Über die Ausdehnung der jüngsten Überflutung vom 13. November 1872

Nach diesen Erörterungen wissenschaftlicher Natur mag es uns gestattet sein, über die Ausdehnung der jüngsten Überflutung vom 13. November 1872 Einiges beizubringen. Wir finden in den meisten Berichten Vergleiche zwischen der Höhe des Wasserstandes bei der gegenwärtigen und den von der Geschichte verzeichneten bedeutenderen Katastrophen angestellt und halten es daher für geboten, zunächst in einem historischen Rückblicke die letzteren zu berühren und ihrer Besprechung durch Zitierung der Quellen – meist ehrwürdiger Chroniken im niederdeutschen Dialekte und einer den jetzigen reformatorischen Bestrebungen gänzlich entgegengesetzten Orthographie – ein größeres Interesse zu verleihen. Über die älteste zur Verzeichnung gelangte Sturmflut vom Allerheiligentage des Jahres 1304, nach anderen Angaben 1303, 1307 oder 1309, gibt uns der Stralsunder Chronist Berckmann, *) welcher in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts lebte, eine höchst dürftige Notiz:

Item im jare 1304 vmme alle gades hilligenn, weyede so einen groth stormwindtt, nicht gehortt bi minchenn thiden, bome vth der erdenn, dorpe, molen vmme, vnnd makede so groth water vmme ditt landt, dat datt Nyedep vthbrack.“. . .


Über dasselbe Ereignis jagt Thomas von Kantzow: **)

„Desselbigen jares ist ein sehr gewaltig stormwint gewest . . . . . . der hat das lant zu Rhügen vom Rhuden abgerißen, nachdem zuvor zwischen dem lant zu Rhügen und dem Rhuden nuhr ein geringer strom durchgangen, da ein man hat überspringen khönen.“

In der Lübecker ***) Chronik, welche das Unglück im Jahre 1320 stattfinden lässt, lesen wir darüber Folgendes:

„In deme jare christi 1320 des jares to sumte andreas daghe, do wart in den steden by der ostersee jo grot storm van winden unde so grot watervlot, dat derghelik vore neman hadde vornommen. To lübeke dar . . . . . . vordrunken binnen den husen vele lüde; oc vordarf dar anderes gudes vele unde noch mer in anderen steden.“ . . . .

Wir übergehen sodann mehrere nicht so hervorragende Fluten, um erst derjenigen vom Jahre 1449 unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Ein nicht näher bekannter Stralsundischer Chronikenschreiber gibt uns über ihre Tragweite längs der ganzen Küste einen recht anschaulichen Bericht: ****)

*) Stralsundische Chroniken herausg. von Mohnike und Zober. S. 4.

**) Kantzows Pommerania von Kosegarten. I, S. 291.

***) Lübsche Chronik von Grantoff. I S. 211. 9) Mohnike und Zober l. cit. S. 193.

****) Curieuser Geschichtskalender von Vor- und Hinterpommern. Stettin 1700. S. 29.

„Anno 1449 vp St. Gallen macht was hier en so grot storm van dem norden vnd nordosten, desgliken ken minsch gedacht hedde; denn he makede hir grot water, dat idt öuer den steendamm in de döhre floth beth in de straten, ock in etlicke keller. Kene brüggen bleuen vor der Stadt hele; vele schepe, chuten und bote, item zesekahne zerstötten . . . . . . ock vordruncken vele lüde. Vnd geschach solk schaden nicht allene hir, sondern ock an andern orten mehr; als tho Lübeck schlogidt in de joltkeller vnd in de boden by der Traven; dardedeidt groten und grulicken schaden. Vor der Wesel [Weichsel] bleuen wol by de 60 schöne schepe, vnd wurden thor Oliue int kloster in de druddehalf hundert mann vp enem dag begrauen, vnd was der andern kene tall, de noch van dagen tho dagengefunden vnd thor er den bestediget wurden. - Disse storm warde
twe dage.“

