III. Badeanstalten und Badeleben

Die Badezeit beginnt mit dem 1. Juli und endet mit dem 15. September.

Die beste Zeit zum Gebrauche des Seebades ist von der Mitte Juli bis Ende August und auch noch später, weil das Wasser dann am belebtesten und die Gesellschaft am zahlreichsten ist. Wer bis Ende September baden will, wird auch dann noch das Bad vortrefflich, das Wetter meistens gut, aber sich ziemlich einsam und verlassen finden, da gegen den 15. September der größte Teil der Gesellschaft die Insel wieder verlässt. Dann hören die Reunions im Konversationshause, so wie überhaupt die von der Regierung hier unterhaltenen Anstalten auf, die einzelner Nachzügler wegen nicht fortdauern können. Alles jedoch, was sich auf das Baden selbst bezieht, die Vorkehrungen am Strand und im Badehaus bleiben disponibel, so lange jemand noch baden will, so daß diejenigen, welche sehr spät kommen und vielleicht nach dem frühern Besuche anderer Bäder das Seebad als Nachkur noch gebrauchen wollen, dazu Gelegenheit und Bequemlichkeit genug, obgleich weniger Teilnehmer finden. Nach dem Aufhören der table d'hôte und Restauration im Konversationshause findet man in den beiden Gasthäusern immer noch eine zwar minder opulente, aber gute und schmackhafte Beköstigung.


Zum Baden in offener See ist der West- und Nordweststrand bestimmt, und zwar der erstere für die Damen, der letztere für die Herren. Beide Badeplatze liegen in geringer Entfernung vom Dorfe, der Herrenstrand etwas weiter als der Damenstrand, welchen letztern man von den am entferntesten gelegenen Häusern in sechs Minuten, von den nächstliegenden in zwei Minuten erreichen kann. — Des festen, ebenen, sich ganz allmählich vertiefenden, sammetartigen Sandbodens ist schon oben gedacht worden. Die Festigkeit desselben ist so groß, daß ein Wagen, der während der Ebbezeit über ihn hinfährt, kaum eine dem Auge merkbare Spur hinterlässt. An beiden Badeplätzen, die in angemessener Entfernung von einander liegen, ist ein kräftiger Wellenschlag, der an dem mehr nordwestlich gelegenen für die Herren noch etwas stärker ist, als an dem der Damen. Der Weg zu beiden ist durch das Belegen mit breiten Rasensoden und durch die gemachten Anpflanzungen ebenso bequem eingerichtet, als möglichst geschützt und gestattet einen sehr leichten Übergang über die Dünen.

Man badet hier nur einmal täglich, zur Zeit der steigenden Flut, weil dann der eigentliche Wellenschlag das Bad am kräftigsten macht. Der Eintritt derselben ist auf einer öffentlich im Konversationshause und an den Badeplätzen angeschlagenen Tabelle angegeben und wird außerdem täglich durch das Aufziehen von roten Flaggen angezeigt. — Da die Flut, welche binnen 24 Stunden zweimal mit der Ebbe*) wechselt, täglich um etwa 50 Minuten später, als am vorhergehenden Tage eintritt, so müssen sich ganz natürlich die Badezeit und das Mittagsessen hiernach richten. Es ist dieser Umstand von einigen Schriftstellern über Seebäder als eine große Inkonvenienz [Ungehörigkeit] geschildert worden; ein Urteil, welches nur von Jemanden gefällt werden kann, der nicht selbst an Ort und Stelle war. Der ganze Unterschied, welcher dadurch bewirkt wird, besteht darin, daß alle 14 Tage 3 Tage hinter einander um 4 Uhr zu Mittag an der table d'hôte gegessen wird, statt daß dies die übrigen Tage hindurch um 2 Uhr geschieht, und daß die Badezeit nicht täglich genau auf dieselbe Stunde fällt. Dieser Wechsel trägt aber sehr wesentlich dazu bei, alle Einförmigkeit aus dem Badeleben zu entfernen und so den Tag stets zu kurz erscheinen zu lassen das sicherste Zeichen, daß er angenehm und mit Vergnügen durchlebt wurde. Ich erinnere mich nicht, daß jemals ein Norderneyer Badegast darüber sich beklagt hätte.

