Die Entwickelung bürgerlicher und politischer Verhältnisse

Wie diese Zeit, in Allem, was die Entwickelung bürgerlicher und politischer Verhältnisse betrifft, sich zu den Extremen hinneigt, so bleibt sie auch in Hinsicht der Angelegenheiten der Juden diesem ihrem Charakter treu. Blinder Juden-Hass und blinde Juden-Liebe, der erste jedoch unendlich mehr Teilnehmer zählend als die letzte, treten auch unter den Christen sich schroff und feindlich einander entgegen, und verwirren das Urteil um so leichter, als die Juden selbst, ebenfalls dem Charakter der Zeit gemäß, von der lebhaftesten Ungeduld erfüllt sind, ihren allerdings in vieler Beziehung unerfreulichen Zustand plötzlich umzuwandeln. Sie unterhalten deshalb bald offen und ehrlich, bald verlarvt und mit den Waffen der Hinterlist, einen sehr geräuschvollen Kampf für ihre Sache, bald gegen wirkliche Feinde, bald gegen diejenigen, die sie um deswillen dafür halten, weil sie der Meinung sind, dass in der moralischen wie in der physischen Welt nichts als erwachsen erzeugt werde, sondern erst nach und nach zur Reife sich entwickeln müsse, daher denn auch die Verbesserung des Zustandes der Juden nur allmählich erfolgen könne.

Unter diesen Umständen ist es jetzt um so mehr Pflicht eines Jeden, welcher als Staatsmann oder Schriftsteller an der Verhandlung über öffentliche Angelegenheiten überhaupt, und an der über das Judenwesen insbesondere Teil nimmt, redlich nach demjenigen Standpunkte zu streben, welchen ein reiner und hoher Sinn überhaupt zu erreichen suchen muss, — nicht nach dem der sogenannten richtigen Mitte zwischen den Parteien, wo man von beiden her abwechselnd gedrängt und unsicher gemacht wird; sondern nach dem über den Parteien, von welchem aus allein eine freie und richtige Ansicht zu gewinnen ist.


Wenn wir, uns nach besten Kräften auf diesen Standpunkt versetzend, von ihm aus die Geschichte der Juden betrachten, und sehen, wie dies Volk seit so vielen Jahrhunderten unter allen Völkern zerstreut, zwischen die verschiedensten Verhältnisse und Religionen hingestellt, in den Zeiten der größten Rohheit wie der höchsten Bildung, im Allgemeinen immer als eine Nation betrachtet worden ist, vor welcher die übrige Staatsgesellschaft sich hüten müsse; wie es abwechselnd unterdrückt, vertrieben, wohl auch in Massen gemordet, — dann wieder zurückgerufen, geschützt und begünstigt, und dennoch wieder verbannt oder doch beschränkt, immer aber von den Regierungen und Völkern mit Misstrauen betrachtet worden ist: so müssen wir erkennen, dass nicht ein zweitausendjähriges unter allen Umständen sich immer gleich gebliebenes Vorurteil, — denn ein solches ist wohl in der Weltgeschichte noch nie gefunden worden,— die Ursache dieser Erscheinung sein könne, sondern dass sie in der inneren Eigentümlichkeit der jüdischen Nation begründet sein müsse. Wir werden von vorn herein finden, dass unmöglich alle Nationen ohne Ausnahme diesen Fremdlingen gegenüber Unrecht gehabt haben können, dass vielmehr die letzteren selbst sie gehindert haben müssen, das Gastrecht gegen sie eben so, wie gegen andere Fremde und Einwanderer, walten zu lassen. Es wird uns, selbst ehe wir die Ursache dieser Erscheinung bestimmt erkannt haben, nicht zweifelhaft sein, dass dieselbe Eigentümlichkeit, welche die Völker und Regierungen zu ihrem Verfahren gegen die Juden bestimmte, auch diese letzteren bei Druck und Verfolgung eben so, wie bei Freiheit und Begünstigung, in der übrigen Staatsgesellschaft als Fremde, als besondere Nation erhielt, während wir, so weit die Geschichte reicht, allenthalben die Einwanderer aus fremden Ländern, und selbst die Eroberer, nach und nach sich mit den Einheimischen vermischen und zuletzt mit ihnen völlig verschmelzen sehen.