In Bezug auf die nächste bemerkenswerte Sturmflut von 1625 wären wir, da die Stralsunder Berichte nicht so weit fortgeführt sind, auf die Erzählungen der Rostocker, Wismarer, Lübecker und Barther Chronikanten angewiesen, wenn sich nicht gleich damals in Rostock eine eigene Literatur über sie gebildet hätte – gewiss ein schwerwiegendes Zeugnis für die Großartigkeit der Verwüstungen, welche sie anrichtete. Tatsächlich weichen denn auch diese meist von Predigern herrührenden Schriften so wenig von den Zeitungsnotizen, welche die gegenwärtige Flut betreffen, ab, dass man sich versucht fühlen könnte, jene nach der notwendigen Modernisierung des Stiles als neu abdrucken zu lassen. . . . Wir begnügen uns statt dessen damit, die wenigen, aber inhaltsreichen Worte hierherzusetzen, mit welchen ein „kurieuser Geschichtskalender“ der damaligen Zeit des Ereignisses Erwähnung tut: *****)

„Im Monate Februar hat sich die Ostsee dergestalt ergossen, dass dadurch in Vorpommern allenthalben großer Schaden an Häusern, Dämmen, Brücken und Schiffen geschehen.“ Seit dieser Epoche hat sich die See leidlich ruhig verhalten, wiewohl sich noch eine ganze Reihe derartiger Ausnahmezustände, wie die oben erwähnten, nur von geringerer, oft lokaler, Ausdehnung, aufzählen ließe. Meist mit leicht verzeihlichem Eifer von den Berichterstattern grau in grau gemalt bieten sie uns fast nur Variationen über ein und dasselbe traurige Thema dar und können hier füglich übergangen werden. –

Wenngleich man als den für die Bewohner der Ostseeküste denkwürdigen Tag kurzweg den 13. November anzugeben pflegt, da in den meisten Fällen an ihm die Flut ihren Höhepunkt erreichte, so lehren uns doch die genauen Angaben der mit der Beobachtung des Wasserstandes betrauten Beamten, dass zum Teil schon am 12., an manchen Orten schon am 11. das Meer in bedenklicher Weise zu steigen begann. Man war daher vielfach im Stande, dem drohenden Unglücke wirksam zu begegnen, wenigstens zu bergen, was der Bergung bedurfte. Indessen ließ die vielleicht allzu große Gemütsruhe unserer Küstenbevölkerung, namentlich der Insulaner, auch oft genug den richtigen Zeitpunkt ungenutzt verfließen; in der Hoffnung, auch dieses Mal nur eine der temporären raschen Steigungen des Meeres vor sich zu haben, deren Ausdehnung durch häufige Erlebnisse ihnen bekannt war, trafen sie meist ungenügende Maßregeln und hielten mit der ihnen eigentümlichen Zähigkeit bis zum äußersten Momente in ihren gefährdeten Wohnungen aus. Im Allgemeinen wurden natürlich durch den von Nordosten kommenden Anprall des Sturmes und der Wogen die denselben direkt ausgesetzten Küstenstriche überschwemmt; in erster Linie litten daher die Inseln Bornholm, Rügen, Usedom, Fehmarn und die dänischen Gebiete auf ihrer Nordostseite; doch blieben bei den heftigen Schwankungen des Wassers auch die scheinbar geschützten Teile, wie beispielsweise das hinter Rügen gelegene Stralsund, um so weniger unberührt, als grade in diesen Fällen der ungestüm vorwärts drängende Wasserwall in den engen, vielfach gewundenen Kanälen eine bedeutende Höhe erreichen musste. Wir finden in gleicher Weise manche größere Insel, welche nicht direkt von der Hauptrichtung aus unter Wasser gesetzt wurde, ringsum, sogar an der Westseite, hart mitgenommen und nennen zum Beweise nur Loland, welches östlich von Falster gedeckt, hier weniger zu leiden hatte, als auf der dem Sturme abgewendeten Seite. So machten denn auch manche nicht an der See gelegene Städte mit den Meereswellen, welche das süße Wasser der Flüsse nicht nur aufstauten, sondern sogar zurückdrängten, in unliebsamster Weise Bekanntschaft; in Stettin, welches in gerader Linie etwa 7 Meilen vom Meere entfernt ist, stieg die Oder 3 Fuß 7 Zoll; in Greifswald übte das mächtig angeschwollene Flüsschen Ryk, welches an einer Mündung sich 8 Fuß 5 ½ Zoll über den mittleren Stand erhob, die bekannten Verheerungen aus und glich mit seinen hochgehenden Wogen völlig der sturmbewegten See; in ähnlicher Weise wurden auch Anklam und Lübeck betroffen. Es ergibt sich hieraus, dass nahezu die gesamte Küste im südwestlichen Teile der Ostsee von dem Unglück berührt werden musste und dass zum Schluss die ganze Menge des von Osten herübergetriebenen Wassers den einzig offen bleibenden Weg nach Norden zu nehmen hatte, wodurch auch Schleswig-Holstein und das südliche Jütland in Mitleidenschaft gezogen wurden. An den letzterwähnten Strichen werden daher auch in den Berichten die Nachmittagsstunden des 13. November als Kulminationspunkt angegeben, während in Vorpommern bereits um etwa 10 Uhr Morgens die Flut zu sinken begann.

