Rheinprovinz

Se. Majestät hatten geruht, der Stände-Versammlung eine Darstellung der Verhältnisse der Juden in den Rheinprovinzen mit dem Anheimgeben vorlegen zu lassen, in Beratung zu ziehen, und sich darüber zu erklären:

ob und was für Vorschläge und Wünsche sie etwa in Rücksicht der bürgerlichen und Rechtsverhältnisse der Juden in der Provinz anzubringen haben möchten?


Aus dieser Darstellung geht hervor, dass die Zahl der in den Rheinprovinzen wohnenden Bekenner dieses Glaubens 20.742 beträgt, wovon 5.351 dem rechten und 15.391 dem linken Rheinufer angehören.

In dem ganzen Umfange der Rheinprovinzen, wo die französische Gesetzgebung besteht, oder eingeführt gewesen ist, sind den Juden alle bürgerliche Rechte, wie Grundbesitz, Teilnahme an öffentlichen Ämtern gestattet; nur ist ihnen auf dem rechten Rheinufer nicht, wie auf dem linken, die Annahme bestimmter Familien-Namen auferlegt, noch das Kaiserliche Dekret vom 7ten März 1808, welches die Beschränkung des Wuchers zum Zwecke hatte, auf sie angewandt worden.

Dagegen leben sie in den ehemals nassauischen Landesteilen noch unter der großen Beschränkung der alten deutschen Gesetze, sie müssen sich mit besondern Geleitsbriefen versehen lassen, deren von ihren Kindern gewöhnlich nur eins einen erhält; sie bedürfen einer besonderen Erlaubnis zur Verheiratung und zum Handel, und können nur Wohnhäuser mit den dazu gehörigen Gärten, nicht aber ländliche Grundstücke u. s. w. besitzen.

Nach reiflicher Erörterung, des Gegenstandes und nachdem einige Anträge zu größerer Begünstigung der Juden, mehrere aber zu einer strengeren Beschränkung derselben, von dem Landtage verworfen norden, hat dieselbe sich dahin vereinigt, folgende Wünsche Sr. Majestät alleruntertänigst vorzutragen:

1) dass nach dem Vorbehalt in dem Edikt vom 11ten März 1812 tz. 39. die Juden aller Provinzen einem General-Synebrio unterzuordnen seien, aus Männern von Kenntnis und Rechtschaffenheit bestehend, welches das Kirchenwesen zu besorgen, eine authentische Deklaration der jüdischen Glaubenslehren über ihre Pflichten gegen die christliche Obrigkeit und ihre christlichen Mitbürger zu fordern, und diese Deklaration nach erfolgter Allerhöchster Bestätigung, den Judenlehrern und Rabbinern als verbindliche Form vorzuschreiben hätte. Auch mochte die Anfertigung jüdischer Religions-Lehrbücher in deutscher Sprache und der Unterricht überhaupt in dieser Sprache zu befehlen sein;

2) dass das vom Oberpräsidenten unterm 13ten Sept. 1824 erlassene Schul-Reglement wegen des Elementar-Unterrichts der jüdischen Kinder nicht nur fortbestehen, sondern auch von Sr. Majestät förmlich bestätigt werden möge;

3) dass die Juden in den östlichen Teilen der Provinz mit denen in den westlichen Teilen wohnenden völlig gleich gestellt, und aus dem, durch das Allerhöchste Dekret vom 3ten März 1818 bestätigten. Kaiserlichen Gesetze vom 17ten März 1808 folgende Artikel als verbindlich für die Juden in der ganzen Provinz erklärt werden möchten, nämlich:

        a. dass jede Verbindlichkeit für Anleihen, welche Juden an Minderjährige, Frauen, Soldaten, Unteroffiziere oder Offiziere ohne Bevollmächtigung ihrer Vormünder, Ehemänner, Hauptleute oder der Chefs ihres Corps gemacht, von Rechtswegen nichtig sein sollen, ohne dass die Inhaber oder Cessionairs sie gültig machen, und die Gerichte zu einer Klage deshalb autorisieren dürfen.

        b. Dass kein Wechselbrief, kein Billet auf Ordre, keine Obligation oder Versprechen, welches von einem nicht Handeltreibenden unterzeichnet worden, eingefordert werden könne, ohne dass der Inhaber beweise, dass der ganze Wert ohne Betrug erlegt worden sei.

        c. Dass jede Schuldforderung, deren Kapital auf eine offenbare oder verborgene Weise durch Häufung der Zinsen von mehr als 5 Prozent jährlich beschwert ist, von den Gerichten herabgesetzt werden solle, und wenn der zum Kapital geschlagene Zins 10 Prozent übersteigt, die Schuldforderung für wucherisch erklärt, und als solche vernichtet werden soll.

