Ueber Sturmfluten.

Ein Vortrag, gehalten in der Aula des städtischen Gymnasiums zu Greifswald
Autor: Mayer, Paul (1848-1923) Assistent am botanischen Garten der Universität Greifswald, Erscheinungsjahr: 1873

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Warnemünde und Umgegend, Der Heiligendamm, Boltenhagen, Rostock, Wismar, Insel Poel, Ribnitz, Wustrow (Fischland), Dassow, Schleswig-Holstein, Travemünde, Broodtener Ufer, Niendorf, Fehmarn, Kiel, Eckernförde, Schleswig, Flensburg, Alsen, Apenrade und Wenningbund, Pommern, Zingst, Hiddensee, Rügen, Swinemünde, Stralsund, Greifswald, Anklam, Kiel, Eckerförde, Schleswig, Flensburg, Apenrade, Hadersleben, Alsen, Angeln, Schwansen, Schlei, Femarn, Lolland, Dahme, Neustadt, Cismar, Grömitz, Ostseebäder, Scharbeuts, Haffkrug, Oldenburg, Travemünde, Lübeck
Wenn wir es uns zur Aufgabe gestellt haben, uns mit jenem unheilvollen Ereignisse zu beschäftigen, von dem leider Manche unter uns aus eigener Anschauung berichten können, so liegt uns der Gedanke fern, dem Gefühle des Schreckens, welches uns am Unglückstage ergriff, durch Auffrischung der vielleicht schon etwas verblassten Bilder oder durch Vorführung unbekannter Details neue Nahrung zu geben. Ebenso wenig ist eine künstliche Steigerung des Mitgefühls für die Notleidenden die Absicht, von der wir ausgehen; wir sind eben der Meinung, dass ein Jeder von uns angesichts der grausigen Szenen gerne dazu beigetragen hat, dem Elende, so weit es in seinen Kräften stand, abzuhelfen. Wir wollen vielmehr ruhig und durchaus objektiv an die bereits vielfach ventilierten Fragen nach Entstehung und Ausdehnung der Sturmflut herantreten; nicht, weil wir etwa glaubten, solche außergewöhnlichen Vorkommnisse seien nur dazu gut, zu wissenschaftlichen Arbeiten verwertet zu werden oder Themata zu Reden zu liefern, sondern weil wir damit auch einen vorwiegend praktischen Zweck verbinden wollen. Ist es uns gegenwärtig wieder einmal völlig klar geworden, wie wenig trotz aller Errungenschaften des neunzehnten Jahrhunderts der Mensch im Stande ist, das entfesselte Element zu beherrschen oder doch eine vernichtende Wut auf engere Bezirke zu beschränken, so liegt darin für uns die Aufforderung, sorgsam umherzuspähen, welche Mittel uns zur Abwehr schon zu Gebote stehen oder von erfahrenen Praktikern und Männern der Wissenschaft bei dieser Gelegenheit ausfindig gemacht werden. Wie aber bei unseren Sozialen und staatlichen Verhältnissen nur ein solcher Vorschlag zur Geltung gelangt, der von der öffentlichen Meinung wirksam getragen wird, so möchten wir gerne in weiteren Kreisen das Verständnis für die bald zu erwartenden Darlegungen unserer Nautiker und Meteorologen einigermaßen vorbereiten.

Fassen wir zunächst die Bezeichnung „Sturmflut“, deren man sich ziemlich allgemein bedient hat, ins Auge, um uns über den in ihr enthaltenen Begriff zu verständigen. Einen streng wissenschaftlichen Charakter trägt das Wort durchaus nicht, wenigstens nicht in der Ausdehnung, welche man ihm gegenwärtig einräumt. Bezeichnet es nämlich eine durch einen Sturm verstärkte Flut, so kann es auf die Gestade der Ostsee, wo sich Ebbe und Flut nicht geltend machen, nicht füglich angewendet werden; liegt darin ausgesprochen, dass wir es mit einer durch einen Sturm hervorgerufenen Überflutung zu tun. haben, so trägt diese Deutung zwar den Tatsachen Rechnung, keineswegs aber dem Wortlaute. Noch mehr: nach Zeitungsberichten war bei Gelegenheit der bekannten Interpellation im Abgeordnetenhause vielfach von einer „Springflut“ die Rede, wiewohl doch auch dem Binnenländer klar sein müsste, wie eine solche nur bei Voll- oder Neumond eintreten kann. Eine derartige laxe Bezeichnungsweise trägt nur dazu bei, die Verwirrung noch zu vermehren und die dem Ereignisse zu Grunde liegende Tatsache unklar zu machen. Und doch ist eine oberflächliche, für den ersten Augenblick hinreichende Erklärung leicht gegeben:

Ein heftiger und lange andauernder Nordoststurm trieb das Wasser der Ostsee von Schweden her in dem Maße zu uns herüber, dass es weithin die Ufer überströmte.

Haben wir nun auch so leichten Kaufes das Wort „Flut“ wegzuschaffen gewusst, so bleibt uns doch der nicht minder wichtige erste Teil des ominösen Kompositums als der eigentliche Übeltäter zurück; wir müssen es daher versuchen, uns über sein plötzliches und rapides Erscheinen so gut irgend möglich Rechenschaft abzulegen. Es eröffnen sich uns da zwei Wege: wir erörtern den konkreten Fall, erklären darauf ganz allgemein die Stürme, gehen von diesen zu ihren unmittelbaren Ursachen, den Winden, zurück und erläutern zum Schluss auch diese; oder wir sehen, indem wir umgekehrt zu Werke gehen, auf sicherem, uns Allen bekanntem Grunde das immer komplizierter werdende Gebäude der Sturmtheorie vor unseren Augen sich emporheben – ein Gebäude, an dessen Herstellung und leidlicher Vollendung die bedeutendsten Forscher aller Jahrhunderte mit unermüdlichem Fleiß gearbeitet. Es kann natürlich nicht zweifelhaft sein, dass wir synthetisch zu verfahren haben.