Verfolgen wir nun den Gang des Ereignisses, um uns zugleich über die Größe desselben ein Urteil zu bilden. Zuerst empfing das südliche Schweden den gefährlichen Gast: zum Teil griff die Überschwemmung bereits am 12. November Platz und beschädigte in Ystad, Cimbrishamn, Trelleborg und anderen Städten die Hafenanlagen, warf große Schiffe auf das Land und verwüstete den ganzen zwischen den angegebenen Punkten befindlichen Teil der Küste mit seinen Fischerdörfern; indessen beläuft sich der Schaden nach genauen Ermittlungen auf noch nicht ganz 200.000 schwedische Reichsthaler. Gleichzeitig erreichte das Unglück die Insel Bornholm und den am weitesten nach Osten vorgeschobenen Teil Dänemarks, das Inselchen Christiansö, welches als Kriegshafen dient. Für seine Bewohner muss der 12. und ein Teil des 13. Novembers um so schreckenerregender gewesen sein, als sie sich auf dem weiten Meere nirgends nach Schutz und Rettung umsehen konnten und sich der winzigen Scholle Landes, auf der sie leben, wohl bewusst waren. „Der Sturm, *) welcher beständig denselben Strich – Nordost zu Ost – einhielt, fing schon am Abend des 11. an . . .; das Rasen desselben und des Meeres war in den nächsten 24 Stunden – vom Morgen des 12. ab gerechnet – fortwährend im Zunehmen und das Wasser blieb am Steigen, bis es am Vormittage des 13. etwa 5 Fuß über täglichem Niveau stand. . . . Während nun der Orkan am Vormittage des 13. seinen Höhepunkt erreichte, machte das aufgeregte Meer furchtbare Angriffe auf die mächtigen Festungswerke im Norden und Osten, diese zwei bis drei Ellen dicken, von teilweise kolossalen Steinblöcken aufgeführten Mauern, welche man um so eher gegen jeden derartigen Angriff für gepanzert halten musste, als sie von einem breiten Gürtel von Klippen und Scheeren geschützt sind, welche für gewöhnlich schon ausreichen, die Macht des Meeres zu brechen. So wusste man denn auch kaum von irgend einem Beispiel, dass das Meer selbst im stärksten Sturme früher gegen die Festungswälle angeschlagen hätte. Aber dieses Mal hielt nichts dem entsetzlichen Anlauf Stand. Der hohe, starke nördliche Wall zwischen Rantzaus und Gyldenlöves Batterie musste fallen, desgleichen der ganze mächtige östliche Damm; sogar von der Batterie Rantzau selbst, welche doch 30–40 Fuß über dem Meeresspiegel liegt, stürzte ein Teil ein. Die Wellen konnten nun ungehindert eindringen.“ . . . . . Die Brunnen füllten sich mit Salzwasser, die Nahrungsmittel gingen auf die Neige und konnten selbst von dem nahe gelegenen Bornholm des heftigen Seeganges wegen auch nach dem Sturme nicht beschafft werden; indessen ist kein Menschenleben umgekommen. Die einzige Promenade von nur 10 Minuten Länge, welche den von allem Verkehre abgeschnittenen Bewohnern ein notdürftiger Ersatz für ihre sonstigen Entbehrungen war, ist gänzlich vernichtet worden, so dass gegenwärtig die Insel bis zur Trostlosigkeit öde
erscheint. Auf Bornholm **) selbst hat die Westküste kaum gelitten: dagegen wird der Schaden in Allinge auf etwa 30.000, in Gudhjem auf 7.500 Thlr. angegeben und außer diesen größeren Punkten an der Ostseite der Insel sind auch Svaneke, Nexö und andere Orte hart mitgenommen. Sämtliche andere dänische Inseln sind mit Ausnahme von Själland, dessen nördlicher Teil unberührt blieb und von Loland fast an allen Strecken der Küste überschwemmt worden; manche der kleinsten waren gänzlich unter Wasser gesetzt. Möen hat an Ländereien und am Hafenbauten in Stege und anderen