Ueber das Wesen der Liebe.

Autor: Teichmüller, Gustav (1832-1888) deutscher Philosoph, Erscheinungsjahr: 1879
Themenbereiche
Inhaltsverzeichnis
    Vorwort.
  1. Erster Teil. Kritik der früheren Erklärungsversuche.
  2. 2. Abschnitt. Die speculativen Versuche.
    A. Die ratlose Speculation.
    A1. Kant und die Verdammung aller Liebe.
    A2. Schopenhauer. Anfang und Ende - das Nichts.
    A3. E. v. Hartmann.
    B. Die theologisierenden Denker.
    B1. Fichte.
    B2. Schelling.
    C. Die strengeren Philosophen.
    C1. Hegel. Liebe als Hingabe des Ich und Tod.
    C2. Aristoteles.
    C3. Plato.
  3. Zweiter Teil. Theorie.
  4. 1. Abschnitt. Gattungsbegriff der Liebe.
    1. Die Liebe ist unbewußt und von dem freien Willen unabhängig.
    2. Gattungsbegriff der Liebe.
    3. Über das Verhältnis von Trieb und Willen.
    4. Trieb, Liebe und Begehren.
    5. Metaphysische Voraussetzungen der Liebe.
    5. a. Die Welt als Koordinatensystem, das durch die Liebe lebendig ist.
    5. b. Der Begriff der Liebe fordert den teleologischen Idealismus.
    5. c. Entwickelung in der Welt durch Koordination der individuellen mit den fremden Interessen.
    2. Abschnitt. Artbegriff der Liebe.
    1. Die spezifische Differenz.
    2. Definition der Liebe.
  5. 3. Hass und Liebe.
  6. 4. Die beiden Gesetze oder Richtungen der Liebe.
Vorrede.

Diese Schrift will das bloß Fachmännische und Gelehrte meiden, um jedem Höhergebildeten zugänglich zu sein. Was ich in Reval in einem freien Vortrage kurz andeuten und zum Verständniß bringen konnte, das muß hier, der Feder anvertraut, die Aufmerksamkeit länger in Anspruch nehmen, um den Vorzügen, welche immerhin das lebendige Wort an Kraft und Klarheit hat, die Wage zu halten. Da der Gegenstand, den wir untersuchen, jedermanns eigene Angelegenheit ist, so lag die Gefahr nahe, poetisch oder rhetorisch zu reden, poetisch, um das Gewöhnliche zu vermeiden, rhetorisch, weil man eine Menge von Überzeugungen hier leicht als schon vorhanden voraussetzen und sich unmittelbar an das Gemüth wenden konnte. Wir wollen aber philosophiren und dürfen nichts voraussetzen. Ich bitte daher den Leser um Geduld, wenn ich bei der Feststellung der Begriffe und der Einteilungen etwas länger verweile. Dergleichen ist nicht so anmutig zu lesen, aber desto nützlicher zu wissen, wenn man feste Überzeugungen gewinnen und das einer edleren Natur und höheren Bildung unwürdige Schaukelspiel der Meinungen los werden will. Ein fester Begriff ist auch in seiner schlichten Herbheit immer unvergleichbar werthvoller als die betrügerisch duftenden Redeblumen und die Schmeicheleien der Redekunst.

Ohne Hoffnung kann man nicht leben, sagt das Sprüchwort, also auch nicht ohne Liebe; denn die Hoffnung ist eine Tochter der Liebe, da man nur zu erreichen hofft, was man liebt. Mithin ist die Liebe unentbehrlich zum Leben; aber nicht der Begriff der Liebe. Das Erkennen und Wissen ist wie alle höheren Güter immer nur für einen kleineren Kreis bestimmt und für diese Privilegien der edleren Naturen bedarf es keines Rechtsschutzes, da der Geschmack der großen Menge immer gröbere Reize fordert, um angelockt zu werden. Die große Menge muß man wie die Kinder erziehen und bändigen durch feste Gewöhnungen und festen Glauben; wenn sie räsonnjrt, wird sie gefährlich und unglücklich. Das Philosophiren ist immer aristokratisch, und so wenden sich diese Untersuchungen auch nur an den ausgewählten Kreis der Gebildeten, welchen das Denken Bedürfniß und Genuß ist.
Juli 1879.