Bei weiterem Nachdenken werden wir leicht die Ursache dieser Erscheinung in ihrer Religion finden. Ziehen wir von derselben alles ab, was bloß äußerlicher Gebrauch ist, oder was schon die natürliche Religion lehrt, so werden uns als positive Dogmen einer geoffenbarten Religion nur folgende übrig bleiben:

„Gott ist allein der Gott der Juden, und ihr besonderes geistliches und weltliches Oberhaupt.*) Nur die Juden liebt er, alle andere Völker hasst und verachtet er. Zur Strafe für ihre Sünden hat er die Juden in alle Welt zerstreut und sie in die Gewalt der Feinde gegeben. Aber er wird, wenn es Zeit ist, seinen Messias senden, und diejenigen, die ihm treu geblieben, nach Palästina zurückführen lassen, wo das alte Gottesreich in neuer Pracht und Herrlichkeit erstehen wird.“

Diese Lehrsätze mussten wirken, wie sie gewirkt haben. Durch ein strenges, lästiges Ritual-Gesetz, welches gleich ursprünglich in dem Zwecke, die Juden von andern Völkern abzusondern, aufgestellt worden, und für diesen Zweck mit der höchsten Klugheit und Voraussicht berechnet ist, wird immer an diese Sätze erinnert; durch dessen Gebote, welche ihm einen andern Tag der Gottesverehrung als dem christlichen Einwohner vorschreiben, ihm selbst die meisten der von den Nicht-Juden bereiteten Speisen als unrein verbieten, im Verkehr mit den übrigen Staatsbürgern mannigfach beschränkt, selbst von dem gastlichen Tische der Christen ausgeschlossen, kann der gläubige Jude in dem Lande, das er bewohnt, sich nie als Einheimischer fühlen. Er wird die Bewohner desselben nie als seine mit ihm zu gemeinsamen Staatszwecken vereinten Landsleute, den Regenten desselben wohl als faktischen Gewalthaber, nie aber mit Beistimmung seines Gewissens als rechtmäßigen Oberherrn, im besten Falle nur als gütigen Schutzherrn in dem Lande der Verbannung anerkennen.*) Grundeigentum wird er erwerben, nicht um es zu bebauen und für Kind und Kindeskind zu verbessern, da ja heut oder morgen der Messias kommen und ihn nach Palästina zurückrufen kann; sondern um es sobald als möglich mit Gewinn wieder zu verkaufen. Überhaupt aber werden ihm nur diejenigen Gewerbe zusagen, die er so schnell als möglich mit dem geringsten Verlust gänzlich aufgeben kann, wenn einmal der große Ruf erschallt, der ihn in sein eigentliches Vaterland zurückführt.

*) 2. B. Moses 19, 5. 6.: Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein, und ihr sollt mir ein priesterlich Königreich und ein heiliges Volk sein.