*) Diejenigen, welche eine belehrende Erklärung des wunderbaren Phänomens der Ebbe und Flut, so weit die Naturwissenschaft sie bis jetzt zu geben vermag, auf möglichst populäre Weise vorgetragen zu erhalten wünschen, verweise ich auf das Buch der kenntnisreichen Engländerin, Miß Maria Somerville, wovon 1835 in Berlin eine Übersetzung unter dem Titel: „Überblick der physikalischen Wissenschaften in ihrem Zusammenhange von Maria Somerville erschienen ist.

Am Strand der Damen, wie der Herren, befinden sich hölzerne Pavillons und Zelte, um als Obdach zu dienen bei schlechtem Wetter. Selten jedoch wird ihr Gebrauch erforderlich; desto mehr dagegen bedient man sich der in hinreichender Anzahl vorhandenen beweglichen Sitze und Bänke; auf denen die Badelustigen in Gruppen Platz nehmen, um den Augenblick zu erwarten, der sie ins Bad ruft. Der gleiche Zweck führt hier schnell gegenseitige Bekanntschaft herbei, und muntere Gespräche, die mit kurzen Promenaden den Strand entlang abwechseln, machen dies Verweilen und Warten zu einer der angenehmsten Unterhaltungen. Es bildet sich dadurch eine Art von Club im Freien, wenigstens für die Männer, wobei die Pfeife und Zigarre ebenso wenig fehlen als Anekdoten, witzige Einfälle und fröhliche Laune. —

Zur Aufrechthaltung der Ordnung in der Reihefolge unter den Badenden ist die Einrichtung getroffen, daß ein jeder bei der Ankunft am Badeplatze sein im Konversationshause gelöstes Badebillet abgibt, seinen Namen auf eine dazu bestimmte Tafel schreibt und eine Nummer empfängt, welche die Reihefolge bestimmt. Die Nummern werden der Reihe nach laut abgerufen, sobald eine Badekutsche leer ist. Um Niemand unter der Unachtsamkeit Eines oder des Andern leiden zu lassen, wird die Nummer desjenigen, welcher beim mehrmaligen Abrufen derselben nicht erscheint, sofort übergangen, und folgt sogleich die nächste Nummer. Auch ist ein jeder gehalten, sich persönlich auf der Tafel einzuschreiben oder es durch einen Andern erst dann tun zu lassen, wenn er selbst auch bereits am Strande sich befindet. —

Für die Damen ist die Anordnung getroffen, daß sie eine Nummer auf eine bestimmte Badekutsche erhalten, so daß etwa 3 oder 4 auf eine Badekutsche angewiesen sind; diejenige von ihnen, welche zuerst kommt, kann, wenn diese Badekutsche gerade leer ist, sie sogleich beziehen. Bei der Ankunft mehrerer zu gleicher Zeit, bestimmt die Nummer die Reihefolge. — Selten hat man nötig, lange zu warten, da die Anzahl der Badekutschen sehr groß ist. Diese letztern sind geräumige, auf 4 Rädern ruhende, hölzerne Kabinettchen, welche zum Aus- und Ankleiden dienen, und worin man bis zu gehöriger Tiefe ins Wasser geschoben wird. Die Türe ist nach der Seeseite hin befindlich, und eine kleine Treppe führt mit großer Bequemlichkeit unmittelbar ins Bad. An allen Kutschen der Damen sind Leinewandschirme befindlich, die bis auf die Wasserfläche niedergelassen werden können. Es wird jedoch wenig Gebrauch mehr davon gemacht, da die meisten Damen es vorziehen, unter diesem Leinwandschirme heraus und tiefer in die See hineinzugehen, und mit vollem Rechte, da die freie Bewegung im Wasser unter ungehindertem Zutritte der freien Luft von allen Seiten her, beim Gebrauche kalter Bäder, durchaus unerläßlich ist, und hinsichtlich der Wirksamkeit das Baden in einem kleinen eingeschlossenen Raume, wie unter dem Leinwandschirme oder innerhalb einer Bretterbefriedigung, bei weitem übertrifft, ohne der größeren Leichtigkeit, sich dem Wellenschläge auszusetzen, zu gedenken.

Die gegen alle unberufenen Blicke vollkommen sichernde Lage des hiesigen Damen-Badestrandes begünstigt diese freie Bewegung im Bad im höchsten Grade.

Die Badekutschen haben bis auf einige wenige sämtlich die große englische Form; es sind ihrer 68 vorhanden, welche hohe Räder, Fenster, Türen, Spiegel, zwei Sitze, Kleiderriegel, Klingel, Stiefelknecht, einen Fußteppich haben und geräumig genug sind, um eine Kammerjungfer oder einen Bedienten zur Hilfe beim Ankleiden mit hinein nehmen zu können.

