Steffens, Schelling und Neander von einer Kirche der Zukunft

Hervorragende Gelehrte, zuerst Steffens, dann Schelling und Neander haben von einer Kirche der Zukunft unter dem Bilde des Johannes gesprochen; Petrus sei Typus der Katholischen, Paulus der Evangelischen Kirche, Johannes sei es für die Kirche der Vollendung. Was hieran wahr, was unzutreffend sein möge, lasse ich dahingestellt. Das aber scheint mir gewiss: die Kirche der Vollendung möge sie auf Erden, oder möge sie nach der Erde eintreten, wird nicht das bloße Gleichmäßige (den Consensus) unter den Konfessionen enthalten; sondern grade das Besondere, das Mächtige, Tiefe, das eine Konfession im Innersten erfüllt, und das die andren noch nicht zu fassen und sich anzueignen vermögen. Die Kirche der Vollendung kann um nichts ärmer sein als irgend eine der jetzigen Partikularkirchen, sondern nur reicher. Sie muss alles, was Gott irgendwo und irgendwann an Wahrheit, Gnade und Segen der Christenheit verliehen, in einheitlicher Durchdringung und Verklärung in sich schließen, dass alles erhalten, alles Allen gemeinsam werde. Menschliche Union führt die Kirchen auf ihr Gemeinsames zurück. Göttliche Union führt sie vorwärts zu der Fülle, welche allein die Versöhnung ihrer Gegensätze ist.

Das ist unsre Ahnung, ist unsre Hoffnung, gegründet auf das Wort, dass ein Hirt und eine Herde sein werde. Aber die Erfüllung ist lediglich Gottes. Darum berechtigt dieser Gedanke der Katholizität nimmermehr dazu, eine Stellung über den sämtlichen Kirchen einzunehmen; er löst uns nimmermehr von der Gebundenheit an die eigne Kirche, der wir angehören, weil wir sie als die Bewahrerin der reinen und tiefsten Lehre, als das Zentrum in den göttlichen Führungen seines Reichs erkannt haben. Sie zu pflegen in ihrem Geiste, ihr gutes Recht zu vertreten im Reiche der Geister und in der bürgerlichen Ordnung, das ist unser erster Beruf, und auch die Anerkennung des göttlichen Waltens in den andern Kirchen kann uns an demselben nichts erlassen. Unsre Aufgabe geht auf die irdische Gegenwart und die gegebenen Zustande, unsere Hoffnung geht auf die Zukunft der Vollendung. Jene heischt die Treue des Handelns, diese gewährt die Toleranz der Gesinnung.


Zur Zeit der Erscheinung des Herrn war zu Jerusalem eine Sorte von Menschen, wie Simeon und Hanna, die auf das Heil in Israel warteten. Sie waren treu dem Gesetz nicht minder als die Pharisäer, waren treu dem vorhandenen Glauben nach seiner vergänglichen wie nach seiner unvergänglichen Seite. Aber ihre Sehnsucht ging nach einem viel höheren Gut, und es war ihnen darum beschieden, es zu schauen. Also auch für uns. Die Erwartung des zukünftigen Heils in der Fülle seiner Wahrheit und Herrlichkeit. die hoch erhaben ist über allen irdischen Kirchen, macht vorzugsweise tolerant. Aber sie macht tolerant in der Treue gegen die göttliche Wahrheit, in der Treue gegen die Kirche.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ueber christliche Toleranz