IV. Parallele zwischen See- und Flussbädern

Ich kann diese praktische Darstellung der Wirkung des Seebadens, wie ich in der Überschrift den Inhalt dieses Kapitels bezeichnet habe, nicht schließen, ohne eines Umstandes ausführlicher zu erwähnen, der mir bei der Beschäftigung mit der Literatur der Seebäder, als wesentlich die bisherige Ansicht von der Wirkungsweise derselben begründend, entgegentrat, und dessen ich ganz zu Anfang dieses Kapitels bereits kurz gedacht habe. Es ist dieses die auffallende Unsicherheit, welche die Schriften über diesen Gegenstand verraten, sobald sie die Erklärung der Wirkung oder nur die genauere praktische Bestimmung und Angabe derselben berühren, eine Unbestimmtheit, welche den Mangel an klarer Vorstellung davon deutlich verrät, und die Ursache ist, warum wir in der genauern Kenntniß eines so wichtigen Heilmittels eigentlich gar nicht weiter gekommen sind, wenn gleich die Benutzung desselben und das Vertrauen dazu in hohem Grade zugenommen haben. Ich habe mich bemüht, die Ursache dieses seltsamen Umstandes ausfindig zu machen, und glaube, sie auf dem historischen Wege glücklich entdeckt zu haben.

Von Aetius*) an, der zuerst die kalten Seebäder pries, bis auf Sachses 1835 erschienenes Werk, haben alle Schriftsteller die Seebader stets nur als kalte Bäder betrachtet, und dieser Umstand hat die Basis abgegeben, von wo aus sie bei ihren Raisonnements über die Wirkungsweise des Seebades ausgegangen sind. Bei den Alten, so wie bei den Neuern, finden sich jedoch bis zum Jahre 1718 solche Raisonnements überhaupt gar nicht, sondern nur kurze Angaben über den Nutzen, bisweilen auch über den Nachteil der Seebäder. Erst die Engländer machten gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts die Seebäder zum Gegenstande genauerer Beobachtungen und teilten in ihren Schriften Ausführlicheres darüber mit. Sie schlugen zufolge der ihnen eigenen praktischen Richtung einen im Ganzen sehr lobenswerten Weg ein, indem sie bei der Beurteilung der Wirkung der Seebäder von der Beobachtung der Erscheinungen ausgingen, welche während des Badens sich am Organismus bemerklich machten. Allein sie begingen den großen Fehler, sich nur an die primären Eindrücke zu halten, welche jedes einzelne Seebad unmittelbar auf den Organismus teils beim Hineinsteigen oder Springen in das Bad, teils beim kürzern oder längern Verweilen darin, und teils unmittelbar nachdem man das Bad verlassen hat, äußert; ohne zu berücksichtigen, daß diese Eindrücke nur bei den ersten Bädern sich deutlich aussprechen, und nach und nach durch die tägliche Gewohnheit des Badens fast unmerklich werden, also nicht konstant sind; und ohne in Anschlag zu bringen, daß Erscheinungen, welche in dem einzelnen Bad eintreten, nicht den alleinigen Maßstab abgeben können für die Beurteilung der Wirkungsweise einer aus 30, 40 und mehr mit methodischer Regelmäßigkeit genommenen Bädern bestehenden Badekur.


*) 357 v. Ch. Geb.