Städten große Verluste, doch betreffen sie nur wenig die ärmeren Schichten; auf Själland hingegen sind in Kjöge außer den Beschädigungen des Hafens der Einsturz vieler Häuser und der Verlust von vielem fruchtbarem Boden zu verzeichnen; ferner wird die Einbuße, welche Stadt, Hafen und Kirchspiel Prästö samt den an der Bucht gleichen Namens gelegenen Ortschaften erlitten, als nicht unbedeutend angegeben, da an manchen Stellen das Wasser gegen 10 Fuß stieg. Die Zahl der in diesen Häfen gestrandeten Schiffe belief sich schon kurz nach dem Sturme auf 80. Bemerkenswert ist der Umstand, dass hier bereits die Nordgrenze der Ausdehnung erreicht ist, da in Kopenhagen, wo eine „dichtgereffte Marsegelkühlte“ (klosrebet Mersejlskuling) wehte, keine bedeutende Steigung des Wassers angegeben wird. Um so schlimmer ist Falster weggekommen, namentlich das südliche Ende der Insel, welches aus zwei durch eine mit Seewasser gefüllte Niederung, das Bötö Noer, getrennten Spitzen besteht, ist stellenweise für immer ruiniert. Die nach Osten zu gelegenen Dämme sind durchbrochen und fortgespült, so dass gegenwärtig das Land jedem Andrang des Meeres Preis gegeben ist. Die bereits ins Werk gesetzte Austrocknung des genannten Noers ist somit vergeblich gewesen. Im Kirchspiel Gjedesby sind 20 Menschen ertrunken, 24 Häuser fortgespült und 94 Familien obdachlos geworden. Ähnliche Angaben werden von den anderen Teilen Falters gemacht, während nur die westliche Partie der Insel wenig zu leiden hatte. Ein gleich betrübendes Resultat liefern die Berichte über Lolland, wo merkwürdiger Weise die West- und Südküste am meisten bedroht wurden. An manchen Stellen brachen die Deiche und das Wasser drang alsdann mit solcher Gewalt und Schnelligkeit tief in das Innere der Insel ein, dass nur wenig zu retten war. Im Ganzen werden gegen 60 Menschen als tot aufgeführt, davon im Kirchspiel Gloslunde allein 25. Außerdem ist die Zahl der fortgespülten oder dem Einsturz nahe gebrachten Häuser eine sehr bedeutende. Von viel geringerem Belange sind dagegen die auf Fyen angerichteten Verwüstungen. Die nördlichen im Amte Odense gelegenen Städte sind zum Teile ganz unberührt geblieben und selbst in Kjerteminde wird der Schaden auf nur reichlich 3.000 Thlr. taxiert, während allerdings der Durchbruch der Deiche an manchen Stellen bedeutende Summen zur Wiederherstellung nötig macht. Auch vom südlichen Teil von Fyen, im Amte Svendborg, lauten die neuesten Nachrichten viel beruhigender, als man anfänglich vermutete. Svendborg und Faaborg haben ohne Zuschuss Seitens des Staates ihre Verluste decken können und ebenso ist die kleine Insel Thurö nicht betroffen worden, während ihre Nachbarin Taasinge nicht so leichten Kaufs davon gekommen ist. Schlimmer gestalteten sich die Verhältnisse auf Oerö, wo vor Allem die Stadt Marstal, in welcher das Wasser um etwa 12 Fuß stieg, einen Schaden von 24.000 Thlrn. erlitt, wo Oerröeskjöbing 10.000 und Söby 8000 Thlr. verloren. (Als Kuriosum mag erwähnt werden, dass eine Windmühle aus der Nähe von Söby völlig intakt auf Alsen antrieb) Die Dämme zu mehreren „Noer“ sind durchbrochen, diese mit Seewasser gefüllt und so große Strecken Land auf lange Zeit der Benutzung entzogen. Auf Langeland ist nur die Ostküste beschädigt, jedoch im Großen und Ganzen nicht wesentlich betroffen. Von den kleineren Inseln waren Drejö zu 4/7 Hjortö, Siö und Birkholm gänzlich unter Wasser gesetzt, doch sind die Bewohner sämtlich gerettet worden.