So sehen wir aus diesen Dogmen und aus dem zur Erhaltung derselben aufgestellten Ritual-Gesetzen alle Eigentümlichkeiten der Juden, und mit ihnen alle diejenigen Maßregeln erklärt, welche zu allen Zeiten und unter allen Völkern gegen dies Volk gerichtet gewesen sind. Wir erkennen aber zugleich, dass diese Maßregeln, wie jede die natürliche Entwickelung hemmende Reaktion, ihren Zweck nicht erreichen konnten, sondern vielmehr dahin wirken mussten, die Juden in ihrer Eigentümlichkeit zu bestärken, ihre Absonderung von der übrigen Staatsgesellschaft schärfer, und ihr Zusammenhalten unter sich inniger zu machen; zugleich aber in ihren Gemütern eine Erbitterung zu erregen, in welcher ihnen Alles, was sie gegen ihre Bedränger unternehmen mochten, als gerecht und billig erscheinen musste. Da die Macht nicht auf ihrer Seite war, so mussten sie zu den Waffen der List ihre Zuflucht nehmen, um sich gegen die Unterdrücker in Vorteil zu setzen, und so bildete sich von selbst von Geschlecht zu Geschlecht jene Schlauheit in ihnen aus, in welcher sie ohne Zweifel den Christen bei weitem überlegen sind.**) Waren sie von Anfang an durch ihre aus jenen Glaubenssätzen hervorgehenden Eigentümlichkeiten der übrigen Gesellschaft beschwerlich, so mussten sie durch dasjenige, was man gegen sie vorkehrte, noch beschwerlicher, ja oft gefährlich werden. Immer aber musste ihr Verhältnis zu der Gesellschaft ein unnatürliches und für beide Teile lästiges bleiben, da sie weder als Fremde, noch als Einheimische betrachtet werden, noch sich selbst betrachten konnten; nicht als Fremde, da sie bei uns auf die Dauer sich angesiedelt hatten, und da uns ihre Hoffnung auf den Messias als täuschend, ihnen selbst aber, auch bei dem stärksten Glauben, wenigstens in Hinsicht der Zeit, da sie sich verwirklichen möchte, als höchst ungewiss erscheinen musste; — nicht als Einheimische, da sie unser Vaterland nicht als das ihrige betrachten, sich nicht mit uns zu einem Volke verschmelzen , ja, selbst ohne Hemmung von unserer Seite, nicht gewerblich und gesellig mit uns frei verkehren konnten. Wo sie sich niederließen, blieben sie Glieder der jüdischen Nation, inmitten der Nation des Landes.

*) 5. B. Moses 17. V. 15.: Du sollst den zum König über dich setzen, den der Herr, dein Gott, erwählen wird. Du sollst aber aus deinen Brüdern einen zum König über dich setzen. Du kannst nicht irgend einen Fremden, der nicht dein Bruder ist, über dich setzen.

**) Manche Schriftsteller suchen zu beweisen, dass ihnen die Anlage dazu schon zu der Zeit, als sie noch einen besonderen Staat bildeten vorzüglich eigen gewesen sei. So äußert Leo in seinen Vorlesungen über die Geschichte des jüdischen Staates, G. 2: „Was zuerst die Eigentümlichkeit des Jüdischen Volkes anbetrifft, so steht es dadurch vor allen Völkern dieser Welt ausgezeichnet da, dass es einen wahrhaft zerfressenden und auflösenden Verstand besitzt.“


Haben auch diese Verhältnisse bei der allgemeinen Bildung der Zeit, die auf die Juden nicht ohne Einfluss sein konnte, sich gemildert, ist nicht mehr von Mord, Verfolgung und Verbannung die Rede; so bleibt doch die Eigentümlichkeit derselben auch noch ferner bestehen, und wird es bleiben, so lange die Juden sich zu den Worten jener positiven Lehrsätze ihrer Religion bekennen und von der Strenge ihrer Ritual-Gesetze nicht nachlassen. Wir müssen in Wahrheit die ganz außerordentliche, in ihrer Art einzige Weisheit des jüdischen Gesetzgebers bewundern, welcher seine Legislation so einrichtete, dass der Zweck derselben, die Juden von allen Völkern abzusondern, noch nach Jahrtausenden erreicht, und in den Anhängern dieses Gesetzes dadurch den Muth und die Kraft erhalten wird, auch mit den schwersten Opfern derselben treu zu bleiben.