Die Badeplätze sind durch schwimmende Zeichen abgesteckt und begrenzt, auch sind die Badewärter, deren 8 vorhanden sind, geübte Schwimmer, kräftige und mit dem Meere vertraute Leute, welche stets ein wachsames Auge auf die Badenden haben und dafür sorgen, daß diese nicht über die Zeichen hinausgehen und bei hohem Wasserstande sich diesen nicht zu sehr nähern. — Am Damenstrande sind 12 kräftige Badewärterinnen, worunter gleichfalls einige des Schwimmens kundige, so daß man bei dem ebenen, ganz allmählich abdachenden Strande jeden Gedanken an Gefahr verlieren muß, welche dadurch sogar zur Unmöglichkeit wird, daß nur während der Flut gebadet wird, und diese beständig dem Strand zutreibt, wo die Tiefe ja mit jedem Schritte abnimmt. — Außer dem angeführten Badewärterpersonale befindet sich an jedem der beiden Badeplätze eine Person, welche die Badebillets in Empfang nimmt, die man sich im Konversationshause nach Belieben löst, und wofür ein Erwachsener 6 Ggr., Kinder nur die Hälfte und Domestiken 2 Ggr., also eine Summe bezahlen, welche geringer als an den meisten anderen Seebädern, namentlich zu Scheveningen, Doberan, und Helgoland ist. — Leinene Tücher zum Abtrocknen kann man am Strand gegen eine beliebige Vergütung von 1 oder 2 Ggr. bekommen, indessen thut man besser, sich ein großes leinenes Badelaken mitzubringen und den Badewärtern in Gewahrsam zu geben, die jedesmal nach dem Gebrauche das Auswaschen desselben in süßem Wasser besorgen und dafür ein Trinkgeld von 6 Ggr. pro Woche taxmäßig erhalten, dem die Generosität eines jeden dann nach Belieben zusetzen kann. Es ist gebräuchlich, dieses Trinkgeld nach beendigter Badekur in die am Badestrande befindliche Büchse zu geben, deren Inhalt unter die Badewärter geteilt wird.

Für Ältere und Schwächere ist es ratsam, einen Badewärter mit ins Bad zu nehmen, wozu sich der unter dem Namen Jan bekannte rüstige Schwimmer und Taucher besonders eignet und zu empfehlen ist. Er erleichtert dem Unkundigen das Baden sehr, und ist für Ängstliche und Gebrechliche eine sichere Stütze. — Häufiger als die Männer bedienen sich die Frauen der Begleitung ins Bad, wozu mehre Wärterinnen sich vorzüglich qualifizieren, unter denen die Schwimmerin Taalke sich besonders einen Namen erworben hat. Mit dem Trinkgeld ist am Damenstrande dieselbe Einrichtung getroffen wie am Herrenstrand. — Um beim Herausgehen aus dem Bad in der langen Reihe von Badekutschen sogleich die seinige wiederfinden zu können, ist es ratsam, sich die Nummer und den Standort derselben genau zu merken, wenn man sie verlässt. Die lebhafte Bewegung bald hierhin, bald dahin und die stete Beschäftigung mit den Wellen während des Badens gewähren so viel Zerstreuung, daß sich die Badenden oft ziemlich weit von ihren Badekutschen entfernen, ohne darauf zu achten, und beim Hinausgehen aus dem Bad dann sich nicht gleich orientieren können, und nicht selten erst einige Male vor die unrechten Badekutschen geraten.