In Jütland konnte nur der südlich von Fyen gelegene Teil erheblich von den Wirkungen der Sturmflut berührt werden, da der kleine Belt nur wenig von den Wassermassen durchließ; somit wäre die nördliche Grenze auf dem Festlande an dieser Stelle zu ziehen. Kolding und Fredericia, so wie der südlich davon befindliche Vorsprung mit dem Kirchspiele Stenderup sind daher auch fast die einzigen Orte Jütlands, von denen die Überschwemmung gemeldet wird. Schon in Vejle wird der Schaden auf nur 150 Thlr. angeschlagen und in Aarhus hat sich weit mehr der Sturm selbst verderblich gezeigt, als das Hochwasser, welches sich nur etwa 3–4 Fuß über das gewöhnliche Niveau erhob. –

Kehren wir jetzt nach der Besprechung der dänischen Territorien zu unserem Ausgangspunkte, der Insel Bornholm, zurück, so lehrt ein Blick auf die Karte, wie die südwestlich von ihr gelegenen Teile der preußischen Küste, nämlich Rügen und Usedom ebenfalls dem heftigsten Anpralle ausgesetzt sein mussten, während weiter nach Osten zu das Wasser parallel mit der Küste, also an ihr entlang getrieben wurde. Im Einklange hiermit finden wir denn auch jenseits der Odermündungen nur in Danzig, das am südwestlichen Ende der Bucht gleichen Namens gelegen dieselben Verhältnisse im Kleinen darbietet, den Wasserstand (um etwa 2 Fuß) über den gewöhnlichen erhoben. Der Sturm selbst, für den eine derartige Schranke nicht bestand, hat allerdings auch noch weiter östlich getobt und beispielsweise bei Kranz an der ostpreußischen Küste 7 Fischerboote scheitern lassen, deren Mannschaft leider nicht zu retten war, überhaupt auf der See eine solche Kraft entfaltet, dass er während seiner größten Heftigkeit große Wellen durchaus nicht aufkommen ließ, vielmehr ihre Kämme schon beim Entstehen brach; für die eigentliche Überschwemmung bildet aber Usedom die Ostgrenze. Hier fällt zuerst Swinemünde in die Augen, das vielen Schiffen, welche dorthin verschlagen wurden, nicht der sehnlichst gewünschte Nothafen, vielmehr die Stätte des Verderbens wurde und unter anderen auch eine Bark mit ihrer gesamten Bemannung, 13 Personen stark, untergehen sah. Ferner sind außer den Anlagen im Seebade Heringsdorf vorzüglich die Waldungen und bei Damerow auch die Deiche beschädigt worden; auf dem dahinter liegenden Festlande sind Wolgast und Anklam als überschwemmt zu nennen, während die Peene auch noch mehr landeinwärts aus ihren Ufern trat und sich sogar in Loitz noch bemerklich machte; unsere Aufmerksamkeit verdient jedoch im höchsten Grade erst Rügen, dessen eigentümliche Konfiguration mit den vielen Landzungen und weit in das Meer hinausragenden Spitzen den Angriff der Wogen zu einem erfolgreichen gestaltete. Die drei vorgeschobenen, mit der eigentlichen Insel nur durch schmale Erdstriche verbundenen Partien Wittow, Jasmund und Mönchgut hatten den ersten Andrang auszuhalten. Von ihnen litt Jasmund an den hochgelegenen Punkten, wie der Stubbenkammer, nur wenig, während der bekannte Badeort Saßnitz arg verwüstet wurde; Mönchgut hingegen wurde derart überschwemmt, dass es sich für die erste Zeit nicht wieder wird erholen können. Etwa 50 Familien sind obdachlos geworden, große Strecken Wiesen und Acker total vernichtet und an zwei Stellen der schützenden Dämme beraubt. Ähnlich liegen die Verhältnisse auf Wittow, wo ebenfalls nur die steil ansteigenden Partien, wie Arcona, wenig berührt wurden. Im Übrigen ist Rügen ringsum in ziemlich gleichmäßiger Weise unter Wasser gesetzt worden; sogar die Binnengewässer haben an dem allgemeinen Aufruhr Teil genommen und ihre Ufer überschritten. Die von Rügen einigermaßen gedeckte Insel Hiddensee ist in ihrer Mitte an zwei Stellen völlig durchbrochen und dadurch so überflutet