Ohrenbeichte

O heilige Religion der Katholiken, wie atmen nicht alle deine Anstalten die Liebe der Menschheit! Wenn der Mensch fällt, so beschwerest du des Schuldigen Herz nicht mit der drückenden Bürde eines Fehlers, über dessen Erlass die Heiligkeit des beleidigten Gottes die begründetsten Zweifel zurückließe. Grauenvolle Zweifel! unerträglicher Gedanke! er würde ihn umschlingen, wie der Geier seine Beute; ihn in Verzweiflung stürzen, wofern er sein Gemüt gegen die Gewissensfolter nicht abhärtete. Die Religion der Liebe entreißt ihn dem ersten Unheil, und schützet ihn gegen das Zweite, das für die Gesellschaft noch tausendmal verderblicher ist. Sie bietet dem Sünder eine hilfreiche Hand, um ihn emporzuheben; sie reicht ihm, nach dem schönen Ausdruck der Katholiken, ein Rettungsbrett nach dem Schiffbruch.

Wenn man die Erfahrung berücksichtigt über die Wirksamkeit der Ohrenbeichte, mit welcher sie den Verbrecher, deren Anklage solche Überwindung kostet, vorbeugt, während man über den Frieden, den die demütige Anklagung seiner Fehler in die Seele bringt, keinen Zweifel erheben kann, sollte man da noch fragen, ob gemutmaßte, und, man kann es mit Gewissheit sagen, nie erwiesene Missbräuche *), welche ehrgeizige und meineidige Priester hinsichtlich dieses Sakramentes sich erlaubt haben sollen, jenen abgewendeten Verbrechen, jenen erstickten Feindseligkeiten, jenen Versöhnungen, Rückerstattungen, — lauter kostbare und zahlreiche Früchte dieser Anstalt, das Gleichgewicht zu halten vermögen **)?


*) „Das Geheimnis der Beichte ist nur auf einer Seite undurchdringlich ...Wenn des Büßer gewahrt, dass der Beichtvater sein Amt missbrauchte, so hat er das Recht, ihn anzuklagen. Wie kommt es nun aber, dass sich noch kein einziger Angeber der Art Verführung vorgefunden hat?“
„In dem Bußsakrament ist befohlen, dass, wer gereinigt sein will, sich dem Priester zeige, die Sünden beichte, und noch dazu nach dem Urteil des Priesters einer Züchtigung sich unterziehe, welche für die Zukunft als Warnung dienen könne; und da Gott die Priester als Ärzte der Seelen eingesetzt hat, so wollte er auch, dass ihnen die Übel des Kranken entdeckt, und das Gewissen entschleiert werde; daher hat, wie man erzählt, der bußfertige Theodosius sehr weislich zu dem h. Ambrosius gesagt: an dir ist es, die Arzneimittel anzugeben und zuzubereiten; an mir aber ist es, dieselben einzunehmen. Die Arzneimittel aber sind die Gesetze, welche der Priester dem Büßenden auferlegt, damit derselbe sowohl das vergangene Übel fühle, als das zukünftige vermeide; und dieses wird mit dem Namen Genugtuung bezeichnet, weil dieser Gehorsam des sich selbst Züchtigenden Gott angenehm ist, und die zeitliche Strafe lindert oder aufhebt, welche er sonst von Gott zu erwarten gehabt hätte. Es kann aber nicht geleugnet werden, dass diese ganze Einrichtung der göttlichen Weisheit würdig sei; und gewiss, wenn etwas schon und lobenswürdig ist in der christlichen Religion, so ist es dieses; welches selbst Chinesen und Japaner bewundert haben: denn die Notwendigkeit, zu beichten, schreckt viele, besonders jene, welche noch nicht verhärtet sind, von der Sünde ab, und gewährt den Gefallenen großen Trost, so dass ich glaube, ein frommer, gesetzter und kluger Beichtvater sei ein großes Werkzeug Gottes zum Heil der Seelen; denn sein Rat nutzet uns zur Regelung unserer Neigungen, zur Wahrnehmung unserer Fehler, zur Vermeidung der Gelegenheiten zur Sünde, zur Wiedererstattung des Entwendeten, zum Ersatz des Schadens, zur Zerstreuung der Zweifel, zur Aufrichtung des niedergebeugten Geistes, endlich zur Tilgung oder Linderung aller Seelenübel. Und wenn man auf Erde kaum etwas Vortrefflicheres als einen treuen Freund finden kann, wie wichtig erst wird er dann für uns, wenn derselbe durch die unverletzbare Heiligkeit eines göttlichen Sakraments zur Haltung der Treue und zur Hilfsleistung verpflichtet wird? Obgleich aber vor Seiten, wo der Eifer der Frömmigkeit noch glühender gewesen, die öffentliche Beichte und Buße unter den Christen üblich war: so gefiel es doch Gott, um unsrer Schwäche zu Hilfe zu kommen, durch die Kirche den Gläubigen zu erkennen zu geben, es genüge eine besondere Beichte vor einem Priester, wobei er auch noch, um alle Menschenfurcht vor der Beichte zu beseitigen, das unverbrüchlichste Stillschweigen beobachtet wissen wollte; darum ist die Beichte nicht weniger göttlichen Rechtes, wie die Kirche beschlossen und vorgeschrieben hat. Leibnitz in seinem Systema Theologicum.