Außer diesen kalten Bädern am Strand bedient man sich auch vielfach der warmen Wannenbäder, der Regenbäder und der Duschen, wozu in dem ganz in der Nähe des Konversationshauses gelegenen, recht zweckmäßig eingerichteten Badehause die nöthigen Vorrichtungen getroffen sind. Außer einem Entree-Zimmer befinden sich in demselben 10 geräumige Badestuben, von denen jede eine große in dem Fußboden angebrachte Badewanne enthält, welche sämtlich ganz mit weißen Fliegen ausgelegt sind, eine allen Badeanstalten zu Nachahmung sehr zu empfehlende Einrichtung, die den Bassins das Gepräge der größten Reinlichkeit und Eleganz gibt. Das erwärmte und kalte Seewasser wird durch kupferne Röhren hineingeleitet. Vier von diesen Bädern dienen zu Regenbädern, die hier besser eingerichtet sind, als ich sie irgendwo gefunden habe, und sehr häufig in Anwendung gezogen werden. Eine sehr kräftige Dusche, ein besonderes Zimmer mit einem Apparate zu Schwefelräucherungen lassen nichts zu wünschen übrig. — Aromatische Kräuter-, Schwefel-, Stahl- und andere Zusätze zu den warmen Seebädern werden nach den Anordnungen des Arztes in den geeigneten Fällen auf das Sorgfältigste durch den im Badehause wohnenden, gut unterrichteten Bademeister, der zugleich Chirurg und geschickter Zahnarzt ist, selbst bereitet. — Die Badezimmer enthalten ein Sofa, Toilette-Tisch, Stühle, Klingel, Fußteppiche, Stiefelknecht u. Badelaken und Handtücher erhält man wohlgewärmt, und wird die Bedienung der badenden Herren von dem Bademeister, der badenden Damen von dessen Frau auf das Prompteste besorgt, wofür man ihnen am Ende der Badekur ein beliebiges Trinkgeld zu geben pflegt.

Die Preise der Bäder im Badehause sind folgende:

Ein warmes Bad 12Ggr,
Ein warmes Bad für Kinder 6Ggr.
Ein Regenbad mit warmem Fußbade 8Ggr.
Ein Regenbad mit kaltem Fußbade 6Ggr.
Eine warme Dusche 14Ggr.
Eine kalte Dusche 12Ggr.

Man löset die Badebillets zu diesen verschiedenen Bädern ebenfalls im Konversationshause, da die Bäder im Badehause nur gegen Abgabe eines Badebillets verabreicht werden.
Die Zahl der Badegäste und Fremden belief sich nach den gedruckten Badelisten: im Jahre 1834 auf 1275. Im Jahre 1835 auf 1257.

Der Gebrauch der kalten, so wie der übrigen Bäder, und überhaupt die Bestimmung der Modifikationen im Verlaufe der ganzen Badekur sind von den Anordnungen der dortigen Ärzte abhängig, ohne deren Rat Niemand die Kur beginnen möge, dem an einem günstigen Erfolge gelegen ist. Besonders anzuempfehlen ist es aber den Badegästen, sich vor ihrer Abreise ins Bad eine schriftliche Mitteilung über ihren bisherigen Gesundheitszustand von ihrem Hausarzte zu erbitten, wodurch dem Badearzte nicht nur die richtige Beurteilung des einzelnen Falles und dadurch die angemessene Einleitung der Badekur gar sehr erleichtert wird, sondern man sich auch in den Stand gesetzt sieht, nach beendigter Badekur durch ein dem nach Hause kehrenden Kranken mitgegebenes Begleitungsschreiben den Hausarzt besser und befriedigender über den Erfolg der Kur und das Befinden des Kranken während derselben zu benachrichtigen, als dieses durch die Aussagen desselben allein geschehen kann. —

Die hiesige Apotheke ist mit den nötigen Medikamenten versehen, für deren Güte die jährlich vor Anfang der Saison vorgenommene Visitation derselben bürgt. —

Ein hier während der Saison etabliertes gut assortiertes Galanterie-Warenlager, sowie einige Putzhandlungen aus Hamburg und Bremen, ferner die Materialhandlung des Kaufmanns Schütte und eine Reihe von Boutiquen, in denen Quincaillerie-Waren zu haben sind, befriedigen die Bedürfnisse des Luxus und der Mode. —

Für Regelmäßigkeit in der Besorgung der Briefe und Pakete sorgt das hiesige königl. Postbüro; auch nehmen die Hamburger Dampfschiffe Briefe und Gepäck an. —

Was das Badeleben betrifft, so kann man dieses nirgend besser als in Norderney ganz der Laune und dem körperlichen Befinden gemäß, und so, wie es die Verhältnisse jedes Einzelnen gestatten, einrichten. Will Jemand viel ausgeben, so ist ihm die Gelegenheit dazu hier nicht genommen; während dagegen der Sparsame und an mäßigere Genüsse Gewöhnte hier äußerst wohlfeil sich einrichten kann.