Diese Beharrlichkeit muss demjenigen, der das Menschlich-Würdige, ohne Rücksicht auf die äußere Erscheinung, zu achten weiß, als eine höchst ehrenwerte Eigenschaft der jüdischen Nation erscheinen. So sehr wir vom Standpunkte der christlichen Staatsgesellschaft aus zu unserm eigenen Besten und zu dem der Juden wünschen, dass Alle der Überzeugung vieler Gebildeten unter ihnen beitreten möchten, dieses Ritual-Gesetz sei nur ein Gelegenheits-Gesetz, bestimmt für den Aufenthalt in den Wüsten Arabiens und in Palästina, jedenfalls unausführbar, und daher erloschen, seit die jüdische Nation ein Volk für sich zu sein aufgehört hat; — so können wir doch diejenigen, die diese Überzeugung noch nicht gewonnen haben, in Hinsicht ihrer religiösen Gewissenhaftigkeit nur hochachten, wenn sie ihrem Gesetze in aller seiner Strenge treu bleiben. Wenn daher ein christlicher Staatsbürger, der die Grundlehre seiner Religion, die der Liebe, in sein Gemüt aufgenommen hat, dennoch von der Notwendigkeit fernerer Beschränkung der Juden überzeugt ist, so kann Hass und Verachtung gegen die Nation, um ihres Glaubens willen, nicht die Ursache dieser Überzeugung sein, — sondern nur die Folgen dieses Glaubens, wie sie unter uns tatsächlich hervortreten, können dieselben begründen.

Und hier ist es denn wohl der Sache angemessen, dass wir nicht bloß dasjenige näher betrachten, was die jüdische Nation Achtungswertes an sich hat, und was ihre Missverhältnisse zu den christlichen Einwohnern erklärt und entschuldigt; sondern auch dasjenige, was die Stimmung der Christen gegen sie und die daraus hervorgegangenen, Gesetze als notwendiges Resultat dieser Stimmung und des ganzen Verhältnisses erkennen lässt und rechtfertigt.

Das Sprichwort: Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich — ist zu tief in dem Instinkte des Volkes begründet, als dass es seine Anwendung nicht auf das Verhältnis der Gesellschaft zu den unter ihr zerstreuten Juden finden sollte. Sehen wir in einer Stadt, wo der Einzelne bemerkt werden kann, einen Fremden mit den Seinigen sich ansiedeln, aber sich fortwährend von der Gemeinschaft mit den Einheimischen zurückhalten, so werden wir auch bald bemerken müssen, dass die Letzteren Misstrauen gegen ihn empfinden, den Ursachen seiner Nachsonderung nachspüren, und diese zu seinen Nachteilen deuten, selbst wenn er durch seine Handlungen keinen hinreichenden Grund zu dieser Deutung gegeben haben sollte. Diese aus dem Streben des Menschen nach Gesellschaftlichkeit und Gemeinsamkeit von selbst und unter allen Umständen hervorgehende Erscheinung musste notwendig bei jeder Ansiedelung von Juden schon um deswegen eintreten, weil ihr Gesetz ihnen Absonderung gebot und notwendig machte, selbst wenn die Absonderung ihnen die Vermeidung jeder Berührung erlaubt, und nicht den geringsten Anschein von Feindseligkeit gehabt hätte. Aber um so unfreundlicher musste sie in jedem Volke gegen die Juden hervortreten, da, wenn auch ihr Gesetz unbekannt gewesen wäre, sie in Befolgung desselben unmöglich verbergen konnten, dass sie sich selbst für ein besseres und von Gott geliebteres Volk und die anderen für Unreine hielten, aus deren Hand nicht einmal eine Erquickung angenommen werden dürfe. Wären die Juden gekommen, um im fremden Lande von ihren Renten zu leben, so hätte bei dem durch solche Verhältnisse entstandenen Misstrauen und Unwillen doch noch Gleichgültigkeit bis zu einem gewissen Grade bestehen können. Aber sie waren gekommen, um sich durch den Verkehr mit den Einheimischen zu ernähren, wo möglich zu bereichern. Mannigfache Berührungen zwischen beiden Teilen konnten nicht ausbleiben, und sie mussten notwendig die Folge haben, die ein mit gegenseitigem Misstrauen begonnenes Verhältnis, das auch nie zu einer gleichmäßigen festen Verbindung führen kann, immer haben wird, beiderseitiges, größeres Misstrauen, feindseliges Abstoßen, strengere Absonderung. Dies alles musste bei jedem Volke, mit welchem die Juden in Verbindung traten, ganz ohne Rücksicht auf seine Religion eintreten, wie viel mehr bei den Christen in den Zeiten des religiösen Fanatismus, da ihnen die Juden als Nachkömmlinge jener Verruchten erschienen, welche Christum ermordet hatten, und deren Kinder nun zur Strafe, für den graulichsten aller Frevel mit Fluch belastet und in alle Welt zerstreut waren.