worden, dass sie fast völlig mit Wasser bedeckt war und 127 Familien ihre unbrauchbar gewordenen Wohnungen verlassen mussten. Einen wirklichen Schutz gab aber die große vorgelagerte Kreideinsel der Stadt Stralsund ab, die in Folge dessen bei Weitem weniger erheblich litt, als es den Anschein hatte. Wiewohl nämlich das Wasser, welches auf Rügen in den meisten Fällen seinen höchsten Stand um 5–6 Fuß überschritt, dort im Hafen den mittleren um 7 Fuß 10 Zoll überstieg und außerdem noch Feuer ausbrach, beläuft sich der ganze Privatschaden auf reichlich 3.000 Thlr., in welche Summe freilich der Wert von Stralsunder Schiffen, welche in Folge des Sturmes auch an anderen Orten zahlreich strandeten, nicht eingerechnet ist. Die Hafenanlagen erwiesen sich als unzureichend. Im direkten Gegensatze hierzu stehen die von der Flut hervorgerufenen Verwüstungen in den zu Greifswald gehörigen Orten Eldena und Wiek und in der Universitätsstadt selber. Die ganze Dorfschaft Wiek wurde bis auf zwei Häuser überschwemmt und durch den Einsturz der Gebäude ein Schaden von reichlich 50.000 Thlr. verursacht, während die Greifswalder Vorstädte eine Einbuße von etwa 60.000 Thlr. erlitten. Zwischen Greifswald und Stralsund brach der Eisenbahndamm an zwei Stellen. Auch der nördlich von Stralsund gelegene Teil der Pommerschen Küste sollte schwer bedrängt werden, zumal die Fluten in den von dem Festlande und der Insel Zingst gebildeten Kanal zwar einzudringen Gelegenheit hatten, dann aber keinen Ausgang fanden und in dem engen Bassin zu enormer Höhe anschwollen. So wurde denn Zingst, nachdem die Dünen erst durchbrochen, dann fortgerissen waren, in einer ganzen Ausdehnung unter Wasser gesetzt, so dass sämtliche Bewohner, 2.200 an der Zahl, zwei Nächte und einen Tag auf den Dächern oder Böden ihrer Häuser in steter Angst hungernd und durstend zubrachten. Dasselbe Schicksal traf einen großen Teil der Halbinsel Darß, namentlich den kleinen Ort Prerow. „Das Wasser erreichte auch hier am 12. November. Abends eine bedeutende Höhe, trotzdem legten sich alle Einwohner zur Ruhe, denn man glaubte sich ja durch einen Wall geschützt. Wie bitter war aber am anderen Morgen die Enttäuschung, als Manche so zu sagen im Bette von den Fluten überrascht wurden. Die Dünen waren an mehreren Stellen durchbrochen, der Damm wurde von der brausenden See überstiegen, und so drang das Wasser mit solcher Vehemenz in das Dorf, dass dasselbe in einer halben Stunde gänzlich 6–7 Fuß hoch unter Wasser stand. . . . . Am 13. um 5 Uhr früh war noch alles trocken, um 8 Uhr alles eine Wasserwüste.“ ***) Auf der dem Festlande zugewendeten Seite des Kanals hat die Stadt Barth viel ausgestanden, ihr Schaden beziffert sich auf 13.000 Thaler, während derjenige der eben erwähnten Strecken mehrere Hunderttausende beträgt, indessen gegenwärtig noch nicht völlig abgeschätzt ist. Die Aufstauung der Wellen am westlichen Ende der Einbuchtung bewirkte im Vereine mit einem Durchbruche des Dammes bei Wustrow die Erhöhung des Wasserstandes um volle 11 Fuß in Dammgarten und der Nachbarstadt Ribnitz, so dass auch hier allenthalben große Verheerungen Platz gegriffen haben. – Verfolgen wir sodann die Mecklenburgische Küste, welche auf eine lange Strecke völlig kompakt erscheint, so treffen wir auf Warnemünde und Rostock, später, wo sich wieder die Zerrissenheit des Landes geltend macht, auf die Insel Poel, das hinter ihr gelegene Wismar und auf Boltenhagen, welche alle mehr oder weniger stark beschädigt wurden; doch erinnern nur die Beschreibungen der Zustände auf Poel und in Warnemünde einigermaßen an die Berichte über Zingst, da hier ähnliche Verhältnisse obwalten. In Rostock wird der Schaden auf 150.000 Thlr. taxiert.