Den Vereinigungspunkt für die ganze Badegesellschaft gibt das im südwestlichen Teile der Insel in geschmackvollem Stil erbaute Konversationshaus ab, dessen 130 Fuß lange Fassade in der Mitte eine Colonade von 8 Säulen zeigt, welche die nach beiden Seiten sich ausdehnenden Flügel mit einander verbindet und eine Säulenhalle bildet, zu welcher eine breite, zu beiden Seiten mit geschmackvollen hohen Kandelabern aus Gusseisen gezierte Treppe hinauf und zu dem Haupteingange des Gebäudes führt. Der große freie Raum vor dieser Fassade besteht aus grünem Rasen, den Blumenbeete, eine große Schaukel und ein Sonnenzeiger zieren und ein Bosquet begrenzt. Das Gebäude selbst ist nur der Geselligkeit geweiht, und enthält daher gar keine Logis mit Ausnahme der Wohnungen für einen Teil des königlichen Verwaltungspersonals in einem hintern Flügel. Der ganze übrige geräumige Teil des Ganzen umfasst einen 70 Fuß langen, 30 Fuß breiten und 19 Fuß hohen, mit großem Geschmacke dekorierten Tanzsaal, an welchen 2 ebenso lange Speisesäle nebst einem Entreezimmer stoßen, aus dem man in 5 andere auf der andern Seite des Vestibül gelegene, geräumige Zimmer gelangt, deren Erstes als Frühstücks- und Restaurations-Zimmer für diejenigen dient, welche nicht vorziehen, unter der Säulenhalle oder in der nach dem Bosquet hin gelegenen, von Weinlaub umschatteten Veranda ihren Appetit zu befriedigen. —

Das Zweite ist der Fortuna geweiht, und finden hier die Verehrer derselben Gelegenheit, dieser Göttin ihre Huldigungen in der besten Gesellschaft des Morgens von 11 — 2 Uhr und des Abends von 8 bis Mitternacht an der mit Gold bedeckten Farobank, und Nachmittags von 4 bis 6 an dem verführerischen Roulette-Tische darzubringen. —

Im Dritten finden die Freunde des Billardspiels ihre Rechnung. —

Das Vierte nehmen die Whist- und L'hombre-Spieler mit ihren Partien ein; und das Fünfte endlich ist das Lesezimmer, welches außer den besten deutschen Zeitungen eine holländische, das Journal des Debats und mehre belletristische Zeitschriften, sowie eine kleine ausgewählte Bibliothek deutscher, französischer und englischer Werke enthält, aus welcher letztern den Badegästen freisteht, sich zu ihrer Privatlektüre im Hause ein oder das andere Buch auf einige Tage mit in ihre Wohnung zu nehmen, nachdem sie ihren Namen, den Titel des Werkes und das Datum des Tages in ein dazu ausgelegtes Buch eingetragen haben. Es wird bei dieser äußerst liberalen Einrichtung von Seiten der Bad-Direktion auf eine sorgfältige Schonung und richtige Rücklieferung der entliehenen Werke gerechnet. —

Den Rest des Hauses füllen die Küchen und übrigen Wirtschaftsräume aus, nebst dem Büffet und dem Zimmer des Tafeldeckers, welche beide letzteren sich gleich am Vestibüle befinden, und wo man alle Anfragen und Anmeldungen zu machen hat, die sich auf die Beköstigung usw. beziehen. Sonstige Anfragen und Wünsche werden in dem Büro der königl. Bad-Direktion, welches in dem hintern Flügel des Konversationshauses sich befindet, von dem Herrn Bad-Verwalter Röpke entgegengenommen. — In dem Vestibüle selbst finden sich alle nötigen Bekanntmachungen der Königlichen Bad-Direktion öffentlich angeschlagen, deren Beachtung den Ankömmling sogleich am besten und schnellsten in den Stand setzen wird, sich zu orientieren und mit dem Wissenswerten und Üblichen bekannt zu machen.

Unmittelbar an die Hinterseite des Konversationshauses, welche gegen Süden liegt und mit Obstbäumen und Wein en espalier bekleidet ist, von denen der letztere zugleich zur Beschattung einer freundlichen Veranda dient, stößt das Bosquet, dessen schattige Gänge und Sitze einen sehr angenehmen Aufenthalt für die hier zweimal täglich zahlreich zusammenströmenden Badegäste gewähren. Des Morgens um 1l Uhr lockt die treffliche Musik des aus sehr gut eingespielten Prager Musikern bestehenden, stark besetzten Orchesters hierher, und des Nachmittags verteilt sich die schöne Welt hier in vielfache Gruppen, um den Kaffee im Freien einzunehmen, und bis zur Strand-Promenadestunde zu verweilen.