Die Engländer, deren neueste Schrift, soviel ich weiß, die dritte Ausgabe von Buchans Treatise on sea-bathing. Lond. 1818. ist, reden daher stets von dem Shock, wie sie es nennen, welchen das erste Hineinsteigen oder Springen auf den Körper hervorbringt, und den viele Ärzte für das Wichtigste der ganzen Badekur halten, so daß sie ihn zwei, drei und mehrmals wiederholen lassen. Er besteht außer dem allgemeinen Kältegefühle in einer Oppression und Beklemmung quer über die Brust her mit schluchzender, konvulsivischer Respiration und starkem Herzklopfen, welcher Eindruck, ist der Körper erst einmal ganz von Wasser bedeckt, sich sehr bald verliert, und, wie ich eben schon erwähnte, so sehr der Gewohnheit unterworfen ist, daß er wie die übrigen gleich zu beschreibenden Symptome, welche sonst noch bei jedem einzelnen Bad einzutreten pflegen, bald ganz aufhört, irgend eine Veränderung in den Lebensfunktionen hervorzubringen. — Dieser Shock ist nichts Anderes, als die Folge des plötzlichen Temperaturwechsels auf der ganzen Oberfläche des Körpers, welche bei einer Wärme von 29° bis 31° R. in plötzliche Berührung mit der nur 12° bis 17° R. haltenden, also etwa nur halb so warmen und der Luft darin auch nachstehenden Wassermasse gebracht wurde; ein Symptom, welches wir bei jeder plötzlichen Anwendung der Kälte entstehen sehen, die wir deshalb auch als Reizmittel benutzen, und keineswegs Folge des vermehrten Drucks auf die Oberfläche des Körpers ist, veranlaßt durch das größere spezifische Gewicht des Wassers in Vergleich mit dem der Luft, wie man hat behaupten wollen. Eine Hypothese, welche dadurch vollkommen widerlegt wird, daß dieser Shock in gleichem Grade durch ein kaltes Sturz- oder Regenbad hervorgebracht wird, und daß er nicht entsteht beim Hineinsteigen in ein Bad von fast gleicher Temperatur mit der des Körpers, wie z. B. in den großen gemeinschaftlichen Bädern zu Baden bei Wien, oder zu Bath in England.

Ferner reden die Engländer von dem Schauder, Frösteln, Blasswerden, Zusammenschrumpfen der Haut, dem Blauwerden der Lippen und Nagel bei längerem Verweilen im Bad. Diese Erscheinungen sind natürliche Folgen des Wärmeverlustes, den der Körper im Wasser erleidet, und das frühere oder spätere Eintreten derselben dependiert nicht im Allgemeinen von einer bestimmten Dauer des Aufenthalts im Bad, z. B. 5 oder 10 oder 15 Minuten lang u., sondern durchaus nur von dem jedesmaligen Wärme- oder richtiger Kältegrade des Wassers, denn bei 10° würden diese viel früher eintreten, als bei 17° oder 18°, und in einem warmen Bad von 25° bis 26° R. kann man, wenn es in dieser Temperatur erhalten wird, stundenlang verweilen, ohne sie eintreten zu sehen. Es sind dieselben Symptome, die wir in noch höherem Grade da beobachten, wo wir eine andauernde Anwendung von der Kälte, die sogenannte antiphlogistische machen, deren wir uns meistens nur örtlich bedienen; und zu ihrem Auftreten sind nur zwei Bedingungen nötig: ein niedriger Temperaturgrad und eine nicht plötzliche, sondern andauernde Anwendung des kalten Bades. Indes kann auch hier die Gewohnheit die Empfindlichkeit des Körpers sehr abstumpfen und Manche, bei denen diese Erscheinungen in den ersten Bädern vielleicht schon nach 5 oder 10 Minuten eintraten, können späterhin halbe Stunden im Bad zubringen, ohne eine Spur davon zu bemerken.

Ferner reden endlich die Engländer von dem, was sie Glow nennen, einem gesteigerten Wärmegefühl und einer Röte der ganzen Oberfläche des Körpers, welche sich kurz nachdem man das Bad verlassen hat, einstellen. Es besteht dieses Symptom in nichts Anderm, als in einer Vermehrung der Energie aller Lebensverrichtungen, welche teils durch den wiedergekehrten Einfluß des Reizes der atmosphärischen Luft, dem die ganze Oberfläche des Körpers während des Badens entzogen war, verursacht wird, teils durch das Bestreben des Gefäß und Nervensystems, das durch die anhaltende Einwirkung eines so bedeutend geringern Wärmegrades gestörte Gleichgewicht der Temperatur der ganzen Oberfläche des Körpers möglichst schnell wieder herzustellen. Es zeichnet sich dies letzte Symptom noch dadurch vor den übrigen aus, daß es weniger als jene der Gewohnheit unterliegt, und sich nach Seebädern weit stärker und konstanter zeigt, als nach andern kalten Bädern, wovon der Grund unstreitig in dem Salzgehalte des Seewassers und in dem Wellenschlage zu suchen ist.