Denken wir uns daher zunächst die Erde in Ruhe und konstruieren wir uns zugleich einen Schirm von riesiger Ausdehnung, der über uns ausgespannt jeglichen Sonnenstrahl von uns abhält. Postulieren wir ferner, es herrsche für einen Moment allenthalben gleiche Temperatur und völlige Windstille, so erweitern wir den Kreis unserer Annahmen streng genommen kaum, da ein solcher Zustand unter den zuerst gegebenen Bedingungen doch allmählich eintreten würde. Es bildet dann die Atmosphäre gewissermaßen eine Kugelschale von großartigen Dimensionen um uns herum, die nirgendwo Ungleichmäßigkeiten verrät. Wir entfernen den Schirm, welcher uns Licht und Wärme neidisch verhüllte, und nun beginnt in kurzer Frist ein Hin- und Herwallen, ein Wogen und Treiben in dem leicht beweglichen Elemente, dass wir aller Besonnenheit bedürfen, um uns über den Vorgang Schritt für Schritt klar zu werden. Wo die Sonne eine Stelle der Erdoberfläche in besonderem Maße bestrahlt, da erheben sich die von der Wärme des Bodens ausgedehnten und leichter gewordenen Luftschichten senkrecht in die Höhe, während unten von allen Seiten her die kältere, dichtere, schwerere Luft zum Ersatz zuströmt. Diese Fundamentalerscheinung verdient, so einleuchtend sie an und für sich auch sein mag, ihrer großen Wichtigkeit wegen eine eingehendere Betrachtung. Überall, wo wir uns die Mühe geben, sie aufzusuchen, finden wir sie wirksam, selbst wenn die Ursache der Erwärmung eine irdische ist. Jeder Ofen lässt auf einer oberen Fläche oder in seiner nächsten Umgebung ein Steigen der Luft nach oben mit Leichtigkeit erkennen; bei Feuersbrünsten von einiger Ausdehnung erhebt sich zahlreichen Beobachtungen zufolge auch bei sonst ruhiger Luft von der Brandstätte aus ein immer heftiger werdender Wind, welcher von allen Richtungen her der Flamme zueilt; ähnliche Erscheinungen sind in noch größerem Maßstab bei der Ausrottung der Urwälder in Nordamerika und der Dschungeln Ostindiens von zuverlässigen Männern konstatiert worden. Auf diesem Prinzipe beruhen auch die vorzugsweise unseren Inselbewohnern bekannten Land- und Seewinde, welche allerdings nur in der heißen Zone zu bedeutender Stärke anwachsen. Indem nämlich am Tage das feste Land mehr von den Sonnenstrahlen erwärmt wird, als das Wasser, welches bekanntlich Temperaturveränderungen weniger rasch folgen kann, steigt über ihm ein Strom heißer Luft zur Höhe, so dass vom Meere her ein Seewind den nötigen Nachschub zu liefern hat; dieser beginnt wenige Stunden nach Sonnenaufgang, erreicht kurz nach Mittag, zu welcher Zeit die Differenz in der Erwärmung am bedeutendsten wird, ein Maximum und endet nach Sonnenuntergang in einer Windstille. Nun tritt das umgekehrte Verhalten ein: das langsamer sich abkühlende Meer bewahrt den auf ihm ruhenden Luftschichten den einmal erreichten Wärmegrad länger, als das rasch erkaltende Land; die Folge davon ist ein gegen Morgen besonders heftig werdender Landwind, der schließlich, wenn die Sonne ihre Macht wiederum geltend zu machen beginnt, ebenfalls zu einer Windstille erstirbt.

Anklam, Rathaus (1840)

Anklam, Rathaus (1840)

Anklam, Steintor

Anklam, Steintor

Barth, adliges Fräulein Stift

Barth, adliges Fräulein Stift

Barth, Dammtor

Barth, Dammtor

Bauernhaus aus dem 18. Jahrhundert

Bauernhaus aus dem 18. Jahrhundert

Bauernhaus aus dem 18. Jahrhundert (2)

Bauernhaus aus dem 18. Jahrhundert (2)

Bauer und Bäuerin von der Insel Pöel um 1800

Bauer und Bäuerin von der Insel Pöel um 1800

Binz, Luftaufnahme

Binz, Luftaufnahme

Blick über die Hagensche Wiek

Blick über die Hagensche Wiek

Die Altstadt von Sassnitz. Im Hintergrund der Jasmund Nationalpark

Die Altstadt von Sassnitz. Im Hintergrund der Jasmund Nationalpark

Kreidefelsen nahe Sassnitz

Kreidefelsen nahe Sassnitz

Sassnitz 2011

Sassnitz 2011

Swinemünde, Stadthafen

Swinemünde, Stadthafen

Stettin, Hansabrücke um 1900

Stettin, Hansabrücke um 1900

Schiffsuntergang

Schiffsuntergang

Rügischer Fischer

Rügischer Fischer

Rügen Wasserträgerin

Rügen Wasserträgerin

Rostock Bürgerfrau

Rostock Bürgerfrau