Die Bewirtung sowie die Bedienung im Konversationshause ist in jeder Beziehung vorzüglich, und die Weine so wie alle Getränke ausgezeichnet; ein steter Vorzug aller auf herrschaftliche Rechnung administrierter Institute der Art, wobei alle Rücksicht auf kleine Privatvorteile wegfällt, und nur der Zweck, allen Bedürfnissen der Gäste auf möglichst genügende und anständige Weise zu entsprechen, den Hauptgesichtspunkt bildet. Die Preise sind sehr mäßig gestellt, so kostet das Couvert des Mittags an der table d'hôte für einen Herrn 16 Ggr., worin 2 Ggr. für Musik mit eingeschlossen sind, für eine Dame 14 Ggr., für ein Kind unter 14 Jahren 7 Ggr. — Wer wohl genug ist und die Geselligkeit liebt, tut am besten, an der table d'hôte zu essen; wer es jedoch vorzieht, sich zu Hause speisen zu lassen, kann sich das Mittagsessen aus dem Konversationshause zu verschiedenen Preisen, je nachdem er es zu haben wünscht, zu 14, 8 und selbst zu 4 Ggr. holen lassen; auch kann man auf Abonnement das Essen bekommen, und hat dazu sich im Bureau des Herrn Bad-Verwalters zu melden.
Wer an der table d'hôte zu speisen wünscht, hat nur nöthig, seinen Namen und die Couvertzahl an die ausgehängte Tafel zu schreiben; und bestimmt dann das erste Erscheinen am Mittagstische den Platz, welcher sich an die bereits besetzten anschließt und aufrückt, wenn diese leer werden. Lässt jemand 2 Tage seinen Platz unbesucht, so rücken die Nächstfolgenden zur Vermeidung unangenehmer Lücken hinauf, und der Fehlende wird bei seinem Wiedererscheinen als neuangekommener Gast betrachtet und demgemäss bei Tische platziert.

Übrigens steht es jedermann frei, den bisherigen Platz freiwillig aufzugeben und sich gleich unten an zu setzen, wenn ihm an einem Wechsel des Platzes gelegen sein sollte.

Wünscht jemand auf einen oder mehre Tage nicht wie gewöhnlich an der table d'hôte zu essen, so trägt er seinen Namen nur auf eine andere dazu eigens ausgehängte Tafel ein, und wird sein Couvert erst dann wieder aufgelegt, wenn er sich aufs Neue einzuschreiben beliebt. Durch die Beobachtung dieser Anordnung, welche für Niemand etwas Lästiges hat, wird es möglich gemacht, sowohl allem unangenehmen Verwechseln der Plätze, als auch jedem möglichen Mangel an Speisen selbst bei der größten Überfüllung der table d'hôte vorzubeugen.

Zur Aufrechthaltung der Ordnung in der Bedienung bei Tische sind die Privatbedienten der Badegäste, falls sie bei Tische überhaupt mit aufwarten sollen, gehalten, sich den Befehlen des Tafeldeckers bei der Verteilung der Speisen zu unterziehen.

Das Trinkgeld für die Aufwärter im Konversationshause ist taxmäßig für einen Mittagsgast der mit Familie speist:

für 8 Tage 12 Ggr.
für 14 Tage 1 Rthlr. - Ggr.
für 3 Wochen 1 Rthlr. 12 Ggr.
für 4 Wochen und länger 2 Rthlr. - Ggr.

für einen Mittagsgast ohne Familie:
für 8 Tage 8 Ggr.
für 14 Tage 16 Ggr.
für 3 Wochen .... 1 Rthlr. - Ggr.
für 4 Wochen und länger 1 Rthlr. 8 Ggr.

Man übergibt es dem Tafeldecker vor der Abreise. — Der Betrag für Essen und Wein usw. wird stets sogleich bezahlt. — Niemand ist verpflichtet bei Tische Wein zu trinken, jedoch ist es üblich, und geschieht es nach Belieben, falls der Krankheitszustand es nicht verbieten sollte. Des Abends wird à la carte gespeist, gleichfalls in beiden Speisesälen, die nicht selten zwischen 2 — 300 Personen des Mittags an der table d'hôte und des Abends noch mehr in sich aufnehmen. — Auch die Speisekarte zeichnet sich, wie der Mittagstisch, durch eine reiche Auswahl trefflich bereiteter Schüsseln aus, unter denen die Seeprodukte, namentlich der Steinbutt, die Auster, die Seezunge, der Hummer, die Seekrabbe, die Garnele usw. nie fehlen, und die Vortrefflichkeit der Fleischspeisen in dem seiner unübertroffenen Viehzucht wegen berühmten Ostfriesland sich wohl von selbst versteht; besonders da ein Eiskeller die Konservation des Fleisches auch im heißesten Sommer sichert. Mit jungem Gemüse aller Art wird die Insel durch die stets hin und her segelnden Schiffe der Insulaner, die auch für Passagiere eingerichtet sind, von Bremen aus reichlich versorgt.