Durch alles dies hat sich in der frühern Zeit das gegenseitige Verhältnis zwischen Christen und Juden, und die darauf beruhende Gesetzgebung ausgebildet, und wird hieraus hinlänglich erläutert sein. Durch ungeheure scheußliche Freveltaten, von den Christen gegen die Juden verübt, musste sich notwendig der Hass gegen die ersteren in den letztern immer fester setzen und auf ihre Gemüter wirken, wie das Gefühl erlittenen, schreienden Unrechts immer auf den Schwächeren wirkt, so wie der hierdurch sich ausbildende und in Tatsachen sich darstellende Charakter wieder auf die Christen zurückwirkte.

Obgleich das jetzige Zeitalter, mit Ausschluss einer geringen Anzahl christlicher Schwärmer, zu religiöser Duldsamkeit mehr als irgend ein anderes sich hinneigt, so sind doch die Folgen dessen, was man sich früher gegenseitig vorzuwerfen hatte, noch nicht verschwunden. Sie wirken noch fort und werden fortwirken, so lange es noch Juden gibt, die an ihre Dogmen, ihrem Wortsinne nach, glauben, ihr Ritual-Gesetz in seiner ganzen Strenge beobachten, deshalb in ihrer Absonderung von den Christen beharren, und eben darum in dem oben bezeichneten unnatürlichen Verhältnisse bleiben, in welchem sie von sich selbst und von uns weder als Fremde noch als Einheimische betrachtet werden können.

Wir ehren die Meinung derjenigen Christen, welche, nicht, weil sie vom Schwindel der Zeit ergriffen sind, sondern aus edleren Motiven, aus der Liebe in ihrem Herzen und wahrhaftem besonnenem Freisinne für die unbedingte Emanzipation der Juden stimmen. Dennoch aber müssen wir glauben, dass eine solche Emanzipation selbst für das wahre und bleibende Wohl der Juden unter uns noch zu zeitig, dass sie in ihrem eigenen Zustande und in dem der Gesellschaft noch nicht hinreichend vorbereitet, und dass die letztere der unermesslichen Mehrzahl nach noch entschieden dagegen gestimmt sei.