Die von dem rasenden Nordost getriebenen Wassermassen, welche wir eine Zeit lang sich ziemlich parallel der Küste fortbewegen sahen, gelangten endlich auch zur Neustädter Bucht und fanden bei Travemünde vorbei, wo ein Teil sich nach Lübeck und Dassow fortwälzte, einen Weg in der Weise, dass sie umwandten und den vorspringenden südöstlichen Teil Holsteins bedrängten. Während einerseits die Trave in der großartigsten Weise anschwoll und so alle umliegenden Ortschaften mit in den Bereich des Unglücks zog, wurde andererseits Travemünde und weiter nach Norden Niendorf, ersteres zu einem großen Teile, letzteres gänzlich zerstört, wobei 8 Personen ihr Leben einbüßten; ebenso erlitten Neustadt, Wismar, Grömitz, die Ostseebäder Scharbeutz und Haffkrug und andere Punkte große Verluste. Bei dem Dorfe Dahme, welches fast ganz vernichtet wurde, durchbrachen die Fluten den Damm, so dass die Niederung bis zu Oldenburg ganz unter Wasser geriet; 10 Personen ertranken. In ähnlicher, nur noch schlimmerer Weise wurde die Insel Fehmarn von allen Seiten bedroht. Es blieben daher nur die höchsten Punkte verschont, so dass etwa ¾ des Terrains überschwemmt war. Das Wasser erreichte hier, wie an manchen Punkten in den Elbherzogtümern die Höhe von 11 Fuß, was die im Verhältnis zu den anderen deutschen Küstenländern außergewöhnlich großen Beschädigungen zur Genüge erläutert. Trotzdem nun ein so bedeutender Teil der Wassermasse bereits absorbiert war und der Rest sich zwischen Fehmarn und Lolland durchzudrängen hatte, wiederholte sich an dem vor Kiel befindlichen Landstriche „Probstei“ das betrübende Schauspiel, dass die Deiche teils einfach überflutet, teils durchbrochen und die niedrig gelegenen Strecken bebauten Landes, welche gerade hier große Erträge liefern und zu den besten Holsteins zählen, durch aufgeschwemmten Sand und Schlick auf Jahre der Kultur entzogen wurden. Weiter nördlich boten alsdann die tiefen Einschnitte, an deren Enden sich Kiel, Eckernförde, Schleswig, Flensburg, Apenrade und Hadersleben befinden, dem eindringenden Meere die bequemste Gelegenheit dar, da fiel nach der Richtung, von welcher der Sturm kam, mehr oder weniger offen sind. In der ersten der genannten Städte wird allein der Schaden, welchen der Kriegshafen, trotzdem er sich trefflich bewährte, erlitt, auf 100.000 Thlr. geschätzt; das Marine- und ein bedeutendes Privatwerft wurden stark beschädigt, die Docks mit Wasser gefüllt; auch ein Teil der Stadt war überflutet. In Flensburg sind 72.000, in Schleswig 30.000 Thlr. zu verschmerzen, während Eckernförde, wie bekannt, in furchtbarster Weise verwüstet wurde. 138 Häuser sind zum Teile, 87 völlig vernichtet, etwa 150 Familien obdachlos geworden, so dass der Schaden, welcher an Gebäuden und Hausgerät konstatiert wurde, sich auf etwa 200.000 Thlr. beziffert. Selbstverständlich verfielen die am Eingange der einzelnen Buchten gelegenen Orte, die vor Allem an der weit ins Land reichenden Schlei zahlreich sind, dem allgemeinen Schicksale und nicht minder waren auch die zwischen ihnen sich hinziehenden Küstenstriche, namentlich Angeln und Schwansen, der gemeinsamen Not ausgesetzt. Die Insel Alsen, welche den Fluten den Weg zu versperren geeignet schien, wurde teils umgangen, teils selbst und zwar wiederum allseitig in den Bereich der Überschwemmung gezogen; besonders der nördliche Teil litt stark. Ebenso war auf dem Festlande das Sundewitt mit einer nach Süden gelegenen Halbinsel Broaker überschwemmt, während nördlich von Alsen Apenrade und Hadersleben je einen Schaden von etwa 50.000 Thlr. zu verzeichnen haben. –