Auf das Eintreten dieser aufgezählten im medialen Erscheinungen in und nach jedem Seebade gründen die Engländer nun ihre Theorie von der Wirkung der Seebäder, namentlich auf das Nervensystem, so wie von den Indikationen und Kontraindikationen ihrer Anwendung. Des Salzgehaltes gedenken sie zwar auch als eines wirksamen Bestandteils, jedoch mit auffallend weniger Berücksichtigung.

Die Deutschen, welche seit 1794 ein lebhaftes Interesse für die Seebäder entwickelten, studierten die Schriften der Engländer, gingen wie diese bei der Bildung ihrer Ansicht über die Wirkungsweise der Seebäder von denselben Prämissen aus, sind daher ganz in die englischen Fußstapfen getreten, und haben sich, obgleich man ihnen deutlich in ihren Schriften anmerkt, daß sie wohl gefühlt haben, es fehle der Analogie zwischen „Seebad“ und „kaltem Bad“ überhaupt an dem eigentlich Treffenden, doch nicht von der englischen Grundidee losmachen können; trotzdem, daß sie auch die warmen Seebäder in Wannen mehr in Gebrauch gezogen haben, als dies seit Bromfield, der schon 1758 die erste Anwendung davon machte, in England geschehen ist. — Man braucht nur das neueste deutsche Werk über Seebäder von Sachse zur Hand zu nehmen, um sich davon zu überzeugen, wie auch in diesem übrigens mit einem wahrhaft deutschen Fleiße und einer Erstaunen erregenden Belesenheit und Fülle von Kenntnissen geschriebenen Buche dasselbe aus dieser Quelle entspringende Gefühl von innerem Zwiespalt und von Unsicherheit, die sich ihrer selbst wohl, aber ihrer Ursachen nicht bewußt geworden ist, sich ausspricht. Mit vieler Gewandtheit und mit einem Aufwande großer Gelehrsamkeit und historischen Wissens hat Sachse diese ihm selbst fühlbar gewesene schwache Seite der bisherigen Theorie über die Seebäder unter einer allgemeiner n Einkleidung des Ganzen geschickt zu verstecken gewußt. Nur deshalb hat sein Buch, dessen Kern eigentlich nur von dem Seebaden handelt, und wie mir sehr wahrscheinlich zu sein scheint, ursprünglich auch nur hat handeln sollen, den für seinen Inhalt wohl zu allgemeinen Titel: Über die Wirkungen und den Gebrauch der Bäder, besonders der Seebäder zu Doberan, von ihm erhalten. Die historische Introduktion, welche das erste Kapitel ausfüllt, und die Raisonnements über die Wirkungen der Bäder überhaupt, welche er im vierten Kapitel und zu Anfang des siebenten gibt, und an mehren Stellen hie und da gelegentlich einschaltet, sollen diesen zu allgemeinen Titel rechtfertigen; und so gelangt der eben so gewandte als gelehrte Verfasser auf diesem Wege, besonders aber durch den Inhalt des dritten Kapitel, worin sich ganz die oben erwähnten englischen Ideen wiederfinden, dahin, den Begriff: „Seebäder“ mit dem Begriffe: „kalte Bäder“ ganz zu identifizieren, ohne an irgend einer Stelle seines Buches dies geradezu ausgesprochen zu haben, und ohne irgendwo des eigentlichen Unterschiedes in der Wirkung der Seebäder von den Flussbädern zu gedenken, welche letztere gewiß dieselben Rechte auf eine gleiche Identifizierung mit dem Begriffe: „kalte Bäder“ haben.