Zu dieser letztern Meinung berechtigt uns das Zusammentreffen einer großen Zahl klarer und, wie uns scheint, untrüglicher Symptome. In der Preußischen Monarchie haben sich, wie der Anhang zeigt, die von einander ganz unabhängigen und besonders befragten Stände aller acht Provinzen ohne Ausnahme für die Beschränkung der Juden erklärt, so verschieden auch ihre Vorschläge wegen der Art dieser Beschränkung ausgefallen sind. Auch diejenigen Provinzen , in welchen man die Wirkungen des Emanzipations-Edikts vom 11. März 1812 erfahren hat, äußern sich durch ihre Vertreter für Wiederherstellung solcher Beschränkungen , und stellen die gute Wirkung der Emanzipation in Abrede. Vom Rhein, wie vom Pregel und der Spree, lässt sich dieselbe Meinung vernehmen. Und diese Erklärungen sind erfolgt, ohne dass die Regierung ihnen in einer Proposition eine bestimmte Richtung durch Andeutung ihrer Absichten gegeben hätte, da die Stände sämtlich nur aufgefordert worden sind, ihre Anträge und Wünsche über diesen Gegenstand nach den in ihrer Provinz gemachten Erfahrungen zu eröffnen. In andern deutschen Landen ist, soviel uns bekannt, eine völlige Gleichstellung noch nirgends zu Stande gekommen, so viele wohlgemeinte Anregungen deshalb auch geschehen sind, wogegen öfters, neuerlich noch beim Sächsischen Landtage, Petitionen gegen die Emanzipierung eingegangen sind. In England, wo sich die Blüte des konstitutionellen Lebens wohl am meisten entwickelt hat, sind ähnliche Anregungen, ungeachtet der geringen Anzahl der dortigen Juden und des großen Einflusses Einzelner, bis jetzt fruchtlos gewesen. In Frankreich, wo die Juden seit vierzig Jahren emanzipiert sind, ist neuerlich zum ersten Male ein Jude zum Deputierten erwählt, die Wahl aber, wir lassen dahin gestellt, ob bloß wegen mangelhafter Form, von der Kammer vernichtet worden *). In Norwegen wird noch jetzt kein Jude geduldet, so notwendig auch dieser Staat der jüdischen Kapitale bedürfen mag. Bei uns dringen Städte, die ehedem das Privilegium, keine Juden zu dulden, besaßen oder es noch besitzen, auf dessen Wiederherstellung und Erhaltung,— andere, in welchen nach den alten Gesetzen die jüdischen Familien auf eine gewisse Zahl beschränkt sind, beschweren sich, wenn durch eine von der Behörde erteilte Heiratserlaubnis diese Zahl vermehrt wird, — noch andere, in welchen die Juden in gewisse Quartiere gebannt sind, erheben gleiche Beschwerde, wenn denselben außer diesen eine Ansiedelung gestattet wird. Meistens erklären die Gemeinde Behörden und Vertreter sich gegen die Niederlassung, von Juden, wenn sie um ihre Meinung befragt werden. Nach dem Gesetze vom 11. März 1812 sind Juden zu Gemeinde-Ämtern wählbar; wir haben aber nicht vernommen, dass das Vertrauen ihrer Mitbürger sie oft zu solchen Ämtern berufen hätte. In Berlin fungieren 102 Stadtverordnete, die drei Jahre lang, und 15 unbesoldete Stadträte, die sechs Jahre lang im Amte bleiben. Es haben daher seit Einführung des Gesetzes mehr als 760 Wahlen für diese Stellen Statt finden müssen. Nun machen die Juden in Berlin etwas mehr als zwei Prozent der Bevölkerung aus. Aber unter der großen Menge von Tagelöhnern, Handwerks-Gesellen und Dienstboten werden sich verhältnismäßig weit weniger Juden befinden, daher anzunehmen ist, dass das Verhältnis der jüdischen wählbaren Bürger zu den christlichen ein viel höheres sein wird. Auch muss bemerkt werden, dass sich unter den jüdischen Staatsbürgern der Residenz eine große Anzahl reicher, gebildeter, und wir setzen aus persönlicher Kenntnis mit Überzeugung hinzu, sehr tüchtiger und achtungswerter Männer befinden. Bleiben wir aber bei dem Verhältnisse von zwei Prozent stehen, so hätten wenigstens fünfzehn Juden gewählt werden müssen. Es ist aber in dieser Zeit nur ein Jude, und zwar eine der bedeutendsten jüdischen Notabilitäten, als unbesoldeter Stadtrat, und nur einer als Stadtverordneter gewählt worden. Besoldete jüdische Stadträte hat es, so viel uns bekannt worden, hier noch gar nicht gegeben. Seit 1822 befindet sich aber kein Jude weder im Magistrat noch in der Stadtverordneten-Versammlung. Wir fragen also, zu was es den Juden geholfen hat, dass sie durch das Gesetz von 1812 für wahlfähig zu diesen Ämtern erklärt worden sind?

