Sagen darf man es, weil es wahr ist ...

Sagen darf man es, weil es wahr ist: wenn die Jüdische Nation in den christlichen Staaten ihre Nationalkraft nicht so, wie ein selbstständiges Volk es kann, ausgebildet hat; wenn ihre Eigentümlichkeiten hin und wieder eine weniger günstige Richtung genommen haben; so ist dies das Werk derer, welche unter einem so beugenden und entehrenden Druck sie gefangen hielten. Dieser Druck, unter welchem die Bekenner der Mosaischen Religion fast allenthalben gelebt haben, jetzt, Dank sei es der vorschreitenden Aufklärung, der Frucht eines milderen Zeitgeistes, nur teilweise noch leben, würde noch eine viel größere Verderbtheit derselben, als die, welcher man sie mit Wahrheit beschuldigen kann, wenn nicht rechtfertigen, doch erklären. Wie will man Tugenden von ihnen erwarten, wenn man keine ihnen zutraut? Wie will man Vergehungen ihnen vorwerfen, die man sie zwingt, zu begehren, da man keinen schuldlosen Erwerb, mit alleiniger Ausnahme des Handels und wieder des Handels, ihnen gestattet? Wie will man Gehorsam und Liebe von ihnen fordern, wenn sie sich auch von dem nichtswürdigsten Christen ungestraft verhöhnt, wenn sie von unverschuldeter Verachtung sich getroffen sehen? Wie will man Tugenden, welche den Bürger ehren, von ihnen verlangen, wenn sie, seit Jahrhunderten, zur Schande der Menschheit das Ziel der vergifteten Pfeile des Religionshasses, des Aberglaubens und der Intoleranz waren, wenn sie, gleich einem Balle von der Hand des Fürsten, des Priesters und des Pöbels von einem Lande zum andern geworfen wurden, nur so weit sich geduldet sahen, als sie im Stande waren, Abgaben zu bezahlen, und die Luft, welche sie einatmeten, mit Gelde zu erkaufen? Wenn die bisherige Schlechtigkeit unserer bürgerlichen Verfassung den Juden abhielt, ein guter Bürger, ein geselliger Mensch zu sein, wenn unsere christlichen Regierungen nicht verstanden, die trennenden Grundsätze der Religionsweise zu mildern, und in der Brust des Juden, wie des Christen, ein Gefühl des Bürgers anzufachen, welches die Vorurteile beider längst verzehren müsste; wer möchte dann leugnen, dass dies alles unser Werk, nur das Unsrige, sei; wer möchte dann behaupten, dass jene sittliche Verderbtheit, in welche diese beklagenswerte Nation durch eine fehlerhafte Politik hier und da teilweise versunken sein könnte, ein Grund sein dürfe, die Fortdauer der letzteren zu rechtfertigen? Nein, in der Tat, nur ein Überbleibsel der Barbarei verflossener Jahrhunderte, nur eine Wirkung fanatischen Religionshasses, unwürdig der Aufklärung unserer Zeiten, ist sie, und auf allen Blättern lehrt die Geschichte, dass, was man den Juden vorwirft, nur durch die politische Verfassung, in welcher sie jetzt leben, bewirkt wird. Ewige Gesetze der Moral, auf denen Monarchien und Republiken ruhen müssen, Grundsätze einer wahren und gesunden Politik, heischen, dass man der schmachvollen Bedrückung, welche noch sie gefangen hält, auf ewig ein Ende mache. Nur Gerechtigkeit lässt man ihnen widerfahren, wenn man sie von besonderen Auflagen befreit, wenn man ihnen die Pforten der Betriebsamkeit, der Künste und Wissenschaften, öffnet, wenn man den Platz ihnen einräumt, welchen die Natur ihnen vergönnte, den sie nie hätten verlassen sollen. Dann werden immer und allenthalben biedere und nützliche Bürger aus ihnen hervorgehen. Dann werden sie, die, obgleich auf der ganzen Oberfläche der Erde Weit zerstreut, dennoch eine besondere Nation, und, wie man so oft ihnen vorwarf, einen Staat im Staate ausmachen, unter andere Völker sich vermischen, und als dem Staate sich einverleibt betrachten, wenn sie ein Vaterland haben, wenn sie Untertanen, nicht Sklaven, der Regierungen sein werden. Verscheuchen wird dann der Genuss der bürgerlichen Glückseligkeit und der so lange versagten Freiheit jede ungeselligen Religionsgesinnungen. Lieben wird der Jude einen Staat, in welchem er ein freies Eigentum erwerben und gemessen darf; lieben wird er Mitbürger, welche durch kränkende Vorrechte nicht von ihm geschieden sind, und mit der Innigkeit eines bisher verkannten, nach langer Verbannung, in die kindlichen Rechte eingesetzten, Sohns, wird er das Vaterland betrachten, an welches nun die heiligsten Beziehungen ihn ketten. So erfüllen wir eine heilige Pflicht. Ein Ursprung ward nur, — eine Bestimmung. Ein Ursprung: denn jener Abraham, in welchem das Volk Israel seinen Stammvater ehrte, stammte wieder von dem ersten Menschen, und unsere Vorfahren, in jenen fernen Zeitaltern, was Namen sie auch getragen, welches Land sie auch bewohnt, welche Sprache sie auch geredet, welche Sitten und Gebräuche sie auch von einander getrennt haben mögen, ob sie die Gottheit in einem Tempel, oder in einem Hain, verehrten, waren Brüder, und je weiter wir in die Zeit zurückgehen, je mehr sehen wir, wie sie sich gegenseitig näherten. Eine Bestimmung, zur Tugend, und durch Tugend wieder zum Glücke. So sei es denn das große und edle Geschäft der Regierungen, die abschließenden Grundsätze der verschiedenen Gesellschaften, welche im Gange der Zeiten sich trennten, also zu mildern, dass sie der großen Verbindung, welche sie alle umfasst, nicht nachteilig werden, dass jede dieser Trennungen nur den Wetteifer und die Tätigkeit wecken, nicht Abneigung und Entfernung hervorbringen , und dass sie alle sich in der großen Harmonie des Staates auflösen.