Mit französischen, spanischen, portugiesischen und Rhein-Weinen, sowie mit englischen und deutschen Bieren ist der herrschaftliche Keller in großer Auswahl aufs beste versehen.

Für diejenigen, welche zu geringeren Preisen und weniger opulent, aber recht gut beköstigt sein wollen, findet sich in mehren Gasthäusern zum Speisen an table d'hôte, wie im eigenen Hause, gleichfalls Gelegenheit. — Familien oder Badegäste, namentlich einzelne Damen und Mütter mit kleinen Kindern können sich, wenn sie es vorziehen, auch mit Leichtigkeit eine eigene Ökonomie in ihrer Wohnung einrichten, wo es an geräumigen Küchen und Feuerherden nicht fehlt. Viele Familien aus Bremen und der Nachbarschaft pflegen dies zu thun, und lassen sich die Viktualien und Geräte, auch wohl eigene Betten und Möbeln, namentlich musikalische Instrumente, durch die Fährschiffe mitbringen und wieder fortschaffen, was mit geringen Kosten und großer Leichtigkeit geschieht.

Nicht minder wie für die bestmöglichste Befriedigung aller Lebensbedürfnisse ist für die Unterhaltung und für das Vergnügen der Badegäste gesorgt. Die Lokalität befördert durch die vielen Vereinigungspunkte, welche auf der nicht großen Insel die Badegesellschaft wiederholt zusammenführen, vielleicht in keinem Bad so sehr die angenehmste Geselligkeit, wie gerade in Norderney. Nirgend ist so vielfach Gelegenheit gegeben zum Anknüpfen neuer und kultivieren gemachter Bekanntschaften als hier, wofür den besten Beweis die Verlobungen, welche eine jede Saison hier zur Reife bringt, so wie die Anhänglichkeit und häufige Wiederkehr so vieler einmal hier Gewesener abgeben. — Die Menschen und die Art und Weise des Umganges mit ihnen verleihen dem Aufenthalte an jedem Orte erst den Reiz und die Annehmlichkeit, welche uns mit einer Vorliebe für ihn erfüllen und ein angenehmes Bild davon in unserm Gedächtnisse zurücklassen; was selten der Ort allein tut. Er bildet nur den Grund des Bildes, auf welchem mit prangenden Farben die Erinnerung alle Gestalten gruppiert, die uns dort lieb geworden sind, und die, auf gleiche Weise wie die Bilder der altdeutschen Schule dem glänzenden Gold- wie dem dunkeln Holzgrunde, worauf sie gemalt sind, erst den wahren Wert verleihen, so auch das reicher von der Natur ausgestattete reizende Tal, wie die minder begabte, ungastliche Klippe für uns erst bewehrten.

Des Morgens das Frühstück im Konversations-Hause, die Musikstunde im Bosquet; des Mittags die table d'hôte , und gleich nach Tische das Roulette, wo dann der galante Banquier den Damen durch Herabsetzung des üblichen Point's Gelegenheit gibt, ihr Glück zu versuchen; des Nachmittags die hier üblichen allgemeinen und Privat-Kaffeegesellschaften, die gemeinschaftliche Strandpromenade; und des Abends die Tees und Bälle im Konversationshause, wozu man subskribiert, und endlich das Souper führen den geselligen Teil der Badegäste so wiederholt an einem und demselben Orte zusammen, daß dadurch ein näheres Aneinanderschließen unter den gegenseitig sich Gefallenden veranlaßt wird, welches im höchsten Grade vorteilhaft auf die Art des Umganges und den Ton der ganzen Badegesellschaft zurückwirkt. — Ganz besonders trägt dazu die feine Aufmerksamkeit bei, welche der Königliche Bad-Kommissar, Herr Graf von Wedel-Nesse, so wie dessen Gemahlin, den geselligen Unterhaltungen widmen, und die liebenswürdige Bereitwilligkeit, mit welcher Beide jede Gelegenheit ergreifen, die hier aus allen Weltgegenden zusammenströmenden Gäste einander näher zu bringen und mit einander bekannt zu machen, findet die dankbarste Anerkennung bei Allen.

