Zweite Fortsetzung

Es fehlt nun nicht an Beobachtungen, welche das gleichzeitige Vorhandensein bei der mächtigen Luftströmungen über einander in der überzeugendsten Weise dartun. Die untere nordöstliche – wir berücksichtigen von jetzt ab nur die nördliche Halbkugel – oder der sogenannte Passat war bereits Columbus bekannt, der ja mit ihm nach Westindien gelangte und seine Matrosen, welche sich wegen der Stetigkeit des Windes den Rückweg abgeschnitten wähnten, nur schwer zu beruhigen vermochte; aber erst viel später machte man die Bemerkung, dass auf den tropischen Meeren die sehr hohen feinen Federwölkchen am Himmel die entgegengesetzte Richtung einschlagen. Einen direkteren Beweis für die Existenz des Oberstromes oder des Antipassates, wie ihn Herschel taufte, fanden Humboldt und Leopold v. Buch beim Besteigen des Pic von Teneriffa, den sie bei einer Höhe von 11.000 Fuß auf einem Gipfel von heftigen Südwestwinden umbraust sahen. In der Nähe des Äquators, wo der warme Strom erst in bedeutender Entfernung von der Erdoberfläche überhaupt zum Abfließen gelangt, ist es allerdings noch nicht gelungen, selbst auf den höchsten Bergspitzen den Antipassat zu erreichen; glücklicherweise sind dafür zu Zeiten die Vulkane so gefällig gewesen, die Rolle der Gewährsmänner zu übernehmen. Ein besonders auffälliges Beispiel möge hier erwähnt werden. Im Jahre 1812 fiel ganz plötzlich auf der Insel Barbadoes (13° n. Br., 60° w. L. von Greenwich) bei dem konstant herrschenden Nordostpassat ein heftiger Aschenregen nieder. Große Bestürzung der Einwohner, welche in der angegebenen Richtung nur den atlantischen Ozean vor sich haben. Es ergab sich bald, dass ein Vulkan auf der etwa 25 Meilen weit nach Westen zu gelegenen Insel St. Vincent eine feurigen Produkte mit großer Gewalt durch den eigentlichen Passat hindurch bis zur Höhe des Gegenstromes senkrecht emporgeschleudert hatte; von diesem eine Strecke weit mit fortgeführt, fiel die Asche allmählich herab, geriet in die untere Strömung und langte auf diesem eigentümlichen Umwege bei Barbadoes an. – Aber auch in unseren Breiten ist es möglich, sich von der Anwesenheit des Antipassates zu überzeugen, der allerdings in Folge der bereits stark gewordenen Abkühlung im günstigsten Falle in nur geringer Höhe einherzieht, während er meistenteils schon in gleichem Niveau mit dem Passate zu wehen pflegt. Das beste Mittel dafür bieten uns die Wolken, an denen wir ja meist keinen Mangel haben. So sehen wir denn auch oft genug unsere Windfahne lustig auf einen Nordost hindeuten, während am Himmel ein ebenso unermüdlicher Trieb von Südwesten her obwaltet. Aus den Berichten unserer kühnen Aëronauten können wir uns übrigens mit Leichtigkeit davon überzeugen, wie sie diese entgegengesetzten Strömungen dazu benutzen, um das berühmte Problem von der Lenkbarkeit des Ballons praktisch einigermaßen zu lösen.

So lange nun die Sonne durch ihren hohen Stand im Sommer den Gürtel der Windstillen nach Norden hin verschiebt und somit auch die Region, in welcher der Passat vorherrscht, dem Pole näher bringt, zeigen sich auch bei uns in Mittel-Europa noch die beiden Ströme übereinander, während bei Eintritt des Herbstes der obere Antipassat herabzusteigen und einem entgegengesetzt wehenden unteren Kollegen das Terrain streitig zu machen beginnt. Und nun sind die Vorbedingungen zu einem Sturm gegeben. Jene Regelmäßigkeit der Winde nämlich, welche die tropischen Meere, deren Verhältnisse uns bis jetzt bei unserem allerdings etwas schematischen Bilde vorschwebten, in hohem Grade auszeichnet, kommt nämlich bereits dort in Wegfall, wo die Küsten sich dem ruhigen Hinströmen hindernd entgegenstellen oder wo auf den Kontinenten selbst allerlei lokale Einflüsse – Berge, Seen, Sandwüsten – sich geltend machen. Noch viel mehr tritt diese Veränderung der ursprünglichen Richtung und die Veränderlichkeit überhaupt natürlich in unseren Breiten ein, wo wir es nicht mehr mit Einem Hauptstrom, sondern mit zweien, welche sich in das Gebiet teilen sollen, zu tun haben. Hier treten die konstanten Richtungen so sehr an Häufigkeit zurück, dass man sie nicht als Regel, sondern als Ausnahme betrachten könnte und für gewöhnlich vom Wetter als der veränderlichsten Naturerscheinung redet. Es darf uns daher auch nicht überraschen, dass es langer Anstrengungen bedurfte, um aus dieser scheinbaren Regellosigkeit eine sichere Regel zu gewinnen und diese zum Schluss als ein naturgemäß begründetes Gesetz zu entwickeln. Bereits manche der älteren Meteorologen, und unter diesen zuerst Baco, später Lampadius, Kant und andere, sprachen sich unabhängig von einander und auf eigene Beobachtungen gestützt dahin aus, dass der Wind sich in dem außerhalb der Tropen gelegenen Teile der nördlichen Halbkugel vorwiegend mit der Sonne drehe, d. h. von Nord aus nach rechts zu über Ost, Süd und West wieder nach Nord. Endlich gelang es im Jahre 1827 unserem berühmten Landsmann Dove dieser merkwürdigen Übereinstimmung unbefangener und mit kritischem Blicke begabter Männer auch ihre tatsächliche Begründung zu geben – und dieses nach dem Entdecker benannte Drehungsgesetz der Winde ist von solcher Bedeutung auch für die Erklärung der Stürme geworden, dass wir einen Augenblick bei ihm verweilen müssen.