        d. Jeder Handel, welchen ein nicht patentisierter Jude geschlossen hat, soll nichtig und wirkungslos sein, insofern er in der Zeit geschlossen worden, wo das Dekret vom 17tenMärz 1808 gesetzliche Kraft gehabt hat.

        e. Alle Kontrakte oder Verschreibungen, welche zum Pesten eines nicht patentisierten Juden wahrend der Dauer des obigen Dekrets für Gegenstände, welche mit Handel, Maklerei und Schacher nichts gemein haben, eingegangen, werden, soll man durchschauen können. Dem Schuldner wird vergönnt, zu erweisen, dass betrügerischer Schacher, Gewinnst oder Wucher da sei, und wann sich der Beweis findet, so können die Schuldforderungen vom Gerichte schiedsrichterlich herabgesetzt, oder auch, wofern der Wucher 10 Prozent übersteigt, vernichtet werden.

        f. Die Verfügungen des Art. 4. des Dekrets (Litt. b.) über Wechselbriefe sind auf das Zukünftige wie auf das Vergangene anzuwenden, jedoch mit Ausnahme des Vergangenen auf der rechten Rheinseite, wo das Dekret erst künftig zur Anwendung kommen würde, und ihm keine rückwirkende Kraft beigelegt werden kann.

        g. Kein Jude darf Dienstboten oder Lohnleuten auf Pfand leihen, und andern Personen nur insofern, als ein Notar darüber einen Akt aussetzt, in welchem bescheinigt werden muss, dass die Geldsorten in seiner Gegenwart und in Beisein von Zeugen erlegt worden seien. Ist diese Formalität nicht erfüllt worden, so soll der Inhaber alles Recht auf die Pfänder verlieren, deren unentgeltliche Rückgabe die Gerichte solchenfalls befehlen können.

        h. Bei den nämlichen Strafen sollen Juden keine Instrumente, Gerätschaften, Werkzeuge und Kleidungsstücke von Arbeitsleuten, Taglöhnern oder Dienstboten annehmen dürfen.

        i. Kein Jude, welcher nicht wirklich in den Rheinprovinzen domiliziert ist, soll anders als kraft ausdrücklicher Bewilligung Sr. Majestät die Erlaubnis erhalten, sich darin niederzulassen.

Ferner trug die Stände-Versammlung darauf an, dass

4) den Juden die Erwerbung des Staats- und Gemeinde- Bürgerrechts, mit welchen die Übernahme von Staats- und Gemeinde-Ämtern verbunden ist, versagt, und sie bloß als Schutzverwandte in den Gemeinden zugelassen, ihnen jedoch gestattet werden möge, die Vormundschaft über die eigenen Glaubens-Verwandten zu führen; dass sie

5) angehalten werden sollen, ihre Handelsbücher in deutscher Sprache zu führen, sich dieser auch bei Verträgen und rechtlichen Willenserklärungen aller Art, und endlich auch nur deutscher oder lateinischer Schriftzüge zu ihrer Namens-Unterschrift zu bedienen. Dass

6) die Juden in dem ostrheinischen Teile der Provinz zur Annahme bestimmter Familien-Namen, nach Vorschrift des Edikts vom 11ten März 1812 angewiesen, ihnen jedoch untersagt werde, die Namen bekannter Familien zu wählen. Dass

7) insofern der Hausierhandel überhaupt gestattet werde, die Juden dabei so zu beschränken seien, dass sie ihre Waren nicht auf Kredit verkaufen, wenn sie es aber dennoch tun, sie solche Schulden nicht gerichtlich einklagen dürfen. Dass

8) diese Beschränkungen vorläufig auf zehn Jahre festzusetzen und vor Ablauf derselben ein abermaliges Gutachten der Stände über eine weitere Verlängerung, Modifikation oder gänzliche Aufhebung derselben allergnädigst zu erfordern sei, und dass endlich

9) für den Fall, dass es Sr. Majestät gefallen sollte, die Art. 7. und 8. des allegierten Dekrets vom 17ten März 1808 auch ferner mit den übrigen bestehen zu lassen, allerhöchst dieselben bestimmen möchten, dass denjenigen Juden auf dem linken Rheinufer, welche 10 Jahre lang ununterbrochen im Besitze des polizeilichen Patents gewesen, und noch überdies ein Zeugnis von 3/4 des Gemeinderats beibringen, dass sie sich durch eine tadellose Handlungsweise ausgezeichnet haben, die fernere Lösung dieses Patents erlassen, die Juden der rechten Rheinseite aber, welche durch ein Zeugnis von 3/4 des Magistrats oder Ortsvorstandes nachweisen, dass sie in dem Rufe eines rechtlichen Lebens und Handelns stehen, von Lösung des Patents entbunden sein sollen
August, Fürst zu Wied.