr hält, bestimmt den moralischen Wert eines Menschen. Nicht verderbt kann eine Nation genannt werden, welche des Glücks des häuslichen Lebens mit Simplizität genießt, bei welcher der Ehestand unbefleckter und die Vergehungen der Unkeuschheit seltener sind, welcher die Anhänglichkeit an ihren uralten Glauben eine Festigkeit gibt, die zur Bildung ihrer Moralität überhaupt vorteilhaft ist. Wem es aber wirklich Ernst ist, eine Nation zu würdigen, die, wie schon so oft gesagt worden ist, nur ihr eignes Unglück allein herabwürdigen konnte, der bedenke, namentlich, die Rolle, welche sie, während der französischen Revolution und der berüchtigten Schreckensregierung, gespielt hat; damals, als sie durch ihre plötzlich erlangte Freiheit ihren sonstigen frechen Unterdrückern die Spitze bieten konnte! Mögen Diejenigen, welche wohl wissen, wie geneigt der gemeine Haufe ist, von einem Extreme zum andern zu springen, und dass auch die friedlichsten Herzen durch Verfolgung zur Rache gereizt werden können, sagen, ob sich den Juden, unter einem gerechteren Vorwande, eine günstigere Gelegenheit hätte darbieten können, sich unter die wütende Menge zu mischen, oder sich an ihre Spitze zu stellen, um sich für die bisher erlittene Schmach zu rächen? Man entrolle jene Annalen, worin die Namen der Anhänger der Regierung der Decemvirn aufgezeichnet stehen, und nicht einen einzigen Bekenner der Mosaischen Religion findet man darunter; nicht einen einzigen, da doch ihre gedrückte Lage so unwidersprechlich einen Scheingrund dazu darbot.