In diesem Schweigen sehe ich den sprechendsten Beweis für meine Behauptung, daß wir Deutschen*) noch bis auf die neueste Zeit der ursprünglich englischen Ansicht huldigen, daß die erprobte Wirksamkeit des Seebades hauptsächlich in seiner Einwirkung als kaltes Bad begründet liege, obgleich wir die Wichtigkeit seiner Bestandteile und seiner Atmosphäre weder verkennen noch leugnen, wie die mehrfach angestellten Versuche, durch chemische Analyse Beider sich Licht darüber zu verschaffen, genügend beweisen. Eine Ansicht, die, als an und für sich durchaus unrichtig, zu bestreiten ich weit entfernt bin, da Niemand mehr von der kräftigenden Wirkung der kalten Bäder, und daher auch der Seebäder als solcher überzeugt sein kann, als ich. Allein ich kann die Art und Weise der Deduktion nicht für beweisend, für logisch erklären, und ich behaupte, daß, wenn man die Wirkung der Seebäder lediglich auf jene angegebenen immediaten Erscheinungen begründen will, sie mit gleichem Rechte den Flussbädern zugeschrieben werden müsste, denn wir sehen den Shock beim Hineinsteigen, den Schauder, das Frösteln, die Blässe u. bei zu langem Verweilen, und die Glühhitze (obgleich diese letztere in weit geringerem Grade) nach dem Verlassen des Flussbades in derselben Reihefolge und mit denselben Modifikationen in und nach jedem einzelnen Flussbade eintreten, wie man diese Symptome als immediate Erscheinungen oder nächste Wirkung in und nach dem einzelnen Seebade entstehen sieht; aus dem sehr natürlichen Grunde, weil sie lediglich Folge der niedrigen Temperatur des Wassers sind, worin gebadet wird; also auch allen kalten Bädern gemeinschaftlich sein müssen, und auf dieselbe Weise eintreten würden, wenn man bei gleichem Temperaturgrade in irgend einer andern Flüssigkeit badete.

*) Eine anonym unter dem Titel: Wie müssen Seebäder eingerichtet werden und wie wirken sie? 1820 in Leipzig erschienene, ganz dünne Broschüre, welche die erste gute, naturgetreue Beschreibung der Wirkung des Seebadens enthält, und mit meiner Ansicht fast ganz übereinstimmt, ist bisher durchaus unbeachtet und ohne Einfluß auf die Ärzte Deutschlands geblieben.

Der Fehler daher, den die Schriftsteller, begangen haben, besteht darin, daß sie diese immediate, nächste Wirkung des Badens auf den Körper, und zwar namentlich den Shock, als die Hauptwirkung betrachtet haben, indem sie ganz vergaßen, daß diese Wirkung nur die der plötzlichen Anwendung der Kälte ist, sie mag nun mittelst Übergießung, Bespritzung oder rascher Eintauchung (wie beim Baden) geschehen, während dagegen beim Gebrauche kalter Bäder der große Unterschied statt findet, daß die essentielle Wirkung der in dieser Form angewendeten Kälte vielmehr in der nicht plötzlichen, und während eines vier, fünf und mehre Wochen umfassenden Zeitraums täglich methodisch wiederholten, jedesmal mäßig andauernden Anwendung der Kälte beruhet, und daher nicht nach den bei jedem einzelnen Bad eintretenden, momentanen, unmittelbaren Erscheinungen, welche ohnedem dem Gewohnheitseinflusse unterliegen und sehr bald durch diesen modifiziert werden, sondern nach den im Verlaufe der ganzen Badekur hervortretenden und als deren Wirkung sich geltend machenden Symptomen beurteilt werden muß. —

Um das Falsche jener Deduktion noch klarer darzuthun und zugleich den großen Unterschied recht vor die Augen zu bringen, welcher zwischen den Seebädern und Flussbädern hinsichtlich ihrer Wirksamkeit statt findet, will ich hier die Erscheinungen, welche bei dem Gebrauche beider im Organismus austreten, in einer Parallele neben einander stellen:

Diese Erscheinungen sind teils primäre, immediate d. h. in und nach jedem einzelnen kalten Bad unmittelbar entstehende, teils sekundäre, allmählich hervortretende, d. h. erst im Verlaufe der ganzen Badekur sich entwickelnde.

Zuerst von den primären oder immediaten Erscheinungen in und gleich nach jedem einzelnen Bad.

1. Der Shock. Auf das Entstehen wie auf die Intensität desselben hat, weil er sich meiner eigenen Erfahrung nach auf ganz gleiche Weise im Flussbade wie im Seebade zeigt, die Verschiedenheit des Wassers, ob süß oder salzig, keinen Einfluß, wohl aber, und auch dieses bei beiden auf gleiche Art, der Temperaturgrad und die Gewohnheit.

2. Der Schauder u. tritt ebenfalls in beiden kalten Bädern auf dieselbe Weise bei längerem Verweilen im Bad ein, so daß auch hierauf die Verschiedenheit der Bestandteile des Wassers ohne Einwirkung ist, dagegen wohl der Temperaturgrad und ebenfalls die Gewohnheit, wie beim Shock.