Jeder irgend billige Wunsch sowohl als jede begründete Beschwerde von Seiten der Badegäste findet stets bei dem Königlichen Bad-Kommissariate das bereitwilligste Entgegenkommen zur Gewährung und Abhilfe, welches durch die verbindliche Art und Weise, wovon es stets begleitet ist, doppelten Wert erhält.

Eben so wenig es nun unter solcher Leitung des Ganzen an geselligen Vergnügungen im Konversationshause selbst fehlen kann, wozu außer den täglichen Reunions des Abends zum Tee (worauf der Einzelne mit einem wöchentlichen Beitrage von 16 Ggr., die Familie mit 1 Rthlr. 8 Ggr. subskribiert), zweimal wöchentlich Subskriptionsbälle (wofür nur die Herren mit einem halben Thaler unterschreiben), ferner dann und wann Subskriptionssoupers, denen gewöhnlich noch einige Tänze zu folgen pflegen, und an den Königlichen Geburtstagen große Gastmahle und außerordentliche Bälle kommen; eben so wenig fehlt es an Gelegenheit zu Partien im Freien. Eine Fahrt in großer Gesellschaft um die Insel und nach der großen, weißen Düne, von wo ab man eine höchst eigentümliche Ansicht der ganzen Insel genießt; eine kleine Seefahrt in einem Segelschiffe, oder eine große Kaffeepartie in Begleitung des Orchesters auf einem der beiden eleganten hamburger Dampfschiffe, welche bisweilen einen Tag hindurch auf der hiesigen Rhede verweilen; oder eine Ausflucht hinüber an die Küste nach dem seines geschmackvollen Parks wegen besuchten, dem Grafen von Inn- und Knyphausen zugehörigen Schlosse Lütetsburg; oder ein Abstecher auf mehre Tage nach den nahegelegenen Seebädern Helgoland und Wangerooge; oder für die Jagdliebhaber, außer der amüsanten Kaninchen- und Möwenjagd auf der Insel selbst, ein Kreuzzug zu Wasser gegen Robben und Delphine, gewähren auch in dieser Hinsicht mannigfache Abwechselung. — So bietet Norderney dem Geselligkeit Liebenden einen angenehmen Aufenthalt dar, den er scheidend nur ungern verlässt, von so manchem ihm wert gewordenen Bekannten mit Wehmut sich trennend und nicht ohne ein wenig Sehnsucht hierher zurück mit sich fortzunehmen. Aber auch der Einsame, der von dem fröhlichen lauten Getreibe der Menschen an die unbesuchtesten Stellen des Strandes sich zurückzieht, trennt sich nicht gern von dem Meere, dem einzigen Bekannten, der ihm lieb geworden durch den täglichen Umgang, und der bald mit sanfter murmelnder Stimme ihm Mut einsprach, bald unwillig mit wildem Rauschen sein Seufzen ihm verwies, und doch gutmütig versöhnlich dann dem oft spät im Dunkel erst Scheidenden mit sprühenden Funken den Heimpfad am Strande hin beleuchtete. — Unendlich anziehend ist hier am Strande der Anblick des Meers und dem Betrachtenden wird es fühlbar, wie auf dieser Stelle Heines reiches poetisches Gemüt zu den lieblichen Bildern der Nordsee begeistert werden mußte, welche er in dem „Buche der Lieder“ einem seiner Freunde zugeeignet hat, und wohl schon Mancher hat an derselben Stelle ihm nachempfunden seinen hier gedichteten Meeresgruß:

Sei mir gegrüßt, du ewiges Meer,
Wie Sprache der Heimath rauscht mir dein Wasser,
Wie Träume der Kindheit seh' ich es flimmern
Auf deinem wogenden Wellengebiet;

O! wie habe ich geschmachtet in öder Fremde!
Gleich einer welken Blume
In des Botanikers blecherner Kapsel
Lag mir das Herz in der Brust;
Mir ist, als saß ich winterlange,
Ein Kranker, in dunkler Krankenstube,
Und nun verlass ich sie plötzlich,
Und blendend strahlt mir entgegen
Der smaragd'ne Frühling, der sonnengeweckte,
Und es rauschen die weißen Blüthenbäume,
Und die jungen Blumen schauen mich an
Mit bunten, duftenden Augen,
Und es duftet und summt, und athmet und lacht,
Und im blauen Himmel singen die Vöglein: —
Thalatta! Thalatta!


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ueber das Seebaden und das Norderneyer Seebad