Wir haben uns im Vorstehenden bemüht, ein Bild des Verlaufes und der Wirkungen der Sturmflut in flüchtigen Umrissen zu entwerfen und nicht ohne Absicht auch der dänischen Inseln in derselben Ausführlichkeit gedacht wie der deutschen Küsten. Wir wollten eben solche Punkte hervorheben, welche, wie wir annehmen zu dürfen glauben, nicht zur allgemeinen Kenntnis gelangt sind, während wir uns bei anderen nicht min-
der wichtigen jeglichen Eingehens enthielten, weil wir sie in allen öffentlichen Blättern mit Anführung sämtlicher Details erwähnt fanden. Aber in Betreff Dänemarks war uns noch ein besonderer Grund maßgebend. Bekannt ist die eifrige Hilfe, welche sowohl die Privat- wie auch die Staatswohltätigkeit den Verunglückten leistete, bekannt vor Allem die Schnelligkeit, mit welcher diese Gaben eingingen, die, wenn irgendwo, hier am Platze
ist. Und doch wurden fast sämtliche Teile des kleinen Staates in gleicher Weise von der Katastrophe ereilt, so dass es den Anschein gewinnt, als habe gerade diese gemeinsame Gefahr den Antrieb zur energischen Unterstützung gegeben. Wir vermögen leider nicht dasselbe auch von Deutschland zu sagen; sei es, dass die vom Unglücke betroffenen Küsten einen zu kleinen Teil gegenüber den Gesamtstaate einnehmen, sei es, dass überhaupt dem Binnenländer die richtige Anschauung für die Großartigkeit der ruhigen wie der entfesselten See fehlt – so viel steht fest, dass erst seit den letzten Wochen die bei den verschiedenen Lokal- und Zentralkomitees eingelaufenen Summen im Betrage von reichlich einer Million die absolute Höhe der in Kopenhagen zusammengeflossenen Gelder übersteigen. Was die staatliche Hilfe anbelangt, so wollen wir nur an die bekannte Debatte im Herrenhause am 9. Dezember des verflossenen Jahres erinnern und hinzufügen, dass wir uns noch so ziemlich auf demselben Standpunkte wie damals befinden. Sollte wirklich die Ermittlung der Schäden, welche allerdings allen ferneren Operationen zu Grunde gelegt werden muss, bei uns um so viel schwerer sein, als in Dänemark?

*) Flensborg Avis 1872. Nr. 279.

**) Diese und die folgenden Notizen sind meistens dem bereits am 4. Dezember im Dänischen Reichstage verteilten Auszuge der landrätlichen Berichte an den Minister des Inneren entnommen, machen sich daher keinesfalls der Übertreibung schuldig. In Bezug auf die Deutschen Küsten waren wir leider nicht in der Lage, auf derartige Akten rekurrieren zu können.

***) Stralsundische Zeitung 1872, Nr. 274. Wie groß übrigens die Verheerungen auf diesen Punkten sind, geht schon aus dem einen Umstande hervor, dass für die entwurzelten oder geknickten Bäume aus den Waldungen der Insel die Summe von etwa 80.000 Thlrn. bezahlt worden ist. Der Deutsche Hilfsverein gibt in einem „ersten Flugblatte“ den Gebäudeschaden für Zingst auf 126.379 Thlr., für Prerow auf 63.770 Thlr. an.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ueber Sturmfluten.