3. Die Glühhitze (Olow), welche der Körper auf seiner ganzen Oberfläche gleich nach dem Verlassen des Bades empfindet, zeigt eine Verschiedenheit. — Ich habe sie im Allgemeinen nach Flussbädern nur in mäßigem Grade und selten von einer Röte der Haut begleitet an mir wahrgenommen; das Letztere trat nur ein, wenn ich bis spät in den Herbst hinein badete und das Wasser sehr kalt war; auch war dann das Wärmegefühl bedeutender. Dagegen ist sie, so wie die Röte der Haut, nach jedem Seebade sehr stark, und ihre Intensität nimmt im Verlaufe der ganzen Badekur nicht ab, wie der Shock und der Schauder sehr bald tun, vielmehr wird sie jedesmal noch erhöhet, je kräftiger der Wellenschlag ist. Dieser und der Salzgehalt des Meerwassers sind ohne Zweifel die Ursachen dieses Unterschiedes in der Intensität der Glühhitze, je nach einem Flussbad oder Seebad; wofür mir der Umstand besonders beweisend erscheint, daß ich nach den bei Doberan und Warnemünde genommenen Ostseebädern, also bei geringerem Salzgehalt und ohne Wellenschlag, trotz der bereits kälteren Temperatur des Wassers (es war im September nach Beendigung meiner Badekur in Norderney) dieses erhöhte Wärmegefühl und diese Röte der Haut bei weitem nicht in dem Grade empfand, wie in der Nordsee bei Norderney.

4. Das ölig-klebrige Gefühl auf der Haut*) beim Abtrocknen findet sich nur nach dem Seebad, und hängt von der Stärke des Salzgehaltes und der übrigen Bestandteile des Seewassers ab, worin man badet.— Nach dem Baden in der Ostsee habe ich dieses Gefühl vermißt, und nach dem Flussbade fehlt es ganz und gar. —

*) Ein eigentümliches sehr merkliches Gefühl, welches in den Schriften über Seebäder unter den immediaten Erscheinungen nicht erwähnt zu finden, ich mich gewundert habe.

Die sekundären oder allmählich im Verlaufe der ganzen Badekur hervortretenden Erscheinungen:

1. Die psychischen. Diese sind doppelter Art, nämlich teils momentan zu Anfang der ganzen Badekur bei denen entstehend, welche zum erstenmal in ihrem Leben kalte Bäder gebrauchen, teils anhaltend, dauernd und stets aufs Neue sich wiederholend. Die ersteren tragen den Charakter der Furcht an sich und entstehen sowohl bei denen, welche zum erstenmal im Flusse, als bei denen, welche zum erstenmal im Meere baden, unterliegen aber dem Einflusse der Gewohnheit, und äußern sich bei den Frauen am stärksten, bisweilen selbst unüberwindlich, so daß sie sogar die Veranlassung zur gänzlichen Unterbrechung der Kur werden können. Die letztern, sind erhebender, aufregender und belebender Art, und entstehen nur bei denen, welche im Meere baden, da sie die Folge des eigentümlichen Eindruckes sind, welchen der Anblick des Meers in seinem ewigen, nie ermüdenden Wechsel auf das Gefühl des Kranken wie des Gesunden hervorbringt. Ein bei der Untersuchung über die Wirksamkeit des Badens im Meere nicht zu übersehender Eindruck, wovon bei den Flussbädern natürlich gar nicht die Rede sein kann.