*) Ob übrigens die öffentliche Meinung die Juden in Frankreich eben so, wie das Gesetz, emanzipiert hat, darüber möge man in Straßburg und der Umgegend Erkundigung einziehen.

Dieselbe Stimme, die wir aus den größeren und kleinern Gemeinwesen hören, lässt sich aus den geselligen Kreisen vernehmen. In Städten, in welchen Juden leben, ist oft eine der ersten Vorschriften der Statuten von Clubbs, Kasinos, Ressourcen, und wie die geselligen Vereine sonst heißen, dass Juden nicht aufgenommen werden dürfen; und wo die Statuten nichts hierüber enthalten, werden sie meistens in Folge stillschweigender Übereinkunft durch die Mehrzahl der schwarzen Kugeln ausgeschlossen. Man wird, wenn man sich erkundigen will, auffallende Beispiele erfahren, dass sehr reiche jüdische Einwohner vergeblich Alles aufgeboten haben, um für sich eine Ausnahme von diesen Grundsätzen zu bewirken.

Wir dürfen wohl mit Gewissheit voraussetzen, dass sowohl christliche Juden-Verteidiger, als verständige Juden selbst in diesen offenkundigen Tatsachen den Ausspruch der öffentlichen Meinung nicht verkennen werden, und legen ihnen nun die Fragen vor: Kann man wohl behaupten, dass die öffentliche Stimme der christlichen Staatsangehörigen, wie sie durch die benannten Organe sich ausspricht, gänzlich unvernünftig und grundlos sei? dass sie nur aus zweitausendjährigem, sich immer gleich gebliebenem, durch keine Erfahrung berichtigtem Vorurteile, aus eingewurzeltem Religionshass herrühre? Oder hat sie ihren Grund in den oben entwickelten Verhältnissen der Juden, welche nie ganz verschwinden werden, so lange sie der Mehrheit nach an jene positiven Sätze ihrer Religion nach dem wörtlichen Inhalte derselben glauben?

Wollte man aber auch diese Fragen alle unbedingt zum Nachteile der Christen und zum Vorteile der Juden beantworten, so wird man doch bekennen müssen, dass die Stellung des Gesetzgebers in dieser Angelegenheit eine sehr schwierige ist. Es ist in dieser Zeit, wo die verletzte öffentliche Meinung so schnell zur Tat wird, doppelt bedenklich, etwas zu tun, was dieser Meinung bestimmt entgegen strebt, daher denn sehr zu befürchten ist, dass eine unbedingte Emanzipation der Juden, wenn auch nirgends eine Revolution — denn dazu ist die Sache, so wichtig sie auch den jüdischen Journalisten erscheinen mag, für die Gesamtheit der Einwohner viel zu unwichtig — doch Unordnungen zur Folge haben würde, wie wir sie vor nicht vielen Jahren in mehreren der ansehnlichsten Städte von Deutschland und Dänemark bei dem berüchtigten Rufe: Hepp! Hepp! haben entstehen sehen, und wie sie vor etwa zehn Jahren auch in Danzig Statt gefunden haben, als man den Juden einen bequemeren Platz für ihre Jahrmarktsbuden eingeräumt hatte. Auf der andern Seite ist es gewiss, dass ein allgemeiner erneuter und verstärkter Druck der Juden, weit entfernt, ihr Verhältnis zu uns natürlicher zu gestalten, sie von ihren uns lästigen Eigentümlichkeiten zu befreien und ihre Anschließung an die Gesellschaft zu befördern, gerade das Gegenteil hervorbringen und das durch die Bildung der Zeit nach und nach von selbst sich mildernde Übel nur verschärfen wird.