Westfalen

Die Erfahrung hat allgemein gelehrt, dass der Zweck der verschiedenen neueren Gesetzgebungen, die Juden durch Gleichsetzung mit den christlichen Staatsbürgern zu einem verhältnismäßigen Beitritt der verschiedenen Klassen der bürgerlichen Gesellschaft zu bewegen, nicht erreicht worden, und dass sie fortdauernd als eine abgeschlossene, wuchernde, dem Landmanne besonders verderbliche Kaste dastehen.

Das hohe Ministerium des Innern hatte daher über die hier bestehende, die Juden betreffende Gesetzgebung, und deren erforderliche Abänderung, das Gutachten der Landstände gefordert, und ward ihnen zu ihrer Belehrung von dem Königlichen Landtags-Commissarius ein ausführliches I’ro-Memoria über den Zustand der Juden in Westfalen vorgelegt.


Hiernach stimmte die ältere Gesetzgebung aller einzelnen, die Provinz Westfalen bildenden, Landesteile darin überein, den Juden nur Rechte der Schutzverwandten zu erteilen, ihre Vermehrung zu verhindern, durch Abweisung der Fremden und Beschränkung des Rechts der einheimischen, für mehrere ihrer Kinder besondere selbstständige Familien zu bilden. Es wurden ihnen ferner bestimmte Wohnsitze angewiesen, und sie traf eine besondere Steuer.

Dagegen war ihnen Handel, in einigen Ländern auch der Betrieb von Gewerben, und der Ankauf von Wohnhäusern gestattet. '

Die Königlich westfälische und die belgische Gesetzgebung erteilte den Juden das volle Bürgerrecht— im Herzogtum Westfalen blieb die alte Verfassung bestehen.

In dem französischen Teile des Münsterschen und Mindenschen blieb die bergische und westfälische Gesetzgebung; das von Napoleon den 17. März 1808 erlassene, dem Wucher der Juden entgegenwirkende Dekret (No. 3210 Bulletin de loix 4 Serie) kam nicht in Anwendung.

Seit der Preußischen Wieder-Besitznahme ist in der vorgefundenen Gesetzgebung nichts verändert, und nur bestimmt worden:

        a) dass jeder Landesteil, so eine besondere Juden-Verfassung hat, für geschlossen anzusehen (Ministerial-Reskript 28. Juli 1824), und das Herumziehen der Juden aus dem einen in den andern nicht zuzulassen;

        b) dass, wo nicht ein geprüfter und tüchtiger jüdischer Lehrer vorhanden, die Judenkinder zum Besuch der christlichen Schulen anzuhalten seien. Im Jahre 1825 waren in der Provinz 11.142 Juden vorhanden, das Verhältnis ihrer Zahl zu der ganzen Bevölkerung wie 1:105; ihre Verteilung ist ungleich, mehrere Kreise sind mit ihnen überladen, z. B. in dem Kreise Höxter ist das Verhältnis wie 1: 33, im Kreise Walburg 1: 22, im Kreise Brilon 1: 32.

Seit 1817 hat sich die Zahl der Juden in Westfalen um 1.425 vermehrt.

Ihre Hauptbeschäftigung bleibt Handel, z. B. im Regierungsbezirke Minden nähren unter 837 Juden-Familien 769 sich vom Handel, und von diesen 329 insbesondere vom Hausieren.

Allgemein spricht sich das Urteil über den verderblichen Einfluss der Juden auf das allgemeine Wohl aus, besonders aber sind sie nachteilig für den Wohlstand des Landmanns durch wucherliche Geld-Vorschüsse, betrügerischen Vieh-Waren-Handel und das Aufdringen von Lotterie-Losen, und für den Krämer in kleinen Städten durch das Hausieren.