Dove ging bei seinen Auseinandersetzungen von folgender Betrachtung aus. Wenn wir in dem Südwestwinde unserer Breiten wirklich den Antipassat der Tropen vor uns haben, so muss er uns die Wärme, welche er bei seiner Entstehung empfing, und den Wasserdampf, den er während einer weiten Reise über das Meer hin aufnahm, als Bedingungen zu einem warmen und zugleich nassen Wetter zuführen. Wirklich geben uns Thermometer und Hygroskop (letzteres dazu bestimmt, den Feuchtigkeitsgrad der Atmosphäre zu messen) von Beidem Kunde. Aber auch auf das Barometer übt der von Süden kommende Fremdling einen deprimierenden Einfluss aus und verrät uns so eine lockere Beschaffenheit, die ihm der Theorie nach eigen ein muss. Indem er ferner aus der Höhe sich zu uns herabsenkt, wird er den an einem beliebigen Orte wehenden Nordostwind von oben herab verdrängen und sich uns durch den Zug der Wolken eher bemerklich machen, als er durch die Änderung der Windfahne unsere Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Andererseits tritt der Passat, wiewohl er vom Pole herkommt und über die großen, kahlen Flächen Sibiriens schweren Schrittes einherzieht, mit recht einladender Miene auf: das Barometer beeilt sich auf seinen Wink zu steigen, der Himmel wird heiter, das Wetter trocken und klar, aber auch kalt. Aus dieser Einwirkung beider Hauptwinde auf unsere gebräuchlichsten meteorologischen Instrumente, aus ihrem Einfluss auf die Witterung machte denn auch Dove zuerst mit Sicherheit ihre Heimat ausfindig und bewies ihre Identität mit den Passaten der Tropen. Wenn wir uns nun mit der Art und Weise, wie sich diese wichtigsten Faktoren aus einem reinen Nord- resp. Südwinde in einem Nordost resp. Südwest umgewandelt haben, vertraut machen konnten, so hindert uns nichts daran, nach diesen Gründen auch den Charakter unserer Luftströmungen festzustellen. Insofern nämlich die Erdrotation die Bedingung zur westlichen Ablenkung des polaren, zur östlichen des äquatorialen Windes lieferte, ist es verständlich, dass eine um so größere Abweichung von der ursprünglichen Richtung Platz greifen muss, je stärker bei mehreren in der Richtung von Nord nach Süd gleich nahe gelegenen Orten der Unterschied in der Drehungsgeschwindigkeit hervortritt. Dass die letztere vom Pole bis etwa zum 45. Breitengrade in viel rapiderer Weise wächst, als von da bis zum Äquator, zeigt ein Blick auf die Karte und lehrt die Betrachtung einer Kugel sofort. Es kann darum auch der Nordost in unseren Gegenden bei längerer Dauer seine anfängliche Richtung nicht beibehalten, sondern wird sich langsam, aber unaufhaltsam nach Osten zu drehen. Je anhaltender er nämlich weht, desto weiter muss er, da wir ihn ja aus einem unter dem Äquator ausgeübten Heransaugen entstehen sahen, rückwärts greifen und immer nördlichere Regionen in Kontribution setzen. Die von diesen uns zugeführte Luft bringt also eine stets geringer werdende Rotationsgeschwindigkeit mit, und da der Unterschied nach den Polen zu schnell ansteigt, so ist eine allmähliche Drehung der Windfahne nach Osten zu die unausbleibliche Folge. Wir begreifen leicht, dass aus ganz denselben Gründen ein beständig wehender Südwest um eben dieser Beständigkeit willen schließlich bedeutend nach West abweichen muss, und können ganz allgemein einen Nordost wie einen aus höheren Breiten, als der eigentliche Nord, ankommenden Wind betrachten, während ebenso gut ein Südwest seiner Entstehung nach ferner von uns liegt, als ein reiner Süd. Lassen wir nun der Einfachheit halber an irgend einem Orte einen recht hartnäckigen Nordwind auftreten – wozu allerlei lokale Gründe vorliegen können, auf die wir vor der Hand nicht näher eingehen wollen – so verwandelt er sich nach und nach lediglich unter dem Einfluss der Erdrotation in einen fast aus Ost kommenden Wind. Um nun eine noch weiter gehende Einwirkung auf die Wetterfahne zu erzielen, lassen wir einen äquatorialen Strom mit der Maßgabe auftreten, dass er in eben dem Grade anschwillt, wie der andere er stirbt. Alsdann wird sich der aus ihnen resultierende einheitliche Wind, bei dem sich die Gewalt des südlichen immer fühlbarer macht, über Ost nach Südost hin drehen müssen, bis nach dem völligen Verschwinden des ersteren der siegreiche äquatoriale allein vorherrscht. Aber auch seine Existenz ist nicht von langer Dauer: halb untergräbt er sie durch eine bald hervortretende westliche Neigung sich selbst; den Rest vernichtet ein von uns schleunigst herbeigezauberter polarer Strom, der auch wirklich nach einiger Zeit ausschließlich dominiert. Unsere Wetterfahne ist diesen Begebnissen treulich gefolgt und nun durch Süd und West wiederum bei Nord angelangt. **)

**) Auf der südlichen Halbkugel gestalten sich die Verhältnisse gerade umgekehrt, weil dort die Hauptwinde Nordwest und Südost sind.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ueber Sturmfluten.