2. Die somatischen, welche in den Systemen des Organismus in einer gewissen Reihefolge auftreten. Zunächst das Jucken, die Scharlachrote der Haut, der Badefriesel, mitunter hordeola etc; nur sehr selten und dann in sehr geringem Grade treten diese Erscheinungen beim Flussbaden auf, während sie beim Seebaden als etwas Konstantes bekannt sind. Hier gehören diejenigen, welche diese Symptome nicht bekommen, zu den Ausnahmen, während beim Flussbaden diejenigen dazu gehören, bei denen sie eintreten. Die übrigen sich entwickelnden Zeichen vermehrter Hauttätigkeit, die verstärkte Perspiration, ihre und des Haares eigentümliche klebrige Beschaffenheit, ferner die dunklere Färbung der Nägel und des Haars, das Ausgehen des letztern und die Desquamation der Haut sind Erscheinungen, welche durchaus nur während des Seebadens, nie aber beim Baden im Flusse beobachtet werden. — Es folgen dann die der resolute tischen Wirkung des Seebadens angehörigen Zeichen, die Verstopfung, die zuweilen plötzlich eintretende, nur kurze Zeit währende Diarrhöe, die stärkere Entwickelung luftförmiger Stoffe im Darmkanale, die Abmagerung, die große Mattigkeit und Schlafsucht, der oft bis zum Heißhunger gesteigerte Appetit, das Hervortreten blinder und fließender Hämorrhoiden, so wie der Menstruation, das Echauffement, die vermehrte Sekretion, Trübung und dunklere Farbe des Urins, die endlich zu Flocken und Sediment wird; ferner das Verschwinden der Anschoppungen, Geschwülste, Drüsenverhärtungen, Skropheln, des Kropfs, chronischer Exantheme u.; der willigere Stuhlgang, die Ausleerung schadhafter Stoffe mit Tenesmus, brechdurchfallähnlichen Symptomen und kritischen Perturbationen verschiedener Art. — Als Zeichen der tonisierenden Wirkung des Seebadens tritt dann vermehrte Lebenskraft, Befreiung von frühem Schmerzen, Krämpfen, Schwäche u. kurz, das Gefühl der Gesundheit und die Zeichen der Besserung ein, die schon im Laufe des Kapitels angegeben worden sind, und die ich hier nicht wiederholen will. — Von allen diesen Erscheinungen sehen wir aber nach dem Flussbaden nur Abhärtung der Haut und Kräftigung des Nerven- und Muskelsystems im Allgemeinen, jedoch in geringerem Grade als nach dem Seebaden entstehen; aber weder Kropf noch Skropheln, weder Amenorrhöe noch Epilepsie, weder chronische Exantheme noch Warzenbildung, weder Gicht noch Neuralgien, weder Lähmungen noch Unfruchtbarkeit, weder Fluor albus noch Chlorosis etc. sind durch Flussbäder geheilt worden.

Fassen wir nun, ganz abgesehen von der Verschiedenheit der therapeutischen Resultate beider Arten von kalten Bädern, die hier parallel neben einander gestellten, während und nach ihrer Anwendung wahrnehmbaren Erscheinungen zusammen, so finden sich als dem Flussbaden angehörig:

l. Von den primären oder immediaten Erscheinungen:

Der Shock, der Schauder u. in gleicher Kräftigkeit wie beim Seebaden, auch die Glühhitze, aber in weit geringerem Grade.

2. Von den sekundären, oder allmählich im Verlaufe der ganzen Badekur erfolgenden Erscheinungen:

Ein dem Badefriesel ähnlicher Hautausschlag in seltenen als Ausnahmen von der Regel anzusehenden Fällen, und Abhärtung der Haut nebst allgemeiner Kräftigung des Nerven- und Muskelsystems in weit geringerem Grade, als dieses durch das Seebaden bewirkt wird.

Alle die übrigen Erscheinungen aber, welche wir während und nach dem Seebaden entstehen sehen, fehlen gänzlich. Es konzentrieren sich daher die nach dem Gebrauche der Flussbäder entstehenden Symptome lediglich auf solche, die Folge und Wirkung der als kalte Bäder angewendeten Kälte sind. Daß hingegen die während und nach dem Gebrauche der Seebäder eintretenden Erscheinungen sich keinesweges nur auf diese konzentrieren, sondern außer denselben eine bedeutende Zahl sehr davon zu unterscheidender Symptome einer ganz eigentümlichen Wirkung und Heilkraft darbieten, ist in der praktischen Darstellung derselben hier nunmehr hoffentlich genügend gezeigt, und damit nicht nur der große Unterschied zwischen dem Baden im Meere und dem Baden im Flusse, sondern auch die Unrichtigkeit der bisherigen herrschenden Ansicht dargetan worden, der zufolge das vorzüglichste Agens für die Wirksamkeit der Seebäder in dem Umstande erblickt wird, daß sie kalte Bäder sind.

Ob und wodurch außer dem Baden namentlich auch die See-Atmosphäre dazu beitrage, werde ich in dem nächsten Kapitel zu erörtern versuchen.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ueber das Seebaden und das Norderneyer Seebad