Auch aus dem Gesichtspunkte der öffentlichen Sicherheit ist der Jude höchst gefährlich; die Verhandlungen bei dem Mindenschen Inquisitoriate liefern das Resultat, dass jeder 146. Jude ein Verbrecher, von den Christen aber nur jeder 934. es war, also ein Verhältnis von 6 1/3:1.

Die Vorstellungen mehrerer Eingesessenen in der Provinz, die Anträge mehrerer Abgeordneten erkannten alle das Verderbliche der Juden, und ihren nachteiligen Einfluss auf den Landmann.

Bei den Beratungen der Landstände ward zwar von einigen Mitgliedern die Meinung geäußert, dass der Art, 16 der deutschen Bundesakte die den Juden durch die fremde Gesetzgebung erteilten Rechte versichere, und sie daher unabänderlich bestehen müssten.

Die Landstände glaubten aber, dass Se. Königliche Majestät die Verhältnisse zu den Bundesstaaten nach Ihrer allgemeinen Weisheit ordnen würden, und beschäftigten sich allein mit Erwägung der Mittel:

1) zur Verbesserung des religiösen und sittlichen Zustandes der künftigen jüdischen Generation;

2) zur Verhinderung der aus der Verderbtheit der gegenwärtigen Generation entstehenden Übel.

Als wirksame Mittel zur Verbesserung der israelitischen Jugend ward vorgeschlagen:

        a) deren Unterricht durch geprüfte und genehmigte Schullehrer, mit festen Besoldungen, die den Unterricht in deutscher Sprache nach von der Staats-Behörde genehmigten Lehrbüchern erteilen, bewirken zu lassen; — wo aber das Vermögen der Gemeinde eine solche Anstalt verhindert, müssen die Judenkinder die christliche Schule besuchen;

        b) Einführung deutscher Gesang- und Gebetbücher bei dem jüdischen Gottesdienste;

        c) Reinigung des jüdischen Religions-Systems von Talmudischen Satzungen und Rabbinischen Zeremonien — welches erreicht würde durch Ausführung des Gesetzes d. d. 11. April 1810, das die Bildung eines jüdischen Konsistoriums verordnet *).

*) Nota. Hierauf hatte auch ein israelitischer Einwohner in Werl angetragen.

Wohltätig würde die Aufhebung des im Herzogtum Westfalen bestehenden Verbandes der Juden unter einem besonderen Rabbiner wirken.

Die Mittel, um den verderblichen Einfluss der gegenwärtigen jüdischen Generation auf den Wohlstand der übrigen Eingesessenen zu beseitigen, bestehen nach der Meinung der Landstände in folgenden:

1) die Aufhebung des ihnen voreilig durch die Fremdherrschaft erteilten Bürgerrechts;

2) das Verbot, innerhalb der nächsten 10 Jahre Grundstücke oder Häuser zu kaufen;

3) Verpflichtung, die jetzt besessenen ländlichen Grundstücke binnen 10 Jahren zu verkaufen, wenn sie sie nicht selbst bestellen;

4) Führung der Handelsbücher in deutscher Sprache;

5) von mehreren Söhnen wird nur einem der Handel gestattet, die übrigen müssen andere Gewerbe treiben;

6) Verbot christliches Gesinde zu halten;

7) Beobachtung des gesetzlichen Zinsfußes, und Verfall der ganzen Forderung an die Orts-Armen, wenn mehr als 10 % genommen sind;

8) Zulassung der Schuldklagen allein, wenn der Beweis durch Zeugen oder gerichtliche Urkunden geführt werden kann;

9) Verbot der Aufnahme fremder Juden; und

10) ihres Handels in der Provinz, außer:
        a) in größeren Geschäften mit ausdrücklicher Erlaubnis der Regierung,
        b) Viehhandel,
        c) Besuchen der Jahrmärkte;

11) möglichste Beschränkung des Wanderns fremder Juden;

12) Beobachtung des Regulativs wegen Leihen auf Pfänder
d. d. 28. Juni 1826.

Freiherr von Stein.